Bearbeiter: Prof. Dieter Schmalz
► Staatshaftungsrecht; Anspruch wegen Amtspflichtverletzung, § 839 BGB, Art. 34 GG. ► Identitätsfeststellung durch die Polizei zur Strafverfolgung, § 163 b StPO; Festhalten eines Verdächtigen durch körperliche Gewalt. ► Aufopferung; Voraussetzungen und Rechtsfolge; Sonderopfer. ► Anspruch aus Aufopferung bei rechtmäßigem Behördenhandeln. ► Schmerzensgeld aus Aufopferung
BGH Urteil vom 07. 09. 2017 (III ZR 71/17) NJW 2017, 3384 (für BGHZ vorgesehen)
Fall (Schulterverletzung)
In der im Lande L gelegenen Stadt S wurde aus einem Auto auf eine Pizzeria geschossen. Das Kennzeichen des Autos konnte festgestellt werden, von dem Fahrer gab es eine vage Beschreibung. Im Zuge der von der Polizei ausgelösten Fahndung wurde das Auto auf dem Gelände einer Tankstelle entdeckt. Ein Zeuge sagte, er habe gesehen, wie ein Mann aus der Richtung dieses Autos kam und in die Tankstelle ging. Zwei Polizeibeamte (P) warfen von außen einen Blick in den Verkaufsraum und sahen einen Mann, auf den die Beschreibung passen konnte; er stand zusammen mit anderen Personen vor der Kasse. Die beiden Beamten verständigten sich dahin, dass die Verdachtsmomente für eine Festnahme nicht ausreichten, dass sie aber die Personalien des Mannes feststellen wollten. Sie betraten den Verkaufsraum und riefen: „Stehen bleiben, Hände hoch.“ M, den P als verdächtige Person im Auge hatten, fühlte sich nicht angesprochen und griff in seine Hosentasche, um das Tanken zu bezahlen. P befürchteten, dass er nach einer Waffe griff, und fassten ihn an den Armen. Als M sich losreißen wollte, drückten P ihn zu Boden und fixierten ihn. Dabei verletzte M sich an der Schulter. Die Überprüfung des M ergab, dass er nicht die gesuchte Person war.
Die Schulterverletzung des M erwies sich als schwer. Sie wurde zunächst im Krankenhaus und dann über längere Zeit ärztlich und physiotherapeutisch behandelt. Auch war sie sehr schmerzhaft; die Schulter ist bis heute nicht schmerzfrei. M verlangt vom Land L Ersatz des Verdienstausfalls und ein Schmerzensgeld. Zu Recht?
Lösung
I. M könnte gegen das Land L einen Schadensersatzanspruch wegen einer Amtspflichtverletzung haben (§ 839 BGB, Art. 34 GG i. V. mit § 253 II BGB). § 839 BGB, Art. 34 GG sind eine einheitliche Anspruchsgrundlage, wobei § 839 die wesentlichen Voraussetzungen und die Rechtsfolge enthält, aber durch Art. 34 in zweierlei Hinsicht modifiziert wird: Der Begriff des Beamten wird durch die Formulierung „in Ausübung eines öffentlichen Amtes“ dahin erweitert, dass ein hoheitliches Handeln erforderlich und ausreichend ist. Auf Rechtsfolgenseite haftet statt des Beamten der „Staat oder die Körperschaft“, in deren Dienst der Handelnde steht.
1. Ein hoheitliches Handeln der P bei ihrem Einschreiten gegenüber M folgt daraus, dass sie zum Zwecke der Strafverfolgung gehandelt haben und dieses Handeln sich nach der StPO, einem öffentlich-rechtlichen Gesetz richtet.
2. P müssten eine dem M gegenüber obliegende Amtspflicht verletzt haben. Bei einem hoheitlichen Handeln besteht die allgemeine Amtspflicht, die Vorschriften zu beachten, die das Handeln regeln, und dadurch rechtmäßig zu handeln. Rechtswidriges Handeln bedeutet eine Amtspflichtverletzung.
P haben zum Zwecke der Feststellung der Personalien des ihnen verdächtig erschienen M gehandelt. Nach § 163 b I Satz 1 StPO können, wenn jemand einer Straftat verdächtig ist, die Staatsanwaltschaft und die Beamten des Polizeidienstes die zur Feststellung seiner Identität erforderlichen Maßnahmen treffen. Nach Satz 2 darf, wenn die Identität sonst nicht oder nur unter erheblichen Schwierigkeiten festgestellt werden kann, der Verdächtige festgehalten werden.
a) M müsste verdächtig gewesen sein, eine Straftat begangen zu haben. Straftat war das Schießen auf die Pizzeria, bei dem zumindest der Verdacht bestand, dass dabei auf Menschen gezielt wurde und der Versuch eines Körperverletzungs- oder sogar Tötungsdelikts begangen wurde. Nach dem Auffinden des Tatfahrzeugs wurde M in dessen Nähe gesichtet, und ein Zeuge erklärte, dass M aus dieser Richtung gekommen sei. Die vorhandene Personenbeschreibung konnte auf M passen. Als P ihn festhalten wollten, leistete er Widerstand. Aus diesen Vorgängen konnten P auf einen Verdacht schließen, der eine Feststellung der Personalien, die ja normalerweise kein schwerwiegender Eingriff ist, rechtfertigte. Da es nur auf den Verdacht ankam, ist unerheblich, dass M nicht der Täter war.
b) Das Festhalten nach § 163 b I 2 StPO darf zwangsweise erfolgen. Denn andernfalls wäre es bei einer Person, die sich weigert, nicht durchführbar. Zulässig ist unmittelbarer Zwang, dessen Art und Weise sich mangels Vorschriften in der StPO nach Polizeirecht richtet (Löwe-Rosenberg/Erb, StPO, 26. Aufl., § 163 b Rdnr. 32; sog. Ergänzungslehre). Das im Lande L geltende Polizeigesetz ist nicht bekannt. In allen Ländern gibt es aber Vorschriften, die sinngemäß gleich lauten wie die des G esetzes über den unmittelbaren Zwang bei Ausübung öffentlicher Gewalt durch Vollzugsbeamte des Bundes (UZwG). Nach dessen § 2 I ist unmittelbarer Zwang die Einwirkung auf Personen oder Sachen durch körperliche Gewalt, ihre Hilfsmittel und durch Waffen. Nach § 2 II ist körperliche Gewalt jede unmittelbare körperliche Einwirkung auf Personen oder Sachen. P haben dadurch, dass sie M festgehalten und, um ein Losreißen zu vermeiden, zu Boden gedrückt haben, körperlich auf M eingewirkt, was grundsätzlich zulässig war.
c) Die Grenze für die zulässigen Maßnahmen ergibt sich aus dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit (§ 4 UZwG).
aa) Wird allein auf das Handeln der P abgestellt, lässt sich nicht feststellen, dass ein milderes Mittel den gleichen Erfolg - das Festhalten des M - herbeigeführt hätte und dass der Einsatz deshalb nicht erforderlich war. Auch war das Einschreiten nicht unangemessen, sondern entsprach den polizeirechtlichen Anforderungen bei der Durchführung einer Personalienfeststellung gegenüber einem sich Weigernden. Eine zusätzliche Rechtfertigung ergibt sich aus dem Umstand, dass P nicht ausschließen konnten, dass M, der nach ihrer Vorstellung möglicherweise die Schüsse auf die Pizzeria abgegeben haben könnte, erneut zu einer Waffe hätte greifen können.
bb) Vom Erfolg her betrachtet war die schwere Schulterverletzung des M allerdings ein so erheblicher Schaden, dass er in keinem vertretbaren Verhältnis mehr zum Zweck der Personalienfeststellung bei einem bloßen Verdacht stand. Hätten P diesen Erfolg vorhergesehen, hätten sie von dem Einsatz körperlicher Kraft in der vorgenommenen Form absehen müssen. Jedoch sollen Rechtsvorschriften das Handeln staatlicher Organe steuern. Wird ein Handeln für zulässig erklärt, kann es nicht allein wegen eines unglücklichen Verlaufs nachträglich als rechtswidrig beurteilt werden. Somit bleibt es bei dem Ergebnis, dass P nicht gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verstoßen haben.
Das Handeln der P war nach § 163 b I 2 StPO in Verbindung mit den Grundsätzen über die Ausübung unmittelbaren Zwanges rechtmäßig. Ein Anspruch aus § 839, BGB, Art. 34 GG besteht nicht.
II. Da der Schaden des M Folge einer Maßnahme zur Strafverfolgung war, kommt ein Anspruch aus dem Gesetz über die Entschädigung für Strafverfolgungsmaßnahmen (StrEG) in Betracht. Die Maßnahmen, die einen solchen Anspruch auslösen, sind in §§ 1 - 3 StrEG aufgeführt. In erster Linie ist das die strafgerichtliche Verurteilung, soweit sie im Wiederaufnahmeverfahren aufgehoben oder sonst weggefallen oder gemildert worden ist (§ 1), ferner die Untersuchungshaft nach einem Freispruch (§ 2 I). Weitere Maßnahmen sind in § 2 II aufgeführt, beispielsweise die vorläufige Festnahme nach § 12 7 StPO (§ 2 II Nr. 2). Eine Identitätsfeststellung nach § 163 b StPO ist dort nicht aufgeführt, gehört also nicht zu den entschädigungspflichtigen Maßnahmen. Das StrEG gewährt M keinen Anspruch.
III. Entschädigungsansprüche sind im Polizeirecht vorgesehen (als Beispiel § 51 BPolG; Überblick über die bundes- und landesrechtlichen Vorschriften bei Pewestorf/Söllner/Tölle, Polizei- und Ordnungsrecht, 2. Aufl. 2017, S. 538 ff.).
1. Jedoch gelten diese Vorschriften nur bei einem Handeln zur Gefahrenabwehr, also bei einem präventiven Einschreiten der Polizei ( Ossenbühl/Cornils, Staatshaftungsrecht, 6. Aufl. 2013, S. 488). Im vorliegenden Fall sind P aufgrund einer Vorschrift der StPO zur Strafverfolgung (repressiv) eingeschritten. Polizeirechtliche Anspruchsgrundlagen sind somit nicht anwendbar.
2. Eine ergänzende Anwendung so wie oben bei I 2 b) ist nicht möglich, weil die selbstständige Begründung eines Anspruchs keine bloße Ergänzung ist. Eine analoge Anwendung wäre erst in Betracht zu ziehen, wenn feststünde, dass es keine Regelung gibt und eine Gesetzeslücke besteht. Das lässt sich an dieser Stelle aber noch nicht feststellen (und scheidet letztlich wegen des unter V. zu prüfenden Anspruchs aus).
IV. Ein Anspruch wegen sozialer Entschädigung aus dem Opferentschädigungsgesetz (OEG) besteht aus zwei Gründen nicht: Das OEG ist anwendbar nur bei Angriffen Privater und nicht bei staatlichen Maßnahmen. Nach § 1 OEG ist Voraussetzung für einen Anspruch, dass ein vorsätzlicher und rechtswidriger tätlicher Angriff erfolgt ist, der eine gesundheitliche Schädigung zur Folge hatte. Wie ausgeführt, haben P aber nicht rechtswidrig gehandelt.
V. M könnte ein Anspruch aus Aufopferung zustehen.
1. Eine gesetzliche Regelung dieses Anspruchs gibt es nicht. Erwähnt wird die Aufopferung in der Rechtswegvorschrift des § 40 II 1 VwGO. Der Aufopferungsanspruch ist gewohnheitsrechtlich anerkannt.
a) BGH [16] Dieser Anspruch hat sich gewohnheitsrechtlich gemäß dem in § 75 EinlALR (= Einleitung zum Allgemeinen Landrecht für die Preußischen Staaten von 1794) enthaltenen Rechtsgrundsatz entwickelt. Nach dieser Bestimmung ist der Staat gehalten, denjenigen zu entschädigen, der seine besonderen Rechte und Vorteile dem Wohl des Gemeinwesens aufzuopfern genötigt wird. Der Grundsatz, der in dieser Vorschrift seinen gesetzlichen Ausdruck gefunden hat, hat über den Bereich der früheren altpreußischen Provinzen hinaus allgemeine Geltung erlangt (vgl. nur 51, BGHZ 9, 83, 85 f).
b) Soweit in ein Vermögensrecht, insbesondere in Eigentum eingegriffen wurde, wird der Aufopferungsgrundsatz in spezielleren Rechtsinstituten ausgeformt: so in der Enteignung (vgl. Art. 14 III GG), wenn Eigentum entzogen wird; im enteignungsgleichen Eingriff, wenn in Eigentum rechtswidrig eingegriffen wird; im enteignenden Eingriff, wenn der Eingriff zwar rechtmäßig ist, aber zu Nachteilen führt, die ein Sonderopfer begründen ( BGH NJW 2017, 1322, „Zeitungszeugen“, [25]). Auch die polizei- und ordnungsrechtlichen Entschädigungsvorschriften (oben III) beruhen auf dem Aufopferungsgedanken (Os senbühl/Cornils, StHR, 6. Aufl. 2013, S. 486).
c) Deshalb fallen in den Anwendungsbereich des Aufopferungsanspruchs Eingriffe in immaterielle Rechtsgüter wie Gesundheit, Körper, Freiheit und das Persönlichkeitsrecht (Ossenbühl/Cornils S. 129, 131, 138). BGH [16] Folglich ist ein Sonderopfer, das der Einzelne an immateriellen Rechtsgütern zum Wohl der Allgemeinheit zu erbringen genötigt wird, zu ersetzen. Da im vorliegenden Fall Körper und Gesundheit des M betroffen sind, fällt dieser Fall in den Anwendungsbereich des Aufopferungsanspruchs.
(Bei den folgenden Ausführungen ist auf die Unterscheidung von Rechtsgut und Schaden zu achten: Das Rechtsgut, in das eingegriffen wird, ist bei der Aufopferung stets ein immaterielles. Der Schaden kann aber ein materieller = Vermögensschaden sein, dazu unten VI 1, oder ein immaterieller = Nichtvermögensschaden, der durch ein Schmerzensgeld ausgeglichen wird, dazu VI 2.)
2. Es sind die Voraussetzungen für eine Aufopferung zu prüfen.
a) Das hierfür erforderliche hoheitliche Handeln liegt in dem Einschreiten der P gegenüber M zum Zwecke der Identitätsfeststellung.
b) Es müsste ein unmittelbarer Eingriff in ein nichtvermögenswertes Rechtsgut erfolgt sein. Nichtvermögenswertes Rechtsgut des M ist dessen nach Art. 2 II GG geschützte körperliche Unversehrtheit. Sie wurde als Folge des Handelns der P beeinträchtigt. Zwar haben P den M nicht absichtlich oder gezielt verletzt. Festhalten, zu-Boden-Drücken und Fixieren des M hatten aber unmittelbar die Verletzung zur Folge. Ein unmittelbarer Eingriff in die körperliche Unversehrtheit des M durch P ist deshalb zu bejahen.
c) Ein Verschulden ist für einen Aufopferungsanspruch nicht erforderlich. Umstritten ist, ob die Rechtmäßigkeit oder Rechtswidrigkeit des staatlichen Handelns eine Bedeutung hat (vgl. Ossenbühl/Cornils, StHR S. 135/6). Wer wie Ossenbühl/Cornils einen Aufopferungsanspruch - parallel zum enteignenden Eingriff - nur bei rechtmäßigem Handeln annimmt, muss - parallel zum enteignungsgleichen Eingriff - auch einen aufopferungsgleichen Eingriff anerkennen. Diese Unterscheidung wird aber in der Rechtsprechung nicht gemacht, sie erscheint auch nicht nötig. Dementsprechend wird die Frage der Rechtmäßigkeit oder Rechtswidrigkeit beim Aufopferungsanspruch in der BGH-Rechtsprechung nicht angesprochen, auch nicht im vorliegenden Fall. Dem wird hier gefolgt.
d) Entscheidende Voraussetzung ist das Sonderopfer (ausführlich hierzu Ossenbühl/Cornils S. 141 ff.).
aa) Die dem Betroffenen auferlegte Belastung muss eine gewisse Schwere aufweisen und ihn im Verhältnis zu anderen ungleich behandeln (ebenso wie beim enteignenden Eingriff, vgl. BGH NJW 2017, 1322 [25], „Zeitungszeugen“). Kein Sonderopfer sind Nachteile, die Folge des allgemeinen Lebensrisikos sind.
bb) Die Verletzung des M und ihre Folgen waren schwer. Daraus ergab sich eine Ungleichbehandlung. M war unschuldig und hatte sich auch nur wenig verdächtig gemacht. Dass eine solche Person von der Polizei so an der Schulter verletzt wird, dass eine Krankenhaus- und ärztliche und physiotherapeutische Behandlung erforderlich wird und dabei erhebliche Schmerzen erduldet werden müssen, ist ein so besonderer Fall, dass darin ein besonderes, anderen nicht auferlegtes Opfer zu sehen ist. In solch einen Vorgang verwickelt zu werden und dabei eine erhebliche Verletzung zu erleiden, übersteigt auch offensichtlich das allgemeine Lebensrisiko.
M wurde folglich ein Sonderopfer auferlegt.
e) Nach der üblichen Formulierung der Voraussetzungen für den Aufopferungsanspruch (oben V 1 a und c) muss das Sonderopfer zum Wohl der Allgemeinheit erbracht werden. Welche Bedeutung dieses Merkmal der Gemeinwohlorientierung hat, ist nicht geklärt (vgl. Ossenbühl/Cornis S. 140/1). Im vorliegenden Fall haben die Vorinstanzen einen Anspruch bejaht, was vom BGH unter [5] ohne weiteres gebilligt wurde, ohne dass dabei die Frage der Gemeinwohlorientierung angesprochen wurde. Es bietet sich folgende Differenzierung an:
aa) Der konkret erlittene Nachteil braucht nicht dem Allgemeinwohl zu dienen. Andernfalls könnte im vorliegenden Fall - und in einer Reihe anderer ähnlich liegender Fälle - ein Aufopferungsanspruch nicht bejaht werden, denn die Schulterverletzung des M diente offensichtlich nicht dem Wohl der Allgemeinheit.
bb) Am Gemeinwohl orientiert muss das die Verletzung auslösende hoheitliche Handeln gewesen sein. Das Einschreiten der P diente der Strafverfolgung, einem am Allgemeinwohl ausgerichteten staatlichen Handeln. Somit bestand eine ausreichende Gemeinwohlorientierung. Die Voraussetzungen für einen Aufopferungsanspruch dem Grunde nach liegen vor.
VI. Zur Rechtsfolge BGH [17]: Der Anspruch aus Aufopferung geht auf Leistung eines angemessenen beziehungsweise billigen Ausgleichs für das dem Betroffenen hoheitlich auferlegte Sonderopfer (vgl. nur BGHZ 7, 331, 334; 22, 43, 48; 28, 297, 301 und 45, 58, 77). Der Anspruch auf Entschädigung kann… zwar im Einzelfall darin bestehen, dem Geschädigten vollen Schadensersatz zuzubilligen, aber die Kriterien der Angemessenheit und Billigkeit können auch Einschränkungen rechtfertigen. Insoweit ist der Aufopferungsanspruch - anders als grundsätzlich der Anspruch auf Schadensersatz - nicht seiner Natur nach auf restlosen Ersatz gerichtet.
1. Der von M verlangte Verdienstausfall betrifft einen materiellen Schaden.
a) Insoweit ist kein Argument ersichtlich, das dagegen spricht, den Ersatz des Verdienstausfalls grundsätzlich als angemessene und billige Entschädigung anzuerkennen.
b) Allerdings könnte sich der Anspruch wegen eines Mitverschuldens des M mindern. Auf den Aufopferungsanspruch ist § 254 BGB analog anwendbar (Ossenbühl/Cornils S. 137). M ist den Geboten der P, die Hände hoch zu nehmen und seine Personalien feststellen zu lassen, nicht nachgekommen, hat sich stattdessen zur Wehr gesetzt und versucht, sich loszureißen. Darin kann ein gewisses Mitverschulden des M zu sehen sein. Wesentlicher Umstand für die Verletzung war aber die Anwendung körperlicher Gewalt durch die Polizei. Für M, der sich nichts hatte zuschulden kommen lassen, war das Vorgehen der Polizei gegen ihn völlig unerwartet und aus seiner Sicht unberechtigt, so dass es in etwa verständlich war, dass er darauf abwehrend reagiert hat. Im Normalfall hätte diese Abwehrreaktion keine gravierenden Folgen gehabt. Diese sind erst infolge des unglücklichen Verlaufs der Aktion eingetreten. Unter diesen Umständen wäre es nicht gerechtfertigt, das abwehrende Verhalten des M als eine im Vergleich zu den Maßnahmen der P wesentliche Ursache für die schwere Schulterverletzung zu werten. Eine Kürzung des Anspruchs analog § 254 I BGB ist somit nicht geboten.
2. Weiterhin verlangt M ein Schmerzensgeld.
a) Nach § 253 II BGB kann, wenn wegen einer Verletzung des Körpers, der Gesundheit, der Freiheit oder der sexuellen Selbstbestimmung Schadensersatz zu leisten ist, auch wegen des Schadens, der nicht Vermögensschaden ist, eine billige Entschädigung in Geld (Schmerzensgeld) gefordert werden. Grundsätzlich ist es möglich, auf den Aufopferungsanspruch - ebenso wie auf den in § 839 BGB geregelten Anspruch wegen Amtspflichtverletzung - Vorschriften des BGB anzuwenden. Unmittelbar ist § 253 BGB aber nicht anwendbar, weil der Aufopferungsanspruch nicht auf Schadensersatz gerichtet ist. BGH [19] lehnt es auch ab, die Vorschrift analog anzuwenden. Es fehlt an einer Gesetzeslücke, weil die Frage, ob beim Aufopferungsanspruch Schmerzensgeld verlangt werden kann, durch Auslegung der Begriffe „angemessene und billige Entschädigung“ entschieden werden kann.
b) In BGHZ 20, 61, 68 ff. (aus dem Jahre 1956) hatte der BGH einen Schmerzensgeldanspruch mit der Begründung verneint, seinerzeit sei ein Anspruch auf Schmerzensgeld eine seltene Ausnahme gewesen und habe deshalb keine Ausdehnung auf die Aufopferung erlaubt (vgl. BGH [7, 8]); daraus hatte sich eine gefestigte Rspr. entwickelt.
c) Im vorliegenden Fall hat der BGH diese Auffassung aufgegeben und anerkannt, dass der Aufopferungsanspruch auch einen Anspruch auf Schmerzensgeld umfassen kann. BGH [9-19]: Die im Urteil von 1956 dargestellte Gesetzeslage hat sich zwischenzeitlich grundlegend geändert. Von einem Willen des Gesetzgebers, die Ersatzpflicht im Schadensersatz- und Entschädigungsrecht bei Eingriffen in immaterielle Rechtsgüter wie Leben, Freiheit oder körperliche Unversehrtheit grundsätzlich auf Vermögensschäden zu beschränken, kann nicht mehr ausgegangen werden.
aa) Wesentliches Argument ist, dass im Jahre 2002 dem § 253 BGB ein Absatz 2 angefügt wurde, wonach dann, wenn wegen einer Verletzung des Körpers, der Gesundheit, der Freiheit oder der sexuellen Selbstbestimmung Schadensersatz zu leisten ist, auch wegen des Schadens, der Nichtvermögensschaden ist, eine billige Entschädigung in Geld gefordert werden kann. Hiermit wurde… ein allgemeiner Anspruch auf Schmerzensgeld eingeführt, der über die bereits erfasste außervertragliche Verschuldenshaftung hinaus auch die Gefährdungshaftung und die Vertragshaftung mit einbezieht…
bb) Auch im Bereich der vom BGH in seinem Urteil von 1956 zitierten spezialgesetzlichen Regelungen haben sich Änderungen ergeben. So enthält nunmehr § 7 Abs. 1 des Gesetzes über die Entschädigung für Strafverfolgungsmaßnahmen (StrEG) eine Regelung, wonach im Falle der Freiheitsentziehung aufgrund gerichtlicher Entscheidung auch der Schaden zu ersetzen ist, der Nichtvermögensschaden ist. Die Polizei- und Ordnungsgesetze der Länder…enthalten inzwischen vielfach Regelungen zum Ersatz auch des immateriellen Schadens bei der Verletzung des Körpers oder der Gesundheit oder bei einer Freiheitsentziehung… Ergänzend ist auch auf die Regelung in § 198 GVG (zu deren Einordnung als staatshaftungsrechtlicher Anspruch sui generis, als Aufopferungsanspruch oder als prozessuale Risikohaftung siehe Reiter NJW 2015, 2555 ff) hinzuweisen, die im Rahmen der angemessenen Entschädigung für überlange Verfahrensdauer auch Ersatz für immaterielle Nachteile kennt.
d) Da M erhebliche Verletzungen und insbesondere Schmerzen erlitten hat, ist ihm ein Anspruch auf Schmerzensgeld zuzubilligen. Um dessen Höhe zu bestimmen, sind die Angaben im Sachverhalt nicht ausreichend. Der BGH hat den Fall zur Entscheidung über die Höhe des Anspruchs an das OLG zurückverwiesen.
Ergebnis: M kann vom Land L, für das die Polizeibeamten gehandelt haben, Ersatz des Verdienstausfalls und ein Schmerzensgeld verlangen.
Zusammenfassung