Bearbeiter: RA Prof. Dieter Schmalz

Nichtigkeitsklage, Art. 230 EG. Rechtmäßigkeit einer Richtlinie: Ermächtigung, formelle Anforderungen, Verhältnismäßigkeit, Ermessen, Grundrechte. Rechtsangleichung im Binnenmarkt, Art. 94, 95, 14 II EG; Gesundheitsschutz als weiterer Zweck, Art. 95 III EG

 EuGH Urteil vom 12. 12. 2006 (C-380/03) NVwZ 2007, 561

Fall (Tabakwerberichtlinie)

Seit langem verfolgt die EU/EG den Zweck, das Rauchen einzudämmen. Ein Schritt auf diesem Wege waren Vorschriften über die Etikettierung von Tabakwaren (Angabe des Nikotin- und Teergehalts und eines Warnhinweises: „Rauchen kann tödlich sein“). Später wurde die Werbung beschränkt, zunächst die Werbung für Tabakerzeugnisse im Fernsehen. Als weitergehende Maßnahme wurde im Jahre 1998 eine Richtlinie (98/43/EG) über Beschränkungen der Werbung für Tabakerzeugnisse in den Printmedien erlassen, die vom EuGH aber wegen nicht genügender Übereinstimmung mit der angegebenen Rechtsgrundlage für nichtig erklärt wurde (EuGH Slg. 2000, I-8419 = NJW 2000, 3701). In den folgenden Jahren wurde ein neuer Anlauf unternommen. Als dessen Abschluss erging die „Richtlinie 2003/33/EG des Europäischen Parlamentes und des Rates zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über Werbung und Sponsoring zu Gunsten von Tabakerzeugnissen“ (ABlEG 2003 Nr. L 152, S. 16, im Folgenden: RiLi). Diese RiLi enthält folgende Vorschriften im Hinblick auf die Werbung für Tabakerzeugnisse:

Art. 3 RiLi:

(1) Werbung in der Presse und anderen gedruckten Veröffentlichungen ist auf Veröffentlichungen zu beschränken, die ausschließlich für im Tabakhandel tätige Personen bestimmt sind, sowie auf Veröffentlichungen, die in Drittländern gedruckt und herausgegeben werden, sofern diese Veröffentlichungen nicht hauptsächlich für den Gemeinschaftsmarkt bestimmt sind.

Sonstige Werbung in der Presse und anderen gedruckten Veröffentlichungen ist verboten.

(2) Werbung, die in der Presse und anderen gedruckten Veröffentlichungen nicht erlaubt ist, ist in Diensten der Informationsgesellschaft ebenfalls nicht gestattet.

Art. 4 RiLi:

(1) Alle Formen der Rundfunkwerbung für Tabakerzeugnisse sind verboten.

(2) Rundfunkprogramme dürfen nicht von Unternehmen gesponsert werden, deren Haupttätigkeit die Herstellung oder der Verkauf von Tabakerzeugnissen ist.

Art. 5 RiLi:

(1) Sponsoring von Veranstaltungen oder Aktivitäten, an denen mehrere Mitgliedstaaten beteiligt sind, die in mehreren Mitgliedstaaten stattfinden oder die sonst grenzüberschreitende Wirkung haben, ist verboten.

(2)…

Die RiLi wurde auf Vorschlag der Kommission vom Rat mit qualifizierter Mehrheit, lediglich gegen die Stimme Deutschlands, beschlossen; dabei hatte der Rat die vom Parlament geforderten Änderungen übernommen. Sie wurde auf Art. 95 EG-Vertrag (EG) gestützt und damit begründet, die in den Mitgliedstaaten bestehenden unterschiedlichen Werbeverbote seien Hemmnisse für den Binnenmarkt und müssten angeglichen werden; das dabei anzustrebende hohe Niveau beim Gesundheitsschutz rechtfertige das grundsätzliche Verbot.

Die Bundesrepublik Deutschland hat gegen die RiLi Klage vor dem EuGH erhoben. Begründet wurde sie u. a. damit, nach Art. 152 IV Buchst. c EG bestehe eine Zuständigkeit der EG im Bereich des Gesundheitsschutzes nur „unter Ausschluss jeglicher Harmonisierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten“; außerdem seien die Verbote unverhältnismäßig. Wie ist zu entscheiden ?

A. Die Zulässigkeit der Klage ergibt sich aus dem die Nichtigkeitsklage regelnden Art. 230 I, II EG.

Nach Art. 230 Abs. 2 ist der EuGH für eine Klage zuständig, die

  - ein Mitgliedstaat
  - gegen die in Abs. 1 genannten Handlungen von EU-Organen
  - mit der Begründung erhebt, die Handlung sei aus den dort aufgeführten Gründen rechtswidrig.

Die BRD ist ein Mitgliedstaat der EU. Die vorliegend angegriffene RiLi fällt als gemeinsame Handlung von Europäischem Parlament und Rat unter Abs. 1. Die klagende BRD macht u. a. die Unzuständigkeit der EG geltend, was als Klagegrund in Abs. 2 aufgeführt ist.

B. Begründet ist die Nichtigkeitsklage, wenn der angegriffene Akt rechtswidrig ist. Die wesentlichen Gründe für eine Rechtswidrigkeit sind in Art. 230 II EG aufgeführt. Da dort auch die „Verletzung dieses Vertrages und…“ aufgeführt sind, ist die Aufzählung nicht abschließend.

Wegen des für sämtliche Handlungen der Gemeinschaft geltenden Prinzips der begrenzten Einzelermächtigung (entnommen dem Art. 5 I EG) ist zunächst nach einer Ermächtigung der EG zu suchen. Die die Ermächtigung enthaltende Vorschrift regelt vielfach auch Zuständigkeiten und Verfahren. Einige grundsätzliche formelle Anforderungen stehen in Art. 253, 254 EG.

I. Obwohl das Werbeverbot der RiLi auch dem Gesundheitsschutz dient, scheidet Art. 152 EG als Ermächtigung aus. Denn danach sind, worauf die klagende BRD laut Sachverhalt hingewiesen hat, Harmonisierungsvorschriften nicht zulässig (Art. 152 IV Buchst. c EG). Abgesehen davon, wurde die RiLi auch nicht auf diese Vorschrift gestützt.

II. Ermächtigungsgrundlage kann Art. 94, 95 EG (Rechtsangleichung im Binnenmarkt) sein.

1. Nach Art. 94, 95 I 2 EG erlassen die dort genannten Organe der Gemeinschaft Regelungen zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten, welche die Errichtung und das Funktionieren des Binnenmarktes zum Gegenstand haben. Der Binnenmarkt ist in Art. 14 II EG definiert. Im vorliegenden Fall kommt nur dessen Funktionieren in Betracht. Der Erlass einer Richtlinie (Art. 249 III EG) ist das typische Mittel für eine Rechtsangleichung. Einschränkungen nach Art. 95 II greifen hier nicht ein. Art. 95 I 2 ist somit die hier anwendbare Ermächtigungsgrundlage.

2. Es sind die formellen Anforderungen zu prüfen.

a) Nach Art. 94 ff. EG hat die Gemeinschaft die Verbandskompetenz für die Rechtsangleichung im Binnenmarkt. Die Organkompetenz regelt Art. 95 I 2 zunächst so, dass der Rat für zuständig erklärt wird. Dieser hat die hier streitige RiLi erlassen. (Die Mitwirkung des Parlaments wird als Verfahrensfrage nachfolgend unter d) behandelt.)

b) Dass die in Art. 95 I 2 vorgesehene Anhörung des Wirtschafts- und Sozialausschusses erfolgt ist, kann angenommen werden.

c) Für das Verfahren vor dem Rat bestimmt Art. 95 I 2 durch die Verweisung auf Art. 251, dass der Rat grundsätzlich mit qualifizierter Mehrheit entscheidet (Art. 251 II 2; 205 II EG). Das ist im vorliegenden Fall geschehen. Die Gegenstimme der BRD steht der qualifizierten Mehrheit nicht entgegen.

d) Durch die Verweisung auf Art. 251 wird vor allem die Art der Mitwirkung des Parlaments festgelegt. Nach Art. 251 kommt das Verfahren der Mitentscheidung zur Anwendung. Danach darf das Parlament Änderungen verlangen, über die der Rat zu entscheiden hat. Im vorliegenden Fall sind Änderungsvorschläge des Parlaments gemacht und vom Rat übernommen worden. Diese Verfahrensweise ist in Art. 251 II 2, 1. Strichaufzählung, vorgesehen; somit ist das Parlament ordnungsgemäß beteiligt worden.

e) Schließlich ist lt. Sachverhalt auch das Begründungserfordernis des Art. 253 EG beachtet (zu den an die Begründung zu stellenden Anforderungen genauer EuGH Rdnr. 107 ff.). Die RiLi ist somit formell fehlerfrei erlassen worden.

3. In materieller Hinsicht verlangt Art. 95 I 2 EG, dass die RiLi der Angleichung derjenigen Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten dient, welche das Funktionieren des Binnenmarktes zum Gegenstand haben. Dieser Formulierung sind folgende Voraussetzungen zu entnehmen:

Allgemein zu diesen Voraussetzungen EuGH Rdnr. 37, 38: Zwar reicht die bloße Feststellung von Unterschieden zwischen den nationalen Regelungen nicht aus, um die Heranziehung von Art. 95 EG zu rechtfertigen, doch gilt im Fall von Unterschieden zwischen den Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten, die geeignet sind, die Grundfreiheiten zu beeinträchtigen und sich auf diese Weise unmittelbar auf das Funktionieren des Binnenmarktes auszuwirken, etwas anderes (…). Nach st. Rspr. kann Art. 95 EG außerdem als Rechtsgrundlage herangezogen werden, um der Entstehung neuer Hindernisse für den Handel infolge einer heterogenen Entwicklung der nationalen Rechtsvorschriften vorzubeugen, doch muss das Entstehen solcher Hindernisse wahrscheinlich sein und die fragliche Maßnahme ihre Vermeidung bezwecken(…).

Rdnr. 44 : Im Lichte dieser Grundsätze ist zu prüfen, ob die Voraussetzungen für die Heranziehung von Art. 95 EG als Rechtsgrundlage der Art. 3 und 4 der RiLi erfüllt sind.

a) EuGH Rdnr. 45 - 47: Der Gerichtshof hat bereits festgestellt, dass beim Erlass der RiLi 98/43/EG Unterschiede zwischen den nationalen Rechtsvorschriften über Werbung für Tabakerzeugnisse bestanden…Nach den Angaben der Kommission waren nämlich die Werbung und/oder das Sponsoring zu Gunsten dieser Erzeugnisse zur Zeit der Einreichung des Vorschlags für eine RiLi in sechs Mitgliedstaaten teilweise und in vier Mitgliedstaaten ganz verboten; in den übrigen fünf Mitgliedstaaten gab es auf ein vollständiges Verbot gerichtete Gesetzesvorhaben. Außerdem bestand in Anbetracht der Erweiterung der EU um zehn neue Mitgliedstaaten eine nicht unbedeutende Gefahr der Zunahme dieser Unterschiede.

b) Diese Unterschiede müssten auch die Ausübung der Grundfreiheiten und damit den Binnenmarkt beeinträchtigen. Das ist nur der Fall, wenn die Werbung grenzüberschreitend wirkt und deshalb auch den Vorschriften des Staates unterliegt, in dem sie sich auswirkt. Beim Sponsorn von Großereignissen wie der Formel 1 ist das ohne weiteres der Fall, weil solche Ereignisse im Fernsehen international ausgestrahlt werden. Deshalb bestehen insoweit keine Bedenken gegen Art. 5 der RiLi, der ausdrücklich grenzüberschreitende Vorgänge behandelt. Presseerzeugnisse i. S. des Art. 3, überwiegend auch Radiosendungen (Art. 4), wirken dagegen jedenfalls zunächst im Nahbereich. Gleichwohl führt der EuGH unter Rdnr. 53 - 61 aus:

Der Markt für Presseerzeugnisse ist ebenso wie der Rundfunkmarkt ein Markt, auf dem der Handel zwischen den Mitgliedstaaten relativ bedeutend ist und vor allem auf Grund der Verknüpfung der betreffenden Medien mit dem Internet, dem grenzüberschreitenden Medium par excellence, zunehmen wird.

 In Bezug auf die Presseerzeugnisse ist festzustellen, dass der Verkehr von Zeitungen, Zeitschriften und Magazinen eine Realität ist, die allen Mitgliedstaaten gemein ist, und sich nicht nur auf die Staaten beschränkt, in denen dieselbe Sprache gesprochen wird. Der Anteil der Veröffentlichungen aus anderen Mitgliedstaaten kann nach den unwidersprochenen Erklärungen des Parlaments, des Rates und der Kommission in der mündlichen Verhandlung in bestimmten Fällen sogar mehr als die Hälfte der im Verkehr befindlichen Veröffentlichungen ausmachen. In diesen innergemeinschaftlichen Handel mit Presseerzeugnissen auf Papier ist der Handel einzubeziehen, der durch Dienste der Informationsgesellschaft und insbesondere das Internet möglich geworden ist, das es erlaubt, die in anderen Mitgliedstaaten verbreiteten Veröffentlichungen unmittelbar und in Echtzeit abzurufen.

 Zudem galt zum Zeitpunkt des Erlasses der RiLi, wie in Rdnr. 46 [oben 3a] des vorliegenden Urteils ausgeführt, in mehreren Mitgliedstaaten bereits ein Verbot der Werbung für Tabakerzeugnisse, während es in anderen kurz bevorstand. Es bestanden daher Unterschiede zwischen den nationalen Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten, die entgegen dem Vorbringen der Kl. geeignet waren, den freien Warenverkehr und den freien Dienstleistungsverkehr zu behindern.

Rdnr. 61: Gleiches gilt in Bezug auf die Werbung für Tabakerzeugnisse in Rundfunksendungen…

c) Dem Argument, dass ein Teil der Werbung keine grenzüberschreitende Wirkung hat, tritt der EuGH mit den grundsätzlichen Erwägungen Rdnr. 80 entgegen: Die Heranziehung von Art. 95 EG als Rechtsgrundlage setzt nicht voraus, dass in jeder der Situationen, die von einem auf diese Grundlage gestützten Rechtsakt erfasst werden, ein tatsächlicher Zusammenhang mit dem freien Verkehr zwischen Mitgliedstaaten besteht. Wie der Gerichtshof bereits festgestellt hat, kommt es für die Rechtfertigung der Heranziehung von Art. 95 EG als Rechtsgrundlage entscheidend darauf an, dass der auf dieser Grundlage erlassene Rechtsakt tatsächlich die Bedingungen für die Errichtung und das Funktionieren des Binnenmarktes verbessern soll (…).

d) Keine durchgreifenden Bedenken ergeben sich aus der Überlegung, dass die RiLi auch und letztlich sogar entscheidend den Gesundheitsschutz verbessern will. Denn nach Art. 95 III EG hat die Kommission bei ihren Vorschlägen nach Abs. 1, ohne die eine RiLi nicht beschlossen werden kann, „in den Bereichen Gesundheit, Sicherheit, Umweltschutz und Verbraucherschutz von einem hohen Schutzniveau“ auszugehen. EuGH Rdnr. 39: Der Gerichtshof hat entschieden, dass sich der Gemeinschaftsgesetzgeber, wenn die Voraussetzungen für die Heranziehung von Art. 95 EG als Rechtsgrundlage erfüllt sind, auf diese Grundlage stützen kann, auch wenn dem Gesundheitsschutz bei den zu treffenden Entscheidungen maßgebliche Bedeutung zukommt (…).

Somit rechtfertigt Art. 95 EG, die Vorschriften der Mitgliedstaaten betreffend die Werbung für Tabakerzeugnisse weitgehend zu harmonisieren und dabei auch einen möglichst hohen Gesundheitsschutz anzustreben.

4. Den hier erlassenen weitgehenden Verboten könnte aber noch das Prinzip der Verhältnismäßigkeit (Art. 5 III EG) entgegenstehen.

Zur Methode des EuGH: Er prüft bei dem allgemeinen Verhältnismäßigkeitsprinzip entsprechend dem Wortlaut des Art. 5 III EG neben der Geeignetheit die Erforderlichkeit (das Übermaßverbot), nimmt jedoch keine Gesamtabwägung entsprechend der Angemessenheit vor (im vorliegenden Fall unter Rdnr. 144); die Prüfung der Geeignetheit und Erforderlichkeit verbindet er mit dem Ermessen (Rdnr. 145). Soweit aber in ein Grundrecht eingegriffen wird, verlangt der EuGH auch, dass die Maßnahme „in einem angemessenen Verhältnis zu dem verfolgten legitimen Ziel“ steht (Rdnr. 154). Dem wird auch hier gefolgt.

a) EuGH Rdnr. 144: Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit…verlangt, dass die von einer Gemeinschaftsbestimmung eingesetzten Mittel zur Erreichung des angestrebten Zieles geeignet sind und nicht über das dazu Erforderliche hinausgehen (…). Rdnr. 145: Bei der gerichtlichen Nachprüfung der in vorstehender Randnummer genannten Voraussetzungen ist dem Gemeinschaftsgesetzgeber ein weites Ermessen in einem Bereich wie dem in Rede stehenden zuzuerkennen, in dem von ihm politische, wirtschaftliche und soziale Entscheidungen verlangt werden und in dem er komplexe Beurteilungen vorzunehmen hat.

 b) Im Hinblick auf die Prüfung der Geeignetheit folgert der EuGH unter Rdnr. 145: Eine in diesem Bereich erlassene Maßnahme kann nur dann rechtswidrig sein, wenn sie zur Erreichung des von den zuständigen Organen verfolgten Zieles offensichtlich ungeeignet ist (…). Aus den Ausführungen oben 3b) ergibt sich, dass das im Hinblick auf die Angleichung der Werbebeschränkungen nicht der Fall ist.

c) Bei Prüfung der Erforderlichkeit verweist der EuGH unter Rdnr. 148 zunächst darauf, dass Art. 3 I 1 RiLi eine Einschränkung enthält, die eine unnötige Belastung zu vermeiden hilft. Rdnr. 149: Im übrigen war es dem Gemeinschaftsgesetzgeber nicht möglich, als weniger beschränkende Maßnahme ein Werbeverbot zu erlassen, von dem die für einen lokalen oder regionalen Markt bestimmten Veröffentlichungen ausgenommen wären, da eine solche Ausnahme dazu geführt hätte, dass das Verbot der Werbung für Tabakerzeugnisse einen ungewissen und zufallsabhängigen Anwendungsbereich erhalten hätte, was verhindert hätte, dass die RiLi ihr Ziel einer Harmonisierung der nationalen Rechtsvorschriften über die Werbung für Tabakerzeugnisse erreicht (…). Also wäre ein Verbot mit weitgehenden Ausnahmen nicht in gleicher Weise geeignet gewesen. Somit war die getroffene Regelung auch erforderlich und damit verhältnismäßig i. S. des Art. 5 III EG.

5. Art. 3, 4 der RiLi könnten gegen ein Grundrecht des EU-Rechts verstoßen.

a) Nach Art. 6 II EU-Vertrag achtet die Union die Grundrechte, wie sie in der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten gewährleistet sind. Die EMRK schützt in Art. 10 die Meinungsfreiheit, die das Recht der Meinungsäußerung in der Presse und damit die Pressefreiheit einschließt. Das Verbot von Tabakwerbung in der Presse enthält einen Eingriff in die Pressefreiheit, da diese auch den der Werbung dienenden Teil der Presse erfasst, zumal der wirtschaftliche Fortbestand eines Presseunternehmens auch von der Möglichkeit abhängt, Werbeerlöse zu erzielen.

b) Die Pressefreiheit unterliegt aber den Schranken des Art. 10 II EMRK. EuGH Rdnr. 154: Sie kann, wie sich aus Art. 10 II ergibt, bestimmten durch Ziele des Allgemeininteresses gerechtfertigten Beschränkungen unterworfen werden, sofern diese Ausnahmen gesetzlich vorgesehen sind, einem oder mehreren nach Art. 10 legitimen Zielen entsprechen und in einer demokratischen Gesellschaft notwendig sind, d. h. durch ein dringendes gesellschaftliches Bedürfnis gerechtfertigt sind und insbesondere in einem angemessenen Verhältnis zu dem verfolgten legitimen Ziel stehen (folgen Nachw.).

Auch hier räumt der EuGH dem Gemeinschaftsgesetzgeber einen Ermessensspielraum ein. Rdnr. 155: Dies gilt namentlich für den Gebrauch der Freiheit der Meinungsäußerung im Geschäftsverkehr, in einem Bereich, der so komplex und wandelbar ist wie die Werbung. Bei der Tabakwerbung geht es um Meinungsäußerungen und Meinungsbeeinflussungen im geschäftlichen Bereich. Mit Rücksicht auf diesen Spielraum nimmt der EuGH eine Bewertung des Eingriffs und eine Abwägung zwischen seinen Vorteilen und Nachteilen nicht vor. Er stellt lediglich unter Rdnr. 156 fest: Selbst wenn im vorliegenden Fall die in den Art. 3 und 4 der RiLi vorgesehenen Maßnahmen des Verbots der Werbung und des Sponsoring zur Folge hätten, dass die Freiheit der Meinungsäußerung indirekt geschwächt werden sollte, bleibt die Freiheit der journalistischen Meinungsäußerung als solche unberührt, und redaktionelle Beiträge der Journalisten wären folglich nicht betroffen. Das rechtfertigt, die Angemessenheit der Beschränkungen nicht in Frage zu stellen.

 Somit ist Art. 10 EMRK nicht verletzt. Die RiLi verletzt keine gemeinschaftsrechtliche Rechtsnorm und ist rechtmäßig. Die Nichtigkeitsklage ist unbegründet.

Zusammenfassung