Bearbeiter: RA Prof. Dieter Schmalz
Der Fall verdeutlicht vor allem die Systematik des Amtshaftungsrechts.
► § 839 BGB, Art. 34 GG; hoheitliche Tätigkeit als Anwendbarkeitsvoraussetzung. ► Abschließende Regelung; kein Anspruch gegen den Handelnden persönlich
BGH Urteil vom 16. 9. 2004 (III ZR 346/03) NJW 2005, 429
Fall (Tubus in der Speiseröhre)
Nach § 18 I Rettungsdienstgesetz (RDG) des Landes L haben die Kreise und kreisfreien Städte die Aufgabe, Notfallrettung und Krankentransport flächendeckend sicherzustellen. Nach § 19 RDG kann die Durchführung einer privaten Hilfsorganisation übertragen werden. (Der BGH-Fall spielte in Bayern; ähnliche Regelungen gibt es aber auch in anderen Bundesländern, z. B. in § 6 RDG NRW.) In der Region R bilden eine kreisfreie Stadt und zwei Kreise den Rettungszweckverband V als Körperschaft des öffentlichen Rechts. V übertrug den Rettungsdienst durch öffentlich-rechtlichen Vertrag dem Roten Kreuz, das wiederum mit dem H-Krankenhaus kooperiert. Der bei H angestellte Arzt Dr. A war nach seinem Dienstvertrag verpflichtet, auch Aufgaben des Notarztdienstes wahrzunehmen. Demzufolge wurde A am 9. 12. zu einem Verkehrsunfall gerufen, bei dem K schwere Verletzungen erlitten hatte. A behandelte K an der Unfallstelle, wobei er ihn zum Zwecke künstlicher Beatmung intubierte. Anschließend begleitete A den K auf dem Transport ins Krankenhaus. Dort wurde festgestellt, dass der Tubus in die Speiseröhre statt in die Luftröhre eingeführt worden war, so dass der dadurch bedingte Ausfall der Sauerstoffversorgung zu einer bleibenden Gehirnschädigung des K führte. K, der nicht gesetzlich krankenversichert ist, hat Dr. A auf Schadensersatz verklagt.
I. Folgende Anspruchsgrundlagen sind zu erörtern, greifen aber nicht ein:
1. A könnte hoheitlich gehandelt haben, so dass ein Amtshaftungsanspruch nach § 839 BGB, Art. 34 GG eingreift. Dieser Anspruch richtet sich jedoch nur gegen die Anstellungskörperschaft („…den Staat oder die Körperschaft, in deren Dienst er steht“) und nicht gegen den Handelnden persönlich. Da K den A persönlich verklagt hat, scheiden § 839 BGB, Art. 34 GG an dieser Stelle von vornherein aus.
2. § 839 BGB richtet sich zwar gegen den Handelnden persönlich (Eigenhaftung). Er hat aber zur Voraussetzung, dass keine Staatshaftung eingreift (dazu noch unten II) und dass der Handelnde Beamter im staatsrechtlichen Sinne ist (Hk-BGB/Staudinger, 3. Aufl., § 839 Rdnr. 49). A war angestellter Arzt und nicht Beamter.
3. Nach § 76 IV SGB V haftet ein Arzt „nach den Vorschriften des bürgerlichen Vertragsrechts“, d. h. insbesondere nach §§ 611, 280 I BGB. Hierfür ist aber Voraussetzung, dass der geschädigte Patient in der gesetzlichen Krankenkasse versichert ist und dass es sich um eine Kassenleistung handelt. K war nicht gesetzlich krankenversichert (und es würde sich beim Rettungsdienst auch nicht um eine Kassenleistung gegenüber dem Patienten handeln, dazu noch unten II 2a).
II. Anspruchsgrundlage könnte § 823 I BGB sein.
1. Die Anwendbarkeit dieser Vorschrift ist aber ausgeschlossen, wenn § 839 BGB, Art. 34 GG anwendbar sind. Denn dann
BGH S. 429 unter 1: Eine persönliche Haftung scheidet aus, wenn Fehler im Rahmen eines Rettungsdiensteinsatzes nach Amtshaftungsgrundsätzen gem. § 839 I BGB zu beurteilen sind. Schadensersatzansprüche des Geschädigten richten sich dann gem. Art. 34 S. 1 GG nicht gegen den behandelnden Arzt.
2. Anwendbarkeitsvoraussetzung für § 839 BGB, Art. 34 GG und damit auch für deren abschließende Wirkung ist ein hoheitliches Handeln. Zu der Frage, ob das auf den Rettungsdienst zutrifft, hatte sich bereits BGHZ 153, 268 (= JurTel 2004 Heft 1 S. 14) grundsätzlich geäußert; diese Rspr. wird im vorliegenden Fall fortgeführt.
a) Wie in BGHZ 153, 268 ff. ausgeführt wurde (im vorliegenden Fall S. 431 unter aa), ist zu unterscheiden zwischen
b) Im vorliegenden Fall handelt es sich um die zweite Fallgruppe, den Einsatz im Rettungsdienst. Im Anschluss an BGHZ 153, 268, 270 ff. entnimmt der BGH auf S. 429 unter a) der Gesamtregelung im RDG, dass der Rettungsdienst in Bayern [für Länder mit einer vergleichbaren Regelung gilt Gleiches] öffentlich-rechtlich organisiert ist mit der Folge, dass die Wahrnehmung der rettungsdienstlichen Aufgaben sowohl im Ganzen wie auch im Einzelfall der hoheitlichen Betätigung zuzurechnen ist. Dafür spricht in erster Linie, dass diese Aufgabe den Kreisen und kreisfreien Städten als solchen übertragen ist (im Einzelnen S. 430 unter aa). Nach BGH S. 430 unter cc) steht dem nicht entgegen, dass der Träger die Durchführung des Rettungsdienstes im Regelfall auf Hilfsorganisationen zu übertragen hat und es sich bei diesen Organisationen überwiegend um juristische Personen des Privatrechts handelt… Auch Privatpersonen können, insbesondere durch einen öffentlich-rechtlichen Vertrag, mit der Wahrnehmung einzelner hoheitlicher Aufgaben betraut werden [als Beliehene oder als bloße Verwaltungshelfer]. Dies hat zur Folge, dass für ein Fehlverhalten dieser Personen die Grundsätze der Amtshaftung gelten.
c) Nach diesen Grundsätzen haftet A nicht persönlich, insbesondere nicht nach § 823 BGB. Folglich hat K gegen A keinen Anspruch. Richtiger Anspruchsgegner war der V-Rettungszweckverband, weil dieser A – mit Hilfe von dessen Arbeitgeber – mit den Aufgaben des Rettungsdienstes betraut hat und deshalb dessen Anstellungskörperschaft war (BGH LS 2 und S. 432 unter b).
Zusammenfassung