Bearbeiter: RA Prof. Dieter Schmalz
Bei der folgenden Entscheidung erfolgt der Einstieg in die materielle Prüfung über Art. 8 GG, das Grundrecht der Versammlungsfreiheit. Sachlich steht aber, da die Versammlung wegen dort befürchteter Äußerungen verboten wurde, die Meinungsfreiheit (Art. 5 I, II GG) im Vordergrund. Wie beide Grundrechtsvorschriften zusammen spielen, ist eines der Probleme des Falles. Das hinter der Falllösung stehende Thema ist die Frage, inwieweit auch Rechtsextremen das Recht der Versammlungsfreiheit zu Gute kommen soll, schlagwortartig: Freiheit auch für die Feinde der Freiheit? Das OVG Münster wollte dem nicht uneingeschränkt folgen und hatte Versammlungsverbote der zuständigen Behörde gebilligt. Verteidigt wird diese Auffassung von Bertrams, dem Präsidenten dieses Gerichts, in NJW 2004 Heft 44 S. XX, dies vor allem mit der These, dass Neonazis keine beliebige „missliebige Meinung“ vertreten, sondern eine Ideologie propagieren, der das Grundgesetz (Präambel, Art. 1 I, Prinzip der wehrhaften Demokratie) „eine entschiedene Absage erteilt hat“. Demgegenüber stellen das BVerfG und Hoffmann-Riem NJW 2004, 2777 ff. – Bundesverfassungsrichter und Berichterstatter im folgenden Fall – auch Extreme unter den Schutz der Versammlungs- und Meinungsfreiheit. Das bedeutet gleichzeitig eine Einschränkung des § 15 VersG, so dass der folgende Fall auch wesentliche Aussagen zu § 15 VersG enthält.
► Versammlungsfreiheit, Art. 8 GG; Verhältnis zur Meinungsfreiheit und deren Schranken, Art. 5 I, II GG. ► Versammlungsverbot nach § 15 I VersG; verfassungskonforme Auslegung der „unmittelbaren Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung“. ► Vorläufiger Rechtsschutz nach § 32 BVerfGG
BVerfG Beschluss vom 23. 6. 2004 (1 BvQ 19/04) NJW 2004, 2814 unter Einbeziehung von BVerfG NVwZ 2004, 90 = JuS 2004, 243; dazu Battis/Grigoleit NJW 2004, 3459
Fall (Gegen den Synagogenbau in Bochum)
Der Landesverband der P-Partei (NPD) wollte in Bochum dagegen protestieren, dass eine Synagoge gebaut und nach seiner Auffassung mit öffentlichen Mitteln gefördert wird. Er meldete für den 20. 3. bei der Polizei einen Aufzug und eine Kundgebung zum Thema „Stoppt den Synagogenbau – 4 Millionen fürs Volk“ an. Diese Veranstaltung wurde auf Grund des § 15 I VersG wegen einer unmittelbaren Gefahr für die öffentliche Sicherheit verboten. Es sei mit Äußerungen zu rechnen, die als Volksverhetzung (§ 130 I Nr. 1 und 2 StGB) strafbar sind. Rechtsschutzanträge bis zum BVerfG (NVwZ 2004, 1111) blieben erfolglos. Daraufhin meldete P zum 26. 6. einen Aufzug und eine Kundgebung zum Thema „Keine Steuergelder für den Synagogenbau. Für Meinungsfreiheit“ an. Auch diese Versammlung wurde von der zuständigen Polizeibehörde verboten, was wie folgt begründet wurde: Zwar werde der Vorwurf der Volksverhetzung fallengelassen, es sei aber nach wie vor mit demonstrativen neonazistischen Reden und Gesängen zu rechnen, die als unmittelbare Störung der öffentlichen Ordnung i. S. des § 15 I VersG ein Verbot der Versammlung rechtfertigten. Der sofortige Vollzug der Verfügung wurde angeordnet. P erhob Widerspruch und beantragte beim VG vorläufigen Rechtsschutz durch Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs (§ 80 V VwGO). Das VG gab dem Antrag statt. Auf die Beschwerde der Polizei folgte das OVG der Auffassung der Behörde und wies den Antrag durch Beschluss zurück. Dagegen erhob P in zulässiger Weise Verfassungsbeschwerde und beantragte eine einstweilige Anordnung. Über den Erlass der einstweiligen Anordnung entscheidet das BVerfG am 23. 6. Wie wird die Entscheidung lauten ?
A. Nach § 32 I BVerfGG kann das BVerfG im Streitfall einen Zustand durch einstweilige Anordnung vorläufig regeln, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile, zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus einem anderen wichtigen Grund zum gemeinen Wohl dringend geboten ist.
I. Wie in den anderen Fällen vorläufigen Rechtsschutzes (§§ 935, 940 ZPO, §§ 80 V und 123 VwGO) ist auch bei § 32 BVerfGG die gesetzliche Regelung ziemlich unbestimmt und lückenhaft. Sie beschränkt sich auf den Anordnungsgrund und behandelt nicht das Verhältnis zur Rechtslage in der Hauptsache. Während in den Fällen fachgerichtlichen vorläufigen Rechtsschutzes (§§ 935, 940 ZPO, §§ 80 V und 123 VwGO) die Entscheidung sich möglichst eng an der Rechtslage in der Hauptsache, d. h. an den dortigen Erfolgsaussichten, ausrichtet, wenn auch nur summarisch und ohne endgültige Klärung, ist das bei § 32 BVerfGG anders. Hier will das BVerfG verhindern, dass es über schwierige verfassungsrechtliche Fragen zunächst einmal summarisch und vorläufig entscheidet und bei der späteren endgültigen Entscheidung möglicherweise zu einer anderen Auffassung kommt.
II. Daraus ergibt sich insbesondere für einstweilige Anordnungen im VfB-Verfahren:
1. BVerfG S. 2814 unter 1: Dabei haben die Gründe, die für die Verfassungswidrigkeit des angegriffenen Hoheitsaktes vorgetragen werden, grundsätzlich außer Betracht zu bleiben. Das BVerfG entscheidet allein auf Grund einer Interessenabwägung und mit Blick auf die Folgen, die bei Stattgabe oder Ablehnung des Antrags eintreten würden (als Beispiel hierfür BVerfGE 105, 365, 372).
2. Jedoch gibt es davon Ausnahmen.
a) Zur ersten Ausnahme BVerfG a. a. O.: Der Antrag auf Eilrechtsschutz hat jedoch keinen Erfolg, wenn eine VfB unzulässig oder offensichtlich unbegründet wäre (vgl. BVerfGE 88, 169 [171 f.]; 91, 328 [332]). Gleiches gilt, wenn sie nach § 93 a BVerfGG nicht zur Entscheidung anzunehmen ist (BVerfG NJW 2001, 357). In diesen Fällen hat der Antrag keinen Erfolg.
b) Bei der zweiten Ausnahme kann die VfB auch Erfolg haben. BVerfG: Die Erfolgsaussichten der VfB können ferner maßgeblich werden, wenn verwaltungsgerichtliche Beschlüsse betroffen sind, die im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes ergangen sind und die Entscheidung in der Hauptsache vorwegnehmen (vgl. BVerfGE 34, 160 [163]; 63, 254; 67, 149 [152]), insbesondere wenn die behauptete Rechtsverletzung bei Verweigerung einstweiligen Rechtsschutzes nicht mehr rückgängig gemacht werden könnte, die Entscheidung in der Hauptsache also zu spät käme (vgl. BVerfGE 46, 160 [164])… Dementsprechend sind die im Eilrechtsschutzverfahren erkennbaren Erfolgsaussichten einer VfB zu berücksichtigen, wenn aus Anlass eines Versammlungsverbots über einen Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz zur Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung eines Widerspruchs zu entscheiden ist und ein Abwarten bis zum Abschluss des Verfassungsbeschwerdeverfahrens oder des Hauptsacheverfahrens den Versammlungszweck mit hoher Wahrscheinlichkeit vereitelte. Ergibt die Prüfung im Eilrechtsschutzverfahren, dass eine VfB offensichtlich begründet wäre, läge in der Nichtgewährung von Rechtsschutz der schwere Nachteil für das gemeine Wohl i. S. des § 32 I BVerfGG.
Dieser Ausnahmefall ist hier gegeben: Drei Tage vor dem Zeitpunkt der beabsichtigten Versammlung kann nur noch eine Entscheidung nach § 32 BVerfGG verhindern, dass die Versammlung am 26. 6. (erneut) ausfällt. Deshalb hat hier eine Prüfung der VfB wie im Hauptsacheverfahren zu erfolgen.
B. Die VfB der P gegen das Versammlungsverbot und den dieses bestätigenden Beschluss des OVG ist begründet, wenn P in ihrem Grundrecht der Versammlungsfreiheit (Art. 8 GG) verletzt ist.
I. P ist Grundrechtsberechtigte. Als privatrechtlich organisierter inländischer Verein ist sie nach Art. 19 III GG Inhaberin des Grundrechts der Versammlungsfreiheit, soweit sie Versammlungen veranstaltet. Ein Verbot nach Art. 21 II GG liegt nicht vor (vgl. BVerfGE 107, 339, Einstellung des Verbotsverfahrens gegen die NPD). Die Anforderungen, die Art. 8 als Deutschen-Recht stellt, erfüllt P, weil zumindest ihre Leitung aus Personen besteht, die Deutsche sind.
II. Ein Eingriff in den Schutzbereich ist gegeben. P beabsichtigt die Veranstaltung einer Versammlung, die friedlich und ohne Waffen stattfinden soll. Die mögliche Verbreitung neonazistischen Gedankenguts ist nicht mit Gewalttätigkeiten gleich zu stellen und nimmt deshalb der Veranstaltung nicht ihre Friedlichkeit. Das Verbot der Veranstaltung ist ein Eingriff in die Versammlungsfreiheit.
III. Der Eingriff könnte gerechtfertigt sein.
1. Zunächst müsste eine im GG enthaltene Schranke des Grundrechts anwendbar sein.
a) Art. 8 II GG enthält einen (qualifizierten) Gesetzesvorbehalt für Beschränkungen von Versammlungen unter freiem Himmel. Ausgefüllt wird er durch das VersG, insbesondere durch dessen §§ 15 ff. Ginge man nur nach dieser Regelung vor, wäre zu prüfen, ob das OVG bei seiner Bejahung der Voraussetzungen des § 15 I VersG den Einfluss des Art. 8 grundsätzlich verkannt hat (vgl. oben in den Fällen „Griechenhure“ unter B I 3 und „Erzbischof gegen Journalist“ unter I 3).
b) Das BVerfG stellt jedoch die Überlegung in den Vordergrund, dass die Versammlung allein wegen bestimmter Äußerungen verboten wurde und dass es deshalb um die Zulässigkeit von Meinungsäußerungen i. S. des Art. 5 I GG geht. BVerfGE 90, 241, 246: Eine Äußerung, die von Verfassungs wegen nicht unterbunden werden darf, kann auch nicht Anlass für eine versammlungsbeschränkende Maßnahme…sein. Für die Beantwortung dieser Frage ergeben sich die Maßstäbe nicht aus dem Grundrecht der Versammlungsfreiheit (Art. 8 GG), sondern aus dem der Meinungsfreiheit. Im vorliegenden Fall S. 2815 unter a): Staatliche Beschränkungen des Inhalts und der Form einer Meinungsäußerung betreffen den Schutzbereich des Art. 5 I GG. Ihre Rechtfertigung finden sie, auch wenn die Äußerung in einer oder durch eine Versammlung erfolgt, in den Schranken des Art. 5 II GG (vgl. BVerfGE 90, 241 [246]; NVwZ 2004, 90 [91]).
2. Somit ist für die Rechtfertigung der Maßnahme Art. 5 II GG anzuwenden.
a) 15 I VersG könnte ein allgemeines Gesetz i. S. des Art. 5 II sein. Ein Gesetz, das die Meinungsfreiheit beschränkt, muss zunächst die allgemeinen Anforderungen an die Verfassungsmäßigkeit eines Gesetzes erfüllen. Insoweit bestehen bei § 15 VersG keine Bedenken, wenn die dort verwendeten Begriffe der Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung verfassungskonform im Sinne eines möglichst weitgehenden Schutzes der Versammlungs- und Meinungsfreiheit ausgelegt werden. Dieser Anforderung wird im Folgenden Rechnung getragen. Ferner müsste es sich um ein allgemeines Gesetz handeln, auch in der Auslegung des OVG.
aa) BVerfG S. 2815 unter b): Allgemein sind Gesetze, die sich nicht gegen die Meinungsfreiheit an sich oder gegen die Äußerung einer bestimmten Meinung richten, die vielmehr dem Schutz eines schlechthin, ohne Rücksicht auf eine bestimmte Meinung, zu schützenden Rechtsguts dienen (vgl. BVerfGE 7, 198 [209]; 93, 266 [291]; 97, 125 [146]; st. Rspr.). Dieses Rechtsgut muss in der Rechtsordnung allgemein und damit unabhängig davon geschützt sein, ob es durch Meinungsäußerung oder auf andere Weise verletzt werden kann. Nach seinem wesentlichen Regelungsgehalt betrifft § 15 I VersG die öffentliche Sicherheit und Ordnung und damit Rechtsgüter, die allgemein und ohne Rücksicht auf Meinungsäußerungen geschützt sind. Grundsätzlich ist daher § 15 VersG ein allgemeines Gesetz.
bb) Deshalb ist es unbedenklich, Äußerungen zu untersagen, soweit diese strafbar sind und die öffentliche Sicherheit i. S. des § 15 VersG gefährden. Solche Straftaten sind die §§ 86, 86 a, 130 StGB. In diesen Vorschriften hat der Gesetzgeber (so BVerfG S. 2815 unter c) Meinungsäußerungen nur dann beschränkt, wenn sie zugleich sonstige Rechtsgüter – etwa die Menschenwürde oder das allgemeine Persönlichkeitsrecht – verletzen. Unter diesen Voraussetzungen dient die Strafrechtsordnung auch der Bekämpfung solcher Rechtsgutverletzungen, die durch antisemitische oder rassistische Äußerungen erfolgen. Werden die entsprechenden Strafgesetze durch Meinungsäußerungen missachtet, so liegt darin zugleich eine Verletzung der öffentlichen Sicherheit; eine so begründete Gefahr kann durch die Ordnungsbehörden abgewehrt werden, und zwar auch mit Auswirkungen auf Versammlungen. Im vorliegenden Fall haben Polizei und OVG aber nicht feststellen können, dass strafbare Handlungen nach den genannten Vorschriften drohen.
cc) Vielmehr haben Versammlungsbehörde und OVG (so BVerfG S. 2815 unter c) ihre Entscheidung ausschließlich auf den Inhalt der zu erwartenden Äußerungen gestützt. Sie haben angenommen, die Verbreitung neonazistischen Gedankenguts sei eine Gefahr für die öffentliche Ordnung. Damit richtet sich § 15 I gegen die Äußerung einer bestimmten Meinung, ohne primär ein sonstiges Rechtsgut zu schützen, und ist kein allgemeines Gesetz mehr. In dieser Auslegung entspricht § 15 I VersG nicht dem Art. 5 II GG und kann einen Eingriff nicht rechtfertigen. Soweit das OVG das anders gesehen hat, hat es das Grundrecht des Art. 5, insbesondere dessen Absatz 2, grundsätzlich verkannt.
b) Eine Rechtfertigung des Versammlungsverbots über Art. 5 II GG wäre selbst dann nicht möglich, wenn § 15 I VersG entsprechend seiner grundsätzlichen Ausgestaltung (oben aa) als allgemeines Gesetz angesehen würde. Denn dann lägen die Voraussetzungen für eine verfassungsgemäße Anwendung dieser Vorschrift nicht vor.
aa) Wegen der großen Bedeutung der Meinungsfreiheit beschränkt das BVerfG die zur Anwendung des § 15 VersG führende Unzulässigkeit von Äußerungen auf die Fälle der Strafbarkeit. Ein Rückgriff auf die öffentliche Ordnung ist nicht zulässig. §§ 86, 86 a, 130 StGB, Art. 9 II, 18, 21 II GG haben Sperrwirkung für eine weitergehende Interpretation des § 15 VersG. BVerfG S. 2815 unter c): Der Gesetzgeber hat in den allgemeinen Gesetzen, insbesondere den Strafgesetzen (so etwa in den §§ 86, 86 a, 130 StGB), Beschränkungen des Inhalts von Meinungsäußerungen an nähere tatbestandliche Voraussetzungen gebunden; eine Berufung auf das Tatbestandsmerkmal der öffentlichen Ordnung ist insofern nicht vorgesehen. Damit wird dem Umstand Rechnung getragen, dass Meinungsäußerungen in der pluralistischen Demokratie des Grundgesetzes grundsätzlich frei sind, es sei denn, der Gesetzgeber hat im Interesse des Rechtsgüterschutzes Schranken im Einklang mit Art. 5 II GG festgelegt. Für den Begriff der öffentlichen Ordnung ist demgegenüber kennzeichnend, dass er auf ungeschriebene Regeln verweist, deren Befolgung nach den jeweils herrschenden und mit dem Wertgehalt des GG zu vereinbarenden sozialen und ethischen Anschauungen als unerlässliche Voraussetzung eines geordneten menschlichen Zusammenlebens innerhalb eines bestimmten Gebiets angesehen wird (vgl. BVerfGE 69, 315 [352]). Das Grundrecht der Meinungsfreiheit ist ein Recht auch zum Schutz von Minderheiten; seine Ausübung darf nicht allgemein und ohne eine tatbestandliche Eingrenzung…unter den Vorbehalt gestellt werden, dass die geäußerten Meinungsinhalte herrschenden sozialen oder ethischen Auffassungen nicht widersprechen.
Bereits in NVwZ 2004, 90, 91 unter a) hatte das BVerfG ausgeführt: Die Bürger sind grundsätzlich auch frei, grundlegende Wertungen der Verfassung in Frage zu stellen oder die Änderung tragender Prinzipien zu fordern. Eine Grenze besteht nach Art. 5 II GG, soweit Meinungsäußerungen auf verfassungsgemäße Weise rechtlich verboten, insbesondere unter Strafe gestellt sind. Die plurale Demokratie des Grundgesetzes vertraut im Übrigen auf die Fähigkeit der Gesamtheit der Bürger, sich mit Kritik an der Verfassung auseinander zu setzen und dadurch auch die Aufforderung abzuwehren, grundlegenden Vorgaben der Verfassung die Anerkennung zu verweigern. Somit beschränkt sich die Eingriffsmöglichkeit der Behörden und Gerichte gegenüber Meinungsäußerungen auf die Fälle der Strafbarkeit.
bb) Versammlungsverbote nach § 15 VersG bleiben zulässig, wenn sie nicht lediglich wegen des Inhalts von Meinungsäußerungen ergehen, sondern beispielsweise (BVerfG NJW 2004, 2815 unter d) ein aggressives und provokatives, die Bürger einschüchterndes Verhalten der Versammlungsteilnehmer verhindern sollen, durch das ein Klima der Gewaltdemonstration und potenzieller Gewaltbereitschaft erzeugt wird (vgl. BVerfG NJW 2001, 2069 [2071]; 2001, 2072 [2074]; NVwZ 2004, 90 [91]). Die öffentliche Ordnung kann auch verletzt sein, wenn Rechtsextremisten einen Aufzug an einem speziell der Erinnerung an das Unrecht des Nationalsozialismus und den Holocaust dienenden Feiertag so durchführen, dass von seiner Art und Weise Provokationen ausgehen, die das sittliche Empfinden der Bürgerinnen und Bürger erheblich beeinträchtigen (vgl. BVerfG NVwZ 2001, 1409). Gleiches gilt, wenn ein Aufzug sich durch sein Gesamtgepräge mit den Riten und Symbolen der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft identifiziert und durch Wachrufen der Schrecken des vergangenen totalitären und unmenschlichen Regimes andere Bürger einschüchtert (vgl. BVerfG NVwZ 2004, 90 [91]). Einer dieser Fälle ist hier aber nicht gegeben.
cc) In den aus Anlass der Veranstaltung der P zu befürchtenden Redebeiträgen und Gesängen liegt folglich keine Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung i. S. des § 15 I VersG. Eine andere Auffassung verkennt den Einfluss des Art. 5 I, II GG auf diese Vorschriften grundlegend (spezifische Grundrechtsverletzung). Das Versammlungsverbot und der Beschluss des OVG lassen sich deshalb nicht über Art. 5 II GG rechtfertigen.
3. Enthält ein Grundrecht keinen Gesetzesvorbehalt oder greift dieser nicht ein, können verfassungsimmanente Schranken anwendbar sein. BVerfG S. 2816 unter a): Schranken der Meinungsfreiheit können sich auch aus kollidierenden Grundrechten [zu ergänzen: oder anderen Verfassungswerten] und damit aus der Verfassung selbst ergeben (vgl. BVerfGE 66, 116 [136]). Dann muss eine Kollision des geprüften Grundrechts mit einem anderen Grundrecht oder Verfassungswert vorliegen, und das andere Grundrecht oder der andere Verfassungswert muss ein höheres Gewicht haben. Als anderer Verfassungswert kommt im vorliegenden Fall der Schutz des GG vor einem totalitären System, insbesondere wie es durch die Verbreitung von NS-Ideologie propagiert wird, in Betracht. Jedoch müssen auch verfassungsimmanente Schranken durch Gesetz konkretisiert werden. BVerfG S. 2816 unter a): Soweit verfassungsimmanente Schranken von Grundrechten anzuerkennen sind, ermöglichen sie zwar Freiheitsbeschränkungen; ihre Konkretisierung unterliegt aber dem Vorbehalt des Gesetzes (vgl. BVerfGE 83, 130 [142]; 108, 282 [297, 302, 311]). Sie bedürfen daher einer gesetzlichen Grundlage. Schon daran fehlt es im Hinblick auf die vom OVG angenommene verfassungsimmanente Beschränkung der Kundgabe einer rechtsextremistischen Ideologie (vgl. OVG Münster NJW 2001, 2111; 2113; 2986).
Somit lässt sich das Versammlungsverbot auch nicht über eine verfassungsimmanente Schranke rechtfertigen. Es ist nicht gerechtfertigt und verletzt Art. 8 GG. Eine VfB wäre begründet.
IV. BVerfG S. 2816 unter III: Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs ist wiederherzustellen. Die Verweigerung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs führt angesichts der offensichtlichen Rechtswidrigkeit der Verbotsverfügung zu einem schweren Nachteil i. S. des § 32 I BVerfGG.
Zusammenfassung