Bearbeiter: Prof. Dieter Schmalz
► Verfassungsbeschwerde gegen den Widerruf einer Gnadenentscheidung. ► Rechtliche Einordnung von Gnadenentscheidungen. ► Grundrecht auf Freiheit der Person, Art. 2 II 2 GG. ► Rechtfertigung eines Eingriffs, Art. 2 II 3 GG. ► Rechtsstaatlicher Vertrauensschutz gegenüber dem Widerruf einer gnadenweisen Strafaussetzung zur Bewährung
BVerfG Beschluss vom 20. 3. 2013 (2 BvR 2595/12) NJW 2013, 2414
Fall (Gnade vor Recht?)
B, der im Jahre 2007 wegen Untreue rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe ohne Strafaussetzung zur Bewährung verurteilt worden war, hatte bei der im Lande L für Gnadensachen zuständigen Staatsanwaltschaft eine Strafaussetzung zur Bewährung im Gnadenwege beantragt. Dem Antrag wurde am 21. 12. 2007 stattgegeben. Das Begleitschreiben enthielt den Hinweis, dass die Strafaussetzung bei Begehung einer Straftat in der Bewährungszeit widerrufen werden könne. Die Bewährungszeit wurde zunächst auf drei Jahre festgesetzt und später in zulässiger Weise bis zum 20.12. 2011 verlängert.
Am 6. 7. 2010 beging B einen Betrug und wurde vom zuständigen Amtsgericht zu fünf Monaten Freiheitsstrafe verurteilt. Nach Durchführung eines Berufungs- und Revisionsverfahrens wurde das Urteil am 3. 8. 2012 rechtskräftig.
Die Staatsanwaltschaft hörte B mit Schreiben vom 10. 10. 2012 zum beabsichtigten Widerruf der Gnadenentscheidung an. B nahm dazu am 4. 12. 2012 Stellung und verwies auf die Gnadenordnung (GnO) des Landes L. Sie ist eine im Justizministerialblatt verkündete Verwaltungsvorschrift und regelt das Verfahren in Gnadensachen. Nach Nr. 34.1 GnO soll bei einem Verfahren wegen Aussetzung zur Bewährung im Gnadenwege die Schlussentscheidung innerhalb von drei Monaten nach Ablauf der Bewährungszeit ergehen. Nr. 34.2 GnO bestimmt: „Verzögert sich die Schlussentscheidung wegen eines noch nicht abgeschlossenen Strafverfahrens oder aus anderen Gründen, ist eine Zwischennachricht zu erteilen.“ B verwies darauf, das er eine solche Nachricht nicht erhalten habe.
Mit Entscheidung vom 21. 12. 2012 widerrief die Staatsanwaltschaft den Gnadenerweis vom 21. 12. 2007 wegen erneuter Straffälligkeit des B. Hiergegen stellte B beim zuständigen OLG einen Antrag auf Nachprüfung nach § 23 I 1 EGGVG - Rechtsschutz gegen einen Justizverwaltungsakt der Staatsanwaltschaft auf dem Gebiet des Strafrechts -, den das OLG durch Beschluss zurückwies; eine Beschwerde dagegen war nicht zulässig. Anschließend wurde B wegen der 2007 erfolgten Verurteilung in Haft genommen.
B hat gegen den Widerruf vom 21. 12. 2012 und den ihn bestätigenden Beschluss des OLG form- und fristgerecht Verfassungsbeschwerde beim Bundesverfassungsgericht erhoben. Er vertritt die Auffassung, dass er ein Jahr nach Ablauf der Bewährungsfrist nicht mehr mit einem Widerruf und einer Verbüßung der Strafe zu rechnen brauchte, zumal die Drei-Monats-Frist der Nr. 34.1 GnO längst abgelaufen war. Durch den gleichwohl erfolgten Widerruf werde er in Art. 2 I GG, dem Grundrecht auf allgemeine Handlungsfreiheit verletzt. Die Staatsanwaltschaft äußerte sich dahin, dass Gnadenentscheidungen nicht justiziabel seien; bei ihnen ergehe „Gnade vor Recht“, so dass sie auch nicht an Grundrechten zu messen seien. Die Gnadenordnung werde allerdings durchweg angewendet; dass B keine Zwischennachricht erhalten habe, könne nur auf einem Versehen beruhen. Wie ist über die VfB zu entscheiden?
A. Zulässigkeit der VfB (§§ 90 ff. BVerfGG)
I. Es muss ein mit der VfB angreifbarer Hoheitsakt vorliegen.
1. Der Widerruf der Gnadenentscheidung durch die Staatsanwaltschaft (StA) vom 21. 12. 2012 und der ihn bestätigende Beschluss des OLG sind Hoheitsakte, die grundsätzlich unter § 90 I BVerfGG fallen. Da der Beschluss lediglich die Entscheidung der StA bestätigt, kann er mit ihr zusammen geprüft werden.
2. Die Maßnahmen könnten als Gnadenakte nicht gerichtlich überprüfbar sein.
a) Nach einer von BVerfGE 25, 352 bestätigten Auffassung sind Gnadenentscheidungen gerichtlich nicht überprüfbar; Art. 19 IV GG gilt nicht. Auch besteht auf eine Gnadenentscheidung kein Rechtsanspruch, auch kein Anspruch auf eine ermessensfehlerhafte Entscheidung. Insoweit ergeht „Gnade vor Recht“. Allerdings ist diese Auffassung umstritten, was sich bereits daran zeigt, dass die Entscheidung BVerfGE 25, 352 nur mit 4:4 Stimmen (vgl. § 15 II 4 BVerfGG) erging. Mit guten Gründen wird vertreten, dass ablehnende Gnadenentscheidungen daraufhin überprüfbar sein müssen, ob die Zuständigkeits- und Verfahrensvorschriften und das Willkürverbot beachtet wurden (vgl. BVerfGE 25, 363 ff.).
b) Im vorliegenden Fall kann diese Frage offen bleiben. Denn der Widerruf einer Gnadenentscheidung ist gerichtlich überprüfbar und unterliegt rechtlichen Bindungen (BVerfGE 30, 108).
BVerfG [21]: Durch den Ausspruch eines Gnadenerweises werden dem Verurteilten Freiheitsrechte eingeräumt, auf deren Fortbestand er grundsätzlich vertrauen kann (vgl. BVerfGE 30, 108, 110 f.…). Der einem Verurteilten im Gnadenwege gewährte Freiheitsraum unterliegt nicht mehr der freien Verfügung der Exekutive. Anders als die Ablehnung eines Gnadenerweises, auf den ein Anspruch nicht besteht, ist der Widerruf einer Gnadenentscheidung ein rechtlich gebundener Akt (vgl. BVerfGE 30, 108, 111).
Somit ist der Widerruf der Gnadenentscheidung ein mit der VfB angreifbarer Hoheitsakt.
II. B muss geltend machen, in einem Grundrecht verletzt zu sein (§ 90 I BVerfGG). Dabei muss er das Grundrecht bezeichnen (§ 92 BVerfGG). Explizit hat B nur Art. 2 I GG als verletzt gerügt. Offenkundig hat aber der Widerruf zur (beabsichtigten) Folge gehabt, dass B die Freiheitsstrafe verbüßen muss, so dass Art. 2 II 2 GG als verletzt in Betracht kommt. Das BVerfG verlangt aber nicht, dass der Beschwerdeführer (Bf.) das richtige Grundrecht zitiert. Es reicht aus, dass aus dem Vorbringen des Bf. deutlich wird, dass er eine Grundrechtsverletzung rügt, und dass dieses Grundrecht ermittelt werden kann.
BVerfG [13, 17]: Die VfB ist zulässig. Sie enthält zumindest eine zulässige Rüge einer Grundrechtsverletzung (zur Unschädlichkeit der Unzulässigkeit einzelner Rügen für die Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerde vgl. BVerfGE 79, 292, 301; 85, 23, 30; 121, 69, 88 f.).… Die VfB rügt zulässigerweise, die Widerrufsentscheidung und der Beschluss des OLG hätten zeitliche Beschränkungen für das Ergehen eines Widerrufs nach Ablauf der Bewährungszeit in grundrechtswidriger Weise missachtet. Insbesondere genügt sie insoweit noch den Anforderungen an die Substantiierung… Aus dem Vorbringen zur Jahresfrist in Verbindung mit dem Verweis auf Nr. 34 GnO, wonach die Prüfung so rechtzeitig erfolgen soll, dass die Schlussentscheidung spätestens drei Monate nach Ablauf der Bewährungszeit ergehen kann, ergibt sich hinreichend klar, dass die Widerrufsentscheidung nach Auffassung des Bf. nicht mehr in dem rechtlich gebotenen zeitlichen Zusammenhang mit dem Ende der Bewährungszeit erfolgt ist. Durch den Verweis auf Art. 3, 8, 9 und 10 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte wird deutlich, dass er dies als willkürliche und rechtsstaatswidrige Beschränkung seiner Freiheit…erachtet. Einer ausdrücklichen Benennung des als verletzt gerügten Grundrechtsartikels bedarf es nicht (BVerfGE 47, 182, 187; st. Rspr.).
III. Der Rechtsweg (vgl. § 90 II BVerfGG) ist ausgeschöpft, da der Antrag aus § 23 EGGVG gestellt wurde, erfolglos geblieben ist und eine weitere Beschwerde nicht zulässig ist. Somit ist die - form- und fristgerecht erhobene - VfB zulässig.
B. Begründetheit der VfB
Die VfB ist begründet, wenn B in einem Grundrecht verletzt ist. Verletztes Grundrecht könnte das Recht auf Freiheit der Person sein (Art. 2 II 2 GG). Der ebenfalls die Freiheit der Person schützende Art. 104 GG ist kein eigenständiges Grundrecht, sondern ergänzt Art. 2 II 2, 3 im Rechtfertigungsbereich, indem er zusätzliche Anforderungen an die Rechtfertigung stellt.
I. Damit Art. 2 II 2 verletzt ist, müsste ein Eingriff in den Schutzbereich vorliegen.
1. Der Schutzbereich des Art. 2 II 2 umfasst die körperliche Bewegungsfreiheit. Indem B zur Duldung der Freiheitsstrafe verpflichtet wird, wird ihm für die Zeit der Haft die körperliche Bewegungsfreiheit genommen.
2. Hierfür müsste der Widerruf der Gnadenentscheidung, gegen den sich die VfB wendet, der Eingriff sein.
a) In erster Linie ist Eingriffsakt das Strafurteil von 2007, da dieses durch die Haft vollstreckt wird.
b) Für die Strafhaft ist aber auch der Widerruf ursächlich und verantwortlich. Ohne den Widerruf wäre es bei einer Strafaussetzung geblieben und eine Vollstreckung hätte nicht erfolgen können. Somit ist auch die Widerrufsentscheidung ein Eingriff in den Schutzbereich des Art. 2 II 2 GG.
II. Der Eingriff könnte aber gerechtfertigt sein. Nach Art. 2 II 3 GG darf in die Rechte des Art. 2 II auf Grund eines Gesetzes eingegriffen werden.
1. Auch hier muss wieder - wie bereits oben I 2 bei der Eingriffsprüfung - der Zusammenhang zwischen Strafurteil und Gnadenentscheidungen berücksichtigt werden. Eingriffsgrundlage für die Strafhaft ist in erster Linie die Verurteilung von 2007 wegen Untreue. Sie hat ihre Grundlage in § 266 StGB, einer verfassungsmäßigen Vorschrift, von deren zutreffender Anwendung wegen der Rechtskraft der Verurteilung von 2007 auszugehen ist.
2. Wegen der zwischenzeitlichen gnadenweisen Strafaussetzung zur Bewährung bedeutet aber deren Widerruf einen zusätzlichen Eingriff, der einer zusätzlichen Rechtfertigung bedarf.
a) Eine gesetzliche Regelung der Voraussetzungen für die Erteilung und den Widerruf einer Gnadenentscheidung gibt es nicht. Im GG und in den Landesverfassungen ist lediglich geregelt, wem das Recht zur Begnadigung zusteht (Art. 60 II GG: dem Bundespräsidenten; Art. 59 LaVerf NRW: dem Ministerpräsidenten; Befugnis ist aber delegierbar). Die Gnadenordnung enthält nur Verfahrensvorschriften und keine sachlichen Voraussetzungen und ist im Übrigen nur eine Verwaltungsvorschrift ohne normative Bindung. Während es für die Entscheidung über die Begnadigung keine Regelung der Voraussetzungen geben kann, weil dies dem Wesen eines Gnadenerweises widersprechen würde, ist es beim Widerruf anders; für diesen muss eine rechtliche Regelung gefunden werden.
b) §§ 56f und 56g StGB regeln den Widerruf einer Strafaussetzung zur Bewährung und den Widerruf eines Straferlasses. Dabei muss es sich aber um eine Strafaussetzung durch das Gericht gehandelt haben (§ 56 StGB), während im vorliegenden Fall die Strafaussetzung durch die StA im Gnadenwege ergangen ist.
c) Wenn es zulässig ist, im Gnadenwege eine Strafe vollständig zu erlassen, muss es als Weniger auch zulässig sein, eine Strafaussetzung zur Bewährung im Gnadenwege auszusprechen. Dann ergibt sich aus dem Wesen dieser Entscheidung, dass bei Nichtbewährung ein Widerruf erfolgen kann. BVerfG [22]: Schon mit dem Begriff „Bewährung“ verbindet jedermann die sichere Vorstellung, ab sofort keine Straftat mehr begehen zu dürfen, ohne mit Konsequenzen für die Bewährung rechnen zu müssen (…). Bei einem bewährungsbrüchigen Verhalten muss der Betroffene daher grundsätzlich mit einem Widerruf der Strafaussetzung rechnen (…). Rechtsgrundlage für einen Widerruf ist also die mit der Strafaussetzung notwendig verbundene Bewährungsauflage, die zu einem Widerruf im Falle der Nichtbewährung innerhalb der Bewährungsfrist ermächtigt. Im vorliegenden Fall lief die Bewährungsfrist für B noch bis zum 20. 12. 2011. Am 6. 7. 2010 hat B einen Betrug begangen, hat sich also während der Bewährungsfrist erneut strafbar gemacht. Folglich war ein Widerruf der Strafaussetzung zulässig.
3. Da der Widerruf rechtlich gebunden ist (oben A I 2b), unterliegt er auch dem rechtsstaatlichen Gebot zum Vertrauensschutz.BVerfG [21]: Entscheidungen über den Widerruf der Aussetzung der Strafvollstreckung zur Bewährung sind an Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG in Verbindung mit dem Vertrauensschutz des Rechtsstaatsprinzips (Art. 20 Abs. 3 GG) zu messen (BVerfG NStZ 1995, S. 437;…)… So kann die Missachtung zeitlicher Beschränkungen für den Widerruf zur Verletzung des verfassungsrechtlich gesicherten Vertrauensschutzes führen… Folglich ist im vorliegenden Fall zu prüfen, ob ein Vertrauensschutz zu Gunsten des B aus zeitlichen oder anderen Beschränkungen des Widerrufs führt und die Unzulässigkeit des Widerrufs zur Folge hat. Ausgangsüberlegung hierfür ist, dass die Bewährungsfrist am 21. 12. 2011 abgelaufen war und der Widerruf erst am 21. 12. 2012, also ein Jahr später ausgesprochen worden ist.
a) Allerdings wird ein Widerruf noch nicht durch den Ablauf der Bewährungsfrist ausgeschlossen. BVerfG [25]: Der Bf. als unter Bewährung Stehender hat grundsätzlich damit zu rechnen, dass Straftaten innerhalb der Bewährungszeit zu negativen Konsequenzen auch für die Bewährung führen können. Dies gilt unabhängig davon, ob die Bewährungszeit selbst noch läuft oder schon abgelaufen ist. Schließlich „weiß der Verurteilte am besten, dass er die Bewährung gebrochen, also den Widerruf jedenfalls insoweit eigentlich zu erwarten hat…“ (Schall, in: SK-StGB, Losebl., Stand: 135. EL Oktober 2012, § 56f Rn. 46).
b) Vertrauensschutz entsteht aber, wenn ein Widerruf nicht innerhalb einer angemessenen Frist ausgesprochen wird. BVerfG [22]: Erfolgt ein Widerruf nach Ablauf der Bewährungszeit, so hat er…binnen einer angemessenen Frist zu erfolgen. [26]: Der bloße Zeitablauf als solcher kann…grundsätzlich noch kein hinreichender Anknüpfungspunkt für die Entstehung von Vertrauen dahingehend sein, dass die ausstehende Schlussentscheidung zugunsten des Verurteilten ausfallen wird. Zwar sollen nach Nr. 34.1 Satz 3 GnO die erforderlichen Ermittlungen so rechtzeitig erfolgen, dass die Schlussentscheidung spätestens drei Monate nach Ablauf der Bewährungsfrist ergehen kann. Daraus allein kann jedoch nicht schon abgeleitet werden, dass mit Ablauf dieser Zeit darauf vertraut werden kann, ein Widerruf werde nicht mehr erfolgen. Zudem ist die Wertung des § 56g StGB zu berücksichtigen. Die dort getroffene gesetzgeberische Entscheidung, Vertrauensschutz auf den Fortbestand eines Straferlasses erst nach einem Jahr eintreten zu lassen, spricht dafür, dass bei Widerruf einer Aussetzung zur Bewährung ein Zeitraum, der sich - wie hier- in derselben Größenordnung bewegt, noch nicht kritisch zu bewerten ist.
c) BVerfG [27]: Ein Vertrauen des Bf. lässt sich auch nicht etwa daran knüpfen, dass die Gnadenbehörde das Verfahren ungebührlich verschleppt hätte. Vielmehr durfte die StA die Rechtskraft der Verurteilung wegen Betrugs abwarten, und hat danach den Fall in den üblichen Zeiträumen behandelt.
d) Es bleibt der Umstand, dass sich die Drei-Monats-Frist der Nr. 34.1 GnO nicht hat einhalten lassen, dass B aber auch nicht, wie in 34.2 GnO vorgeschrieben, eine Zwischennachricht erhalten hat. Zwar ist die GnO keine Rechtsnorm, sondern eine bloße Verwaltungsvorschrift. Sie wird aber, wie die StA auch zugibt, durchweg angewendet und entfaltet daher eine Selbstbindung über den Gleichbehandlungsgrundsatz des Art. 3 I GG. Ob der Verstoß gegen Nr. 34.2 für die Begründung von Vertrauensschutz ausreicht, ist zweifelhaft und könnte mit der Begründung verneint werden, dass es sich bei der Zwischennachricht lediglich um eine wenig gewichtige Formalie handelt, die überdies im vorliegenden Fall nicht absichtlich, sondern nur ein Versehen der StA missachtet wurde. Das BVerfG hat aber das Unterbleiben der Benachrichtigung als ausreichende Grundlage für Vertrauensschutz bewertet. [30]: Wo ein solcher Hinweis erwartet werden kann, kann bei seinem Fehlen Vertrauen entstehen. Die Gnadenordnung sieht einen solchen Hinweis vor… Da vorliegend ein solcher sowohl durch Verwaltungsvorschrift vorgesehener und aufgrund der Selbstbindung der Verwaltung gebotener als auch der Praxis entsprechender Hinweis nicht erfolgt ist, musste der Bf. nicht mehr mit einem Widerruf rechnen. [28]: Der Bf. wurde nicht nach Ablauf der Bewährungszeit zeitnah darauf hingewiesen, dass eine Entscheidung sich wegen Abwartens der Rechtskraft der Verurteilung verzögern werde… Indem sie diesen Aspekt außer Acht gelassen haben, haben die Gnadenbehörde und das OLG den Gehalt von Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG verkannt.
Ergebnis: Wegen Verletzung des Prinzips des Vertrauensschutzes ist der Eingriff in das Freiheitsgrundrecht des B nicht gerechtfertigt. Art. 2 II 2 ist verletzt. Die VfB ist begründet. Der Widerruf durch die StA und der Beschluss des OLG sind aufzuheben (§ 95 II BVerfGG). Als weitere Folge ist ein Straferlass nach § 56g I StGB auszusprechen und B ist, sofern er sich noch in Strafhaft befindet, aus dieser zu entlassen.
Zusammenfassung