Bearbeiter: RA Prof. Dieter Schmalz
In der folgenden Entscheidung BGH DVBl 2004, 515 steht der ► Schutzzweck der Amtspflicht im Mittelpunkt, allerdings nicht im Zusammenhang mit dem Erlass eines begünstigenden VA, sondern allgemeiner.
Der Fall („Überfall auf Mithäftling“): A war als Untersuchungshäftling in der im Lande L gelegenen Justizvollzugsanstalt W untergebracht. Seine Zelle befand sich in der Untersuchungshaftabteilung im 2. Obergeschoss. In der Strafhaftabteilung im 3. Stock verbüßte B eine lebenslange Freiheitsstrafe wegen Mordes an seinem Vater. B war bisher nicht aufgefallen. Eines Tages wollte er sich eine Armbanduhr beschaffen. Er wusste, dass die U-Häftlinge ihre Uhr behalten dürfen. Es gelang ihm, aus dem den 3. Stock vom 2. trennenden Metallgitter ein Stück herauszubrechen und in die Zelle des A einzudringen. Als A sich weigerte, seine Uhr herauszugeben, stach B mit einem mitgeführten angespitzten Schraubenzieher auf A ein und verletzte ihn schwer. Die zuständigen Aufsichtspersonen hielten sich nicht im 3. Stock auf, waren aber in Hörweite und eilten auf die Schreie des A hin sofort herbei. B wurde wegen dieser Tat zu 14 Jahren Freiheitsstrafe verurteilt. A wurde wegen der Vorwürfe, die Anlass zu der U-Haft gegeben hatten, freigesprochen. A verlangt vom Land L Ersatz der ihm durch die Tat des B entstandenen Schäden. Zu Recht ?
Anspruchsgrundlage ist § 839 BGB, Art. 34 GG. Die Bediensteten der Vollzugsanstalt W, die beim Vollzug der U-Haft hoheitlich tätig geworden sind, müssten eine Amtspflicht schuldhaft verletzt haben, die ihnen gegenüber A als Dritten oblag. Außerdem müsste die Verhinderung der Verletzung des A vom Schutzzweck der Amtspflicht erfasst werden.
1. Verletzte Amtspflicht könnte sein zu verhindern, dass B als Strafhäftling in den Zellentrakt der Untersuchungshaftabteilung und in die Zelle des A gelangen konnte.
a) Das OLG hatte (in der Wiedergabe des BGH auf S. 515 unter 2) eine Amtspflicht in dem Gebot gesehen, den Untersuchungsgefangenen nicht mit anderen Gefangenen in demselben Raum unterzubringen und ihn auch sonst von Strafgefangenen, soweit möglich, getrennt zu halten (§ 119 Abs. 1 StPO i. V. mit den dieses Trennungsgebot konkretisierenden Bestimmungen der Nr. 22 UVollzO). Es lastet den Amtsträgern der Bekl.…einen Verstoß gegen § 119 Abs. 1 Satz 2 i. V. mit Nr. 22 Abs. 1 UVollzO an, indem sie es nicht verhindert hätten, dass B in die Untersuchungshaftabteilung habe eindringen und den Kl. in dessen Haftraum habe aufsuchen können. Die fahrlässige Pflichtverletzung sieht es darin, dass die senkrechten Metallstäbe im Treppenbereich zwischen Straf- und Untersuchungshaftabteilung nicht durch einfache bauliche Maßnahmen wie zusätzliche Querverstrebungen gegen die Möglichkeit des Herausbrechens gesichert worden seien.
b) Der BGH geht nicht der Frage nach, ob und inwieweit eine solche Amtspflicht besteht und ob sie hier schuldhaft verletzt ist, sondern wendet sich auf S. 515 unter 3 der Frage zu, ob das Trennungsgebot nach seinem Schutzzweck darauf gerichtet ist, die körperliche Unversehrtheit des Untersuchungsgefangenen gegen Bedrohungen durch Strafgefangene zu sichern.
aa) Anerkannt ist, dass das Trennungsgebot ein aus der Unschuldsvermutung des Art. 6 Abs. 2 EMR…hergeleitetes Privileg des Untersuchungsgefangenen ist (mit Nachw.). Die Trennung von Strafgefangenen ist dementsprechend eine Grundforderung, die sich aus der Notwendigkeit ergibt, den Charakter der Untersuchungshaft als einer prozessualen Sicherungsmaßnahme gegen den als unschuldig Geltenden von der Vollstreckung der Strafe an einem Schuldigen eindeutig abzugrenzen (Löwe/Rosenberg/Hilger, StPO, 25. Aufl., § 119 Rdnr. 16).
bb) Eine darüber hinausgehende Zielrichtung, die Gruppe der Untersuchungshäftlinge speziell vor Übergriffen aus der Gruppe der Strafgefangenen zu schützen, lässt sich dem Trennungsgebot hingegen nicht entnehmen. Die allgemeine Amtspflicht zum Schutz der körperlichen Unversehrtheit besteht unterschiedslos zugunsten der Untersuchungs- und der Strafgefangenen. Die vom OLG aufgezeigte Gefahr, dass die Vergünstigungen, die die Untersuchungsgefangenen genießen, insbesondere etwa die Erlaubnis, eigene Uhren zu besitzen (Nr. 53 Abs. 2 Satz 2UVollzO), Begehrlichkeiten von Strafgefangene wecken können – diese Gefahr hat sich im vorliegenden Fall in der Tat verwirklicht –, ist nicht von einem solchen Gewicht, dass sie generalpräventive Sicherungsmaßnahmen speziell der Untersuchungsgefangenen vor Strafgefangenen erfordert.
cc) Somit braucht im vorliegenden Fall ein Verstoß gegen das Trennungsgebot als Amtspflichtverletzung nicht geprüft zu werden. Denn die hier eingetretenen Folgen, die Verletzung des A durch B, werden nicht vom Schutzzweck dieser Amtspflicht erfasst und fallen deshalb nicht unter deren Schutzbereich. Folglich würde ein Verstoß gegen das Trennungsgebot keinen Anspruch aus § 839 BGB, Art. 34 GG begründen.
2. Verletzt sein könnte die allgemeine Amtspflicht zum Schutz der körperlichen Unversehrtheit aller Gefangenen (BGH S. 515 unter 1). Sie könnte hier darin bestehen, dass gerade B besonders zu verwahren und zu beobachten war. Das würde jedoch voraussetzen, dass von B erkennbar eine besondere Gefahr ausgegangen wäre. B hatte sich jedoch bisher unauffällig verhalten, so dass kein Anlass für erhöhte Sicherungsmaßnahmen bestand. Allein die Schwere des Verbrechens, wegen dessen B seine Strafe verbüßte, lässt noch nicht den Schluss auf eine besondere Aggressivität zu (BGH S. 516 unter 4). In solchem Fall fallen Schäden durch Attacken von Mitgefangenen unter das allgemeine Lebensrisiko (vgl. auch BGHZ 21, 214).
3. Dass sich kein Aufsichtsbeamter auf der Station befand, betrachtet der BGH auf S. 516 unter 5 nicht als Amtspflichtverletzung, weil eine dauernde Anwesenheitspflicht nicht besteht. Außerdem befanden sich die zuständigen Justizvollzugsbeamten in Hörweite und sind auf die Schreie des Kl. sofort herbeigeeilt.
4. Schließlich lässt auch der Umstand, dass B einen Schraubenzieher besaß, noch keinen Schluss auf ein Überwachungsverschulden zu. BGH S. 516 unter 6: Es wird sich selbst bei sorgfältiger Kontrolle nicht ausschließen lassen, dass derartige Gegenstände in den Besitz eines Strafgefangenen gelangen können.
Somit hat A keinen Ersatzanspruch gegen das Land L.
Zusammenfassung