Bearbeiter: Prof. Dieter Schmalz

Kommunale Selbstverwaltung, Art. 28 II GG. Pressefreiheit als Institutsgarantie. Gebot der Staatsferne der Presse. Anwendung des Gesetzes über den unlauteren Wettbewerb (UWG) auf ein von einer Gemeinde herausgegebenes „Stadtblatt“. Unterlassungsanspruch aus § 8 UWG; Wettbewerbsverstoß durch Rechtsbruch (§ 3 a UWG).

BGH
Urteil vom 20. 12. 2018 (I ZR 112/17) NJW 2019, 763

Fall (Crailsheimer Stadtblatt)

Die im Lande L gelegene Stadt S gibt ein wöchentlich erscheinendes „Stadtblatt“ heraus. Es besteht aus einem amtlichen Teil, der Bekanntmachungen und Informationen aus Rat und Stadtverwaltung enthält, einem mehrseitigen redaktionellen Teil und einem kleinen Anzeigenteil. Der redaktionelle Teil wird vom Presseamt der Stadt verantwortet und enthält Berichte über Aktivitäten der Bürgerschaft, über die lokale Wirtschaft und den lokalen Sport und ein Veranstaltungsprogramm. Die Berichte im redaktionellen Teil sind pressemäßig gestaltet, enthalten also Überschriften, Texte in Fettdruck und Fotos. Der Anzeigenteil enthält ausschließlich Anzeigen örtlicher Unternehmen. Ursprünglich wurde das „Stadtblatt“ entgeltlich vertrieben.

Seit längerem wendet sich die V-Verlags-GmbH, die im Gebiet der Stadt S eine kostenpflichtige Tageszeitung und ein kostenloses Anzeigenblatt herausgibt, gegen das kommunale „Stadtblatt“. Als Reaktion darauf beschloss der Rat der Stadt, dass der redaktionelle Teil zurückhaltender gestaltet und das „Stadtblatt“ an alle Haushalte kostenlos verteilt wird.

Noch bevor mit der Verteilung begonnen wurde, hat V sich ein Probeexemplar besorgt und festgestellt, dass der redaktionelle Teil zwar deutlich verkürzt ist, aber nach wie vor Berichte mit den bisherigen Inhalten und in gleicher Gestaltung enthält. Deshalb bleibt sie bei ihrer ablehnenden Haltung. Nach ihrer Auffassung ist das „Stadtblatt“ eine Gefahr für die freie Presse und für ihr Unternehmen. Auch hält sie die überwiegend mit Steuergeldern finanzierte Herausgabe einer kommunalen Zeitung für unlauteren Wettbewerb. Demgegenüber beruft sich die Stadt S darauf, dass sie dazu verpflichtet sei, ihre Bürgerschaft zu informieren, und dass sie kraft ihres Selbstverwaltungsrechts diese Informationen auch durch weitere Inhalte attraktiver gestalten dürfe. Sie verweist darauf, dass der V-Verlag die einzigen Lokalzeitungen in S herausbringt, seine Lokalredaktion aber ausgedünnt und die Lokalberichterstattung eingeschränkt habe; diese Lücke dürfe die Stadt ausfüllen.

1. Ist die Herausgabe des „Stadtblatts“ durch die Stadt S, so wie sie künftig beabsichtigt ist, rechtmäßig?

2. V beabsichtigt, gegen die künftig beabsichtigte Herausgabe des „Stadtblatts“ im Zivilrechtsweg zu klagen. Hätte eine Klage Aussicht auf Erfolg?

Lösung

Hinweise: Der Originalfall betraf die baden-württembergische Stadt Crailsheim; durch obigen Sachverhalt wird der Fall aber in das anonyme Land L verlegt. - Im Originalfall hat der Verlag auf Unterlassung geklagt, so dass das BGH-Urteil von der Frage 2 ausgeht und Frage 1 inzidenter, als Vorfrage behandelt. - Dem Abdruck des Urteils in der NJW ist auf S. 770 eine Anmerkung von Alexander angefügt. Das Urteil ist auch in DÖV 2019, 280 veröffentlicht und wird von Katz DÖV 2019, 261 (im selben Heft) ausführlich besprochen. Ein weiterer Abdruck erfolgte in JZ 2019, 361 mit Anm. Winkler auf S. 367. Besprechungen von Waldhoff JuS 2019, 733; Kohn NVwZ 2019, 1178.

Frage 1: Ist die Herausgabe des „Stadtblatts“ durch die Stadt S rechtmäßig?

I. Als Körperschaft des öffentlichen Rechts darf die Stadt S nur tätig werden, wenn sie im Rahmen ihrer Zuständigkeit handelt.

1. Eine gesetzliche Regelung über die Herausgabe eines kommunalen Stadtblatts gibt es nicht. Soweit im amtlichen Teil Rechtsakte bekannt gemacht werden wie der Erlass von Satzungen, Flächennutzungs- und Bebauungsplänen ergibt sich die Zuständigkeit aus der Zuständigkeit der Stadt für diese Verfahren. Gleiches gilt für die Bekanntgabe der Tagesordnungen und zugehöriger Vorlagen der Ratssitzungen und Ausschüsse. Für den Teil, der Amtsblatt ist, ist die Stadt somit zuständig.

2. Im Übrigen könnte sich eine Zuständigkeit aus dem Selbstverwaltungsrecht (Art. 28 II GG) ergeben. Der redaktionelle Teil verbreitet Informationen, ist also ein Informationshandeln (vgl. BVerwG NVwZ 2018, 433, Licht aus; BVerfG NJW 2011, 511, Bundeszentrale für politische Bildung). BGH [25] Äußerungs- und Informationsrechte der Gemeinden finden ihre Legitimation in der staatlichen Kompetenzordnung, namentlich der Selbstverwaltungsgarantie des Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG…(vgl. Degenhart, AfP 2018, 189, 195; Sachs/Bethge, GG, 8. Aufl., Art. 5 Rn. 80;…zum Äußerungsrecht des Oberbürgermeisters vgl. BVerwG, NVwZ 2018, 433 Rn. 16 und 18). Diese gewährleistet den Gemeinden das Recht, alle Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft im Rahmen der Gesetze in eigener Verantwortung zu regeln. Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft sind diejenigen Bedürfnisse und Interessen, die in der örtlichen Gemeinschaft wurzeln oder auf sie einen spezifischen Bezug haben, die also den Gemeindeeinwohnern gerade als solchen gemeinsam sind, indem sie das Zusammenleben und -wohnen der Menschen in der (politischen) Gemeinde betreffen (BVerfGE 79, 127, 151 f.; BVerfG NVwZ 2018, 140 Rn. 70). Sämtliche Inhalte des „Stadtblatts“ einschließlich der Anzeigen haben einen lokalen Bezug und insofern einen spezifischen Bezug zur örtlichen Gemeinschaft, auch betreffen sie das Zusammenleben der Menschen in der Gemeinde. Mit dieser Begründung lässt sich die Zuständigkeit der Stadt und darüber hinaus auch die grundsätzliche Befugnis zur Herausgabe eines kommunalen Informationsblattes mit den Inhalten des „Stadtblatts“ bejahen.

Allerdings könnte die Herausgabe des „Stadtblatts“ gegen die Pressefreiheit oder andere Vorschriften verstoßen. Dadurch wird aber noch nicht die Zuständigkeit der Stadt S in Frage gestellt. Für diese ist ausreichend, dass die Stadt ein Amtsblatt herausgeben darf und dass sämtliche Inhalte des „Stadtblatts“ einen lokalen Bezug haben. Die weiteren Fragen sind als Begrenzung der materiellen Befugnis der Stadt in Abgrenzung zum Recht der V auf Pressefreiheit unter III. zu behandeln.

II. Sämtliche Gemeindeordnungen enthalten Beschränkungen der wirtschaftlichen Betätigung der Gemeinde (Gern/Brüning, Deutsches Kommunalrecht, 4. Aufl. 2019, Rdnrn. 982 ff; z. B. § 107 GO NRW; § 102 GO Bad.-Württ.). Wirtschaftliche Betätigung ist der Betrieb eines Unternehmens als Hersteller, Anbieter oder Verteiler von Gütern oder Dienstleistungen und mit der Absicht der Gewinnerzielung (Gern/Brüning a. a. O. Rdnr. 997); auch sind eine gewisse organisatorische Verselbstständigung und ein kaufmännischer Geschäftsbetrieb erforderlich (Kleerbaum/Palmen, GO NRW, 3. Aufl. 2017, S. 1286/7). Danach ist die Herausgabe des „Stadtblatts“ und ihre kostenlose Verteilung keine wirtschaftliche Betätigung. Sie dient nicht der Erbringung einer marktmäßigen Leistung, ihr Zweck ist auf Information und nicht auf Gewinnerzielung gerichtet. Auch fehlt es, weil das Blatt vom Presseamt der Stadt verantwortet wird, an der organisatorischen Verselbstständigung und an einem kaufmännischen Geschäftsbetrieb.

III. Die Herausgabe des „Stadtblatts“ könnte gegen das Grundrecht auf Schutz der Pressefreiheit (Art. 5 I 2 GG) verstoßen.

1. Zunächst ist zu bestimmen, mit welchem Schutzgehalt Art. 5 I 2 GG geprüft wird.

a) Es könnte das Grundrecht der V auf Freiheit ihres Presseunternehmens vor Nachteilen durch die Herausgabe des „Stadtblatts“ geprüft werden. Hierfür müsste in der Herausgabe des „Stadtblatts“ ein Eingriff in das Grundrecht der V zu sehen sein. Jedoch ist zweifelhaft, ob die Herausgabe des „Stadtblatts“ eine Maßnahme mit Eingriffscharakter ist. Auch könnte gegen einen Eingriff sprechen, dass die Stadt S der V lediglich als Konkurrent gegenübertritt und dass Konkurrenz in der Marktwirtschaft hingenommen werden muss (vgl. BVerwGE 39, 326, 336 zu Art. 12 I GG), folglich auch kein Eingriff ist.

b) Ein anderer Ansatz besteht darin zu fragen, ob die Herausgabe des „Stadtblatts“ durch die Stadt S - unabhängig von einer Beeinträchtigung der V - mit dem Institut der freien Presse vereinbar ist. Dieser Ansatz wird vom BGH verfolgt (kritisch dazu Winkler JZ 2019, 367) und ist nachfolgend darzustellen.

aa) Grundrechtsbestimmungen enthalten nicht nur subjektive Rechte für Personen, sondern können auch - als objektive Rechtsnormen - bestimmte rechtliche oder soziale Einrichtungen gewährleisten (bezeichnet als Institutsgarantien oder institutionelle Garantien). Hauptfall ist der Schutz von Ehe und Familie durch Art. 6 GG.

Durch Art. 5 I 2 GG wird nicht nur dem Einzelnen das Recht gewährt, sich pressemäßig zu betätigen, sondern Art. 5 I 2 GG gewährleistet das Vorhandensein einer freien Presse als Element der freiheitlichen Demokratie. Es handelt sich um eine Institutsgarantie (so BGH Randziffern 33, 40, 51, auch 28; bei Randziffer 30: institutionelle Garantie; Katz DÖV 2019, 262: Art. 5 I 2 GG ist „Grundrecht und Institutsgarantie“).

BGH [31] Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG enthält nicht nur ein subjektives Abwehrrecht gegen staatliche Eingriffe in die Pressefreiheit, sondern garantiert als objektive Grundsatznorm die Freiheitlichkeit des Pressewesens insgesamt (vgl. BVerfGE 20, 162, 175 Rn. 37). Der Staat muss in seiner Rechtsordnung überall, wo der Geltungsbereich einer Norm die Presse berührt, dem Postulat ihrer Freiheit Rechnung tragen (vgl. BVerfGE 20, 162, 175 Rn. 38). Eine freie, nicht von der öffentlichen Gewalt gelenkte, keiner Zensur unterworfene Presse ist ein Wesenselement des freiheitlichen Staates und für die Meinungsbildung in einer Demokratie unentbehrlich. Die Presse steht als Verbindungs- und Kontrollorgan zwischen dem Volk und seiner gewählten Vertretung (vgl. BVerfGE 20, 162, 174 Rn. 36; EGMR NJW 2006, 1645, 1648 Rn. 71; BGHZ 51, 236, 247f. Rn. 33 - Stuttgarter Wochenblatt). Diese der Presse zufallende „öffentliche Aufgabe" kann von der organisierten staatlichen Gewalt, zu der auch die Kommune als mittelbare Staatsverwaltung zählt, nicht erfüllt werden (vgl. Ladeur, DÖV 2002, 1, 7). Presseunternehmen müssen sich im gesellschaftlichen Raum frei bilden können. Sie stehen miteinander in geistiger und wirtschaftlicher Konkurrenz, in die die öffentliche Gewalt grundsätzlich nicht eingreifen darf (vgl. BVerfGE 20, 162, 175 Rn. 36; Paulus/Nölscher, ZUM 2017, 177, 180). Eine ausufernde hoheitliche Öffentlichkeitsarbeit birgt Gefahren für die Neutralität der Kommunikationsprozesse; die öffentliche Hand muss sich in Art, Frequenz und Umfang in Zurückhaltung üben (BeckOK.InfoMedienR/Kühling, Stand: 1. Februar 2018, Art. 5 GG Rn. 54), zumal staatlichen Druckschriften eine erhöhte Glaubwürdigkeit und damit ein besonderes Beeinflussungspotenzial zukommt (vgl. Ricker, AfP 1981, 320, 322 und 325).

bb) Deshalb gebietet Art. 5 I 2 GG die grundsätzliche Staatsferne der Presse. BGH [18] Die Bestimmung des Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG fordert zur Sicherung der Meinungsvielfalt die Staatsferne der Presse. Dieser Grundsatz schließt es aus, dass der Staat unmittelbar oder mittelbar Presseunternehmen beherrscht, die nicht lediglich Informationspflichten öffentlicher Stellen erfüllen. Der Staat darf sich nur in engen Grenzen auf dem Gebiet der Presse betätigen (vgl. BVerfGE 20, 162, 175 Rn. 37; zur Rundfunkfreiheit BVerfGE 121, 30, 52 Rn. 95 m. w. N.). Das verfassungsrechtliche Gebot, die Presse von staatlichen Einflüssen freizuhalten, bezieht sich nicht nur auf manifeste Gefahren unmittelbarer Lenkung oder Maßregelung der im Bereich der Presse tätigen Unternehmen, sondern weitergehend auch auf die Verhinderung aller mittelbaren und subtilen Einflussnahmen des Staates (wiederum zur Rundfunkfreiheit BVerfGE 121, 30, 52 f. Rn. 96 m. w. N.).

2. Die Prüfung des Art. 5 I 2 GG als Institutsgarantie erfolgt nicht wie bei einem subjektiven Grundrecht nach Eingriff und Rechtfertigung durch Schranken, auch nicht durch Abwägung mit anderen Verfassungsgütern (BGH [32]), sondern es ist der geschützte Bereich näher abzugrenzen. Dabei kann die Pressefreiheit nicht allein aus sich selbst definiert werden, sondern es sind auch die der Gemeinde für ihre Selbstverwaltung notwendigen Informationsbefugnisse in den Blick zu nehmen. BGH [20] Umfang und Grenzen des Gebots der Staatsferne der Presse bestimmen sich bei gemeindlichen Publikationen unter Berücksichtigung der aus der Garantie der kommunalen Selbstverwaltung des Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG folgenden gemeindlichen Kompetenzen einerseits und der Garantie des Instituts der freien Presse des Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG andererseits.[23] Ausgangspunkt für die rechtliche Beurteilung einer kommunalen Publikation unter dem Blickwinkel von Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG ist die in Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG…gewährleistete Selbstverwaltungsgarantie…

a) BGH [21] Danach sind Veröffentlichungen zulässig, in denen es um Bekanntmachungen, Bekanntgabe von Vorschriften und Warnung vor Gefahren geht oder in untergeordnetem Umfang redaktionelle Pressetätigkeit betrieben wird.

b) Was einen (sonstigen) redaktionellen Teil betrifft, billigt der BGH unter [22] die „Faustformel“ des BerGer., dass Berichte aus der Verwaltung und dem Gemeinderat immer zulässig, Berichte über die lokale Wirtschaft sowie über Aktivitäten privater Personen oder Institutionen grundsätzlich unzulässig sind. [27] Zu den zulässigen Berichten gehören solche über Vorgänge, deren Kenntnis für das Verständnis der Kommunalpolitik der Gemeinde unentbehrlich ist. [38] Zu den unzulässigen Beiträgen zählen allgemeine Beiträge über ortsansässige Unternehmen, die Bewertung privater Initiativen oder die allgemeine Beratung der Leserinnen und Leser. Ebenso sind rein gesellschaftliche Ereignisse etwa aus den Bereichen Sport, Kunst und Musik in der Regel kein zulässiger Gegenstand gemeindlicher Öffentlichkeitsarbeit (vgl. Gersdorf, AfP 2016, 293, 300 f.; Müller-Franken, K&R 2018, 73, 76). Grundsätze zur Abgrenzung finden sich auch bei Katz DÖV 2019, 266-271.

c) Da das Gebot der Staatsferne der Presse dem Staat grundsätzlich die Herausgabe von Presseerzeugnissen untersagt, ist eine Publikation unzulässig, deren wesentliche Beiträge nach Inhalt und Aufmachung pressemäßig sind. BGH [36] Dazu gehört, dass sich gemeindliche Publikationen keiner (boulevard)pressemäßigen Illustration bedienen und das Layout nicht nach Art einer Tages- oder Wochenzeitung gestalten dürfen, schon um den Eindruck eines freien, von einem privaten Unternehmen stammenden Presseerzeugnisses zu vermeiden. Staatliche Publikationen müssen eindeutig als solche erkennbar sein; andernfalls wird die Unabhängigkeit der Informationsfunktion der Presse gefährdet (vgl. Maunz/Dürig/Grabenwarter Art. 5 Abs. 1 Rn. 376). [41] Bei der Beurteilung des Gesamtcharakters des Presseerzeugnisses sind auch die optische Gestaltung der Publikation, redaktionelle Elemente der meinungsbildenden Presse, wie Glossen, Kommentare oder Interviews und die Frequenz des Vertriebs zu berücksichtigen. Allein die Verwendung pressemäßiger Darstellungselemente und eine regelmäßige Erscheinungsweise führen zwar nicht automatisch zu einer Verletzung des Gebots der Staatsferne der Presse. Die Grenze wird aber überschritten, wenn das Druckwerk nicht mehr als staatliche Publikation erkennbar ist. Eine Anzeigenschaltung ist ebenfalls in die Gesamtwürdigung einzubeziehen. Sie ist nicht generell unzulässig, sondern kann zulässiger, fiskalisch motivierter Randnutzen sein (…). Erfolgt die Verteilung kostenlos, erhöht sich die Gefahr einer Substitution privater Presse; auch das ist zu berücksichtigen.

3. Danach sind der redaktionelle Teil und der Anzeigenteil des „Stadtblatts“ zu beurteilen.

a) Der redaktionelle Teil hat mehrere Seiten, ist also umfangreich und nicht nur untergeordnet (vgl. oben 2 a). Er enthält Berichte über Aktivitäten der Bürgerschaft, über die lokale Wirtschaft und den lokalen Sport, sowie ein Veranstaltungsprogramm. Das sind Beiträge, die inhaltlich pressemäßig und nicht zulässig sind (oben 2 b). Was die Aufmachung betrifft, sind die Berichte im redaktionellen Teil pressemäßig gestaltet, enthalten Überschriften, Texte in Fettdruck und Fotos, was ebenfalls für die Unzulässigkeit spricht (oben 2 c). Hinzukommt der Anzeigenteil, der, auch wenn er klein ist, den pressegleichen Eindruck verstärkt. Der kostenlose, mit Steuergeld finanzierte Vertrieb ist ein weiteres Element für die Unvereinbarkeit mit dem Prinzip der Staatsferne der Presse. Dass sich die Berichte auf lokale Ereignisse beschränken, ändert daran nichts; es handelt sich insoweit um eine lokale Pressetätigkeit.

Im Originalurteil geht der BGH noch auf einzelne Beiträge ein und zeigt deren pressemäßige Gestaltung auf, so unter [47] zu einem Bericht über die Bürgerinitiative „Bürgerrad“: Bereits das Layout des Artikels ist offensichtlich pressemäßig. Das zeigt sich in der Überschrift nebst Unterüberschrift, dem einleitenden ersten Absatz in Fettdruck, dem beigefügten Foto sowie dem Verweis auf weitere Informationen auf Seite 4 am Ende des Artikels. Die Feststellung des BerGer., es werde über eine private Bürgerinitiative berichtet, ist nicht zu beanstanden. Auch wenn die Gemeinde die Arbeit des ehrenamtlichen Arbeitskreises begleitet, handelt es sich nicht um eine Aktivität der Kommunalverwaltung oder des Gemeinderats. Gleiches trifft auf einen Bericht über die „Ausbildung Handwerk“ zu [48] und auf einen Titel „Störche wurden beringt“ [49]. Solche Beiträge gehören nicht mehr zur Öffentlichkeitsarbeit der Gemeinde, sondern sind der lokalen Presse vorbehalten. Es besteht auch die Gefahr, dass die Bürger nicht mehr unterscheiden, welche Informationen vom Staat und welche aus privat zu verantwortenden Presseerzeugnissen stammen.

b) Zwar stimmt der BGH unter [22] der Auffassung des BerGer. zu, dass eine Ausnahme anzuerkennen sei bei einem Informationsungleichgewicht, das von den übrigen gesellschaftlichen Kräften nicht ausgeglichen werden kann. Auf diese Ausnahme zielt der Vortrag der S, wonach der V-Verlag, der die einzigen Lokalzeitungen in S herausbringt, seine lokale Redaktion ausgedünnt und die Lokalberichterstattung eingeschränkt habe. Dieser Vortrag reicht aber für die Annahme eines solchen Informationsdefizits, das ein Eingreifen der Kommune rechtfertigt, nicht aus.

4. Somit verstößt die Herausgabe des „Stadtblatts“ in der derzeitigen Form gegen Art. 5 I 2 GG und ist rechtswidrig. (Die dargestellten Grundsätze haben nicht nur im Printbereich, sondern auch bei Internetauftritten der öffentlichen Hand Bedeutung. So weist Katz DÖV 2019, 261 darauf hin, dass der Verlag der RuhrNachrichten gegen die Website dortmund.de klagt. Vgl. ferner Kohn NVwZ 2019, 1181; Heusch/Dickten NVwZ 2019, 1242.)

IV. Eine Verletzung des Grundrechts auf Berufsfreiheit (Art. 12 I GG) liegt nicht vor. Die verlegerische Tätigkeit der V wird lediglich dadurch beeinträchtigt, dass die Stadt S eine konkurrierende Zeitung vertreibt. Art. 12 I GG schützt aber nicht vor Konkurrenz, auch nicht vor Konkurrenz durch die öffentliche Hand (BVerwGE 39, 326, 336), so dass kein Eingriff in das Grundrecht vorliegt. Nach der abweichenden Auffassung von Ehlers DVBl 2019, 399 liegt zwar ein Eingriff vor, wenn „die Möglichkeit des privaten Konkurrenten, sich als verantwortlicher Unternehmer wirtschaftlich zu betätigen, in einem erheblichen Maße eingeschränkt wird“. V macht aber lediglich geltend, das „Stadtblatt“ sei eine Gefahr für ihr Unternehmen, was für die Annahme einer erheblichen Einschränkung nicht ausreicht.

V. V beruft sich weiterhin darauf, die Herausgabe einer kommunalen Zeitung sei unlauterer Wettbewerb. Daraus kann sich aber kein weiterer Grund für die Rechtswidrigkeit der Herausgabe der Zeitung ergeben. Denn für sich betrachtet ist das „Stadtblatt“ nicht unlauter. Zur Unlauterkeit kann nur führen, dass die Herausgabe durch die Stadt rechtswidrig und deshalb unzulässig ist. Folglich kann die Unlauterkeit nur eine Folge der Rechtswidrigkeit und nicht deren Grund sein. Vorschriften aus dem Recht des unlauteren Wettbewerbs können einen Anspruch der V begründen und sind deshalb nachfolgend bei Frage 2 zu behandeln.

Frage 2: Hat eine Klage der V auf Unterlassung einer weiteren Herausgabe des „Stadtblatts“ im Zivilrechtsweg Aussicht auf Erfolg?

I. Dann müsste die Klage zulässig sein. Insoweit ist nur fraglich, ob der Zivilrechtsweg nach § 13 GVG zulässig ist. Die danach erforderliche bürgerliche Rechtsstreitigkeit liegt vor, wenn eine privatrechtliche Anspruchsgrundlage in Betracht kommt.

1. Nach § 8 I des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG) besteht ein Anspruch auf Beseitigung oder Unterlassung, wenn eine nach § 3 oder § 7 unzulässige geschäftliche Handlung vorgenommen wird oder wenn eine Zuwiderhandlung gegen § 3 oder § 7 droht. Bei dieser Vorschrift handelt es sich um eine privatrechtliche Anspruchsgrundlage.

2. Sie kommt aber nur in Betracht, wenn eine geschäftliche Handlung vorgenommen wird. Im vorliegenden Fall müsste die Herausgabe des „Stadtblatts“ eine geschäftliche Handlung sein. Wäre sie dagegen eine nur dem öffentlichen Recht, also dem Kommunalrecht oder dem Wirtschaftsverwaltungsrecht unterliegende Handlung, müsste auf dieses Recht und nicht auf das privatrechtliche Wettbewerbsrecht abgestellt werden.

Aufgrund der Überlegungen zu Frage 1 unter II., mit denen eine wirtschaftliche Betätigung abgelehnt wurde, könnte auch eine geschäftliche Handlung verneint und das damit begründet werden, dass die Stadt S mit der Motivation handelt, die Bürgerschaft zu informieren, und nicht um Gewinne zu erzielen. Wird dagegen darauf abgestellt, dass die Stadt S mit dem „Stadtblatt“ der V Konkurrenz macht, lässt sich eine geschäftliche Handlung bejahen. Die Gerichte im vorliegenden Fall haben eine geschäftliche Handlung bejaht, was von BGH [54-56] wie folgt begründet wird.

a) Nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 UWG ist eine geschäftliche Handlung jedes Verhalten einer Person zugunsten des eigenen oder eines fremden Unternehmens, das mit der Förderung des Absatzes oder des Bezugs von Waren oder Dienstleistungen oder mit dem Abschluss oder der Durchführung eines Vertrages über Waren oder Dienstleistungen objektiv zusammenhängt.

Für die Frage, ob die öffentliche Hand eine geschäftliche Handlung vornimmt, muss zwischen rein erwerbswirtschaftlichen und hoheitlichen Tätigkeiten unterschieden werden. Die erwerbswirtschaftliche Betätigung der öffentlichen Hand ist auch dann als geschäftliche Handlung anzusehen, wenn öffentliche Zwecke mitverfolgt werden (vgl. BGH GRUR 2018, 196 Rn. 23 - Eigenbetrieb Friedhöfe, m. w. N.). Dagegen ist bei einer Tätigkeit zur Erfüllung öffentlicher Aufgaben weiter danach zu unterscheiden, ob die öffentliche Hand aufgrund gesetzlicher Ermächtigung hoheitlich tätig wird. Ist dies der Fall, ist ihre Betätigung einer Überprüfung anhand des Wettbewerbsrechts entzogen, solange sich das Handeln innerhalb der Ermächtigungsgrundlage bewegt, die insoweit den Handlungsspielraum vorgibt (vgl. BGH, GRUR 2018, 196 Rn. 23 - Eigenbetrieb Friedhöfe; Köhler in: Köhler/Bornkamm/Feddersen, UWG, 36. Aufl., § 3 a Rn. 2.21; MünchKomm.UWG/Bähr, 2. Aufl., § 2 Rn. 56). Handelt die öffentliche Hand zwar zur Erfüllung einer öffentlichen Aufgabe, wird sie aber ohne ausdrückliche gesetzliche Ermächtigung tätig, ist eine geschäftliche Handlung nicht ausgeschlossen. Eine geschäftliche Handlung ist allerdings auch in diesen Fällen nicht ohne weiteres zu vermuten, sondern anhand einer umfassenden Würdigung der relevanten Umstände des Einzelfalls besonders festzustellen (vgl. BGH, GRUR 2013, 301 Rn. 20 f. - Solarinitiative; BGH, GRUR 2018, 196 Rn. 23 - Eigenbetrieb Friedhöfe).

Ausgehend von diesen Maßstäben stellt sich die Herausgabe des „Stadtblatts" als eine geschäftliche Handlung der S dar. S nimmt mit dem „Stadtblatt" zwar auch gesetzliche Unterrichtungspflichten wahr und erfüllt insoweit eine öffentliche Aufgabe. Nach den Ausführungen [zu Frage 1 unter III.] verstößt sie dabei aber gegen das Gebot der Staatsferne der Presse und bewegt sich damit deutlich außerhalb des ihr zugewiesenen Aufgabenbereichs. Verlässt die Stadt mit der Herausgabe eines Amtsblatts in erweiterter Form den öffentlich-rechtlichen Bereich, muss sie sich an den insoweit geltenden Regeln des Wettbewerbsrechts messen lassen.


Somit sind die Vorschriften des UWG anwendbar. Es handelt sich um eine privatrechtliche Streitigkeit, für die der Zivilrechtsweg eröffnet ist.

II. Die Klage ist begründet, wenn V einen Unterlassungsanspruch aus § 8 I UWG hat. § 8 I Satz 1 UWG behandelt den Fall einer bereits erfolgten Zuwiderhandlung mit Wiederholungsgefahr und Satz 2 den einer Erstbegehungsgefahr. Eine auf Satz 1 gestützte Klage wird als Verletzungsunterlassungsklage bezeichnet, eine auf Satz 2 gestützte als vorbeugende Unterlassungsklage (BGH [12]). Da das „Stadtblatt“ teilweise neu gestaltet wurde und kostenlos verteilt werden soll, ist Satz 2 anzuwenden (BGH [13]). Es sind die Voraussetzungen für eine vorbeugende Unterlassungsklage zu prüfen.

1. Dass die beabsichtigte Verteilung der Zeitung eine geschäftliche Handlung ist, wurde bereits oben I 2 festgestellt.

2. Die Handlung könnte nach § 3 I UWG unzulässig sein, weil sie unlauter ist. Nach der mit „Rechtsbruch“ überschriebenen Vorschrift des § 3 a UWG handelt unlauter, wer einer gesetzlichen Vorschrift zuwiderhandelt, die auch dazu bestimmt ist, im Interesse der Marktteilnehmer das Marktverhalten zu regeln („Marktverhaltensregelung“), und der Verstoß geeignet ist, die Interessen von Verbrauchern, sonstigen Marktteilnehmern oder Mitbewerbern spürbar zu beeinträchtigen.

a) S handelt dem aus Art. 5 I 2 GG entnommenen Gebot zur Staatsferne der Presse zuwider (oben Frage 1).

b) Dabei müsste es sich um eine Marktverhaltensregelung handeln.

BGH [19] Das für den Staat bestehende, aus der Garantie des Instituts der freien Presse des Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG abgeleitete Gebot, sich nur in engen Grenzen auf dem Gebiet der Presse zu betätigen, regelt die Frage, wie sich Hoheitsträger und von Hoheitsträgern beherrschte Unternehmen im Falle ihrer Teilnahme am Wettbewerbsgeschehen auf dem Gebiet der Presse zu verhalten haben (vgl. BGH GRUR 2012, 728 Rn. 9 und 11 - Einkauf Aktuell). Dieses Gebot ist im Sinne des § 3 a UWG zumindest auch dazu bestimmt, im Interesse der Marktteilnehmer das Marktverhalten zu regeln (vgl. BGH, GRUR 2012, 728 Rn. 11 - Einkauf Aktuell; BGHZ 205, 195 Rn. 59 - Tagesschau-App; Kahl/Waldhoff/Walter/Degenhart, Bonner Kommentar zum Grundgesetz, Stand: Juli 2017, Art. 5 Abs. 1 und 2 Rn. 256; aA LG Dortmund, BeckRS 2018, 15932; Ohly in Ohly/Sosnitza, UWG, 7. Aufl., § 3 a Rn. 20). Das Gebot der Staatsferne der Presse setzt der am Markt tätigen öffentlichen Hand zugunsten der anderen Marktteilnehmer - insbesondere der institutionell geschützten Presse, aber auch im Interesse der Bürgerinnen und Bürger an einer unabhängigen Information und Meinungsbildung - enge Grenzen. Auch Katz DÖV 2019, 263/4 bejaht, dass Beiträge, die über amtliche Informationen hinausgehen, Verstöße gegen Marktverhaltensregelungen i. S. der §§ 3, 3 a UWG sind. Demgegenüber sieht Alexander NJW 2019, 770 im Gebot der Staatsferne keine Regel für das Verhalten im Markt, sondern eine Beschränkung des Marktzutritts, die kein Rechtsbruch i. S. des § 3 a UWG sei; ablehnend auch Winkler JZ 2019, 367.

Wird der Auffassung des BGH (und von Katz a. a. O.) gefolgt, ist auch die nach § 3 a UWG erforderliche Eignung zur spürbaren Beeinträchtigung der Interessen der institutionell geschützten Presse zu bejahen (BGH [51]).

3. § 8 III UWG regelt, wem die Ansprüche aus § 8 I UWG zustehen, nach Nr. 1 jedem Mitbewerber. BGH [58, 59] Die Eigenschaft als Mitbewerber gemäß § 8 Abs. 3 Nr. 1 UWG erfordert ein konkretes Wettbewerbsverhältnis im Sinne des § 2 Abs. 1 Nr. 3 UWG.… Mit dem kostenlosen „Stadtblatt“, das neben dem amtlichen auch einen redaktionellen sowie einen Anzeigenteil enthält, stellt sich die Stadt S in Wettbewerb zu V, die im Stadtgebiet eine Tageszeitung und ein kostenloses Anzeigenblatt herausgibt. Soweit die Parteien kostenlose Blätter mit Anzeigen herausgeben, versuchen sie gleichartige Waren innerhalb desselben Endverbraucherkreises abzusetzen. Aber auch soweit V eine kostenpflichtige Tageszeitung herausgibt, besteht der für die Annahme eines konkreten Wettbewerbsverhältnisses erforderliche wettbewerbliche Bezug zu dem von S herausgegebenen kostenlosen „Stadtblatt“, weil dieses ebenso wie die Tageszeitung der V über einen Anzeigenteil verfügt und beide Parteien um Anzeigenkunden werben. V ist somit Mitbewerber und kann Inhaber eines Anspruchs nach § 8 I UWG sein.

4. Im Falle eines auf § 8 I 2 UWG gestützten Anspruchs muss eine Zuwiderhandlung drohen. BGH [61, 62] Ein auf Erstbegehungsgefahr gestützter vorbeugender Unterlassungsanspruch ist gegeben, wenn ernsthafte und greifbare tatsächliche Anhaltspunkte für eine in naher Zukunft konkret drohende Rechtsverletzung bestehen… Der Ratsbeschuss und das Probeexemplar lassen befürchten, das „Stadtblatt" werde in einer Gestaltung, wie sie als Anlage zur Klageschrift beigefügt ist, namentlich mit einer entsprechenden inhaltlichen Berichterstattung zu Ereignissen innerhalb und außerhalb der Gemeinde, künftig kostenlos vertrieben.

5. Somit liegen die Voraussetzungen für einen Unterlassungsanspruch nach § 8 I 2 UWG vor. BerGer. und BGH haben das Unterlassungsgebot nicht auf einzelne Teile des Blattes beschränkt, sondern haben das „Stadtblatt“ als Einheit behandelt. BGH [53]: Die Stadt ist…für die gesamte Ausgabe verantwortlich. Eine Klage der V im Zivilrechtsweg hat somit Aussicht auf Erfolg. Im Originalfall lautete der Tenor des Urteils (BGH [10]): Der beklagten Stadt wird untersagt, das „Stadtblatt“ wöchentlich gratis an alle Haushalte in der Großen Kreisstadt Crailsheim zu verteilen/verteilen zu lassen, wenn das „Stadtblatt" wie in der beigefügten Anlage gestaltet ist.

Kritisch nicht nur zur Begründung des BGH, sondern auch zum Ergebnis Winkler JZ 2019, 367: „Sollten infolge des Urteils zahlreiche Gemeinden, zumal solche mit geringer Einwohnerzahl im ländlichen Raum, von der redaktionellen Anreicherung ihrer Amtsblätter Abstand nehmen, hätte das eine verheerende Signalwirkung.“


Zusammenfassung