Bearbeiter: Prof. Dieter Schmalz
► Grundrechte aus Art. 2 I, II 2 GG. ► Art. 33 IV GG: Funktionsvorbehalt bei hoheitlicher Tätigkeit für Beamte; Ausnahmen. ► Formelle Privatisierung des Maßregelvollzugs. ► Demokratieprinzip (Art. 20 I, II GG); personelle und sachliche Legitimation hoheitlicher Maßnahmen
BVerfG Urteil vom 18. 1. 2012 (2 BvR 133/10) NJW 2012, 1563
Fall (Hessischer Maßregelvollzug)
Für den Vollzug der in §§ 61 ff. StGB vorgesehenen Maßregeln der Besserung und Sicherung sind die Bundesländer zuständig und können hierfür auch gesetzliche Regelungen treffen. Das Land Hessen hat in seinem formell fehlerfrei erlassenen Maßregelvollzugsgesetz (HessMVollzG) bestimmt, in welchen Einrichtungen die Maßnahmen vollzogen werden. § 2 Sätze 3 bis 5 lauten:
„Träger von Einrichtungen des Maßregelvollzuges können auch Kapitalgesellschaften sein, deren Anteile vollständig vom Landeswohlfahrtsverband Hessen oder einer Gesellschaft des Landeswohlfahrtsverbandes Hessen, an der der Landeswohlfahrtsverband Hessen ebenfalls sämtliche Anteile hält, gehalten werden, wenn diese die notwendige Zuverlässigkeit und Fachkunde nachweisen. Diese werden durch öffentlich-rechtlichen Vertrag zwischen dem für den Maßregelvollzug zuständigen Ministerium und dem Träger mit der Aufgabe des Maßregelvollzugs beliehen. Der Beleihungsvertrag muss sicherstellen, dass in der Einrichtung jederzeit die zur ordnungsgemäßen Durchführung des Maßregelvollzugs erforderlichen personellen, sachlichen, baulichen und organisatorischen Voraussetzungen gegeben sind.“
Nach § 3 HessMVollzG unterliegen die Träger der Einrichtungen der Fachaufsicht des Sozialministeriums, das zur Durchführung der Aufsicht Weisungen erteilen darf. Mitwirkungsbefugnisse stehen dem Sozialministerium auch bei der Bestellung des leitenden Personals zu.
§ 5 HessMVollzG enthält Vorschriften über Zuständigkeiten und bestimmt in Absatz 3, dass bei Gefahr im Verzuge auch Bedienstete der Einrichtung des Maßregelvollzuges, die nicht zum leitenden Personal gehören, besondere Sicherungsmaßnahmen vorläufig anordnen dürfen. Davon ist der Leiter der Einrichtung unverzüglich zu unterrichten.
Das Land Hessen, vertreten durch das Sozialministerium, hat durch einen dem § 2 entsprechenden Beleihungsvertrag mit der gemeinnützigen G-gGmbH dieser die Aufgabe übertragen, die als Maßregeln der Besserung und Sicherung angeordneten Unterbringungen im eigenen Namen für das Land Hessen zu vollziehen, und ihnen die dazu erforderlichen hoheitlichen Befugnisse einschließlich der Befugnis zu den nach dem HessMVollzG zulässigen Grundrechtseingriffen verliehen. Gesellschafter der G sind zu 5 % der Landeswohlfahrtsverband, ein Kommunalverband, und zu 95 % eine Gesundheitsmanagement GmbH, die sich ihrerseits zu 100 % in der Hand des Landeswohlfahrtsverbandes befindet.
B ist zur Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus (§ 61 Nr. 1 StGB) verurteilt und in der Klinik der G untergebracht. Er litt wiederholt an Anfällen, bei denen er aggressiv wurde. Anlässlich eines solchen Anfalles verfügten Pflegekräfte den zwangsweisen Einschluss des B in einer Beruhigungszelle und informierten nachträglich den diensthabenden und den leitenden Arzt.
B wandte sich mit einem Antrag nach § 109 I StVollzG an das Landgericht und nach Zurückweisung seines Antrages mit einer Rechtsbeschwerde an das OLG. Beide Gerichte hielten den Antrag für unbegründet. Eine weitere Instanz stand B nicht zur Verfügung. Er hat form- und fristgerecht Verfassungsbeschwerde erhoben und macht geltend, die in dem Einschluss liegende Freiheitsentziehung verletze ihn in seinem Grundrecht aus Art. 2 II 2 GG, zumal es gegen Art. 33 Abs. 4 GG und das Demokratieprinzip verstoße, wenn Beschäftigte einer privaten GmbH gegenüber Staatsbürgern hoheitlichen Zwang ausüben dürften. Wie ist über die VfB zu entscheiden ?
A. Zulässigkeit der VfB
I. Die VfB kann nur gegen einen Hoheitsakt (§ 90 I BVerfGG) gerichtet werden. Ob die Anordnung der Pflegekräfte der G-gGmbH zum Einschluss des B ein solcher Hoheitsakt ist, ist zweifelhaft und wird vom BVerfG nicht behandelt. Das BVerfG stellt auch auf die für B ungünstigen gerichtlichen Entscheidungen des LG und des OLG ab, die zweifellos Hoheitsakte sind, und sieht bei [131] den Hoheitsakt in dem Einschluss des Beschwerdeführers und dessen fachgerichtliche Bestätigung. Ein Hoheitsakt und damit ein zulässiger Beschwerdegegenstand der VfB liegt somit vor.
II. B muss geltend machen, in einem Grundrecht verletzt zu sein (§ 90 I BVerfGG).
1. B beruft sich auf Art. 2 II 2 GG, das Grundrecht auf Freiheit der Person. Dessen Verletzung ist angesichts des Umstandes, dass der Einschluss eine Freiheitsbeschränkung des B enthält, möglich. Falls nicht dieses Grundrecht, sondern ein anderes, etwa Art. 2 I GG, anwendbar ist, ist das unschädlich. BVerfG [128]: Eine fehlende oder unrichtige Artikelzuordnung des Grundrechtsverstoßes, der erkennbar gerügt werden soll, führt nicht zur Unzulässigkeit der Verfassungsbeschwerde (vgl. BVerfGE 92, 158 [175]; 115, 166 [180]; BVerfGK 2, 275 [277]).
2. Ob Art. 33 IV GG ein Grundrecht zugunsten des B ist, kann offen bleiben. B zieht Art. 33 IV GG im Zusammenhang mit Art. 2 II 2 heran und macht geltend, wegen einer Verletzung des Art. 33 IV GG sei der Eingriff jedenfalls nicht rechtfertigungsfähig (so BVerfG [126]). Auf einen selbständigen Grundrechtscharakter des Art. 33 IV kommt es deshalb nicht an. Auch das Demokratieprinzip wird von B in gleicher Weise herangezogen.
Die Beschwerdebefugnis steht B mithin zu.
III. Den Rechtsweg (§ 90 II 1 BVerfGG) hat B mit der Anrufung von LG und OLG ausgeschöpft.
IV. Die VfB wurde formell ordnungsgemäß erhoben. Sie ist zulässig.
B. Begründetheit der VfB
I. Die VfB ist begründet, wenn B in einem Grundrecht verletzt ist. Als verletztes Grundrecht kommt Art. 2 II 2 GG in Betracht. Dann müsste durch den Einschluss und die ihn bestätigenden Gerichtsentscheidungen ein Eingriff in die Freiheit der Person erfolgt sein. Das wird von BVerfG [132) verneint: Der Schutzbereich des Grundrechts der Freiheit der Person (Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG) ist nicht berührt. Mit dem Einschluss in einem enger begrenzten Teil der Unterbringungseinrichtung ändert sich, verschärfend, die Art und Weise des Vollzugs der einmal verhängten Freiheitsentziehung; eine erneute Freiheitsentziehung, die den besonderen Anforderungen des Art. 104 Abs. 2 Satz 1 GG zu genügen hätte, liegt darin nicht (vgl. BVerfGK 2, 318 [323]; BVerfG NJW 1994, S. 1339).
II. Verletzt sein könnte Art. 2 I GG, das Grundrecht der allgemeinen Handlungsfreiheit.
1. Ein Eingriff in den Schutzbereich liegt vor. Durch den Einschluss des B in einer Beruhigungszelle ist die Handlungsfreiheit des B zusätzlich zu der seine körperliche Bewegungsfreiheit bereits erheblich beschränkenden Unterbringung eingeschränkt worden. Vor dem Einschluss war er in der Lage, sich in bestimmten Bereichen der Klinik, etwa außerhalb der Gebäude, zu bewegen. Diese Handlungsmöglichkeit wurde ihm durch den Einschluss genommen. BVerfG [131]: Der Einschluss des Beschwerdeführers und dessen fachgerichtliche Bestätigung als rechtmäßig betreffen den Beschwerdeführer in seiner allgemeinen Handlungsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 GG).
2. Der Eingriff könnte gerechtfertigt sein.
a) Rechtfertigungsgrundlage innerhalb des Art. 2 I GG ist die verfassungsmäßige Ordnung. Sie wird verstanden als verfassungsmäßige Rechtsordnung, die jedes formell und materiell verfassungsmäßige Gesetz umfasst. Sind, wie im vorliegenden Fall, Einzelakte - die gerichtlichen Entscheidungen - die Eingriffsakte, müssen diese außerdem mit dem Art. 2 I beschränkenden Gesetz in Einklang stehen. Also müssen die Einzelakte auf eine verfassungskonforme Rechtsgrundlage gestützt werden können (im Folgenden 3. und 4) und mit dieser Rechtsgrundlage übereinstimmen (unten 5).
b) Danach ist im vorliegenden Fall zunächst erforderlich, dass die Vorschriften des HessMVollzG, soweit sie eine Privatisierung des Maßregelvollzugs zulassen und in § 5 III Bedienstete zur Vornahme von freiheitsbeschränkenden Sicherungsmaßnahmen ermächtigen, verfassungsmäßig sind. Von ihrer formellen Verfassungsmäßigkeit ist auszugehen. In materieller Hinsicht dürfen sie nicht gegen das GG verstoßen.
3. Es kommt ein Verstoß gegen Art. 33 IV GG in Betracht. Nach diesem Funktionsvorbehalt ist die Ausübung hoheitlicher Befugnisse als ständige Aufgabe in der Regel Angehörigen des öffentlichen Dienstes zu übertragen, die in einem öffentlich-rechtlichen Dienst- und Treueverhältnis stehen, d. h. die Beamte sind.
a) BVerfG [135-137]: Art. 33 Abs. 4 GG regelt nicht nur die Wahrnehmung hoheitlicher Aufgaben durch öffentliche Träger, sondern beansprucht Geltung auch für den Fall der Übertragung solcher Aufgaben auf Private. Schon dem Wortlaut der Bestimmung ist nichts dafür zu entnehmen, dass sie im letzteren Fall unanwendbar sein soll. Eine insoweit einschränkende Auslegung wäre auch unvereinbar mit ihrem Sinn und Zweck. Der Funktionsvorbehalt des Art. 33 Abs. 4 GG soll gewährleisten, dass die Ausübung hoheitsrechtlicher Befugnisse als ständige Aufgabe regelmäßig den von Art. 33 Abs. 5 GG für das Berufsbeamtentum institutionell garantierten besonderen Sicherungen qualifizierter, loyaler und gesetzestreuer Aufgabenerfüllung unterliegt (vgl. BVerfGE 9, 268 [284]; 119, 247 [260 f.]). Zu diesem Zweck wird mit Art. 33 Abs. 4 GG dem Berufsbeamtentum ein Mindesteinsatzbereich institutionell gesichert (vgl. Jachmann, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Bd. 2, 6. Aufl. 2010, Art. 33 Abs. 4 Rn. 29; Battis, in: Sachs, GG, 6. Aufl. 2011, Art. 33 Rn. 45; Masing, in: Dreier, GG, Bd. II, 2. Aufl. 2006, Art. 33 Rn. 60, 65; Kunig, in: v. Münch/Kunig, GG, Bd. 2, 4./5. Aufl. 2001, Art. 33 Rn. 39). Diese Regelungsintentionen würden verfehlt, wenn hoheitliche Aufgabenwahrnehmung dem Anwendungsbereich des Art. 33 Abs. 4 GG dadurch entzogen werden könnte, dass sie privaten Trägern überantwortet wird. Demgemäß entspricht es der vorherrschenden Auffassung in Rechtsprechung und Literatur, dass Art. 33 Abs. 4 GG unabhängig von der öffentlich-rechtlichen oder privatrechtlichen Organisation des Aufgabenträgers anzuwenden ist (vgl. BVerwGE 57, 55 [60];…Jachmann, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Bd. 2, 6. Aufl. 2010, Art. 33 Abs. 4 Rn. 38; Masing, in: Dreier, GG, Bd. II, 2. Aufl. 2006, Art. 33 Rn. 62; Kunig, in: v. Münch/Kunig, GG, Bd. 2, 4./5. Aufl. 2001, Art. 33 Rn. 42; Klüver, Zur Beleihung des Sicherheitsgewerbes mit Aufgaben der öffentlichen Sicherheit und Ordnung, 2006, S. 134; Freitag, Das Beleihungsrechtsverhältnis, 2004, S. 59….; a.A. Bansch, Die Beleihung als verfassungsrechtliches Problem, 1973, S. 66 ff.; Scholz, NJW 1997, S. 14 [15]…).
b) Die in § 5 III HessMVollzG übertragenen Aufgaben müssten eine Ausübung hoheitlicher Befugnisse als ständige Aufgabe sein.
aa) BVerfG [140]: Um die Ausübung hoheitsrechtlicher Befugnisse handelt es sich jedenfalls, wenn Befugnisse zum Grundrechtseingriff im engeren Sinne (vgl. Dreier, in: ders., GG, Bd. I, 2. Aufl. 2004, Vorb. Rn. 124, m. w. N.) ausgeübt werden, die öffentliche Gewalt also durch Befehl oder Zwang unmittelbar beschränkend auf grundrechtlich geschützte Freiheiten einwirkt. Wie weit der Begriff der hoheitsrechtlichen Befugnisse über diesen engen Bedeutungsgehalt hinausreicht (vgl. etwa Pieroth, in: Jarass/Pieroth, GG, 11. Aufl. 2011, Art. 33 Rn. 41; Battis, in: Sachs, GG, 6. Aufl. 2011, Art. 33 Rn. 55 ff.;…Kunig, in: v. Münch/Kunig, GG, Bd. 2, 4./5. Aufl. 2001, Art. 33 Rn. 49; Weisel, Das Verhältnis von Privatisierung und Beleihung, 2003, S. 105 ff. [107 f.]), muss hier nicht geklärt werden. § 5 Abs. 3 HessMVollzG ermächtigt zu Grundrechtseingriffen im engeren Sinne und damit zur Ausübung hoheitsrechtlicher Befugnisse.
bb) [141]: Die Ausübung der Befugnis aus § 5 Abs. 3 HessMVollzG ist den ermächtigten Bediensteten auch als ständige Aufgabe übertragen. Insoweit kommt es nicht darauf an, wie häufig die Eingriffsbefugnis in der Praxis genutzt wird (…). Die Beschränkung des Funktionsvorbehalts auf als ständige Aufgabe auszuübende Befugnisse zielte entstehungsgeschichtlich auf die Nichteinbeziehung absehbar künftig wegfallender Hoheitsaufgaben wie derjenigen der Ernährungs- und Wirtschaftsämter (vgl. Masing, in: Dreier, GG, Bd. II, 2. Aufl. 2006, Art. 33 Rn. 69; Jachmann, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Bd. 2, 6. Aufl. 2010, Art. 33 Abs. 4 Rn. 28, 37, jew. m. w. N.). Für die Frage, ob die Ausübung einer Befugnis als „ständige Aufgabe“ übertragen ist, kommt es danach, dem Wortsinn entsprechend, auf die Dauerhaftigkeit der Aufgabenübertragung, nicht auf die Frequenz der Befugnisausübung an.
Somit handelt es sich bei den Aufgaben des § 5 III HessMVollzG um die ständige Ausübung hoheitlicher Aufgaben.
c) Art. 33 IV GG sieht die Übertragung auf Beamte aber nur für den Regelfall vor, gestattet also Ausnahmen. Das BVerfG bestimmt unter [144-150] den möglichen Ausnahmebereich näher und begrenzt ihn zugleich. Bei [151-163] legt es dar, dass die hier zu prüfenden gesetzlichen Vorschriften sich noch im Rahmen dieses Ausnahmebereichs halten.
aa) Das Regel-Ausnahme-Verhältnis hat zunächst eine quantitative Dimension. Von der Ausnahmemöglichkeit darf kein Gebrauch gemacht werden, der dazu führt, dass der vorgesehene Regelfall faktisch zum zahlenmäßigen Ausnahmefall wird. Unter diese Einschränkung fällt § 5 III HessMVollzG deshalb nicht, weil es sich bei den dort erfassten Fällen zahlenmäßig um Ausnahmefälle handelt.
bb) Abweichungen vom Grundsatz des Funktionsvorbehalts bedürfen nach herrschender und richtiger Auffassung der Rechtfertigung durch einen besonderen sachlichen Grund (vgl.…Pieroth, in: Jarass/Pieroth, GG, 11. Aufl. 2011, Art. 33 Rn. 42; Masing, in: Dreier, GG, Bd. II, 2. Aufl. 2006, Art. 33 Rn. 70;…Barisch, Die Privatisierung im deutschen Strafvollzug, 2010, S. 134).Beispiele sind vor allem Bereiche, die, sofern überhaupt als hoheitlich eingeordnet, jedenfalls als nicht primär hoheitlich geprägt erachtet wurden, wie wirtschaftliche Tätigkeiten der öffentlichen Hand, einschließlich staatlicher und kommunaler Einrichtungen der Daseinsvorsorge, und das Gebiet der Fürsorge; auch der weithin übliche Einsatz von Ehrenbeamten anstelle von Berufsbeamten sollte möglich bleiben (vgl. die Wiedergaben bei Masing, in: Dreier, GG, Bd. II, 2. Aufl. 2006, Art. 33 Rn. 13, 14; Remmert, Private Dienstleistungen in staatlichen Verwaltungsverfahren, 2003, S. 405 ff. [407 ff.]). Die Möglichkeit von Ausnahmen ist demnach…für Fälle eingeräumt worden, in denen der Sicherungszweck des Funktionsvorbehalts die Wahrnehmung der betreffenden hoheitlichen Aufgaben durch Berufsbeamte ausweislich bewährter Erfahrung nicht erfordert oder im Hinblick auf funktionelle Besonderheiten nicht in gleicher Weise wie im Regelfall angezeigt erscheinen lässt.
Weitere Beispiele sind Aufgaben, die gerade aus verfassungsrechtlichen Gründen möglichst in einer gewissen Staatsferne wahrgenommen werden sollten (BVerfGE 83, 130 [150]); für die nicht schwerpunktmäßig hoheitlichen Aufgaben des Lehrers (BVerfGE 119, 247 [267]); allgemeiner für im Gesamtbild nicht durch hoheitliches Handeln geprägte Mischfunktionen (Masing, in: Dreier, GG, Bd. II, 2. Aufl. 2006, Art. 33 Rn. 70; Jachmann, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Bd. 2, 6. Aufl. 2010, Art. 33 Abs. 4 Rn. 31 ff.…).
Fiskalische Interessen der Kosteneinsparung und Haushaltsentlastung reichen nicht aus, können aber zusätzlich berücksichtigt werden.
Im vorliegenden Fall folgt das BVerfG den Darlegungen der hessischen Landesregierung, wonach die gewählte Privatisierungslösung der Erhaltung der…unter dem Dach der gGmbH zusammengefassten psychiatrischen Einrichtungen dient, und dass die Erhaltung dieses Verbundes durch Synergieeffekte sowie verbesserte Personalgewinnungs-, Ausbildungs- und Fortbildungsmöglichkeiten gerade der Qualität des Maßregelvollzuges zugute kommt… Hinzu kommt, dass die Verwendung von Beamten im hessischen Maßregelvollzug bereits lange vor der Privatisierungsentscheidung und den zugrundeliegenden Rechtsänderungen selbst auf der Leitungsebene, ganz zu schweigen von den Pflegekräften, nicht mehr üblich war. Zudem ist die Einschätzung, dass die Vorzüge der Einbeziehung des Maßregelvollzuges in den privatisierten Verbund nicht mit spürbaren Nachteilen im Hinblick auf die…Sicherung qualifizierter und gesetzestreuer Aufgabenwahrnehmung erkauft worden sind, angesichts vorhandener Erfahrungen mit der Inanspruchnahme der Ausnahmemöglichkeit des Art. 33 Abs. 4 GG im Maßregelvollzug und angesichts der institutionellen Ausgestaltung der erfolgten Privatisierung vom Einschätzungsspielraum des Gesetzgebers und der für die Festlegung der vertraglichen Rahmenbedingungen verantwortlichen Regierung gedeckt.
Somit ist davon auszugehen, dass die Privatisierung des Maßregelvollzugs, deren Folge der § 5 III HessMVollzG ist, ein sachlicher Grund bestand.
cc) Weiterhin schließt das Erfordernis eines sachlichen Grundes ein, dass Ausnahmen vom Funktionsvorbehalt durch den Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit begrenzt sind (vgl. Pieroth, in: Jarass/Pieroth, GG, 11. Aufl. 2011, Art. 33 Rn. 42; Jachmann, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Bd. 2, 6. Aufl. 2010, Art. 33 Abs. 4 Rn. 37; Roth, Privatisierungsmöglichkeiten im geschlossenen Strafvollzug, 2006, S. 36…). Je intensiver eine bestimmte Tätigkeit Grundrechte berührt, desto weniger sind Einbußen an institutioneller Absicherung qualifizierter und gesetzestreuer Aufgabenwahrnehmung hinnehmbar.
Im vorliegenden Fall sind einerseits an die Erfordernisse der Notwendigkeit und Angemessenheit relativ strenge Anforderungen zu stellen, weil der Vollzug strafrechtlich verhängter Freiheitsentziehungen zum Kernbereich hoheitlicher Tätigkeit gehört. Der Maßregelvollzug steht darin, auch was die Intensität der möglichen Grundrechtseingriffe angeht, dem Strafvollzug in nichts nach (…).
Andererseits ist von Bedeutung, dass die erfolgte Privatisierung der hessischen Maßregelvollzugseinrichtungen nur als eine rein formelle [auch: Organisationsprivatisierung] vorgesehen ist. Das Gesetz gewährleistet, dass die der Rechtsform nach privaten Träger der Maßregelvollzugskliniken unmittelbar oder mittelbar vollständig in der Hand eines öffentlichen Trägers, des Landeswohlwohlfahrtsverbandes, bleiben (§ 2 Satz 3 HessMVollzG). Die Träger sind damit von erwerbswirtschaftlichen Motiven und Zwängen freigestellt. Eine Auslieferung der Vollzugsaufgabe an Kräfte und Interessen des privatwirtschaftlichen Wettbewerbs, die, beispielsweise in Bezug auf Verweildauer der Untergebrachten und Senkung von Behandlungs- und Betreuungskosten, den gesetzlichen Vollzugszielen und der Wahrung der Rechte der Untergebrachten systemisch zuwiderlaufen können, findet danach von vornherein nicht statt.
Der Gesetzgeber hat klargestellt, dass die Verpflichtung der öffentlichen Hand, die aufgabengemäße Ausstattung der Maßregelvollzugseinrichtungen zu gewährleisten, durch die Organisationsprivatisierung in keiner Weise berührt wird. Gemäß § 2 Satz 5 HessMVollzG muss der Beleihungsvertrag sicherstellen, dass in den Maßregelvollzugseinrichtungen jederzeit die zur ordnungsgemäßen Durchführung des Maßregelvollzugs erforderlichen personellen, sachlichen, baulichen und organisatorischen Voraussetzungen gegeben sind.
Diesen Anforderungen trägt der Beleihungsvertrag im konkreten Fall nach den Feststellungen des BVerfG und dem Hinweis in obigem Sachverhalt Rechnung. Dass die den Maßregelvollzug betreffenden grundrechtsbezogenen und sonstigen Rechtspflichten der privaten Einrichtungsträger und der in den Einrichtungen tätigen Personen nicht nur auf dem Papier stehen, ist durch weitreichende aufgabenbezogene Steuerungsbefugnisse des materiellen öffentlichen Aufgabenträgers - des Landeswohlfahrtsverbandes - und des aufsichtführenden Ministeriums…in einer den Verhältnissen bei formell öffentlich-rechtlicher Organisation gleichwertigen Weise gesichert.
Für den bei Einsatz von Nichtbeamten im Maßregelvollzug nicht auszuschließenden Fall eines Streiks kann und muss die gebotene Vermeidung unverhältnismäßiger Gemeinwohlschädigungen oder unverhältnismäßiger Beeinträchtigungen Dritter durch Notdienste sichergestellt werden…
Folglich kann nicht festgestellt werden, dass die Privatisierung - auch mit Blick auf § 5 III HessMVollzG - nicht erforderlich und angemessen ist. Vielmehr wurde das Prinzip der Verhältnismäßigkeit gewahrt. Es greift eine Ausnahme vom Grundsatz des Art. 33 IV GG ein, so dass diese Vorschrift nicht verletzt ist.
4. § 5 III HessMVollzG könnte dadurch, dass er angestellte Pflegekräfte zur Anordnung vorläufiger Sicherungsmaßnahmen befugt, gegen die verfassungsrechtlichen Anforderungen an die demokratische Legitimation hoheitlichen Handelns (Art. 20 I, II GG) verstoßen.
a) BVerfG [165, 166]: Alles amtliche Handeln mit Entscheidungscharakter bedarf nach dem Demokratieprinzip (Art. 20 Abs. 2 GG) der demokratischen Legitimation. Es muss sich auf den Willen des Volkes zurückführen lassen und ihm gegenüber verantwortet werden (BVerfGE 77, 1 [40]; 83, 60 [72]; 93, 37 [66]; 107, 59 [87]). Der notwendige Zurechnungszusammenhang zwischen Volk und staatlicher Herrschaft wird vor allem durch die Wahl des Parlaments, durch die von ihm beschlossenen Gesetze als Maßstab der vollziehenden Gewalt, durch den parlamentarischen Einfluss auf die Politik der Regierung sowie durch die grundsätzliche Weisungsgebundenheit der Verwaltung gegenüber der Regierung hergestellt (vgl. BVerfGE 83, 60 [72]; st. Rspr.).
Für den Fall der Beleihung Privater erfordert dies unter anderem, dass die Möglichkeiten parlamentarischer Kontrolle der Aufgabenwahrnehmung unbeeinträchtigt bleiben (…). Der parlamentarischen Kontrolle kommt hier besondere Bedeutung zu, weil die Beleihung Privater nicht zu einer Flucht aus der staatlichen Verantwortung für die Wahrnehmung hoheitlicher Aufgaben führen darf. Die Einschätzung des Gesetzgebers, dass hinsichtlich einer bestimmten hoheitlichen Aufgabe dieser Verantwortung auf der Grundlage einer Beleihung unter den von ihm gesetzten Rahmenbedingungen ausreichend Rechnung getragen ist, muss sich in der Realität bewahrheiten. Die staatliche Gewährleistungsverantwortung für die ordnungsgemäße Aufgabenerfüllung schließt daher, auch für das Parlament, eine entsprechende Beobachtungspflicht ein (vgl. Schmidt-Aßmann, Das Allgemeine Verwaltungsrecht als Ordnungsidee, 2. Aufl. 2004, S. 172 ff.; Freitag, Das Beleihungsrechtsverhältnis, 2004, S. 158 f.…).
b) Die demokratische Legitimation muss in personeller und in sachlicher Hinsicht bestehen. BVerfG [167]: In personeller Hinsicht ist eine hoheitliche Entscheidung legitimiert, wenn sich die Bestellung desjenigen, der sie trifft, durch eine ununterbrochene Legitimationskette auf das Staatsvolk zurückführen lässt. Die sachlich-inhaltliche Legitimation wird durch Gesetzesbindung und Bindung an Aufträge und Weisungen der Regierung vermittelt (vgl. BVerfGE 93, 37 [67 f.]; 107, 59 [87 f.]). Personelle und sachlich-inhaltliche Legitimation stehen in einem wechselbezüglichen Verhältnis derart, dass eine verminderte Legitimation über den einen Strang durch verstärkte Legitimation über den anderen ausgeglichen werden kann, sofern insgesamt ein bestimmtes Legitimationsniveau erreicht wird (vgl. BVerfGE 83, 60 [72]; 93, 37 [66 f.]; 107, 59 [87 f.]…). Das Legitimationsniveau muss umso höher sein, je intensiver die in Betracht kommenden Entscheidungen die Grundrechte berühren (vgl. BVerfGE 93, 37 [73]).
aa) Was die personelle Legitimation im vorliegenden Fall betrifft, ergibt sich aus dem Sachverhalt zwar nicht im einzelnen, wer das Personal der G-Klinik ernennt. Es wird aber festgestellt, dass dem - durch Landtagswahl, Wahl der Regierung oder Ernennung durch den Ministerpräsidenten seinerseits demokratisch legitimierte - Sozialministerium Mitwirkungsbefugnisse bei der Bestellung des leitenden Personals zustehen. Im Übrigen hat der - letztlich durch Kommunalwahl demokratisch legitimierte - Landeswohlfahrtsverband als praktisch alleiniger Gesellschafter der G-gGmbH maßgebenden Einfluss auf die Ernennung des leitenden Personals. Dieses stellt die weiteren Mitarbeiter und auch die Pflegekräfte ein, so dass auch deren Bestellung (mittelbar) auf Wahlen durch das Volk zurückgeführt werden kann. Die demokratische Legitimation in personeller Hinsicht ist also gegeben. (Vgl. im einzelnen BVerfG [169, 170].)
bb) BVerfG [171-174]: Sachlich-inhaltlich ist die Aufgabenwahrnehmung durch die privatisierten Einrichtungsträger und die dort tätigen Personen durch deren Bindung an das Gesetz in Verbindung mit umfassenden Weisungsbefugnissen der verantwortlichen öffentlichen Träger…legitimiert. § 3 HessMVollzG unterstellt alle Angelegenheiten des Maßregelvollzuges einer Fachaufsicht des Sozialministeriums, die die…Aufgabe der Überwachung der Einrichtungen einschließt (Abs. 1. Die Fachaufsichtsbehörde kann den Trägern der Einrichtungen allgemeine Weisungen sowie, wenn die Aufgaben des Maßregelvollzuges nicht im Einklang mit den Gesetzen wahrgenommen oder die erteilten allgemeinen Weisungen nicht befolgt werden, Einzelweisungen erteilen (Abs. 2). Der Landeswohlfahrtsverband untersteht in seiner Eigenschaft als materieller Träger der formell privatisierten Maßregelvollzugskliniken zudem der Fachaufsicht des zuständigen Ministeriums und verfügt seinerseits über die weitreichenden Einwirkungsmöglichkeiten, die das Gesellschaftsrecht dem beherrschenden öffentlichen Träger privatrechtlicher Gesellschaften mit beschränkter Haftung im Rahmen des jeweiligen Gesellschaftszwecks einräumt (vgl. nur Weisel, Das Verhältnis von Privatisierung und Beleihung 2003, S. 225 ff.;…).
Damit stehen alle unmittelbar grundrechtseingreifenden vollzuglichen Entscheidungen…in dem erforderlichen ununterbrochenen, bis zu den einzelnen handelnden Personen reichenden Weisungszusammenhang. Folglich ist auch die sachlich-inhaltliche Legitimation gegeben. BVerfG [178]: In der Zusammenschau von personeller und sachlich-inhaltlicher Legitimation ergibt sich danach ein hinreichendes Legitimationsniveau.
Weder die (formelle) Privatisierung insgesamt noch die Regelung des § 5 III HessMVollzG verstößt gegen das Demokratieprinzip. Die Vorschriften sind nicht verfassungswidrig.
5. Die Entscheidungen der von B angerufenen Gerichte (LG, OLG) müssten auch mit den - vorstehend als verfassungsmäßig erkannten - Rechtsgrundlagen übereinstimmen. Es kann angenommen werden, dass die Gerichte - ebenso wie die Pflegekräfte - wegen des von B erlittenen aggressiven Anfalls sowohl einen hinreichenden Anlass für besondere Sicherungsmaßnahmen als auch Gefahr im Verzuge bejaht haben und dass auch die Art und Weise des Einschlusses nicht zu beanstanden war. Insoweit hat B - ebenso wie der Beschwerdeführer im Originalfall (BVerfG [183]) - keine Einwände erhoben. Sie würden vom BVerfG auch nur geprüft, wenn darin eine spezifische Verfassungsverletzung zu sehen wäre.
B ist nicht in seinem Grundrecht aus Art. 2 I GG verletzt. Die Verletzung eines anderen Grundrechts ist nicht ersichtlich. Die VfB ist unbegründet.
Zusammenfassung