Bearbeiter: RA Prof. Dieter Schmalz

Der folgende Fall behandelt eine Verfassungsbeschwerde gegen eine Verurteilung wegen Drogenmissbrauchs und deren Entscheidung durch das BVerfG. Die praktische Bedeutung der Entscheidung liegt auf dem Gebiet des Straßenverkehrsrechts. Fall und Lösung sind aber auch von hohem methodischem Wert: Ihr primärer Prüfungsgegenstand ist eine nach vorangegangenem Bußgeldbescheid erfolgte gerichtliche Verurteilung, also ein Einzel- und Rechtsanwendungsakt. Diese stützt sich auf ein auslegungsbedürftiges und auslegungsfähiges Gesetz, das im Wege einer Inzidenterkontrolle zu überprüfen ist und insoweit ebenfalls zum Prüfungsgegenstand wird. In dieser Situation stellt sich die Frage, wie die Prüfung der Grundrechte auf Einzelakt und Gesetz verteilt wird, insbesondere ob Grundrechte doppelt zu prüfen sind. Die Tendenz des BVerfG, die Prüfung möglichst beim Gesetz vorzunehmen und nicht dem Einzelfall vorzubehalten, entspricht dem staatsrechtlichen Prinzip, dass die für den Bürger wesentlichen Entscheidungen auf der Ebene des Gesetzes getroffen werden müssen (Wesentlichkeitstheorie) und getroffen werden. – Vorweg werden die maßgeblichen gesetzlichen Vorschriften wiedergegeben:

§ 24a Straßenverkehrsgesetz (StVG) Absätze 2 bis 4

(2) Ordnungswidrig handelt, wer unter der Wirkung eines in der Anlage zu dieser Vorschrift genannten berauschenden Mittels im Straßenverkehr ein Kraftfahrzeug führt. Eine solche Wirkung liegt vor, wenn eine in dieser Anlage genannte Substanz im Blut nachgewiesen wird. (In der Anlage ist als achter Stoff aufgeführt: Tetrahydrocannabinol (THC), der Hauptwirkstoff von Cannabis.) Satz 1 gilt nicht, wenn die Substanz aus der bestimmungsgemäßen Einnahme eines für einen konkreten Krankheitsfall verschriebenen Arzneimittels herrührt.

(3) Ordnungswidrig handelt auch, wer die Tat fahrlässig begeht.

(4) Die Ordnungswidrigkeit kann mit einer Geldbuße bis zu eintausendfünfhundert Euro geahndet werden.

§ 25 Absatz 1 Satz 2 StVG

Wird gegen den Betroffenen wegen einer Ordnungswidrigkeit nach § 24a eine Geldbuße festgesetzt, so ist in der Regel auch ein Fahrverbot anzuordnen.

Verfassungsbeschwerde; Gesetz oder Einzelakt als Hoheitsakt i. S. des § 90 I BVerfGG. Allgemeine Handlungsfreiheit (Art. 2 I GG); Bestimmtheit der Gesetze (Art. 103 II GG); Gleichheitssatz (Art. 3 I GG). Verteilung der Prüfungsmaßstäbe auf Gesetz und Einzelakt. Verfassungskonforme (grundrechtskonforme) Auslegung einer straßenverkehrsrechtlichen Vorschrift. Verhältnis zwischen Wirkungsdauer und Nachweisdauer bei Cannabiskonsum

BVerfG (Kammer-) Beschluss vom 21. 12. 2004 (1 BvR 2652/03) NJW 2005, 349 mit Besprechungen von Schreiber NJW 2005, 1026 und Dietz NVwZ 2005, 410

Fall (Cannabis im Nanogrammbereich)

B konsumierte an einem Sonntagabend gegen 21:30 Uhr Haschisch, indem er einen Joint rauchte. Am folgenden Montag gegen 13:30 Uhr fuhr er wegen einer anderen Sache mit dem Pkw zur Polizei. Da den Polizeibeamten der körperliche Zustand des B verdächtig vorkam, veranlassten sie mit Einverständnis des B einen Urintest und ließen eine Blutprobe nehmen. Die vom Institut für Rechtsmedizin an der Universität vorgenommene Auswertung ergab, dass im Blut des B Spuren von THC, dem Hauptwirkstoff des Cannabis, enthalten waren. Es handelte sich um weniger als 0, 5 ng/ml Blut. Das Institut teilte mit, während bisher die Nachweisgrenze von THC bei 1 ng/ml gelegen habe, sei hier ein neues Verfahren zur Anwendung gekommen, durch das schon geringste Spuren von THC auch noch nach längerer Zeit zuverlässig nachgewiesen werden könnten. Auf Grund dieses Sachverhalts erhielt B einen Bußgeldbescheid, gegen den er Einspruch einlegte. In dem anschließenden Verfahren vor dem Amtsgericht wurde B zu einer Geldbuße und einem Fahrverbot verurteilt. Auf Beschwerde des B hin bestätigte das OLG die Verurteilung und begründete das damit, der Gesetzgeber habe bei Rauschmitteln bewusst keinen Grenzwert festgesetzt, so dass Strafbarkeit bereits bei Überschreitung der Nullwertgrenze eintrete. Gegen die Entscheidung des OLG ist ein weiteres Rechtsmittel nicht mehr zulässig. B beabsichtigt, Verfassungsbeschwerde zu erheben. Hat diese Aussicht auf Erfolg ?

A. Die VfB müsste zulässig sein (§§ 90 ff. BVerfGG).

I. Als angreifbarer Hoheitsakt (§ 90 I BVerfGG) kommen die gesetzlichen Vorschriften (§§ 24a II - IV, 25 I 2 StVG) und die Entscheidung des OLG in Betracht. Gegen die gesetzlichen Vorschriften wäre eine VfB nicht mehr zulässig, weil § 24a II im Jahre 1998 eingefügt wurde und somit die Jahresfrist des § 93 III BVerfGG abgelaufen ist. (Das schließt allerdings nicht aus, dass die Vereinbarkeit der §§ 24a II - IV, 25 I 2 StVG mit Grundrechten inzidenter geprüft wird und auch zur Feststellung ihrer Verfassungswidrigkeit führen kann.) Also ist die VfB gegen die Entscheidung des OLG zu richten. Es handelt sich um eine Urteils-VfB.

II. B müsste die Verletzung eines Grundrechts geltend machen (§ 90 I BVerfGG). B kann geltend machen, die seiner Verurteilung zu Grunde liegende Vorschrift sei zu unbestimmt und deshalb mit Art. 103 II GG unvereinbar; ferner verstoße die im Vergleich zum Alkoholgenuss ungünstigere, weil auf einen Grenzwert verzichtende Behandlung des Rauschmittelkonsums gegen den Gleichheitssatz des Art. 3 I GG; schließlich verletze die Verhängung des Bußgelds und des Fahrverbots die durch Art. 2 I GG geschützte allgemeine Handlungsfreiheit.

III. Der Rechtsweg ist ausgeschöpft (§ 90 II 1 BVerfGG), weil ein weiteres Rechtsmittel nicht mehr vorgesehen ist.

IV. Wird auch die Monatsfrist des § 93 I BVerfGG eingehalten, ist die VfB zulässig.

B. Begründet ist die VfB, wenn B durch die Entscheidung des OLG in einem Grundrecht verletzt wird. Verletztes Grundrecht könnte die allgemeine Handlungsfreiheit (Art. 2 I GG) sein.

I. Allerdings ist Art. 2 I subsidiär hinter anderen, sog. benannten Freiheitsrechten. Oben A II wurde auch eine Verletzung des Art. 103 II und des Art. 3 I für möglich gehalten. Jedoch sind diese Grundrechte keine Freiheitsrechte und verdrängen Art. 2 I deshalb nicht. Darüber hinaus beziehen sich diese Grundrechte zunächst auf das Gesetz (§§ 24a II, 25 I 2 StVG). Es ist deshalb zweckmäßig, diese Grundrechte lediglich bei der Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes zu prüfen (unten III 3 und 4; so auch das BVerfG, vgl. S. 349 unter II, 349/350 unter II 1 und S. 351 unter 2). Wäre das Gesetz allerdings wegen Verletzung dieser Grundrechte verfassungswidrig, würden sich diese Verstöße auch auf die darauf gestützte Gerichtsentscheidung auswirken. Das ist jedoch, wie sich noch zeigen wird, nicht der Fall. Deshalb darf der Aufbau insoweit auch vom Ergebnis her bestimmt werden.

II. Es müsste ein Eingriff in den Schutzbereich des Art. 2 I erfolgt sein.

1. Art. 2 I schützt die allgemeine Handlungsfreiheit („Jeder kann tun und lassen was er will“, soweit er nicht…; BVerfGE 6, 32, Elfes-Urteil). Diese umfasst die Freiheit, Drogen zu besitzen und zu konsumieren, frei über das eigene Geldvermögen zu verfügen und die Befugnis, mit einem Pkw am Straßenverkehr teilzunehmen (BVerfG S. 350 unter aa).

2. Folglich sind die Verhängung einer Geldbuße und das Fahrverbot als Folgen einer Verurteilung nach § 24a II StVG Eingriffe in die durch Art. 2 I geschützte allgemeine Handlungsfreiheit des B.

III. Der Eingriff könnte gerechtfertigt sein.

1. Grundlage für eine Rechtfertigungsprüfung ist die in Art. 2 I aufgeführte Schranke der verfassungsmäßigen Ordnung. Sie wird verstanden als verfassungsmäßige Rechtsordnung und umfasst jedes formell und materiell verfassungsmäßige Gesetz ebenso wie jede andere verfassungsmäßige Rechtsnorm (BVerfGE 6, 32). Im vorliegenden Fall könnten §§ 24a II, 25 I 2 StVG ein solches Gesetz sein. Dann müssten diese Vorschriften formell und materiell verfassungsmäßig sein (dazu nachfolgend 2 - 5). Ferner müsste ihre Anwendung durch das OLG den verfassungsrechtlichen Anforderungen entsprechen (dazu 6).

2. Das StVG ist ein Bundesgesetz. Die Zuständigkeit des Bundesgesetzgebers ergibt sich aus Art. 74 I Nr. 22 GG (Straßenverkehr) i.V. mit Art. 72 II GG, weil nur eine bundesgesetzliche Regelung die erforderlichen einheitlichen Regeln und damit gleiche Lebensverhältnisse für den Straßenverkehr schaffen kann.

3. §§ 24a II, 25 I 2 StVG könnten gegen den Bestimmtheitsgrundsatz des Art. 103 II GG verstoßen.

a) BVerfG S. 349 unter aa): Nach dieser Vorschrift, die auch für Bußgeldtatbestände gilt (vgl. BVerfGE 87, 363 [391]), kann eine Tat nur bestraft werden, wenn die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt war, bevor die Tat begangen wurde. Dies verpflichtet den Gesetzgeber dazu, die Voraussetzungen der Strafbarkeit und der ordnungswidrigkeitsrechtlichen Ahndung so genau zu umschreiben, dass sich Tragweite und Anwendungsbereich der Straf- und Ordnungswidrigkeitentatbestände durch Auslegung ermitteln lassen (vgl. BVerfGE 105, 135 [152 f,]). Das schließt die Verwendung von Begriffen nicht aus, die in besonderem Maße der richterlichen Deutung bedürfen. Auch im Straf- und Ordnungswidrigkeitenrecht muss der Gesetzgeber der Vielgestaltigkeit des Lebens Rechnung tragen. Wegen der Allgemeinheit und Abstraktheit von Straf- und Ordnungswidrigkeitsnormen ist es ferner unvermeidlich, dass in Grenzfällen zweifelhaft sein kann, ob ein Verhalten schon oder noch unter den gesetzlichen Tatbestand fällt. Jedenfalls im Regelfall muss der Normadressat anhand der gesetzlichen Regelung voraussehen können, ob ein Verhalten strafbar oder als Ordnungswidrigkeit zu ahnden ist. In Grenzfällen ist auf diese Weise wenigstens das Risiko einer Verurteilung erkennbar ( vgl. BVerfGE 209 [224]).

b) BVerfG S. 349 unter bb): Bei Anwendung dieses Maßstabs genügt § 24a II StVG dem Bestimmtheitsgebot des Art. 103 II GG. Aus der Vorschrift geht eindeutig hervor, dass bei Nachweis der Wirkung eines der berauschenden Mittel, die in der in Bezug genommenen Anlage genannt sind, der Tatbestand der Ordnungswidrigkeit erfüllt ist. Auch für den Bf. war damit das Risiko der Begehung einer Ordnungswidrigkeit erkennbar.

4. § 24a II StVG könnte gegen den allgemeinen Gleichheitssatz (Art. 3 I GG) verstoßen.

Es wird hier dem BVerfG gefolgt und Art. 3 I vor Art. 2 I geprüft. Das widerspricht zwar dem Aufbaugrundsatz „Freiheitsrechte vor Gleichheitsrechten“. Dieser ist aber nicht zwingend. Hier erscheint zweckmäßig, zunächst Art. 3 I zu prüfen, weil dessen Nichtverletzung sich leicht feststellen lässt, während Art. 2 I zu dem sachlichen Hauptproblem des Falles führt.

a) Vom Gesetz ungleich behandelt werden einerseits Fahrzeugführer, die Alkohol getrunken haben und bei Einhaltung des in § 24a Absatz 1 enthaltenen Grenzwerts von 0,5 Promille frei von Sanktionen bleiben, im Vergleich zu Personen, die Rauschmittel nehmen, weil für diese kein Grenzwert gilt, sie also schon bei Überschreiten des „Nullwerts“ verfolgt werden können.

b) BVerfG S. 349/350 unter b): Eine Ungleichbehandlung verletzt den Gleichheitssatz., wenn der Gesetzgeber eine Gruppe von Normadressaten anders als eine andere Gruppe behandelt, obwohl zwischen beiden keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, dass sie die ungleiche Behandlung rechtfertigen könnten (vgl. BVerfGE 100, 59 [90] m. w. Nachw.)… Nach wissenschaftlichen Erkenntnissen bestand jedenfalls bei Erlass des Gesetzes noch nicht die Möglichkeit, die Wirkung einer bestimmten Dosis eines Rauschmittels einigermaßen sicher zu quantifizieren. Unstreitig sind aber Rauschmittel wie Cannabis geeignet, das sichere Führen von Kraftfahrzeugen zu beeinträchtigen. Die Zahl der Fahrten unter Drogeneinfluss nimmt zu (Dietz NVwZ 2005, 410 mit Zahlen in Fn. 1, 2). Diese Gesichtspunkte, vor allem der Umstand, dass sich bei einzelnen Drogen anders als beim Alkohol die Dosiswirkungsbeziehung derzeit nicht quantifizieren lässt, sind so gewichtig, dass sie die unterschiedliche Regelung sachlich zu rechtfertigen vermögen.

Somit verletzt § 24a II StVG den Art. 3 I nicht.

5. §§ 24a II, 25 I 2 StVG müssten auch mit Art. 2 I GG in Einklang stehen.

a) Die in §§ 24a II, 25 I 2 StVG vorgesehenen Möglichkeiten der Verhängung einer Geldbuße und eines Fahrverbots enthalten Eingriffe in den Schutzbereich der Handlungsfreiheit (vgl. oben B II).

b) Sie sind gerechtfertigt, wenn sie zur verfassungsmäßigen Rechtsordnung gehören. Insoweit bleibt, da die formelle Seite und andere Grundrechte bereits geprüft wurden (vorstehend III 2 - 4), das Gebot der Verhältnismäßigkeit zu prüfen. Danach muss eine den Bürger belastende Regelung zur Erreichung des mit ihr verfolgten Zwecks geeignet und erforderlich sowie insgesamt angemessen (verhältnismäßig i. e. S.) sein (vgl. zur Verhältnismäßigkeit auch den Fall JurTel 2005 Heft 4 S. 79 „Nachtschlafuntersuchung der Erektionsfähigkeit“).

(1) Zweck der Regelung in §§ 24a II, 25 I 2 StVG ist, die Sicherheit im Straßenverkehr zu verbessern und das Leben, die Gesundheit und das Eigentum der anderen Verkehrsteilnehmer zu schützen (zu den vom Cannabisgenuss ausgehenden Gefahren für den Straßenverkehr genauer Schreiber NJW 2005, 1027). BVerfG S. 350 unter (a): Die Regelung ist zur Erreichung des vorgenannten Ziels geeignet, weil mit ihrer Hilfe der erstrebte Erfolg gefördert werden kann (vgl. BVerfGE 90, 145 [172]). Da vom Normadressaten eine Einschätzung von Wirkstoffmenge und/oder Wirkungen des konsumierten Rauschmittels nicht verlangt wird, sich die Sanktion vielmehr allein auf die Tatsache des Konsums stützt, durfte der Gesetzgeber im Rahmen seines…weiten Einschätzungsspielraums davon ausgehen, dass die Regelung eine besonders hohe Befolgungschance hat.

(2) BVerfG S. 350 unter (b): Auch die Erforderlichkeit des Eingriffs kann nicht grundsätzlich in Zweifel gezogen werden. Ein anderes, gleich wirksames und die Handlungsfreiheit der Betroffenen weniger einschränkendes Mittel (vgl. BVerfGE 90, 145 [172]) ist nicht ersichtlich. Da die Grenze zwischen ungefährlichen und gefährlichen Wirkstoffmengen nach dem gegenwärtigen naturwissenschaftlichen Erkenntnisstand noch nicht mit der erforderlichen Genauigkeit gezogen werden kann, stehen dem Gesetzgeber derzeit exaktere und damit mildere Wege der Tatbestandsfixierung nicht zur Verfügung (vgl. Bönke NZV 1998, 393 [394]).

(3) Für die Bejahung der Verhältnismäßigkeit i. e. S. verlangt das BVerfG auf S. 350 unter (c), dass bei der gebotenen Gesamtabwägung der Schwere des…Eingriffs in die Handlungsfreiheit mit Gewicht und Dringlichkeit der ihn rechtfertigenden Gründe die Grenze der Zumutbarkeit für die Betroffenen gewahrt ist (vgl. BVerfGE 83, 1 [19]; 90, 145 [173]). Dazu BVerfG S. 350/1 unter (aa) und (bb):

aa) § 24a II StVG dient dem Schutz von Leib, Leben und Eigentum der Verkehrsteilnehmer. Das sind besonders wichtige, auch verfassungsrechtlich geschützte (vgl. Art. 2 II 1, 14 GG) Rechtsgüter. Dem steht auf Seiten der von der Sanktionsnorm Betroffenen „nur“ die allgemeine Handlungsfreiheit gegenüber. Folglich ist die mit § 24a II StVG verbundene Belastung grundsätzlich angemessen und für den, der sich ordnungswidrig verhält, zumutbar.

bb) Jedoch ist der Gesetzgeber ausdrücklich davon ausgegangen, dass die Wirkungs- und Nachweisdauer bei den einzelnen Mitteln übereinstimmen, weil die Feststellung der in der Anlage genannten Substanzen im Blut im Hinblick darauf, dass sie dort nur wenige Stunden nachgewiesen werden könnten, eine Aussage über den erforderlichen engen zeitlichen Zusammenhang zwischen Einnahme des berauschenden Mittels und Blutentnahme gestatte (BT-Dr 13/3764, S. 5). Insoweit haben sich aber, wie sich aus dem im Sachverhalt mitgeteilten Hinweis des Instituts und im Verfahren des BVerfG aus den Ausführungen des Generalbundesanwalts ergibt, infolge des technischen Fortschritts inzwischen die Verhältnisse geändert. Danach hat sich die Nachweisdauer für das Vorhandensein von THC auf Grund von Blutproben wesentlich erhöht. Spuren der Substanz ließen sich nunmehr über mehrere Tage, unter Umständen sogar Wochen nachweisen. Die Annahme des Gesetzgebers von der Identität der Wirkungs- und Nachweiszeit treffe deshalb für Cannabis nicht mehr zu…

Daraus folgt: Würde auch jetzt noch von der Feststellung innerhalb der Nachweiszeit auf eine Wirkung i. S. des § 24a II 2 StVG geschlossen, stünde der damit begründete Eingriff in die Handlungsfreiheit nicht mehr in einem angemessenen Verhältnis zu der zu bekämpfenden, in Wirklichkeit aber nur noch ganz geringen Gefahr (möglicherweise wäre der Eingriff bereits nicht mehr erforderlich). Er wäre unverhältnismäßig. Um das zu vermeiden, nimmt das BVerfG eine verfassungskonforme (grundrechtskonforme) Auslegung des § 24a II StVG vor (S. 350 unter c). Festgestellt werden muss eine Konzentration [im Blut des Verkehrsteilnehmers], die es entsprechend dem Charakter der Vorschrift als eines abstrakten Gefährdungsdelikts als möglich erscheinen lässt, dass der untersuchte Kraftfahrzeugführer am Straßenverkehr teilgenommen hat, obwohl seine Fahrtüchtigkeit eingeschränkt war. Diesen Wert legt das BVerfG im Einklang mit der Wissenschaft und der Rspr. der Verwaltungsgerichte auf 1 ng/ml fest.

Folglich ist § 24a II StVG dann mit Art. 2 I GG vereinbar und auch im Übrigen verfassungsmäßig, wenn er dahin ausgelegt wird, dass das Führen eines Kfz. „unter der Wirkung“ von Cannabis erst vorliegt, wenn im Blut eine Konzentration von mehr als 1 ng/ml nachgewiesen wird.

6. Mit dieser, verfassungsrechtlich gebotenen Auslegung stimmt die Entscheidung des OLG nicht überein. Vielmehr hat diese den Tatbestand des § 24a II StVG ohne Einschränkung bereits bei einer nachgewiesenen Menge von bloß 0,5 ng/ml bejaht, wobei die Nachweiszeit 16 Stunden nach der Einnahme des Stoffs betrug. Die OLG-Entscheidung verstößt damit nicht nur gegen den – richtig ausgelegten – § 24a II, sondern enthält darüber hinaus eine spezifische Verfassungsverletzung. Sie verletzt Art. 2 I GG. Die VfB ist begründet und führt zur Aufhebung der Entscheidung des OLG (vgl. BVerfG S. 351 unter 2 – 4).

Anmerkung zur Methodik des BVerfG: Das BVerfG hatte einer bei einem Gesetz aufgetretenen „Veränderung der Geschäftsgrundlage“ Rechnung zu tragen. Die Figur einer einschränkenden verfassungskonformen Auslegung mit Hilfe des Verhältnismäßigkeitsprinzips scheint hierfür geeignet. Nicht gelungen ist dem BVerfG jedoch ein in jeder Hinsicht widerspruchsfreier Gedankengang: Zum Schluss hat sich ergeben, dass bei Cannabis ein Grenzwert von 1 ng/ml gilt. Dieser ist jedoch aus dem Wortlaut des § 24a II StVG nicht erkennbar. Der normale Rechtsgenosse, dem die Rspr. des BVerfG nicht gegenwärtig ist, kann nicht mehr erkennen, ab wann er sich strafbar macht, was mit Art. 103 II GG nur schwer vereinbar erscheint (vgl. oben B III 3). Die Ausführungen oben III 5b (1), wonach eine Einschätzung der Wirkstoffmenge vom Normadressaten nicht verlangt wird, passen nicht mehr, wenn er sich erst ab einer Wirkstoffmenge von 1 ng/ml strafbar macht. Auch steht doch eine mildere Tatbestandsfixierung im Sinne der Ausführungen (2) zur Verfügung, nämlich eine, die erst mit 1ng/ml beginnt. Möglicherweise war aber das vom BVerfG erstrebte Ziel, § 24a II StVG grundsätzlich als verfassungsmäßig aufrecht zu erhalten und zugleich die Rechtslage angesichts der erhöhten Nachweismöglichkeiten auf ein vernünftiges Maß zurückzuführen, nicht ohne Widersprüche zu erreichen.

Zusammenfassung