Bearbeiter: Prof. Dieter Schmalz

Verfassungsbeschwerde gegen Urteil eines Berufsgerichts. Bestimmtheit der Strafgesetze, Art. 103 II GG; Anwendung auf berufsrechtliche Vorschriften. Allgemeines Persönlichkeitsrecht; Eingriff durch Veröffentlichung eines Urteils. Verhältnismäßigkeit eines erheblich belastenden Eingriffs. Berufsfreiheit, Art. 12 GG

BVerfG
Beschluss vom 3. 3. 2014 (1 BvR 1128/13) NJW 2014, 2019 = DVBl 2014, 777

Fall
(Veröffentlichung mit Prangerwirkung)

Das Heilberufsgesetz des Landes L (HeilBerG) enthält u. a. Regelungen über die Berufsausübung der Ärzte und über ihre Pflichtmitgliedschaft in einer Ärztekammer. Zu diesen Regelungen gehören folgende Vorschriften:

§ 29 (1) Die Kammerangehörigen sind verpflichtet, ihren Beruf gewissenhaft auszuüben und dem ihnen im Zusammenhang mit dem Beruf entgegengebrachten Vertrauen zu entsprechen.

§ 59 (1) Kammerangehörige, die ihre Berufspflichten verletzten, unterliegen der Berufsgerichtsbarkeit. Die Berufsgerichtsbarkeit wird durch Berufsgerichte für Heilberufe ausgeübt.

§ 60 (1) Im berufsgerichtlichen Verfahren kann erkannt werden auf: Warnung, Verweis, Entziehung des passiven Berufswahlrechtes, Geldbuße bis zu 50.000 Euro, Feststellung der Unwürdigkeit zur Ausübung des Berufs.…

(3) In besonderen Fällen kann auf Veröffentlichung der Entscheidung erkannt werden.

Dr. A ist Facharzt für Innere Medizin. Er ist Kreisvorsitzender des gesundheitspolitischen Arbeitskreises einer politischen Partei, Mitglied einer Ärztevereinigung sowie Mitglied des Vorstandes einer Kreisstelle der Kassenärztlichen Vereinigung. Nach Beschwerden von Patienten erhob die zuständige Ärztekammer (K) gegenüber A den Vorwurf, bei Privatpatienten Rechnungen erstellt zu haben, die mit den Vorschriften der Gebührenordnung für Ärzte (GOÄ) nicht in Einklang stünden. Er habe den Begriff der „Sitzung“ im Sinne der GOÄ dahingehend ausgelegt, dass Sitzungen auch an Tagen stattgefunden hätten, an denen die Patienten nicht in der Praxis waren. Auch habe er mehrfach einen einzelnen Praxisbesuch als mehrere Sitzungen abgerechnet. Damit habe er nicht nur überhöhte Gebühren berechnet, sondern auch seine Abrechnungsmethoden bewusst verschleiert. K griff vier solcher Fälle auf und rief das Berufsgericht für Heilberufe an. Dieses bestätigte in seinem Urteil die Vorwürfe und stellte fest, dass A in den vier Fällen gegen seine Berufspflichten verstoßen habe. Als Sanktionen verhängte es gegen A eine Geldbuße von 20.000 Euro und ordnete an, dass das Urteil im Ärzteblatt veröffentlicht wird. Zur Begründung führte es aus, dass ein schweres Berufsvergehen vorliege. Zwar seien die Beträge der unberechtigt erhobenen Gebühren nicht hoch, die Schäden im Einzelfall also relativ gering gewesen. Jedoch habe A in systematischer Weise ein den Vorschriften der Gebührenordnung widersprechendes Abrechnungssystem verfolgt, dem eine hohe Schadensneigung zu Lasten der Patienten und der Allgemeinheit in Form der Krankenkassen und Beihilfeträger zukomme. Da ohne Veröffentlichung des Urteils die Handhabung der GOÄ durch A anderen Praxen als negatives Vorbild dienen könne, sei es notwendig, über die Geldbuße hinaus zur Abschreckung anderer Ärzte und zur Disziplinierung des A auf die Veröffentlichung der Entscheidung zu erkennen. Nach Abwägung aller Umstände sei diese Maßnahme auch verhältnismäßig.

Da gegenüber dem Urteil des Berufsgerichts kein Rechtsmittel mehr zulässig ist, erwägt A die Erhebung einer Verfassungsbeschwerde, beschränkt auf die Anordnung der Veröffentlichung des berufsgerichtlichen Urteils. A hält die Regelung des § 29 I HeilBerG als Grundlage für eine solche Bestrafung für zu unbestimmt. Vor allem sei es eines Rechtsstaats unwürdig, seine Bürger an den Pranger zu stellen. Die vorgesehene nicht anonymisierte Veröffentlichung des Urteils führe - zumal angesichts der heutigen Informationsmöglichkeiten im Internet - zu einer irreversiblen Rufschädigung sowie zur Vernichtung der beruflichen und wirtschaftlichen Existenz des Betroffenen. Hat die Verfassungsbeschwerde Aussicht auf Erfolg?

A. Die Verfassungsbeschwerde (VfB) müsste zulässig sein, was sich nach §§ 90 ff. BVerfGG richtet.

I. Der nach § 90 I BVerfGG erforderliche Hoheitsakt ist im vorliegenden Fall das Urteil des Berufsgerichts für Heilberufe, soweit dieses die Veröffentlichung des Urteils im Ärzteblatt angeordnet hat. Insoweit handelt es sich um eine Urteilsverfassungsbeschwerde.

II. A muss geltend machen, in einem Grundrecht verletzt zu sein (§ 90 I BVerfGG).

1. Die Berufung des A auf das Rechtsstaatsprinzip reicht hierfür nicht aus, da das Rechtsstaatsprinzip kein Grundrecht ist.

2. Wenn A § 29 I HeilBerG für zu unbestimmt hält, macht er eine Verletzung des Art. 103 II GG geltend. Diese Vorschrift ist ein Grundrecht im Sinne der VfB (Art. 93 Nr. 4 a GG). Es richtet sich primär an den Gesetzgeber und kann von diesem verletzt werden; unter diesem Aspekt ist eine Verletzung durch das Urteil des Gerichts für Heilberufe nicht möglich. Art. 103 II GG kann aber auch dahin ausgelegt werden, dass den Strafgerichten untersagt ist, eine Strafe auf Grund eines zu unbestimmten Gesetzes zu verhängen (ebenso wie sich Art. 103 I, das rechtliche Gehör, und Art. 103 III, das Verbot mehrfacher Bestrafung, an die Gerichte wenden). Somit macht A eine Verletzung des Grundrechts aus Art. 103 II GG geltend.

3. Soweit A eine irreversible Rufschädigung behauptet, bezieht er sich auf sein Persönlichkeitsrecht (Art. 2 I i. V. mit Art. 1 I GG) und macht dessen Verletzung geltend.

4. Schließlich ist das Vorbringen des A, das Urteil vernichte seine berufliche und wirtschaftliche Existenz, als Behauptung einer Verletzung des Art. 12 I GG zu verstehen.

A behauptet also, in seinen Grundrechten aus Art. 103 II, 2 I, 12 I GG verletzt zu sein.


III. Der Rechtsweg (vgl. § 90 II BVerfGG) ist ausgeschöpft, da gegenüber dem Urteil des Berufsgerichts kein Rechtsmittel mehr zulässig ist.

IV. Sofern die VfB auch form- und fristgerecht erhoben wird (§§ 23, 93 BVerfGG), ist sie zulässig.

B. Die VfB ist begründet, wenn A in einem Grundrecht verletzt ist.

I. Nach Art. 103 II GG darf e ine Tat kann nur bestraft werden, wenn die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt war, bevor die Tat begangen wurde. Darin liegt das Rückwirkungsverbot und das Bestimmtheitsgebot; letzeres kann im vorliegenden Fall verletzt sein.

1. Art. 103 II ist anwendbar auf Strafgesetze wie die des StGB. Dazu gehören die berufsrechtlichen Vorschriften des HeilBerG nicht. Das BVerfG hat deshalb zu der Frage Stellung genommen, ob Art. 103 II auf die Ahndung berufsrechtlicher Verfehlungen anwendbar ist, und hat das bejaht.

[12] Das spezifische Bestimmtheitsgebot des Art. 103 Abs. 2 GG dient dem doppelten Zweck, sicherzustellen, dass von einer Sanktionsnorm Adressierte vorhersehen können, welches Verhalten verboten und mit einer Sanktion bedroht ist, und dass der Gesetzgeber über die Voraussetzungen der Verhängung einer Sanktion selbst entscheidet (vgl. BVerfGE 78, 374, 382; 126, 170, 194…). Dieses Gebot gilt auch hinsichtlich der Rechtsfolgen (vgl. BVerfGE 105, 135, 153 f.). Der Gesetzgeber hat eine Norm umso präziser zu fassen, je belastender deren Wirkungen sind (vgl. BVerfGE 117, 71, 111 m .w .N.).

[13] Art. 103 Abs. 2 GG findet nicht nur Anwendung auf Normen des Strafrechts, sondern…auch auf berufsrechtliche Normen (vgl. BVerfGE 26, 186, 203 f.; 60, 215, 233 f.). Anders als im allgemeinen Strafrecht ist jedoch im Berufsrecht eine Einzelnormierung bestimmter missbilligter Verhaltensweisen in der Regel nicht notwendig; es genügt die Normierung von Generalklauseln, da eine vollständige Aufzählung von mit einem Beruf verbundenen Pflichten nicht möglich ist und es sich um Normen handelt, die nur den Kreis der Berufsangehörigen betreffen, sich aus der ihnen gestellten Aufgabe ergeben und daher für sie im Allgemeinen leicht zu erkennen sind (vgl. BVerfGE 26, 186, 204).

2. Diese Grundsätze sind zunächst auf § 29 I HeilBerG anzuwenden, da sich aus dieser Vorschrift die vom Berufsgericht geahndete Tat ergibt. Es handelt sich hierbei um die übliche Generalklausel für die Normierung beruflicher Pflichten, die hinreichend bestimmt ist. Das BVerfG begründet das noch damit, dass sich die näheren Vorschriften in der Berufsordnung finden, die wiederum auf die Gebührenordnung verweist. Für den vorliegenden Fall ist dieser Verweis nicht erforderlich, da es um bewusst falsche Abrechnungen geht, deren Unzulässigkeit auch ohne Konkretisierung in anderen Vorschriften klar erkennbar ist.

BVerfG [15] Diese Norm ist hinreichend konkret gefasst, so dass es dem Berufsangehörigen möglich ist, für ihn relevante Pflichten und damit auch das pflichtwidrige Verhalten und etwaige Sanktionen vorherzusehen. Aus der Tatsache, dass zu dem hier relevanten, in der GOÄ Verwendung findenden Tatbestandsmerkmal der „Sitzung“ unterschiedliche Auffassungen vertreten werden, kann nicht gefolgert werden, dass deshalb die der berufsrechtlichen Sanktion zugrundeliegenden Regelungen nicht bestimmt genug seien, um eine berufsgerichtliche Verurteilung zu rechtfertigen. Für den Beschwerdeführer war jedenfalls schon angesichts der Alltagsbedeutung des Begriffs hinreichend deutlich erkennbar, dass die von ihm vertretene, davon abweichende Auffassung mit einem Sanktionsrisiko belegt ist.

3. [16] Die Sanktionsnorm des § 60 Abs. 3 HeilBerG zu diesen pflichtenbegründenden Normen verstößt ebenfalls nicht gegen Art. 103 Abs. 2 GG, denn das Tatbestandsmerkmal des „besonderen Falles“ für solche berufsgerichtlichen Sanktionen ist hinreichend bestimmt. Von einem solchen besonderen Fall ist schon nach dem Wortlaut der Norm auszugehen, wenn der zur Beurteilung stehende Fall sich von den typischen Berufsgerichtsverfahren unterscheidet und deswegen von einem besonderen Informationsinteresse ausgegangen werden kann (vgl. auch BVerfGK 14, 177, 181 f. zum Begriff des „besonders schweren Falles“ im Sinne des Strafgesetzbuches). In der Auslegung des Berufsgerichts für Heilberufe liegt ein besonderer Fall nach § 60 Abs. 3 HeilBerG regelmäßig dann vor, wenn für ein besonders schwerwiegendes Berufsvergehen eine Maßnahme nach § 60 Abs. 1 HeilBerG zu verhängen ist, eine Kombination der Maßnahmen im Sinne des § 60 Abs. 2 HeilBerG nicht ausreicht und der Fall besondere Bedeutung für die Allgemeinheit oder für die in der Kammer zusammengeschlossenen Berufsangehörigen hat.

§§ 29 I, 60 III HeilBerG sind somit hinreichend bestimmt. In der Anwendung dieser Vorschriften liegt keine Verletzung des Grundrechts des A aus Art. 103 II GG.

II. Das Urteil des Berufsgerichts könnte das allgemeine Persönlichkeitsrecht des A (Art. 2 I i. V. mit Art. 1 I GG) verletzen.

BVerfG [18] Das allgemeine Persönlichkeitsrecht aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG ist vorliegend eigenständiger Prüfungsmaßstab. Zwar steht das allgemeine Persönlichkeitsrecht bei einer berufsgerichtlichen Verurteilung in Konkurrenz zur Berufsfreiheit des Art. 12 Abs. 1 GG; es wird im Hinblick auf die Veröffentlichung einer berufsgerichtlichen Verurteilung hierdurch jedoch nicht verdrängt. Denn eine solche Veröffentlichung betrifft den Beschwerdeführer nicht nur als Berufsträger, sondern mit eigenem Gewicht auch in seiner Eigenschaft als Privatperson. Auch wenn die Verurteilung selbst an ein berufsrechtliches und schuldhaftes Fehlverhalten anknüpft, stellt die Veröffentlichung einer solchen Entscheidung gerade auch die individuelle Schuld der Privatperson bei ihrer Berufsausübung in den Vordergrund und macht sie publik.

1. Das Urteil müsste einen Eingriff in den Schutzbereich dieses Grundrechts enthalten.

a) BVerfG [19] Nach seinem Schutzbereich schützt dieses Grundrecht die soziale Anerkennung des Grundrechtsträgers (vgl. BVerfGE 99, 185, 193 f.)…Namentlich umfasst es den Schutz vor Äußerungen, die - ohne im engeren Sinn ehrverletzend zu sein - geeignet sind, sich abträglich auf das Ansehen des Einzelnen in der Öffentlichkeit auszuwirken (vgl. BVerfGE 99, 185, 193 f.; 114, 339, 346).

b) Die Veröffentlichung eines Urteils, nach dem ein namentlich benannter Arzt bewusst falsche Abrechnungen zum eigenen Vorteil und zum Nachteil seiner Patienten vorgenommen hat, ist in hohem Maße geeignet, dessen Ansehen zu schädigen. Somit liegt ein Eingriff vor.

BVerfG [20] Die Veröffentlichung einer berufsgerichtlichen Verurteilung unter voller Namensnennung setzt den Beschwerdeführer in der Öffentlichkeit herab und betrifft seine soziale Stellung in negativer Weise….Die Mitteilung einer berufsgerichtlichen Verurteilung beinhaltet zugleich die Mitteilung eines rechtlich missbilligten Fehlverhaltens.

2. Der Eingriff könnte gerechtfertigt sein. BVerfG [21] Das allgemeine Persönlichkeitsrecht ist nicht vorbehaltlos gewährleistet. Es unterliegt der Schrankenregelung des Art. 2 Abs. 1 GG (vgl. BVerfGE 99, 185, 195; 120, 180, 201) und kann damit durch Gesetz unter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit beschränkt werden (vgl. BVerfGE 65, 1, 44).


a) Die Schranke der verfassungsmäßigen Ordnung in Art. 2 I GG umfasst jede formell und materiell verfassungsmäßige Rechtsnorm (BVerfGE 6, 32, 36, 38; 91, 335, 338/9). Im vorliegenden Fall könnte beschränkendes Gesetz § 60 III HeilBerG sein. Dann müsste diese Vorschrift verfassungsmäßig sein. (Oben I. wurde lediglich die Vereinbarkeit dieser Vorschrift mit Art. 103 II GG und noch nicht die allgemeine Verfassungsmäßigkeit geprüft.)

(1) Die Gesetzgebungszuständigkeit des Landes folgt aus Art. 70 I GG. Eine Bundeszuständigkeit besteht nur für die Zulassung zum ärztlichen Beruf (Art. 73 I Nr. 19 GG), umfasst dagegen nicht die rechtlichen Verpflichtungen der zugelassenen Ärzte und die Sanktionen bei beruflichen Verfehlungen.

(2) Wäre Art. 103 II GG nicht bereits oben I. als selbstständiges, vom Berufsgericht zu beachtendes Grundrecht geprüft worden, müsste diese Prüfung an dieser Stelle vorgenommen werden; es würde dann festgestellt, dass §§ 29 I, 60 III HeilBerG nicht zu unbestimmt sind.

(3) § 60 III HeilBerG ermöglicht Eingriffe in das allgemeine Persönlichkeitsrecht, wie aus den Überlegungen oben 1. folgt. Außerdem gestattet er, wie noch unter III. auszuführen ist, Eingriffe in die Berufsfreiheit. Er muss deshalb mit dem Prinzip der Verhältnismäßigkeit im Einklang stehen.

BVerfG [22, 23] Eine Regelung, die zu Eingriffen in das allgemeine Persönlichkeitsrecht ermächtigt, ist nur zulässig, wenn sie zum Schutz eines gewichtigen Gemeinschaftsgutes geeignet und erforderlich ist und der Schutzzweck hinreichend schwer wiegt, so dass er die Beeinträchtigung des Persönlichkeitsrechts in ihrem Ausmaß rechtfertigt (vgl. BVerfGE 96, 171, 182).

aa) § 60 Abs. 3 HeilBerG betrifft Angehörige der Heilberufe, denen ein besonderes, schützenswertes Vertrauen entgegengebracht wird. Dieses Vertrauen und die Ordnungsgemäßheit des Handelns der Berufsträger werden seitens des Staates durch das Heilberufsrecht geschützt. Das Berufsrecht kann Fehlverhalten, das dieses Vertrauen erschüttert oder zu erschüttern geeignet ist, mit geeigneten Maßnahmen sanktionieren. Der Staat darf insbesondere Verhaltensweisen entgegenwirken, die den Eindruck vermitteln können, der Arzt stelle die Gewinnerzielung über das Wohl des Patienten und dessen ordnungsgemäße Gesundheitsversorgung (…). Patientinnen und Patienten sollen darauf vertrauen können, dass sich ein Arzt nicht von kommerziellen Interessen leiten lässt (vgl. BVerfGE 71, 162, 174; 94, 372, 391). Zur Verfolgung dieses Ziels ist § 60 III HeilBerG insbesondere wegen seiner abschreckenden Wirkung geeignet.

bb) Notwendig müsste sein, in einem besonderen Fall das Urteil mit Nennung des Namens des Betroffenen zu veröffentlichen.

BVerfG [24, 25] Nach dem naheliegenden, jedenfalls verfassungsrechtlich vertretbaren Verständnis der angegriffenen Entscheidung sieht die Vorschrift des § 60 Abs. 3 HeilBerG vor, dass eine rechtskräftige berufsgerichtliche Verurteilung nichtanonymisiert veröffentlicht wird. Eine solche Maßnahme findet ihre Rechtfertigung in einem berechtigten Interesse an einer Information der Allgemeinheit, insbesondere der Gemeinschaft der Versicherten, wie auch der Kammerangehörigen, die sodann ihr Verhalten nach Kenntnis einer solchen Verfehlung steuern können. Neben dieser informationellen und im Grundsatz generalpräventiven Wirkung dient die Veröffentlichung auch der weiteren Sanktionierung eines individuellen Fehlverhaltens, das die Gefahr einer höheren Kostenlast für die Gemeinschaft der Versicherten in sich trägt. Da nicht ersichtlich ist, mit welchem milderen Mittel diese Ziele des Gesetzgebers erreicht werden können, ist die Regelung auch notwendig.

cc) Die Angemessenheit bejaht das BVerfG wie folgt: Eine Ermächtigung zur Veröffentlichung eines nichtanonymisierten, berufsgerichtlichen Urteils ist jedenfalls dann verfassungsrechtlich unbedenklich, wenn es sich wie hier nach der Regelung des § 60 Abs. 3 HeilBerG um vereinzelte, herausgehobene Fälle handelt. Zudem ist die Verhältnismäßigkeit hier gewahrt, insofern die Veröffentlichung nur in einem berufsrechtlichen Medium und einmalig erfolgt. Daran ändert es nichts, dass diese Veröffentlichung auch im Internet zu finden sein wird, denn dies verändert nicht den begrenzten und eindeutigen Bezug derselben auf die berufsrechtliche Verfehlung. Trotz der Härte einer solchen Veröffentlichung ist sie auf die Sanktionierung bestimmter besonderer Fälle beschränkt und hat deshalb auch nur eine auf diese Fälle beschränkte Wirkung. Demgegenüber geht es zu weit, wenn A darin eine irreversible Rufschädigung sowie die Vernichtung der beruflichen und wirtschaftlichen Existenz des Betroffenen sieht. Denn auch nach einer solchen Maßregelung kann der Betroffene durch künftiges einwandfreies Verhalten seinen guten Ruf wieder herstellen und sich seine berufliche und wirtschaftliche Existenz erhalten. Richtig ist allerdings, dass die Vorschrift eine Prangerwirkung hat. Aber auch diese ist einerseits auf die konkret geahndeten Fälle beschränkt und andererseits dann gerechtfertigt, wenn ein besonderer Fall vorliegt, in dem eine solche Wirkung erforderlich ist.

Die Regelung des § 60 III HeilBerG ist daher auch, soweit sie eine Veröffentlichung mit Namensnennung vorsieht, angemessen und insgesamt verhältnismäßig. § 60 III enthält keine Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts.

b) Das Urteil des Berufsgerichts müsste, damit es gerechtfertigt ist, mit § 60 III HeilBerG in Einklang stehen. Das setzt voraus, dass ein besonderer Fall i. S. des § 60 III vorliegt.

aa) Ob das der Fall ist, wird in einer VfB gegen ein Urteil nur begrenzt nachgeprüft, indem sich das BVerfG auf die Nachprüfung spezifischer Verfassungsverletzungen beschränkt. BVerfG [26] Die einfachrechtlichen Subsumtionsvorgänge sind so lange der Nachprüfung im Verfahren der Verfassungsbeschwerde entzogen, als nicht Auslegungsfehler sichtbar werden, die auf einer grundsätzlich unrichtigen Anschauung von der Bedeutung eines Grundrechts, insbesondere vom Schutzumfang seines Schutzbereichs beruhen und auch in ihrer materiellen Bedeutung für den konkreten Rechtsfall von einigem Gewicht sind (vgl. BVerfGE 18, 85, 92 f.; st. Rspr).

bb) Das Berufsgericht für Heilberufe hat maßgeblich darauf abgestellt, dass A mehrfach zum eigenen Vorteil und zum Schaden der Patienten und der Allgemeinheit falsch abgerechnet hat und dies bewusst verschleiert hat. Deshalb sei zur Abschreckung anderer Ärzte und zur Disziplinierung des A die Veröffentlichung der Entscheidung geboten und auch verhältnismäßig. Bei diesen Feststellungen sind keine Auslegungsfehler erkennbar, die auf einer grundsätzlich unrichtigen Anschauung vom allgemeinen Persönlichkeitsrecht beruhen. Vielmehr sind diese Überlegungen geeignet, einen besonderen Fall i. S. des § 60 III HeilBerG zu begründen. BVerfG [26]: Die Anwendung der Sanktion bedarf einer Abwägung im Einzelfall; eine solche Abwägung hat das Berufsgericht vorgenommen. Es ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, dass das Berufsgericht das dem Beschwerdeführer vorgeworfene Berufsvergehen als besonders schwerwiegend eingeordnet hat, weil in einer systematischen Vorgehensweise mit dem Ziel eines den Vorschriften der Gebührenordnung widersprechenden Abrechnungssystems eine hohe Schadensneigung begründet liegt.

c) Der Eingriff ist somit gerechtfertigt. Art. 2 I i. V. mit Art. 1 I GG des A ist nicht verletzt.

III. Das Urteil könnte das Grundrecht des A auf Freiheit des Berufs (Art. 12 I 1 GG) verletzen.

1. Es müsste einen Eingriff in den Schutzbereich enthalten.

a) A übt als Arzt einen Beruf aus und fällt deshalb unter den Schutzbereich dieses Grundrechts.

b) Das Urteil beurteilt eine berufliche Betätigung des A negativ und fügt mit der Anordnung der Veröffentlichung des Urteils A einen Nachteil wegen seiner beruflichen Tätigkeit zu. Die Veröffentlichung wird auch für die zukünftige berufliche Tätigkeit des A Nachteile auslösen. Darin liegt ein Eingriff. Dieser ist bewusst auf eine Disziplinierung des A gerichtet und hat deshalb die für einen Eingriff in Art. 12 erforderliche berufsregelnde Tendenz.

2. Der Eingriff betrifft die Berufsausübung und nicht die Berufswahl und kann über Art. 12 I 2 GG gerechtfertigt sein. Das danach erforderliche Gesetz sind §§ 29 I, 60 III HeilBerG.

a) Dass dieses Gesetz formell verfassungsmäßig ist und dass es nicht gegen Art. 103 II GG und Art. 2 I i. V. mit Art. 1 I GG verstößt, wurde oben I. und II. ausgeführt. Unter III. 2 b) wurde auch festgestellt, dass die Anwendung der §§ 29 I, 60 III HeilBerG durch das Berufsgericht keine verfassungsspezifischen Fehler aufwies, dass insbesondere die Annahme eines besonderen Fall durch die Schwere des Vergehens des A und durch den Bedarf, andere Ärzte zu warnen, gerechtfertigt war.

b) An dieser Stelle ist noch zu prüfen, ob sich an diesem Ergebnis dadurch etwas ändert, dass vorstehend zusätzlich ein Eingriff in die Berufsfreiheit festgestellt wurde.

aa) Die Ausführungen zur Verhältnismäßigkeit des in §§ 29 I, 60 III HeilBerG vorgesehenen Eingriffs in das Persönlichkeitsrecht oben (3) lassen sich auf den Eingriff in die Berufsfreiheit übertragen. Insbesondere wurde bereits oben der Einwand des A zurückgewiesen, die Veröffentlichung bedeute eine unverhältnismäßige Vernichtung der beruflichen und wirtschaftlichen Existenz des Betroffenen. Auch unter Berücksichtigung der beruflichen Folgen einer Veröffentlichung überwiegt bei Vorliegen eines besonders schweren Falles das öffentliche Interesse an einer nicht anonymisierten Veröffentlichung.

bb) Dass die Anwendung der §§ 29 I, 60 III HeilBerG durch das Berufsgericht keine spezifischen Verfassungsverletzungen erkennen lässt, wurde unter II. 2 b) geprüft und bejaht; diese Überlegungen gelten auch für den Eingriff in die Berufsfreiheit. Das BVerfG hat deshalb ohne weitere Prüfung unter [27] festgestellt: Aus dem vom Beschwerdeführer weiterhin gerügten Grundrecht der Berufsfreiheit aus Art. 12 Abs. 1 GG folgt insoweit kein weitergehender Schutz.

Ergebnis: Das Urteil des Berufsgerichts verletzt kein Grundrecht des A. Die VfB ist unbegründet und hat keine Aussicht auf Erfolg. (Das BVerfG hat sie nicht zur Entscheidung angenommen.)

Ergänzender Hinweis: Der Straftatbestand des § 352 StGB, Gebührenüberhebung, betrifft nicht Ärzte. Dessen Absatz 1 lautet: Ein Amtsträger, Anwalt oder sonstiger Rechtsbeistand, welcher Gebühren oder andere Vergütungen für amtliche Verrichtungen zu seinem Vorteil zu erheben hat, wird, wenn er Gebühren oder Vergütungen erhebt, von denen er weiß, dass der Zahlende sie überhaupt nicht oder nur in geringerem Betrag schuldet, mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft.

Zusammenfassung