Bearbeiter: Prof. Dieter Schmalz

Staatshaftungsrecht; Amtshaftung, § 839 BGB, Art. 34 GG. Amtspflichtverletzung bei Erlass einer RechtsVO; legislatives Unrecht. Amtspflicht gegenüber einem Dritten, Drittbezogenheit. Maßnahmegesetz. Rechtsweg

BGH
Urteil vom 28. Januar 2021 (III ZR 25/20) MDR 2021, 487

Fall (Mietenbegrenzung)

Das Mietrecht des BGB enthält Vorschriften zur Begrenzung des Mietpreisanstiegs in Gebieten mit einem angespannten Wohnungsmarkt („Mietpreisbremse“ ). Die Landesregierung des Landes L erließ eine danach erforderliche „Rechtsverordnung zur Mietenbegrenzung (MietBVO)“ und wies darin eine Reihe von Städten im Lande L als Gebiete mit einem angespannten Wohnungsmarkt aus; die im BGB dafür aufgestellten Voraussetzungen waren erfüllt. Nach Erlass der MietBVO mietete M von V eine Wohnung i n einem Stadtteil, der in der MietBVO aufgeführt war. Nach dem Mietvertrag betrug die Monatsmiete 11 Euro pro qm. Bei Vertragsschluss hatte M darauf hingewiesen, dass nach der MietBVO nur 9 Euro zulässig waren, und zahlte den vollen Betrag deshalb nur unter Vorbehalt. Später erhob er gegen V, wie angekündigt, Klage auf Rückzahlung der Differenzbeträge. Die Klage wurde abgewiesen, weil nach BGB die VO zu begründen war und die Begründung zeitgleich mit der Verkündung der VO hätte erfolgen müssen (so auch BGHZ 223, 30), während die Landesregierung zwar den Erlass der VO mit einer Begründung vorbereitet hatte, die Begründung aber zunächst nicht veröffentlicht, sondern erst nachträglich auf ihre Homepage gestellt hatte. Das Urteil führte aus, der Verstoß habe zur Nichtigkeit der VO geführt und stehe einem Rückzahlungsanspruch des M entgegen.

M verlangt vom Land L die Beträge ersetzt, die er b ei Wirksamkeit der MietBVO von V hätte zurückverlangen können. Durch die fehlerhafte Veröffentlichung habe die Landesregierung eine schuldhafte Pflichtverletzung begangen. Die verletzte Pflicht habe den Mietern und damit auch ihm gegenüber bestanden, weil ihr Zweck dahin gegangen sei, die Mieter aus sozialen Gründen vor überhöhten Mieten zu schützen. Auch enthalte der in der Unwirksamkeit liegende Nichterlass der gebotenen VO einen Eingriff in das grundrechtlich geschützte Recht darauf, als durchschnittlich verdienender Bürger im städtischen Raum bezahlbaren Wohnraum zu finden. Die Nichtigkeit der MietBVO habe ihm den Rückzahlungsanspruch gegen den Vermieter entzogen und löse auch deshalb eine Entschädigungspflicht aus. Anspruchsbegründend sei schließlich auch, dass das berechtigte Vertrauen auf die Wirksamkeit der VO enttäuscht worden sei. Ist der von M geltend gemachte Anspruch begründet? In welchem Rechtsweg wäre er geltend zu machen?

Lösung

Vorbemerkungen: Der Originalfall spielte in Hessen und wurde im gestellten Fall in das anonyme Land L verlegt. Außerdem klagte im Originalfall ein Inkassounternehmen aus abgetretenem Recht, während im gestellten Fall aus Vereinfachungsgründen ein Anspruch des M selbst zu prüfen ist. Die dadurch bedingten Änderungen der Lösung führten auch zu Anpassungen in den Originalzitaten. – Die im vorliegenden Fall zur Anwendung kommende „Mietpreisbremse“ nach § 556 d BGB ist verfassungsmäßig, so BVerfG NJW 2019, 3054; davon zu unterscheiden ist der „Berliner Mietendeckel“, der nach BVerfG NJW 2021, 1377 verfassungswidrig ist.

A. Ist der von M geltend gemachte Anspruch begründet?

I. In Betracht kommt ein Anspruch aus Amtshaftung wegen schuldhafter Amtspflichtverletzung gemäß § 839 I 1 BGB i. V. m. Art. 34, 1 GG.

Diese Vorschriften bilden eine einheitliche Anspruchsgrundlage „§ 839 BGB, Art. 34 GG“ (vgl. BGH NJW 2017, 1322 Rn. 13). Ausgangsvorschrift ist § 839 BGB, da dieser die grundsätzlichen Voraussetzungen enthält, insbesondere die einer Amtspflichtverletzung. Art. 34 GG hat innerhalb der Anspruchsgrundlage zwei Funktionen. Die erste besteht in einer Auswechselung des Verpflichteten. BGH a. a. O. Rn. 10: Im Rahmen der Haftung nach § 839 BGB tritt gemäß Art. 34 Satz 1 GG - im Wege der befreienden Haftungsübernahme - der Staat beziehungsweise die jeweilige Anstellungskörperschaft als Anspruchsgegner des Geschädigten an die Stelle dessen, der in Ausübung eines ihm anvertrauten öffentlichen Amtes gehandelt hat…. Diese Regelung der Passivlegitimation rechtfertigt im vorliegenden Fall, dass zwar der Vorwurf der Pflichtverletzung gegenüber der Landesregierung erhoben, der Anspruch aber gegen das Land gerichtet wird. Die zweite Bedeutung des Art. 34 GG besteht in einer Erweiterung der Haftung. D er in § 839 BGB aufgeführte Begriff des „Beamten“ wird durch die Voraussetzung des Art. 34 GG ersetzt, dass „jemand in Ausübung eines öffentlichen Amtes“ gehandelt hat. Dadurch tritt an die Stelle des engen beamtenrechtlichen Beamtenbegriffs des § 839 BGB der weite haftungsrechtliche Beamtenbegriff. Danach genügt, dass ein hoheitliches Handeln mögliche Ursache für den Schaden ist (Ossenbühl/Cornils, Staatshaftungsrecht, 6. Aufl. 2013, S. 14/5).

Im vorliegenden Fall ist der Erlass einer RechtsVO als Rechtssetzungsakt - ebenso wie der Erlass eines Gesetzes - ein hoheitliches Handeln, dessen grundsätzliche Zulässigkeit sowie das Verfahren in der Verfassung geregelt sind. (Im Originalfall galt die Hess. Landesverfassung, bei einer bundesrechtlichen RechtsVO wäre Art. 80 GG anwendbar.) Das ist unabhängig davon, welchen Inhalt das Gesetz oder die RechtsVO hat. Deshalb ist unerheblich, dass die MietBVO auf eine Ermächtigungsgrundlage aus dem BGB gestützt ist und dass sie die Miethöhe und damit ein privatrechtliches Rechtsverhältnis regelt.

II. Die Landesregierung müsste eine Amtspflicht schuldhaft verletzt haben.

1. Obwohl es keine ausdrücklich normierten Amtspflichten bei Erlass einer RechtsVO allgemein oder der MietBVO nach BGB gibt, kann die Entscheidung über den Erlass einer RechtsVO nicht ohne begleitende Rechtspflichten erfolgen. Deshalb gehört es zu den Amtspflichten der zum Erlass einer RechtsVO ermächtigten Regierung, die beim Erlass der VO vorgeschriebenen Verfahrensanforderungen zu beachten.

a) Für eine RechtsVO, die die Miethöhe bei einem angespannten Wohnungsmarkt beschränkt, schreibt § 556 d II 5 bis 7 BGB vor, dass diese einer Begründung bedarf („muss begründet werden“). Aus der Begründung muss sich ergeben, auf Grund welcher Tatsachen ein Gebiet mit einem angespannten Wohnungsmarkt im Einzelfall ausgewiesen wird. Aus dem engen Zusammenhang mit dem zuvor geregelten Erlass der MietBVO ist zu folgern, dass diese Begründung im Zeitpunkt des Erlasses vorliegen und für die Adressaten einsehbar sein muss. Für eine bei einem Rechtsakt vorgeschriebene Begründung kann es nicht ausreichen, dass sie zu irgendeinem Zeitpunkt vorliegt und an beliebiger Stelle einsehbar ist. Das folgt auch aus dem Zweck des Begründungserfordernisses, dass dem damit verbundenen Eingriff in das Eigentum der Vermieter (Art. 14 GG) eine sorgfältige Abwägung der Interessen zugrunde liegt und die Verhältnismäßigkeit der Regelung gewahrt wird.

Im einzelnen begründet hat das der BGH in BGHZ 223, 30 Rn. 19 ff., eine Entscheidung, die dem laut Sachverhalt ergangenen Urteil zwischen M und V entspricht. Das vorangegangene Urteil hat zwar für den hier zu entscheidenden Streit zwischen M und dem Land L keine Rechtskraft, weil beide Verfahren nicht dieselben Parteien betreffen. (Im Originalfall hatte die klagende Mieterseite dem Land den Streit verkündet und damit die Bindungswirkung nach §§ 74, 68 ZPO herbeigeführt.) Es ist aber inhaltlich überzeugend, so dass ihm gefolgt wird. Dass von der im vorangegangenen Urteil zugrunde gelegten Rechtslage auszugehen ist, ist auch bereits im Sachverhalt angelegt, weil nur dann ein Vorgehen des M gegen das Land sinnvoll ist.

b) Die Landesregierung L hat die Begründung der MietBVO nicht zugleich mit dem Erlass der VO veröffentlicht, sondern erst nachträglich auf ihre Homepage gestellt. Der Erlass der VO ursprünglich ohne Begründung und die Veröffentlichung der Begründung erst später und nur auf der Homepage entsprachen nicht den Anforderungen des § 556 d II 5 BGB (BGHZ 223, 30 Rn. 19 ff.) Der Fehler ist wesentlich und hat zur Nichtigkeit der MietBVO geführt (BGHZ 223, 30 Rn. 41, 42). Der Erlass einer der Ermächtigungsgrundlage widersprechenden und deshalb nichtigen RechtsVO ist eine Amtspflichtverletzung.

2. Die Landesregierung hat auch schuldhaft gehandelt. Das verantwortliche Ministerium, dessen Verschulden der Regierung zuzurechnen ist, musste erkennen, dass § 556 d II 5 BGB eine Begründung zwingend vorschreibt und dass diese, ebenso wie bei einem Verwaltungsakt (§ 39 VwVfG: „ist mit einer Begründung zu versehen“), zugleich mit der VO selbst zu veröffentlichen ist. Weshalb das nicht erkannt wurde, ist dem Sachverhalt nicht zu entnehmen, so dass auch nicht von Gründen ausgegangen werden kann, die den Fehler möglicherweise entschuldigen. Selbst wenn angenommen würde, dass die gegenteilige Rechtsauffassung vertretbar wäre, hätte die - vorhandene - Begründung beigefügt werden müssen, um das Risiko eines Fehlers zu vermeiden.

III. Die verletzte Amtspflicht müsste den begünstigten Mietern als Dritten gegenüber bestanden haben (Drittbezogenheit der Amtspflicht) und dürfte nicht lediglich eine im Allgemeininteresse liegende Pflicht sein.

1. BGH [11, 12] § 839 Abs. 1 Satz 1 BGB setzt voraus, dass ein Amtsträger eine ihm gegenüber einem „Dritten” obliegende Amtspflicht verletzt hat.

a) Ob der Geschädigte im Sinne dieser Vorschrift „Dritter” ist, richtet sich nach der st. Rechtsprechung des BGH danach, ob die Amtspflicht - wenn auch nicht notwendig allein, so doch auch - den Zweck hat, gerade sein Interesse wahrzunehmen. Nur wenn sich aus den die Amtspflicht begründenden und sie umreißenden Bestimmungen sowie aus der besonderen Natur des Amtsgeschäfts ergibt, dass der Geschädigte zu dem Personenkreis zählt, dessen Belange nach dem Zweck und der rechtlichen Bestimmung des Amtsgeschäfts geschützt und gefördert werden sollen, besteht ihm gegenüber bei schuldhafter Pflichtverletzung eine Schadensersatzpflicht. Hingegen ist anderen Personen gegenüber, selbst wenn die Amtspflichtverletzung sich für sie mehr oder weniger nachteilig ausgewirkt hat, eine Ersatzpflicht nicht begründet. Es muss eine besondere Beziehung zwischen der verletzten Amtspflicht und dem geschädigten Dritten bestehen (st. Rspr., BGHZ 223, 72 Rn. 41; NJW 2018, 2264 Rn. 11; BGHZ 211, 171 Rn. 15 f.).

b) Amtspflichten der öffentlichen Amtsträger dienen in erster Linie dem Interesse der Allgemeinheit an einem geordneten Gemeinwesen… Um derartige Amtspflichten handelt es sich im Allgemeinen bei den Pflichten, die für die dafür Verantwortlichen im Rahmen der Gesetzgebungsaufgaben bestehen. Gesetze und Verordnungen enthalten durchweg generelle und abstrakte Regeln, und dementsprechend nimmt der Gesetzgeber - bei Tätigwerden und Untätigbleiben - in der Regel ausschließlich Aufgaben gegenüber der Allgemeinheit wahr, bei denen die Richtung auf bestimmte Personen oder Personenkreise fehlt. Es gilt deshalb der Grundsatz, dass legislatives Unrecht keine Amtshaftungsansprüche auslöst.

2. BGH [12-17] Ausnahmsweise - etwa bei sogenannten Maßnahme- oder Einzelfallgesetzen - kann etwas Anderes in Betracht kommen und können Belange bestimmter Einzelner unmittelbar berührt werden, so dass sie als „Dritte” im Sinne des § 839 Abs. 1 Satz 1 BGB angesehen werden können (BGHZ 134, 30, 32;…NVwZ-RR 1993, 450; Ossenbühl/Cornils, Staatshaftungsrecht, 6. Aufl. 2013, S. 105 ff.). In diesem Sinne könnte die MietBVO ein Maßnahmegesetz sein. Dass sie nur eine RechtsVO ist, steht einer Prüfung als Maßnahmegesetz nicht entgegen. Eine Rechtsverordnung ist ein materielles Gesetz mit grundsätzlich der gleichen Rechtswirkung wie ein förmliches Gesetz und kann deshalb auch ein Maßnahmegesetz sein. Das Maßnahmegesetz ist eine Ausnahme vom normalen, allgemein geltenden „Normgesetz“ und deshalb von diesem abzugrenzen.

a) BGH [14] Ein Maßnahmegesetz liegt vor, wenn Belange bestimmter Einzelner, das heißt einer Einzelperson oder eines individuell bestimmten Personenkreises, berührt werden. Das ist allerdings zu verneinen, wenn sich das Gesetz an einen unüberschaubar großen und nicht individuell begrenzten Personenkreis richtet (BGH NJW 1989, 101; BGHZ 56, 40, 45; vgl. auch BVerfGE 24, 33 Rn. 52: „Maßnahmegesetz" bei sachlich und persönlich eng beschränktem Bereich). Ohne Bedeutung ist dabei die zeitlich begrenzte Geltungsdauer eines Gesetzes. So können auch abstrakt-generelle Gesetzesbestimmungen zeitlich befristet sein, ohne hierdurch zu einem Maßnahme- oder Einzelfallgesetz zu werden. Dagegen kann ein räumlich oder sachlich beschränkter Geltungsbereich eines Gesetzes dieses als Maßnahme- oder gar Einzelfallnorm qualifizieren, wenn er derart eng ist, dass sich aus ihm die Betroffenheit eines überschaubaren und individuell bestimmten Personenkreises ergibt.

b) Die MietBVO des Landes L betrifft laut Sachverhalt „ eine Reihe von Städten im Lande L, die als Gebiete mit einem angespannten Wohnungsmarkt ausgewiesen wurden“, und gilt dort für Mieter und Vermieter. Damit richtete sie sich nicht an einen individuell bestimmten Personenkreis, sondern an einen großen, durch eine bestimmte Interessenlage abstrakt abgegrenzten Adressatenkreis. Dass die Geltung räumlich begrenzt ist, ist eine Folge davon, dass nur dort ein Bedarf für die Regelung besteht, und reicht für die Bejahung eines Maßnahmegesetzes nicht aus. BGH [17] Die MietBVO betrifft einen unüberschaubar großen und nicht individuell begrenzten Personenkreis. Dementsprechend ist die MietBVO kein Maßnahme- oder Einzelfallgesetz, sondern eine ihrem Zweck nach allein auf die Wahrung des Interesses der Allgemeinheit und nicht bestimmter Einzelner oder eines bestimmten Personenkreises gerichtete Regelung.

Folglich lässt sich über den Ausnahmefall des Maßnahmegesetzes eine Drittbezogenheit der beim Erlass der MietBVO verletzten Amtspflicht nicht begründen.

3. Dass, wie M an sich zutreffend geltend macht, d ie MietBVO den Zweck hatte, die Mieter aus sozialen Gründen vor überhöhten Mieten zu schützen, begründet keine Drittbezogenheit der Amtspflicht. Einen solchen Zweck haben im Sozialstaat der BRD zahlreiche Gesetze, ohne dass das zu einer Ausnahme von dem Grundsatz führt, dass legislatives Unrecht keine Amtshaftungsansprüche auslöst. Auch sozial motivierte Gesetze sind allgemeinverbindliche Regelungen im öffentlichen Interesse, denen in aller Regel die Richtung auf bestimmte Personen oder Personenkreise fehlt.

4. Die verletzte Amtspflicht könnte deshalb drittbezogen sein, weil bei der Verletzung in grundrechtlich geschützte Positionen eingegriffen wurde.

a) In der Literatur wird die Auffassung vertreten, eine Drittbezogenheit liege vor, wenn bei der Rechtsetzung grundrechtswidrig in Rechte der betroffenen Grundrechtsinhaber eingegriffen wird (Maunz/Dürig/Papier, GG, Art. 34 Rn. 195, 197 [92. EL August 2020] m. w. N.; vgl. auch Papier/Shirvani in MüKoBGB, 8. Aufl., § 839 Rn. 318). Dagegen spricht aber bereits, dass damit den Grundrechten als Abwehrrechte zusätzlich die Funktion zugewiesen würde, Schadensersatzansprüche zu begründen, wofür es aber keine hinreichende Begründung gibt. BGH [21-26] argumentiert vom Begriff des Dritten und dessen anspruchsbegrenzender Funktion her.

aa) Durch ein solches Verständnis würde der Begriff des „Dritten" im Sinne des § 839 Abs. 1 Satz 1 BGB seine Konturen und damit seine haftungsbegrenzende Funktion verlieren (BGH NJW 1989, 101; dazu BeckOGK/Dörr, BGB, § 839 Rn. 290 ff.; so auch Ossenbühl/Cornils, StaatshaftungsR, 6. Aufl., S. 105 ff; jew. m. w. N.). § 839 BGB ist in ein deliktsrechtliches System eingebettet, das grundsätzlich nur Schadensersatzansprüche des unmittelbar Verletzten kennt. Mit dieser Beschränkung des Kreises der Ersatzberechtigten auf die unmittelbar Verletzten steht die Regelung des § 839 BGB in Einklang, wonach dem unmittelbar Verletzten der „Dritte" entspricht, demgegenüber die verletzte Amtspflicht bestand. Verflüchtigte man diesen Drittbezug zu einem bloßen „Drittschutz", gäbe man also die individualisierbare Beziehung als Abgrenzungskriterium auf, hätte dies eine qualitative Veränderung des Amtshaftungstatbestandes zur Folge, der in seiner Konzeption allein den Zweck hat, individuelle Schadensfälle zu regulieren (Ossenbühl/Cornils a. a. O. S. 106).… Der Gesetzgeber hat in § 839 Abs. 1 Satz 1 BGB bestimmt, dass ein Amtshaftungsanspruch voraussetzt, dass ein Beamter die ihm einem Dritten gegenüber obliegende Amtspflicht verletzt. Damit ist eine Haftung wegen der Verletzung von Amtspflichten, die dem Beamten nicht spezifisch dem Träger des verletzten Grundrechts gegenüber obliegen, nicht vereinbar. Bei der Schaffung des Art. 34 GG war dem Verfassungsgeber bewusst, dass die Staatshaftung in § 839 BGB gründete; er wollte insoweit am überkommenen Rechtszustand und damit auch an der haftungseinschränkenden Voraussetzung des Drittbezuges nichts ändern (vgl. BGH NJW 1989, 102; BVerfGE 61, 149, 198 f).

bb) Gerade bei einem Verstoß der öffentlichen Hand gegen Art. 2 Abs. 1 GG, der die allgemeine Handlungsfreiheit umfassend schützt, würde sehr häufig auch ein zum Schadensersatz verpflichtendes Verhalten im Sinne des § 839 BGB vorliegen… Denn Art. 2 Abs. 1 GG verbietet hoheitliche Eingriffe in die Rechtssphäre des Bürgers, die nicht durch eine der verfassungsmäßigen Ordnung entsprechende Rechtsgrundlage gedeckt sind. Wollte man in diesen Fällen stets wegen des Grundrechtsverstoßes auch die Drittbezogenheit der verletzten Amtspflicht bejahen, so würde das einschränkende Tatbestandserfordernis des „Dritten" weitgehend leerlaufen. Das wäre umso weniger tragbar, als der Verstoß gegen die allgemeine Handlungsfreiheit des Art. 2 Abs. 1 GG sich gerade aus der Verletzung von Vorschriften ergeben kann, die ausschließlich im Allgemeininteresse erlassen worden sind, wie das auch vorliegend der Fall war…

cc) An den Gesetzgeber als Schadensverursacher hat bei der Normierung der Amtshaftung niemand gedacht. Ihn kraft richterrechtlicher Rechtsschöpfung in den Kreis der potentiellen Schädiger einzubeziehen, würde die methodisch zulässigen Grenzen der Gesetzesanwendung und -interpretation überschreiten (Ossenbühl/Cornils S. 106). Die Zubilligung von Schadensersatz- und Entschädigungsansprüchen für legislatives Unrecht in Gestalt eines mit dem GG nicht zu vereinbarenden Gesetzes hätte zudem für die Staatsfinanzen weitreichende Folgen. Schon das spricht dafür, die Haushaltsprärogative des Parlaments in möglichst weitgehendem Umfang zu wahren und die Gewährung von Entschädigung für legislatives Unrecht der Entscheidung des Parlamentsgesetzgebers zu überantworten.

b) im Übrigen enthält der Verstoß gegen § 556 d II 5 BGB keinen Eingriff in Grundrechte der Mieter.

aa) Der Schutz der Wohnung durch Art. 13 I GG erfasst nur die vorhandene Wohnung und gibt keinen Anspruch auf eine Wohnung, erst recht nicht darauf, in einer bestimmten Stadt „bezahlbaren“ Wohnraum zu finden. Ein solches Recht wäre bei knappem Angebot auch nicht durchsetzbar.

bb) Ein Eingriff in Eigentum der Mieter (Art. 14 GG) ist nicht erfolgt. Entgegen der Auffassung des M hat die Nichtigkeit der MietBVO den Mietern keinen Rückzahlungsanspruch gegen den Vermieter entzogen, weil ihnen ein solcher Anspruch vor Erlass einer rechtswirksamen MietBVO nicht zustand. Ein Anspruch auf Begründung eines Rückzahlungsanspruchs ergibt sich aus Art. 14 GG nicht.

cc) In die allgemeine Handlungsfreiheit (Art. 2 I GG) wurde nicht eingegriffen. M behielt die Freiheit, eine Wohnung zu den Bedingungen zu mieten, die für ihn erreichbar waren. Ein Recht, nach Abschluss eines Mietvertrages über 11 Euro/qm für die Wohnung nur 9 Euro/qm zu zahlen, kann aus der Gewährleistung der allgemeinen Handlungsfreiheit nicht hergeleitet werden.

Somit lässt sich über einen Eingriff in ein Grundrecht die Drittbezogenheit der verletzten Amtspflicht nicht begründen (BGH [18]).

5. Die für die Drittbezogenheit erforderliche Individualisierung könnte sich daraus ergeben, dass M bei Abschluss des Mietvertrages darauf vertraut hat, dass er nicht 11 Euro, sondern laut MietBVO nur 9 Euro pro qm zu zahlen hat, und dass dieses Vertrauen enttäuscht wurde. Jedoch muss die Drittbezogenheit bereits in dem Zeitpunkt vorliegen, in dem die Amtspflicht verletzt wird. Dass eine Person später konkret mit einer gesetzlichen Regelung in Kontakt tritt, die im Zusammenhang mit der Amtspflichtverletzung steht, reicht für eine Drittbezogenheit nicht aus.

Allgemeiner BGH [27, 28] Ein Amtshaftungsanspruch besteht auch nicht wegen enttäuschten Vertrauens in die Wirksamkeit der MietBVO… In der Rechtsprechung des BGH wird ein allgemeiner Anspruch auf angemessene Entschädigung für Aufwendungen, die im enttäuschten Vertrauen auf die Wirksamkeit einer Rechtsnorm gemacht worden sind, nicht anerkannt (…). Der in BGHZ 84, 292 entschiedene Fall betraf einen - als Satzung und damit ebenfalls als Rechtsnorm erlassenen - Bebauungsplan, der sich als nichtig herausgestellt hatte. [30] Dort hat der BGH ausgeführt, dass von den bei der Verabschiedung eines Bebauungsplanes zu beachtenden Amtspflichten nur solche als drittgerichtet im Sinne einer Amtshaftung in Betracht kommen, die eine Berücksichtigung konkreter besonderer Interessen des einzelnen Bürgers oder einer Gruppe von Bürgern erfordern. Letzteres war für die aus der fehlenden Entwicklung aus einem Flächennutzungsplan folgende Nichtigkeit des Bebauungsplans zu verneinen, weil die Beachtung einer entsprechenden Pflicht den Mitgliedern des Gemeinderates nur gegenüber der Allgemeinheit obliegt, mag sie sich auch auf die planbetroffenen Bürger auswirken. Ähnlich verhält es sich vorliegend. Die Pflicht zur Begründung einer MietBVO im Sinne von § 556 d Abs. 2 Sätze 5 bis 7 BGB soll gewährleisten, dass die Entscheidungen der Landesregierungen nachvollziehbar gemacht werden… Auch diese der Transparenz der Rechtsetzung dienende Begründungspflicht obliegt dem Verordnungsgeber nur gegenüber der Allgemeinheit.

Somit fehlt es an der Drittbezogenheit der beim legislativen Unrecht verletzten Amtspflicht. M hat keinen Anspruch aus § 839 BGB, Art. 34 GG gegen das Land L.

IV. Eine andere Anspruchsgrundlage ist nicht ersichtlich.

Zwar wäre es möglich gewesen, einige der zu prüfenden Aspekte auf eine andere Anspruchsgrundlage zu verteilen, etwa die Überlegung A III 4 b bb) im Zusammenhang mit einem Anspruch aus enteignungsgleichem Eingriff zu prüfen oder die unter A III 4 b) geprüften Grundrechte als mögliche Anspruchsgrundlagen heranzuziehen. Dabei käme es jedoch zu keinem anderen Ergebnis und auch nicht zu wesentlich anderen Begründungen. Der BGH hat alle Überlegungen im Zusammenhang mit der Drittbezogenheit angestellt, dem wurde hier gefolgt.

Ergebnis zu A: M hat keinen Ersatzanspruch gegen das Land L.

B. In welchem Rechtsweg wäre ein Anspruch geltend zu machen?

Ausgangsvorschrift ist Art. 34 Satz 3 GG; danach darf für den Amtshaftungsanspruch der ordentliche Rechtsweg nicht ausgeschlossen werden. Bestätigt wird das durch § 40 II 1 VwGO, der Schadensersatzansprüche aus der Verletzung öffentlich-rechtlicher Pflichten in den ordentlichen Rechtsweg verweist; der Amtshaftungsanspruch ist ein Anspruch wegen Verletzung einer öffentlich-rechtlichen Pflicht. Somit ist der Zivilrechtsweg gegeben. Sachlich zuständig in erster Instanz ist das Landgericht (§ 71 II Nr. 2 GVG). Der BGH hat als Revisionsinstanz entschieden. Aus der Sicht des § 40 I VwGO betrachtet ist das eine abdrängende Sonderzuweisung.


Zusammenfassung