Bearbeiter: Prof. Dieter Schmalz

Warenverkehrsfreiheit, Art. 34 AEU: Handelshemmnis, Verkaufsmodalität und Verwendungsbeschränkung einer Ware. Rechtfertigung von Beschränkungen nach Art. 36 AEU oder als „zwingende Erfordernisse“. Verhältnismäßigkeit von Maßnahmen (Art. 5 IV EU); Beurteilungsspielraum der Mitgliedstaaten. Gleichheitsgrundsatz des Art. 20 GRCh; Anwendbarkeit der Grundrechtecharta, Art. 51 GRCh

EuGH
Urteil vom 10. 2. 2009 (C-110/05) EuZW 2009, 173)

Fall
(Keine Motorradanhänger in Italien)

Nach Art. 56 der Straßenverkehrsordnung des Staates S, eines Mitgliedstaates der EU, dürfen Anhänger von Automobilen und Zugmaschinen mitgeführt werden. Das Ziehen von Anhängern durch in S zugelassene Motorräder ist verboten. Begründet wird das damit, dass bei einem Gespann aus Motorrad und Anhänger die Stabilität und das Bremsverhalten des Gespanns vermindert sind und sich daraus Gefahren für den Straßenverkehr ergeben können. Die in einem anderen Mitgliedstaat der EU ansässige Firma F stellt Anhänger speziell für Motorräder her und exportiert sie auch. Als sie feststellt, dass sie in S praktisch keine Anhänger verkaufen kann, wendet sie sich an die EU-Kommission. Diese fordert die Regierung von S in einem Mahnschreiben auf, dafür zu sorgen, dass Art. 56 der Straßenverkehrsordnung von S aufgehoben wird, was von der Regierung aber abgelehnt wird. Daraufhin hat die EU-Kommission vor dem EuGH gegen den Staat S eine Vertragsverletzungsklage nach Art. 258 AEU erhoben. Ist die Klage begründet ?

Hinweis für die Bearbeitung des Falles: Der Originalfall ereignete sich noch unter der Geltung des EG-Vertrages. Seit dem 1. 12. 2009 wurde dieser durch die Vorschriften des Lissabon-Vertrages abgelöst. Der Lissabon-Vertrag enthält drei Gesetzeswerke: den geänderten EU-Vertrag (abgekürzt „EU“), den den EG-Vertrag ersetzenden Vertrag über die Arbeitsweise der EU (abgekürzt „AEU“) und die Charta der Grundrechte der Europäischen Union (sowie Protokolle zu den drei Gesetzeswerken). Auf diese neue Rechtslage wurden Fall und Lösung umgestellt, auch in den Originalzitaten. Sachlich hat sich im Hinblick auf die Behandlung dieses Falles nichts geändert.

Eine Vertragsverletzungsklage der Kommission nach Art. 258 AEU (oder eines Mitgliedstaates nach Art. 259 AEU) ist begründet, wenn der beklagte Staat gegen Vorschriften des EU-Rechts verstoßen hat.

I. Art. 56 der StVO des Staates S könnte einen Verstoß gegen die Warenverkehrsfreiheit (Art. 34 AEU) enthalten.

1. Dann müsste ein Sachverhalt vorliegen, bei dem es um Waren geht, die aus einem Mitgliedstaat der EU stammen (vgl. Art. 28 II AEU). Im vorliegenden Fall sind die von der Fa. F produzierten und vertriebenen Motorradanhänger Waren, die aus dem Mitgliedstaat stammen, in dem die Fa. F ihren Sitz hat.

2. Art. 34 AEU richtet sich gegen staatliche Maßnahmen. Art. 56 StVO ist eine vom Staat S erlassene Rechtsvorschrift und damit eine staatliche Maßnahme.

3. Art. 34 AEU untersagt mengenmäßige Einfuhrbeschränkungen - solche liegen hier nicht vor - und Maßnahmen gleicher Wirkung.

a) EuGH Rdnr. 33: Nach ständiger Rechtsprechung ist jede Handelsregelung der Mitgliedstaaten, die geeignet ist, den innergemeinschaftlichen Handel unmittelbar oder mittelbar, tatsächlich oder potenziell zu behindern, als eine Maßnahme mit gleicher Wirkung wie mengenmäßige Beschränkungen im Sinne des Art. 34 AEU anzusehen (vgl. EuGH, Urteil Dassonville, Slg. 1974, 837 = NJW 1975, 515, Randnr. 5).

aa) Im vorliegenden Fall bedeutet die in Art. 56 StVO enthaltene Verwendungsbeschränkung von Anhängern für Motorräder, dass ein Export der von F hergestellten Anhänger nach S - insoweit ein innergemeinschaftlicher Handel - praktisch nicht stattfindet. EuGH Rdnr. 56, 57: Hierzu ist festzustellen, dass ein Verbot der Verwendung eines Erzeugnisses im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats erheblichen Einfluss auf das Verhalten der Verbraucher hat, das sich wiederum auf den Zugang des Erzeugnisses zum Markt des Mitgliedstaats auswirkt. Denn die Verbraucher, die wissen, dass sie ihr Kradfahrzeug nicht mit einem eigens dafür konzipierten Anhänger verwenden dürfen, haben praktisch kein Interesse daran, einen solchen Anhänger zu kaufen (…). Damit verhindert Art. 56 der Straßenverkehrsordnung die Nachfrage nach derartigen Anhängern auf dem betreffenden Markt und behindert somit deren Einfuhr. Somit ist ein Handelshemmnis i. S. der Dassonville-Formel zu bejahen.

bb) Dem steht nicht entgegen, dass die Verwendungsbeschränkung nach Art. 56 StVO alle Hersteller und Vertreiber von Motorradanhängern gleichermaßen trifft. EuGH Rdnr. 35: So stellen Hemmnisse für den freien Warenverkehr…selbst dann Maßnahmen mit gleicher Wirkung wie mengenmäßige Beschränkungen dar, wenn diese Vorschriften unterschiedslos für alle Erzeugnisse gelten (vgl. in diesem Sinne EuGH, Urteil Cassis de Dijon, Slg. 1979, 649 Randnrn. 6, 14 und 15; Familiapress Slg. 1997, I 3689, Randnr. 8; Deutscher Apothekerverband, Slg. 2003, I 14887, Randnr. 67).

cc) Ebenfalls unerheblich ist, dass die Einfuhr der Motorradanhänger nicht verboten ist und dass für sie lediglich keine Nachfrage besteht. Denn wird die Nachfrage durch eine staatliche Maßnahme verhindert, bedeutet diese ein Handelshemmnis.

b) Es könnte aber eine Einschränkung des in Art. 34 AEU enthaltenen Verbotstatbestandes eingreifen.

aa) Art. 34 AEU wird eingeschränkt, wenn eine bloße Verkaufsmodalität vorliegt und weitere Voraussetzungen erfüllt sind. EuGH Rdnr. 36: Hingegen ist die Anwendung nationaler Bestimmungen, die [1.] bestimmte Verkaufsmodalitäten beschränken oder verbieten, auf Erzeugnisse aus anderen Mitgliedstaaten nicht geeignet, den Handel zwischen den Mitgliedstaaten im Sinne der aus dem Urteil Dassonville hervorgegangenen Rechtsprechung… zu behindern, sofern [2.] diese Bestimmungen für alle betroffenen Wirtschaftsteilnehmer gelten, die ihre Tätigkeit im Inland ausüben, und sofern sie [3.] den Absatz der inländischen Erzeugnisse und der Erzeugnisse aus anderen Mitgliedstaaten rechtlich wie tatsächlich in der gleichen Weise berühren. Sind diese Voraussetzungen erfüllt, ist die Anwendung derartiger Regelungen auf den Verkauf von Erzeugnissen aus einem anderen Mitgliedstaat…nicht geeignet, den Marktzugang für diese Erzeugnisse zu versperren oder stärker zu behindern, als sie dies für inländische Erzeugnisse tut (vgl. EuGH, Urteil Keck und Mithouard, Slg. 1993, I-6097, = NJW 1994, 121, Randnrn. 16 und 17).

Klassische Beispiele für Verkaufsmodalitäten sind Ladenschlussregelungen und Werbeverbote. Art. 56 StVO stellt aber keine Modalität dar, die für den Vertrieb der Anhänger gilt. Vielmehr handelt es sich um eine Verwendungsbeschränkung, die, soweit sie die speziell für Motorräder hergestellten Anhänger betrifft, mit dem Produkt selbst zusammen hängt. Sie ist also eher eine - von der Verkaufsmodalität zu unterscheidende - Produktanforderung.

bb) Von den Beteiligten an dem vorliegenden Verfahren wurde die Frage erörtert, ob die Keck-Rechtsprechung auf Verwendungs- bzw. Nutzungsbeschränkungen ausgedehnt werden soll. EuGH Rdnr. 22: Demgegenüber meinen…die Bundesrepublik Deutschland,…die Französische Republik…, dass die Kriterien, die in der durch das Urteil Keck und Mithouard eingeleiteten Rechtsprechung aufgestellt worden seien, entsprechend auf eine nationale Vorschrift angewandt werden müssten, die bestimmte Modalitäten der Verwendung eines Erzeugnisses einschränke oder verbiete. Sie schlagen daher vor, zu entscheiden, dass eine nationale Bestimmung nicht unter Art. 34 AEU falle, sofern sie sich nicht auf das Erzeugnis selbst beziehe, für alle betroffenen Wirtschaftsteilnehmer gelte, die im Inland tätig seien, und inländische Erzeugnisse und Erzeugnisse aus anderen Mitgliedstaaten rechtlich wie tatsächlich in gleicher Weise berühre.

Dem ist der EuGH aber nicht gefolgt, sondern hat an der Bejahung des Tatbestandes des Art. 34 AEU in solchem Fall festgehalten. Danach fallen Verwendungsbeschränkungen für eine Ware, die zu einem Hindernis für den Marktzutritt führen, nicht unter eine Ausnahme von Art. 34 AEU, sondern bedürfen, um zulässig zu sein, eines Rechtfertigungsgrundes. EuGH Rdnr. 58: Soweit das in Art. 56 der Straßenverkehrsordnung angeordnete Verbot dazu führt, den Zugang zum italienischen Markt für Anhänger zu versperren, die eigens für Kradfahrzeuge konzipiert und in anderen Mitgliedstaaten als der Italienischen Republik rechtmäßig hergestellt und in den Verkehr gebracht worden sind, stellt es eine Maßnahme mit gleicher Wirkung wie mengenmäßige Einfuhrbeschränkungen dar, die nach Art. 34 AEU verboten ist, sofern sie nicht objektiv gerechtfertigt werden kann.

II. Es könnte ein Rechtfertigungsgrund für die Beschränkung der Warenverkehrsfreiheit durch Art. 56 StVO eingreifen. EuGH Rdnr. 59: Ein solches Verbot kann durch einen der in Art. 36 AEU aufgezählten Gründe des Gemeinwohls oder durch zwingende Erfordernisse gerechtfertigt sein (vgl. EuGH, Kommission/Italien, Slg. 2003, I 6445, Randnr. 29; Kommission/Italien, Slg. 2004, I 1559, Randnr. 21). In beiden Fällen muss die nationale Maßnahme geeignet sein, die Erreichung des verfolgten Ziels zu gewährleisten, und darf nicht über das hinausgehen, was dazu erforderlich ist (EuGH, Kommission/Finnland, Slg. 2007, I 2473, Randnr. 38; Kommission/Niederlande, Slg. 2007, I 7467, Randnr. 75).

1. Nach Art. 36 AEU sind Beschränkungen der Warenverkehrsfreiheit u. a. aus Gründen der öffentlichen Sicherheit und zum Schutze der Gesundheit und des Lebens von Menschen gestattet. Allerdings bezieht sich der EuGH nicht explizit auf Art. 36 AEU, so dass anzunehmen ist, dass er die zweite Fallgruppe der Rechtfertigung („zwingende Erfordernisse“) heranzieht. Der Generalanwalt hatte sich aber in seinen Schlussanträgen auf Art. 36 AEU gestützt. Auch Streinz in der Besprechung dieses Falles in JuS 2009, 652 (Prüfungsaufbau unter II 5a) zieht Art. 36 heran. Dem wird hier zunächst unter a) gefolgt.

a) Motorräder mit Anhängern sind weniger stabil und schwer zu bremsen. Sie sind deshalb eine Gefahr für die Sicherheit des Straßenverkehrs und, da sie zu Unfällen mit Personenschaden führen können, eine Gefahr für die Gesundheit und das Leben von Menschen. Dass diese Gefahr nicht besonders groß ist, insbesondere wenn Motorräder mit Anhängern mit Vorsicht gefahren werden, ist unerheblich, weil Art. 36 AEU keine Bagatellgrenze kennt. Danach rechtfertigt Art. 36 AEU die Beschränkung der Warenverkehrsfreiheit.

b) Im Ergebnis ebenso der EuGH, Rdnr. 60: Im vorliegenden Fall begründet die Italienische Republik das Verbot mit dem Erfordernis, die Sicherheit des Straßenverkehrs zu gewährleisten, was nach der Rechtsprechung einen zwingenden Grund des Gemeinwohls darstellt, der geeignet ist, eine Behinderung des freien Warenverkehrs zu rechtfertigen (vgl. EuGH, van Schaik, Slg. 1994, I 4837, Randnr. 19, Snellers, Slg. 2000, I 8633, Randnr. 55, …Kommission/Polen, C 170/07, Randnr. 49). Rdnr. 61: Da auf Gemeinschaftsebene Vorschriften zur vollständigen Harmonisierung fehlen, ist es Sache der Mitgliedstaaten, mit Rücksicht auf die Erfordernisse des freien Warenverkehrs innerhalb der Europäischen Gemeinschaft zu entscheiden, auf welchem Niveau sie die Sicherheit des Straßenverkehrs in ihrem Hoheitsgebiet gewährleisten wollen (…).

Damit billigt der EuGH die Entscheidung des Staates S, Motorräder mit Anhängern als Gefahr für den Straßenverkehr zu bewerten. Folglich besteht ein rechtfertigender Grund dafür, den freien Warenverkehr mit Motorradanhängern durch das Verwendungsverbot des Art. 56 StVO einzuschränken.

2. Da die in Art. 56 StVO getroffene Maßnahme in eine Grundfreiheit eingreift, muss sie verhältnismäßig sein (vgl. EuGH oben unter II.), wobei im EU-Recht entsprechend dem Wortlaut des Art. 5 IV EU nur die Geeignetheit und die Erforderlichkeit zu prüfen sind.

a) EuGH Rdnr. 63, 64 knüpft daran an, dass Art. 56 StVO den Zweck verfolgt, die Sicherheit im Straßenverkehr zu gewährleisten. Ohne ein solches Verbot drohen durch das Fahren eines Gespanns, das aus einem Kradfahrzeug und einem Anhänger besteht…, sowohl für seinen Fahrer als auch für andere im Verkehr befindliche Fahrzeuge Gefahren, da der Anhänger die Stabilität und das Bremsverhalten dieses Gespanns beeinträchtigt. Hierzu ist festzustellen, dass das Verbot geeignet ist, das angestrebte Ziel der Gewährleistung der Sicherheit des Straßenverkehrs zu erreichen.

b) Die Regelung des Art. 56 StVO müsste auch erforderlich sein.

aa) Die Erforderlichkeit kann bereits mit dem Argument bejaht werden, dass nach dem Sachverhalt mildere Mittel nicht ersichtlich sind. Denn wenn die abzuwehrende Gefahr darin besteht, dass ein Motorrad mit Anhänger die Verkehrssicherheit beeinträchtigt, kann dieser Gefahr nur dadurch begegnet werden, dass solche Fahrten untersagt werden, was zu der Regelung des Art. 56 StVO führt.

bb) Im Ergebnis ebenso der EuGH, allerdings mit etwas anderer Begründung. Rdnrn. 65 - 67: Was die Beurteilung der Erforderlichkeit dieses Verbots angeht, so kann der Mitgliedstaat nach der in Randnr. 61 des vorliegenden Urteils angeführten Rechtsprechung des Gerichtshofs im Bereich der Sicherheit des Straßenverkehrs entscheiden, auf welchem Niveau er diese Sicherheit gewährleisten will und wie dieses Niveau erreicht werden soll. Da dieses Niveau von einem Mitgliedstaat zum anderen abweichen kann, ist den Mitgliedstaaten ein Beurteilungsspielraum zuzuerkennen. Folglich bedeutet der Umstand, dass ein Mitgliedstaat weniger strenge Vorschriften erlässt als ein anderer Mitgliedstaat, nicht, dass dessen Vorschriften unverhältnismäßig sind (vgl. EuGH, Kommission/Frankreich, C 262/02, Slg. 2004, I 6569, Randnr. 37; Kommission/Deutschland, C 141/07, Slg. 2008, I 0000, Randnr. 51).

Die Italienische Republik hat hierzu, ohne dass ihr die Kommission in diesem Punkt widersprochen hätte, vorgetragen, dass der Betrieb eines aus einem Kradfahrzeug und einem Anhänger bestehenden Gespanns im Straßenverkehr die Verkehrssicherheit gefährde. Zwar obliegt dem Mitgliedstaat, der sich zur Rechtfertigung des Hindernisses für den freien Warenverkehr auf ein zwingendes Erfordernis beruft, der Nachweis, dass seine Regelung…zur Erreichung des angestrebten legitimen Ziels erforderlich ist. Diese Beweislast geht jedoch nicht so weit, dass er positiv belegen müsste, dass sich dieses Ziel mit keiner anderen vorstellbaren Maßnahme unter den gleichen Bedingungen erreichen lasse (vgl. EuGH, Kommission/Niederlande, C 157/94, Slg. 1997, I 5699, Randnr. 58).
Selbst wenn es denkbar wäre, dass die Verkehrssicherheit auch durch weniger einschneidende Beschränkungen als ein vollständiges Verbot von Fahrten mit Motorradanhängern verbessert werden könnte, ändert dies nichts daran, dass den Mitgliedstaaten nicht die Möglichkeit abgesprochen werden kann, ein Ziel wie die Sicherheit des Straßenverkehrs durch die Einführung allgemeiner und einfacher Regeln zu verwirklichen, die von den Fahrern leicht verstanden und angewandt und von den zuständigen Behörden einfach gehandhabt und kontrolliert werden können.

c) Als Ergebnis stellt EuGH Rdnr. 69 fest: Daher ist festzustellen, dass das für Kradfahrzeuge geltende Verbot, einen Anhänger mitzuführen, der eigens für sie konzipiert ist und in anderen Mitgliedstaaten als der Italienischen Republik rechtmäßig hergestellt und in den Verkehr gebracht worden ist, aus Gründen des Schutzes der Sicherheit des Straßenverkehrs gerechtfertigt ist. Eine Verletzung des Art. 34 AEU durch den Staat S ist somit nicht gegeben.

III. Gegen das EU-rechtliche Grundrecht auf Gleichheit vor dem Gesetz verstößt Art. 56 StVO nicht.

1. Zwar enthält die Grundrechtecharta in Art. 20 das Grundrecht auf Gleichheit vor dem Gesetz (Art. 20: „Alle Personen sind vor dem Gesetz gleich“). Auch enthält Art. 56 StVO insofern eine Ungleichbehandlung, als im Staate S nur solche Motorräder keine Anhänger benutzen dürfen, die in S zugelassen sind, während auf Motorradgespanne, die im Ausland zugelassen sind und sich im Straßenverkehr von S bewegen, das Verbot nach dem klaren Wortlaut des Art. 56 StVO nicht gilt. Vgl. dazu EuGH Rdnr. 47: Die italienische Regierung hatte darauf hingewiesen, dass in anderen Mitgliedstaaten zugelassenen Krafträdern gestattet sei, im italienischen Hoheitsgebiet einen Anhänger mitzuführen…. Damit wird im Ausland zugelassenen Gespannen von Motorrädern und Anhängern die Einreise und Durchreise durch S erlaubt.

2. Art. 20 GRCh ist jedoch auf den vorliegenden Fall nicht anwendbar. Nach Art. 51 I GRCh ist die Grundrechtecharta anwendbar auf das Handeln der Organe, Einrichtungen und sonstigen Stellen der Union. § 56 StVO ist aber eine Maßnahme der Organe des Staates S und keine eines EU-Organs. Außerdem ist die GRCh anwendbar auf Handlungen der Mitgliedstaaten „bei der Durchführung des Rechts der Union“. § 56 StVO wurde nicht bei der Durchführung des Rechts der Union erlassen. Dass bei Erlass des § 56 StVO zu beachten war, reicht nicht aus. EU-Recht ist bei fast allen wirtschaftsrechtlich bedeutsamen Regelungen zu beachten, ohne dass es sich dabei um eine Durchführung des EU-Rechts handelt.

Aus einem möglichen Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz ergibt sich somit keine Vertragsverletzung des Staates S. (Was die Frage der Ungleichbehandlung betrifft, fällt der Fall, solange es dazu kein sekundäres EU-Recht gibt, ausschließlich unter das nationale Recht von S. Es handelt sich um eine Inländerdiskriminierung, die auch in Deutschland unter dem Aspekt des Art. 3 GG geprüft wird und nicht nach dem Gemeinschaftsrecht als Prüfungsmaßstab - Der EuGH hat die Frage einer Grundrechtsverletzung nicht aufgeworfen.)

IV. Ergebnis: Der Staat S hat keine Vertragsverletzung begangen. Die Vertragsverletzungsklage der EU-Kommission ist unbegründet.


Zusammenfassung