Bearbeiter: RA Prof. Dieter Schmalz

Die Europäische Aktiengesellschaft (SE = Societas Europaea)

Die SE ist eine in allen EU-Staaten geltende Gesellschaftsform und ermöglicht europaweit tätigen Unternehmen ein einheitliches Auftreten, ohne wie bisher in den einzelnen Staaten Tochterfirmen gründen zu müssen. Sie ist gleichzeitig ein Beispiel dafür, dass und wie europäisches Recht auch in das deutsche Privatrecht vordringt.

I. Die verschiedenen für die SE geltenden rechtlichen Regelungen

Das für die SE geltende Recht ergibt sich nicht aus einem einheitlichen Rechtsakt, sondern aus (mindestens) fünf Rechtsschichten (Braun JURA 2005, 151 kommt sogar auf neun Regelungsebenen):

(1) In erster Linie gilt die EG-Verordnung Nr. 2157/2001 über das Statut der Europäischen Gesellschaft = SE-VO (ABlEG 2001 Nr. L 294, 1 – 21; auch: http://europa.eu.int/eur-lex/de). Als VO gilt sie unmittelbar (Art. 249 II EG-Vertrag) und bedarf keiner Umsetzung durch den nationalen Gesetzgeber. Das unter (3) behandelte Gesetz ist deshalb keine Umsetzung, sondern ergänzt die VO.

(2) Zur zweiten Ebene gehören die Satzungsbestimmungen der einzelnen SE, soweit sie auf der Grundlage der SE-VO erlassen wurden und deshalb am Anwendungsvorrang des EU-Rechts vor dem nationalen Recht teilhaben.

(3) Für eine SE mit Sitz in Deutschland ist weiterhin maßgebend das SE-Ausführungsgesetz (SEAG), das Hauptbestandteil (Art. 1) des Gesetzes zur Einführung der Europäischen Gesellschaft ist (BGBl 2004 I, 3675; in Kraft seit 29. 12. 2004).

(4) Subsidiär gilt das nationale, in der BRD also das deutsche Aktienrecht, jedenfalls soweit es zwingend ist.

(5) Schließlich kommen die Satzungsbestimmungen der einzelnen SE zur Anwendung, die nicht auf die SE-VO gestützt sind, sondern sich im Rahmen des deutschen Aktienrechts halten.

Zusammengefasst gelten also SE-VO der EU, deutsches Aktienrecht und „gesellschafts-individuelles Satzungsrecht“. Wirklich einheitlich gilt nur die SE-VO, im Übrigen unterscheiden sich die einzelnen SE insbesondere nach ihrem Sitz, so dass für eine in der BRD ansässige SE teilweise anderes Recht gilt als für eine aus Italien.

II. Die SE ist juristische Person ohne persönliche Haftung. Sie hat ein in Aktien aufgeteiltes Kapital, das mindestens 120.000 € beträgt. Die SE-VO lässt nur bestimmte Formen der Gründung zu, insbesondere durch Verschmelzung der in mehreren Ländern bestehenden Gesellschaften, nicht jedoch eine unmittelbare Neugründung.

III. Verfassung der SE

1. Grundlegende Entscheidungen trifft die Hauptversammlung (Art. 55 SE-VO, §§ 50, 51 SEAG).

2. Hinsichtlich der laufenden Verwaltung stellen SE-VO (Art. 38) und §§ 15 ff., 20 ff. SEAG zwei mögliche Systeme zur Verfügung:

a) Beim aus dem deutschen Recht bekannten dualistischen System werden die Aufgaben auf Leitungsorgan (Vorstand) und Aufsichtsorgan (Aufsichtsrat) aufgeteilt. Der Vorstand ist gesetzlicher Vertreter der Gesellschaft.

b) Ferner gibt es das aus dem angloamerikanischen Rechtskreis stammende monistische System, bei dem die Leitung der Gesellschaft einem Verwaltungsrat obliegt. Dieser bestellt geschäftsführende Direktoren, die die Gesellschaft vertreten. – Welches System eine SE gewählt hat, ergibt sich aus Satzung und Handelsregister.

IV. Die Mitbestimmung der Arbeitnehmer ist – auf der Grundlage der RiLi 2001/86/EG – im Gesetz über die Beteiligung der Arbeitnehmer in einer Europäischen Gesellschaft (SEBG) geregelt, das als Art. 2 des Ausführungsgesetzes erlassen wurde (BGBl 2004, 3686). Wesentlich ist ein besonderes Verhandlungsgremium, das die Interessen der Arbeitnehmer vertritt und mit der Geschäftsleitung Vereinbarungen schließen kann. Als eine Art Auffangregelung enthalten §§ 22 ff. SEBG Vorschriften über einen SE-Betriebsrat.