Bearbeiter: RA Prof. Dieter Schmalz

BVerfG und effektiver Rechtsschutz

Rechtsschutz gegenüber dem Staat zu gewähren, ist Aufgabe der Verwaltungsgerichte (allgemeine VGe, Sozial- und Finanzgerichte). Diese neigen aber nicht selten dazu, den Rechtsschutz einzuschränken oder die dabei bestehenden Befugnisse und Verpflichtungen nicht genügend auszuschöpfen. Dann haben die Betroffenen die Möglichkeit, das BVerfG durch eine auf Art. 19 IV GG (Pflicht zur Rechtsschutzgewährung gegenüber Maßnahmen der öffentlichen Gewalt) gestützte Verfassungsbeschwerde anzurufen, und machen davon auch Gebrauch. Das BVerfG nutzt diese Gelegenheiten dazu, die Fachgerichte zur strikten Beachtung ihrer Pflicht zur Rechtsschutzgewährung anzuhalten und Entscheidungen, die dieser Pflicht nicht entsprechen, zu korrigieren.

Grundrecht auf effektiven Rechtsschutz, Art. 19 IV GG. Klagebefugnis Dritter bei Beschränkung der Berufsfreiheit, § 42 II VwGO, Art. 12 I GG. Defensive Konkurrentenklage in der Krankenhausplanung

BVerfG (Kammer-) Beschluss vom 14. 1. 2004 (1 BvR 506/03) DVBl 2004, 431 mit Anm. Vollmöller = NVwZ 2004, 718; vgl. auch den Bericht in DVBl 2004, 1349

Fall (Krankenhausversorgung auf dem Gebiet der Hämatologie)

Bei Krankenhäusern ist die Aufnahme in den Krankenhausplan Voraussetzung dafür, dass sie öffentliche Förderung erhalten (§ 8 I 1 KHG) und zur stationären Behandlung von Versicherten in der gesetzlichen Krankenversicherung berechtigt sind (§ 108 Nr. 2 SGB V). Im Raum R bestand ein zusätzlicher Bedarf an 20 Planbetten auf dem Gebiet der Inneren Medizin / Hämatologie (Blutkrankheiten). Die B-GmbH, die ein gemeinnütziges Krankenhaus betreibt und alle Voraussetzungen für die Aufnahme in den Krankenhausplan erfüllt, beantragte am 1. 9. bei der zuständigen Bezirksregierung (BezReg) die Aufnahme in den Plan. Die BezReg nahm jedoch die Städtischen Kliniken R durch Bescheid vom 2. 10. in den Plan auf, obwohl diese die Voraussetzungen noch nicht erfüllten und lediglich bereit waren, eine hämatologische Abteilung zukünftig einzurichten. Nach erfolglosem Widerspruch erhob die B-GmbH verwaltungsgerichtliche Klage und beantragte, (1.) den Bescheid vom 2. 10. aufzuheben und (2.) ihre eigene Aufnahme gemäß ihrem Antrag vom 1. 9. zu verfügen. Das OVG wies die Klage bezüglich des Antrags (1.) als unzulässig ab, weil B durch den Bescheid vom 2. 10. nicht in ihren Rechten verletzt werde. Ein Rechtsmittel ist dagegen nicht mehr zulässig. B hat gegen das Urteil des OVG VfB erhoben. Wie ist über die – zulässige – VfB zu entscheiden ?

Die VfB ist begründet, wenn die Beschwerdeführerin B in einem Grundrecht verletzt ist. Verletzt sein kann Art. 19 IV GG (i. V. mit Art. 19 III GG).

I. Eine Verletzung des Art. 19 IV könnte mit der Begründung verneint werden, dieses Grundrecht garantiere seinem Wortlaut nach nur den Rechtsweg, der der B zur Verfügung stand, und keinen bestimmten Erfolg. Dazu jedoch BVerfG S. 432 unter a): Die Verfahrensgewährleistung des Art. 19 Abs. 4 GG beschränkt sich nicht auf die Einräumung der Möglichkeit, die Gerichte gegen Akte der öffentlichen Gewalt anzurufen, sie gibt dem Bürger darüber hinaus einen Anspruch auf eine möglichst wirksame gerichtliche Kontrolle (BVerfGE 40, 272, 275; st. Rspr.). Das Gebot effektiven Rechtsschutzes verlangt daher nicht nur, dass jeder Akt der Exekutive in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht der richterlichen Prüfung unterstellt ist, sondern die Gerichte müssen den betroffenen Grundrechten auch tatsächliche Wirksamkeit verschaffen.

II. Voraussetzung für Art. 19 IV ist, dass B geltend macht, in einem Recht (Grundrecht oder einfachem subjektivem Recht) verletzt zu sein.

1. Als Recht kommt Art. 12 I (i. V. mit Art. 19 III) GG in Betracht. BVerfG S. 432 unter (aa): Die Aufnahme eines konkurrierenden Bewerbers in den Krankenhausplan schränkt die beruflichen Betätigungsmöglichkeiten für das nicht aufgenommene Krankenhaus ein. Zwar berührt die Nichtaufnahme in den Krankenhausplan nicht das Recht, ein Krankenhaus – oder, wie hier, eine bestimmte Krankenhausabteilung – zu führen. Soweit aber ein Krankenhaus nicht in den Krankenhausplan aufgenommen wird, ist es einem erheblichen Konkurrenznachteil ausgesetzt, der in seinen wirtschaftlichen Auswirkungen einer Berufszulassungsbeschränkung nahe kommt (vgl. BVerfGE 82, 209, 224, 229). Somit berührt die Verfügung vom 2. 10. das Recht der B aus Art. 12 I.

2. B müsste geltend machen, in diesem Recht durch die Verfügung vom 2. 10. verletzt zu sein. Diese Prüfung ist im vorliegenden Fall identisch mit der Prüfung der Klagebefugnis nach § 42 II VwGO, die vom OVG vorzunehmen war und von ihm negativ beurteilt wurde. Dabei hatte sich das OVG auf den Standpunkt gestellt, durch den Bescheid vom 2. 10. werde B nicht in ihren Rechten verletzt, weshalb die von B erhobene defensive Konkurrentenklage nicht zulässig sei. Für den Rechtsschutz der B genüge eine isolierte Verpflichtungsklage, also die Entscheidung allein über den Antrag (2.). Dem folgt das BVerfG nicht und begründet das auf S. 432 unter (bb) wie folgt:

(1) Die Abwägungssituation wird durch die Zulassung der Konkurrentin verändert. Die Darstellung der Gründe für eine eigene Aufnahme in den Krankenhausplan kommt in aller Regel zu spät, wenn die Argumente nicht im Zusammenhang mit der Aufnahmeentscheidung zugunsten des Konkurrenten vorgebracht werden können. Das aufgenommene Krankenhaus wird dann bereits vollendete Tatsachen geschaffen haben, die eine Rückgängigmachung der Entscheidung praktisch unmöglich machen. Dies widerspricht der Rspr. des BVerfG, wonach irreparable Entscheidungen soweit wie möglich auszuschließen sind (BVerfGE 35, 263, 274). Auch könnten, wenn erst das andere Krankenhaus und danach statt dessen B aufgenommen würde, zwischenzeitlich Fördermittel fehlgeleitet werden.

(2) Effektiver Rechtsschutz ist daher nur gewährleistet, wenn dem übergangenen Krankenhaus zeitnah die Möglichkeit der Drittanfechtung eingeräumt wird. Nur dann kann die Rechtslage für alle Beteiligten verbindlich geklärt werden, bevor öffentliche Mittel für Investitionen bewilligt werden…

(3) Auch ist nicht ersichtlich, inwieweit sich die Bewerbung zweier Krankenhäuser auf begrenzte Bettenplätze noch von den Konkurrenzsituationen unterscheidet, in denen nach inzwischen gefestigter verwaltungsgerichtlicher Rspr. eine Konkurrentenklage zugelassen werden (vgl. die Aufzählung der bereits aufgetretenen Fallkonstellationen bei Kopp/Schenke, VwGO, 13. Aufl., § 42 Rdnr. 45 ff.). In diesen Fällen hat die Rspr. – mit der Begründung, dass die den Konkurrenten begünstigende Entscheidung die Rechtsstellung des Unterlegenen verschlechtere – jeweils anerkannt, dass dem unterlegenen Bewerber die Möglichkeit der Drittanfechtung offen stehen muss (vgl. dazu ausführlich Kopp/Schenke, aaO, § 42 Rdnr. 142 ff.).

Somit stand B bei seiner Anfechtungsklage die Klagebefugnis zu. Zugleich macht sie i. S. des Art. 19 IV GG geltend, in einem Recht verletzt zu sein. Folglich hat das abweisende Urteil ihr den effektiven Rechtsschutz verweigert und Art. 19 IV verletzt. Die VfB ist begründet.

Zusammenfassung

 

Auf derselben Linie liegt BVerfG vom 17. 8. 2004 (1 BvR 378/00) www.bverfg.de (vgl. auch die Pressemitteilung in NVwZ 2004, 1335). Im dortigen Fall hatte ein niedergelassener Facharzt für Radiologie und Strahlenheilkunde (Dr. F) vor den Sozialgerichten dagegen geklagt, dass fünf Krankenhausärzten (Dr. K) die Zulassung erteilt wurde, strahlentherapeutische Leistungen für gesetzlich Versicherte zu erbringen. Er hatte insbesondere darauf verwiesen, dass er mehrere Millionen DM in seine Praxis investiert hatte, deren Rentabilität nunmehr gefährdet sei. Er machte geltend, die für die Zulassung von Krankenhausärzten vorgeschriebenen Voraussetzungen (§ 116 SGB V) seien nicht erfüllt. Das BSG hatte die Klage mangels Klagebefugnis des F als unzulässig abgewiesen. Auf Grund der von F dagegen erhobenen Verfassungsbeschwerde prüft das BVerfG, ob F dadurch in seinem Grundrecht aus Art. 12 I GG verletzt ist.

I. Ein Eingriff in den Schutzbereich der Berufsfreiheit des F liegt vor. Für F ist die Zulassung der K schwerwiegend nachteilig. Zwar gewährt Art. 12 I keinen Schutz vor Konkurrenz und gibt auch keinen Anspruch auf die Sicherung einer wirtschaftlich erfolgreichen beruflichen Tätigkeit. Vielmehr unterliegen die Wettbewerbsposition sowie die Erträge eines Unternehmens und einer freiberuflichen Tätigkeit dem Risiko laufender Veränderung je nach den Marktverhältnissen. Das gilt auch, wenn die Änderung der Wettbewerbsverhältnisse eine Folge staatlicher Entscheidungen (z. B. der behördlichen Zulassung von Konkurrenten) ist. Anders liegt es aber, wenn die Entscheidung zu einem System staatlicher Planung und staatlich regulierter Verteilung der finanziellen Mittel gehört. Eine solche Situation liegt vor beim System des Vertragsarztrechts, bei dem eine Zulassung durch die Krankenkassen erfolgt und die Gesamtvergütung an die Ärzte begrenzt („gedeckelt“) ist. In solchem Fall muss ein Konkurrent die Möglichkeit haben, gerichtlich nachprüfen zu lassen, ob die gesetzlichen Voraussetzungen für die Zulassung des Konkurrenten und seiner eigenen Benachteiligung erfüllt sind.

Daraus folgt, dass dem F für die sozialgerichtliche Anfechtungsklage als einer defensiven Konkurrentenklage die Klagebefugnis zusteht. Diese Rechtsschutzmöglichkeit fällt unter den Schutzbereich des Art. 12 I. Das anders lautende Urteil des BSG verletzt Art. 12 I (und Art. 19 IV) und wurde vom BVerfG aufgehoben.

II. Damit steht aber nur fest, dass die sozialgerichtliche Klage zulässig ist. Beim eigentlichen Streit, ob K als Kassenärzte zugelassen werden durften, stellt sich die weitere Frage, ob der in der Zulassung der K liegende Eingriff in den Schutzbereich des Grundrechts des F aus Art. 12 I gerechtfertigt ist oder ob F in seinem Grundrecht verletzt wird. Die Antwort auf diese Frage hängt davon ab, ob die Voraussetzungen des § 116 SGB V i. V. mit der Zulassungsordnung vorliegen, was nach obigem Sachverhalt aber nicht entschieden werden kann, weil die Gründe nicht bekannt sind, auf die die Zulassung der K gestützt ist. Für F spricht, dass die Zulassung von Krankenhausärzten gegenüber der Versorgung der Kassenpatienten durch selbstständige Ärzte nachrangig ist. Sie wird nur erteilt, soweit und solange eine ausreichende ärztliche Versorgung der Versicherten ohne die besonderen Untersuchungs- und Behandlungsmethoden oder die Kenntnisse der Krankenhausärzte nicht sichergestellt ist. Stellt F diese Versorgung sicher, durften K nicht zugelassen werden.