Bearbeiter: Prof. Dieter Schmalz

Prüfungsschema: Verletzung eines Grundrechts / Freiheitsrechts

Vorbemerkung: Geprüft wird, ob
ein Hoheitsakt = Prüfungsgegenstand (Gesetz, andere Rechtsnorm oder Einzelakt: VA/Urteil/Beschluss/Realakt)
ein Grundrecht = Prüfungsmaßstab
verletzt.

A. Subjektive Seite (gilt für alle Grundrechte)

I. Wer sich auf ein Grundrecht beruft = wer möglicherweise verletzt ist, muss Grundrechtsberechtigter sein (auch: Inhaber, Träger des Grundrechts). Probleme: Deutschenrechte (z. B. Art. 12 GG) und jur. Personen (Art. 19 III GG).

II. Wer das Grundrecht verletzt haben soll = wer möglicher Verletzer ist, muss nach Art. 1 III GG der Grundrechtsbindung unterliegen (auch: muss Grundrechtsadressat sein).

B. Objektive Seite

(Der folgende Schemateil gilt nur für Freiheitsrechte, aber im weiteren Sinn: auch Leben, körperliche Unversehrtheit, Eigentum; er gilt nicht für Gleichheitsrechte, politische Mitwirkungsrechte, Verfahrensrechte)

I. Eingriff in Schutzbereich des Grundrechts

1. Schutzbereich
  Der Schutzbereich des Grundrechts muss den von dem Hoheitsakt geregelten oder betroffenen Fall erfassen = Fall/Vorgang/Verhalten muss unter den Schutzbereich fallen. Im einzelnen:
 
a) Fall kann unter den Leitbegriff (z. B. „Meinungsäußerung“ in Art. 5 I 1 GG) subsumiert werden.
 
b) Enthält der Schutzbereich eine Einschränkung (so bei Art. 8 I GG: Schutz nur, wenn Versammlung „friedlich und ohne Waffen“), darf diese Einschränkung nicht eingreifen.

2. Eingriff

  Jeder Hoheitsakt, der die geschützte Freiheit = das geschützte Verhalten unmöglich macht, erschwert oder sonst beeinträchtigt. (Eingriffsakt muss dem Prüfungsgegenstand - s. Vorbemerkung - entsprechen.)

II. Rechtfertigung des Eingriffs

Eine Verletzung des Grundrechts setzt voraus, dass keine Rechtfertigung eingreift; Rechtfertigung wird aber grds. positiv geprüft.  

1. Grundrechtsschranke vorhanden ?

  a) Zunächst ist eine Schranke im Grundrecht / GG zu suchen. Es gibt drei Arten von Schranken:
   
(1) Verfassungsunmittelbare Schranken: Art. 9 II (Vereinigungen, die gegen die Völkerverständigung verstoßen); Art. 13 VII (bei einer gemeinen Gefahr oder Lebensgefahr).
(2) Gesetzesvorbehalt („In dieses Grundrecht darf durch Gesetz und/oder auf Grund eines Gesetzes eingegriffen werden“); z. B. in Art. 2 II 3, 8 II, 12 I 2, 13 VII 2. Satzteil. Zu den Gesetzesvorbehalten gehören auch Art. 2 I („verfassungsmäßige Ordnung“), Art. 5 II („finden ihre Schranken…“), Art. 14 I 2 („Inhalt und Schranken werden durch die Gesetze bestimmt“).
(3) Verfassungsimmanente Schranke, wenn keine andere Schranke vorhanden ist (z.B. bei Art. 4 I, II; 5 III).
 
b) Beim Gesetzesvorbehalt ist weiterhin zu prüfen:
 
  aa) Gesetz vorhanden ? (Wird vielfach das gerade geprüfte Gesetz sein.)
 
bb) Beim qualifizierten Gesetzesvorbehalt (z. B. Art. 8 II: Beschränkungen nur bei „Versammlungen unter freiem Himmel“): Qualifikation erfüllt ?

Die folgenden Ausführungen betreffen grds. nur die Fälle des Gesetzesvorbehalts, vorstehend (2).

2. Das Gesetz (vorstehend aa) muss formell und materiell verfassungsmäßig sein (Prüfung von „Schranken-Schranken“)
 
a) Spezielle Anforderungen an Grundrechtseingriffe erfüllt (nur ausnahmsweise zu prüfen):  
  • Art. 19 I 1 (Kein Individualgesetz)
  • Art. 19 I 2 (Zitiergebot)
  • Art. 19 II (Wesensgehaltsgarantie)
  b) Im übrigen allgemeine Anforderungen entsprechend dem Schema
 
  Verfassungsmäßigkeit eines Bundesgesetzes:
 
  ► Formelle Seite: Gesetzgebungszuständigkeit, Gesetzgebungsverfahren  
  ► Materielle Seite; dazu gehört bei Grundrechtseingriffen vor allem die Verhältnismäßigkeit der gesetzlichen Regelung. Maßnahme muss sein  
 
  zur Förderung eines legitimen Zweckes geeignet
 
 
  erforderlich / notwendig (weil kein milderes Mittel)
 
 
  verhältnismäßig ieS / angemessen (Abwägung von Vorteilen und Nachteilen des Eingriffs)
 

Ergebnis zu 2: Gesetz ist verfassungswidrig / ist verfassungsmäßig. Ist Ausgangs-Prüfungsgegenstand ein Gesetz, steht auch das Endergebnis fest: Gesetz verletzt Grundrecht / Gesetz verletzt Grundrecht nicht.

3. Ist Ausgangs-Prüfungsgegenstand (oben I 2) ein Einzelakt (Verwaltungsakt/Urteil/Beschluss/Realakt):
  a) Einzelakt muss mit Gesetz übereinstimmen, d. h. muss auch im übrigen rechtmäßig sein,
  b) einschließlich der Verhältnismäßigkeit des Einzelaktes.

Ergebnis: Einzelakt verletzt Grundrecht / verletzt Grundrecht nicht.