Bearbeiter: Prof. Dieter Schmalz

Verfassungsbeschwerde gegen Strafurteil. Inzidente Prüfung der Verfassungsmäßigkeit eines (Straf-) Gesetzes. Meinungsfreiheit, Art. 5 I 1 GG; Tatsachenwiedergabe als Meinung. Beschränkung nach Art. 5 II GG; Begriff des allgemeinen Gesetzes. Verhältnismäßigkeit des Eingriffs durch Gesetz; nur begrenzte Überprüfung der Zwecktauglichkeit des Gesetzes durch das BVerfG. Gesetzesgleiche Wirkung einer Entscheidung des BVerfG, § 31 BVerfGG, Art. 103 GG

BVerfG
Beschluss vom 27. 6. 2014 (2 BvR 429/12) NJW 2014, 2777

Fall
(Anklageschrift als Download)

Gegen A hatte die Staatsanwaltschaft Anklage vor einer Großen Strafkammer wegen gewerbsmäßigen Betrugs in Tateinheit mit gewerbsmäßiger Urkundenfälschung in 34 Fällen erhoben. Über das Verfahren wurde in den Medien nur in der Weise berichtet, dass eine lokale Zeitung in einem kurzen Bericht eine Pressemitteilung des A wiedergab. Als die Strafkammer die Anklage zuließ und das Hauptverfahren eröffnete, stellte A die Anklageschrift auf seiner Homepage als Download zur Verfügung, so dass sie im vollen Wortlaut eingesehen werden konnte.

Daraufhin erhob die Staatsanwaltschaft eine weitere Anklage gegen A wegen einer Straftat nach § 353 d Nr. 3 StGB. Nach dieser Vorschrift wird bestraft, wer „ die Anklageschrift…im Wortlaut öffentlich mitteilt, bevor sie in öffentlicher Verhandlung erörtert worden oder das Verfahren abgeschlossen ist.“ D as zuständige Amtsgericht sprach A nach § 353 d Nr. 3 StGB für schuldig und verurteilte ihn zu einer Geldstrafe. Berufung (an das Landgericht) und Revision (an das Oberlandesgericht) blieben erfolglos.

Nunmehr will A Verfassungsbeschwerde beim Bundesverfassungsgericht erheben. Er macht geltend, § 353 d Nr. 3 StGB sei verfassungswidrig. Die Vorschrift schränke die Meinungsfreiheit ein, obwohl es keinen Grund dafür gebe, gerade die wörtliche Wiedergabe amtlicher Schriftstücke zu verbieten, nicht jedoch die Wiedergabe mit eigenen Worten und auch nicht die entstellende Wiedergabe, obwohl in diesen Fällen der Schaden größer sein könne. In seinem Fall sei die Wiedergabe nötig gewesen, um einer drohenden Vorverurteilung in der Öffentlichkeit dadurch entgegenzutreten, dass er die öffentliche Meinung durch Präsentation entlastender Unterlagen zu seinen Gunsten habe beeinflussen wollen, was ohne Wiedergabe der erhobenen Vorwürfe nicht hinreichend wirksam möglich gewesen sei. Zu seiner Verteidigung verweist A auch auf den Beschluss BVerfGE 71, 206 in einem Verfahren nach Art. 100 GG. Dessen Entscheidungsformel lautet: „§ 353 d Nr. 3 StGB…ist mit dem Grundgesetz vereinbar, soweit die in dieser Bestimmung unter Strafe gestellte wörtliche öffentliche Mitteilung der Anklageschrift…ohne oder gegen den Willen des von der Berichterstattung Betroffenen erfolgt ist.“ In der Begründung heißt es auf S. 213: „die Prüfung ist auf die Gültigkeit der Vorschrift zu beschränken, soweit diese Veröffentlichungen ohne oder gegen den Willen des Betroffenen voraussetzt.“ A beruft sich darauf, dass in seinem Fall die Veröffentlichung mit seinem Willen erfolgt ist, so dass nach dem zitierten Beschluss § 353 d Nr. 3 auf seinen Fall nicht habe angewendet werden dürfen.

Die Strafgerichte haben sich mit den Argumenten des A befasst, diese aber als nicht durchgreifend betrachtet. Hätte eine Verfassungsbeschwerde Aussicht auf Erfolg?

A. Zulässigkeit einer Verfassungsbeschwerde (VfB)

I. Die VfB muss sich gegen einen Hoheitsakt richten (§ 90 I BVerfGG).

1. Zwar macht A geltend, § 353 d Nr. 3 StGB sei verfassungswidrig. Gleichwohl kann sich die VfB nicht unmittelbar gegen diese Vorschrift richten. Gegen ein Gesetz ist eine VfB nur zulässig, wenn der Beschwerdeführer (Bf.) durch das Gesetz unmittelbar betroffen ist, was nicht der Fall ist, wenn das Gesetz noch einer Vollziehung bedarf oder eine Vollziehung erfolgt ist (BVerfG DVBl 2007, 1097). Sie ist im vorliegenden Fall durch die Verurteilung erfolgt, so dass A unmittelbar nur durch die Verurteilung betroffen ist. Allerdings ist bei Prüfung der Verfassungsmäßigkeit der Verurteilung auch und in erster Linie zu prüfen, ob das Urteil auf ein verfassungsmäßiges Gesetz gestützt werden kann (Art. 103 II GG). Deshalb ist das Gesetz zwar nicht Hoheitsakt i. S. des § 90 I BVerfGG, die VfB richtet sich aber mittelbar gegen § 353 d Nr. 3 StGB (so BVerfG im vorliegenden Fall unter 2. bei der Wiedergabe der Anträge; vgl. auch § 95 III 2 BVerfGG).

2. Hoheitsakt, gegen den sich die VfB unmittelbar zu wenden hat, ist die Verurteilung des A durch die Strafgerichte. Da sie durch das Amtsgericht erfolgt ist und die Rechtsmittelgerichte lediglich die eingelegten Rechtsmittel zurückgewiesen haben, ist naheliegend, das Urteil des Amtsgerichts als Hoheitsakt und die Urteile des LG und des OLG als Ausschöpfung des Rechtswegs (§ 90 II BVerfGG) zu betrachten. Das BVerfG nimmt jedoch an, das Urteil des AG sei durch das Urteil des LG als der zweiten Tatsacheninstanz überholt; es hält deshalb nur die Urteile des LG und des OLG für die anzugreifenden Hoheitsakte. BVerfG [14] Soweit der Bf. die erstinstanzliche Entscheidung angreift, fehlt ihm das Rechtsschutzbedürfnis. Das Urteil des Amtsgerichts ist durch die nachfolgende Berufungsentscheidung des Landgerichts…prozessual überholt (vgl. BVerfGK 10, 134, 138; 13, 231, 233).

II. A macht entsprechend § 90 I BVerfGG geltend, durch die Verurteilung werde er in seinem Grundrecht aus Art. 5 I GG verletzt.

III. Nach Zurückweisung der Revision ist der Rechtsweg ausgeschöpft (§ 90 II 1 BVerfGG).

IV. D ie VfB kann form- und fristgerecht erhoben werden (§§ 23, 93 BVerfGG) und ist zulässig.

B. Die VfB ist begründet, wenn A in einem Grundrecht verletzt wird.

I. Die Berufung des A darauf, nach dem Beschluss BVerfGE 71, 206 erfasse § 353 d Nr. 3 StGB nur die Wiedergabe einer Anklageschrift ohne oder gegen den Willen des Betroffenen und im vorliegenden Fall sei die Veröffentlichung mit seinem Willen erfolgt, kann entnommen werden, dass A geltend macht, in seinem Fall fehle die verfassungsmäßige Grundlage für eine Bestrafung. Dann wäre das grundrechtsgleiche Recht (vgl. § 90 I BVerfGG) des Art. 103 II GG verletzt, wonach eine Bestrafung nur aufgrund einer verfassungsmäßigen Rechtsgrundlage erfolgen darf.

BVerfG [17-19] Art. 103 Abs. 2 GG gewährleistet, dass eine Tat nur bestraft werden kann, wenn die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt war, bevor die Tat begangen wurde. Für die Rechtsprechung folgt aus diesem Erfordernis ein Verbot strafbegründender oder strafverschärfender Analogie (…). Dabei ist Analogie nicht im engeren technischen Sinne zu verstehen; ausgeschlossen ist vielmehr jede Rechtsanwendung, die über den Inhalt einer gesetzlichen Sanktionsnorm hinausgeht (vgl. BVerfGE 71, 108, 115). Da gemäß § 31 Abs. 2 BVerfGG bestimmte Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts in Gesetzeskraft erwachsen, liegt demnach auch ein Verstoß gegen das Analogieverbot vor, wenn ein Gericht eine strafrechtliche Verurteilung ausspricht, die auf der Anwendung einer Norm des materiellen Strafrechts beruht, welche zuvor durch das BVerfG als nichtig oder mit dem Grundgesetz als unvereinbar erklärt worden ist… Gesetzeskraft besitzt aber lediglich die im Tenor enthaltene Feststellung der Gültigkeit oder Ungültigkeit eines Gesetzes….

Gemessen hieran entfaltet ausschließlich die im Tenor der Entscheidung enthaltene Feststellung, dass § 353 d Nr. 3 StGB „mit dem Grundgesetz vereinbar [ist], soweit die in dieser Bestimmung unter Strafe gestellte wörtliche öffentliche Mitteilung der Anklageschrift oder anderer amtlicher Schriftstücke ohne oder gegen den Willen des von der Berichterstattung Betroffenen erfolgt ist“, Gesetzeskraft. Eine Feststellung, dass die Norm in jedem anderen Anwendungsfall - namentlich bei Sachverhalten, in denen die Veröffentlichung mit dem Willen des Betroffenen erfolgt - unvereinbar mit der Verfassung sei, wird nicht getroffen. Diese Feststellung kann auch nicht im Wege des Umkehrschlusses abgeleitet werden. Aus den Gründen der verfassungsgerichtlichen Entscheidung geht…klar hervor, dass das BVerfG bereits seinen Prüfungsumfang auf die im Tenor ausgesprochene Feststellung beschränkt hat, da nur diese im Sinne des Art. 100 Abs. 1 GG entscheidungserheblich war (vgl. BVerfGE 71, 206, 213). Über andere Sachverhaltskonstellationen - einschließlich der vorliegenden - sollte demnach keine Feststellung getroffen werden.

Art. 103 II GG ist somit nicht verletzt. Auch ergeben sich aus BVerfGE 71, 206 keine Einschränkungen des Prüfungsumfangs im vorliegenden Fall.

II. A könnte durch die Verurteilung in seinem Grundrecht auf freie Meinungsäußerung (Art. 5 I 1 GG) verletzt sein.

1. Dann müsste ein Eingriff in den Schutzbereich dieses Grundrechts gegeben sein.

a) Der Schutzbereich des Art. 5 I 1 GG erfasst jede Äußerung einer Meinung. Darunter fallen zunächst Bewertungen, Werturteile in einem weiten Sinne. Sie sind nach BVerfGE 93, 266, 289 „durch die subjektive Einstellung des sich Äußernden zum Gegenstand der Äußerung gekennzeichnet“ und „enthalten ein Urteil über Sachverhalte, Ideen oder Personen“. Die wörtliche Wiedergabe der Anklageschrift durch A enthält keine Bewertung, kein Urteil über einen Sachverhalt, eine Idee oder eine Person. Die Anklageschrift wird vielmehr als Tatsache hingestellt und wiedergegeben. BVerfG [21] Nach der Rechtsprechung des BVerfG können auch Tatsachenmitteilungen - hier die Anklageschrift und der Eröffnungsbeschluss - dem Schutz der Meinungsfreiheit unterfallen, weil und wenn sie Voraussetzung der Bildung von Meinungen sind (vgl. BVerfGE 54, 208, 219 f.; 61, 1, 8; 85, 1,15). A hat die Anklageschrift ins Internet gestellt, damit andere sich darüber eine Meinung bilden. Folglich fiel das Einstellen der Anklageschrift ins Internet unter den Schutzbereich des Art. 5 I 1 GG.

b) Die Verurteilung zu einer Strafe wegen des Gebrauchmachens von einem Grundrecht ist stets ein Eingriff in das Grundrecht. Somit bedeutet die Bestrafung des A durch LG und OLG einen Eingriff in Art. 5 I 1 GG.

2. Der Eingriff könnte jedoch gerechtfertigt sein. Nach Art. 5 II GG werden die Grundrechte durch die allgemeinen Gesetze und durch auf sie gestützte Urteile, Beschlüsse und Verwaltungsakte beschränkt.

a) § 353 d Nr. 3 StGB könnte ein allgemeines Gesetz sein. Nach der Rspr. des BVerfG sind solche Gesetze allgemeine Gesetze, die sich weder gegen die Meinungsfreiheit insgesamt noch gegen eine bestimmte Meinung richten, sondern dem Schutz eines ohne Rücksicht auf eine bestimmte Meinung zu schützenden Rechtsguts dienen (BVerfGE 59, 231, 263; 71, 206, 214). Gegensatz dazu ist das sich gegen eine bestimmte Meinung oder gegen die Meinungsfreiheit insgesamt richtende Sondergesetz.

In E 71, 214 äußert das BVerfG zunächst Zweifel, ob § 353 d Nr. 3 StGB ein allgemeines Gesetz ist, weil es Berichte und Schriftstücke mit einem bestimmten Inhalt (Anklageschrift) verbietet, fährt dann aber fort: Dieses Verbot richtet sich indessen weder gegen eine bestimmte Meinung noch gegen den Prozess freier Meinungsbildung und gegen freie Information als solche; es dient dem Schutz anderer, ohne Rücksicht auf bestimmte Meinungen zu schützender Rechtsgüter. [Welche das sind, wird noch nachfolgend ausgeführt.] Die Vorschrift, die das Verbot enthält, kann deshalb als „allgemeines Gesetz“ angesehen werden. Im vorliegenden Fall NJW 2014, 2777 führt das BVerfG nur aus [23] § 353 d Nr. 3 StGB ist ein allgemeines Gesetz im Sinne des Art. 5 Abs. 2 GG. Bedenken, es handele sich um ein Sondergesetz, bestanden bereits im Jahr 1985 nicht mehr (vgl. BVerfGE 71, 206, 214 f).

b) Wie jedes aufgrund eines Gesetzesvorbehalts in ein Grundrecht eingreifendes Gesetz muss auch § 353 d Nr. 3 StGB formell und materiell verfassungsmäßig sein. Gegen die formelle Verfassungsmäßigkeit dieser Vorschrift des StGB bestehen keine Bedenken. In materieller Hinsicht muss sie, da sie - wie sich aus den Ausführungen unter 1. ergibt - Eingriffe in das Grundrecht der Meinungsfreiheit gestattet, dem Prinzip der Verhältnismäßigkeit entsprechen. Dabei ist zu berücksichtigen, dass § 353 d Nr. 3 über den Eingriff in Art. 5 I 1 GG hinaus in gleicher Weise auch die Pressefreiheit und die Freiheit der Berichterstattung durch den Rundfunk (Art. 5 I 2 GG) beschränkt und deshalb auch Eingriffe in diese Grundrechte enthält (BVerfGE 71, 213). Andererseits stellt das BVerfG bei der Beschränkung von Tatsachenbehauptungen weniger strenge Anforderungen. NJW 2014, 2777 [21] Soweit Tatsachenbehauptungen nicht schon von vornherein wegen erwiesener oder bewusster Unrichtigkeit außerhalb des Schutzbereichs von Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG verbleiben, sind sie Einschränkungen aufgrund von allgemeinen Gesetzen (Art. 5 Abs. 2 GG) leichter zugänglich als dies bei Meinungsäußerungen der Fall ist (vgl. BVerfGE 61, 1, 8).

3. Da bei der Verhältnismäßigkeit das Verhältnis von Mittel - ist hier § 353 d Nr. 3 StGB -und Zweck zueinander geprüft wird, ist vorweg zu klären, welcher Zweck von § 353 d Nr. 3 verfolgt wird. Die Vorschrift verfolgt zwei Zwecke. BVerfG [26-28]

a) Die Strafvorschrift soll in erster Linie verhindern, dass Beteiligte an Verfahren…, insbesondere Laienrichter und Zeugen, durch die vorzeitige Veröffentlichung amtlicher Schriftstücke in ihrer Unbefangenheit beeinträchtigt werden (vgl. BTDrucks 7/550, S. 282 f.; Graf, in: MüKo StGB, 1. Aufl., 2006, § 353 d Rn. 5). Der durch eine vorweggenommene öffentliche Diskussion amtlichen Prozessmaterials…drohenden Voreingenommenheit und den darin liegenden Gefahren für die Wahrheitsfindung und für ein gerechtes Urteil soll entgegengetreten werden (…). Hauptzweck der Vorschrift ist somit der Schutz der staatlichen Rechtspflege im Bereich des Strafrechts.

b) Daneben treten als Schutzgut des § 353 d Nr. 3 StGB die Persönlichkeitsrechte der vom Verfahren Betroffenen und - hinsichtlich des Angeklagten - die Aufrechterhaltung der bis zu einem rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens zu seinen Gunsten bestehenden Unschuldsvermutung, die nicht durch Vorabveröffentlichungen amtlicher Schriftstücke gefährdet werden sollen (vgl. Graf, in: MüKo StGB, § 353 d Rn. 5).… Auch Mitangeklagte oder Nebenkläger können dadurch beeinträchtigt werden, dass ein Angeklagter ihn entlastende amtliche Mitteilungen vor dem Verfahren im Wortlaut veröffentlicht. Ohne die strafrechtliche Sanktionierung dieses Handelns bestünde die Gefahr, dass Angeklagte und Nebenkläger durch gezielte und möglicherweise entstellte Informationen, die aber den Eindruck amtlicher Authentizität erwecken, wechselseitig versuchen, die Stimmung der Öffentlichkeit und die Einstellung des Gerichts zum Sachverhalt vor Beginn der Hauptverhandlung gezielt in ihrem Interesse…zu beeinflussen.

4. Stehen somit Mittel und Zweck des § 353 d Nr. 3 StGB fest, können die einzelnen Elemente der Verhältnismäßigkeit geprüft werden. Dabei ist der Inhalt des § 353 d Nr. 3 auf den Fall zu beschränken, dass der vom Verfahren Betroffene selbst die Veröffentlichung vorgenommen hat (oder mit ihr einverstanden ist). Denn für die anderen (Normal-) Fälle steht nach BVerfGE 71, 206 die Verfassungsmäßigkeit fest.

a) § 353 d Nr. 3 darf nicht zur Erreichung eines Zwecks ungeeignet sein (Frage der Zwecktauglichkeit des Gesetzes).

aa) § 353 d Nr. 3 wäre im Falle der Veröffentlichung durch den Betroffenen ungeeignet, wenn die Vorschrift lediglich den Zweck verfolgte, den Betroffenen zu schützen. Wie oben 3 a) ausgeführt wurde, ist das aber nicht der Fall. Nach BVerfG [28] entfällt die Zwecktauglichkeit der Vorschrift nicht allein dadurch, dass sich ein durch das Verfahren Betroffener durch die verfrühte Veröffentlichung amtlicher Schriftstücke derjenigen Rechte begibt, soweit sie seinem Schutz dienen und damit zu seiner Disposition stehen können.

bb) Bei der weiteren Prüfung der Zwecktauglichkeit eines Gesetzes räumt das BVerfG dem Gesetzgeber einen großen Spielraum ein und hält sich bei der Prüfung stark zurück. [24]

Bei der verfassungsgerichtlichen Kontrolle der Zwecktauglichkeit von Gesetzen gebietet die Funktionenteilung zwischen gesetzgebender und rechtsprechender Gewalt Zurückhaltung (vgl. BVerfGE 71, 206, 215 m. w. N.). Es ist prinzipiell Aufgabe des Gesetzgebers zu entscheiden, mit welchen Mitteln der von einer Regelung verfolgte Zweck zu erreichen sei… Gesetze werden daher nur einer beschränkten Kontrolle unterzogen und lediglich darauf geprüft, ob das eingesetzte Mittel „objektiv“ oder „schlechthin“ ungeeignet ist (vgl. BVerfGE 30, 250, 263 f., m. w. N.). Dies gilt auch für materielle Strafgesetze (…). Die Geeignetheit wäre demnach im vorliegenden Fall nur zu verneinen, wenn § 353 d Nr. 3 StGB und die mit dieser Vorschrift verbundene Grundrechtseinschränkung zum Schutz der Rechtsgüter, denen sie dient, schlechthin ungeeignet wären.

BVerfG [30, 31] Die Zwecktauglichkeit ist insbesondere deshalb nicht zu verneinen, weil der Gesetzgeber nur die Veröffentlichung im Wortlaut unter Strafe gestellt, aber Wiedergaben in indirekter Rede vom Tatbestand ausgenommen hat. Die hierdurch bestehenden Umgehungsmöglichkeiten sind der Meinungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG) geschuldet, die es gebietet, nur absolut notwendige Einschränkungen vorzunehmen. Veröffentlichungen im Wortlaut bilden eine deutlich größere Gefahr für die Unbefangenheit der Verfahrensbeteiligten und die vom Verfahren Betroffenen als eine lediglich inhaltlich berichtende Veröffentlichung in nichtwörtlicher Rede (vgl. BVerfGE 71, 206, 216). Gegenüber der erkennbaren Meinungsäußerung kommt dem Zitat die besondere Überzeugungs- und Beweiskraft des Faktums zu. Nur eine wortgetreue Wiedergabe von Aktenteilen erweckt den Eindruck amtlicher Authentizität und bezweckt diesen regelmäßig auch.

Gerade für den Schutz der Unbefangenheit der Verfahrensbeteiligten ist dieser Unterschied wesentlich. Es erscheint nicht ausgeschlossen, dass Laienrichter, welche vorgelagerten Veröffentlichungen bereits vor Prozessbeginn den Inhalt der Akten im Wortlaut haben entnehmen können, ihr Urteil nicht mehr allein auf der Grundlage der Hauptverhandlung bilden, wie die Prozessordnung es im Interesse eines rechtsstaatlichen Verfahrens voraussetzt. Ebenso kann die Zuverlässigkeit von Zeugenaussagen unter vorzeitiger Unterrichtung leiden. Diese Gefahr besteht in besonderem Maße, wenn der öffentlichen Mitteilung das Gewicht amtlicher Authentizität zukommt. Erfüllt ein Strafgesetz trotz bestehender - den Grundrechten geschuldeter - Einschränkungen im Übrigen weitgehend seinen Zweck, kann seine Geeignetheit nicht verneint werden (vgl. BVerfGE 71, 206, 217 f.).
Geeignet ist ein Mittel nicht nur, wenn es den Zweck erreicht, sondern bereits dann, wenn es ihn nur fördert (BVerfGE 90, 145, 172; 78, 245), was auf § 353 d Nr. 3 zutrifft. § 353 d Nr. 3 ist somit nicht ungeeignet.

b) [33] § 353 d Nr. 3 StGB ist auch bei einer Veröffentlichung mit dem Willen des Betroffenen erforderlich…. Der Gesetzgeber hat sich auf ein befristetes Verbot öffentlicher Mitteilungen im Wortlaut und damit einen den Schutzbereich des Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG so weitgehend wie möglich schonenden objektiven Tatbestand beschränkt. Insbesondere sind mildere Mittel, die einen vergleichbaren Schutz der Funktionsfähigkeit der Strafrechtspflege und der Persönlichkeitsrechte von Verfahrensbeteiligten gewährleisten, nicht ersichtlich (vgl. BVerfGE 71, 206, 218).

c) Die Angemessenheit wäre zu verneinen, wenn die Meinungsfreiheit in den hier zu beurteilenden Fällen ein höheres Gewicht hätte als der Schutz der Rechtspflege. Konkreter BVerfG [34-38] Maßgebend hierfür sind die Bedeutung der durch den Grundrechtseingriff zu schützenden und der grundrechtlich geschützten Rechtsgüter, die Wirksamkeit des angestrebten Rechtsgüterschutzes und das Ausmaß der zu diesem Zweck normierten Grundrechtsbeschränkung (vgl. BVerfGE 71, 206, 218).

Soweit Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG betroffen wird, ist zu berücksichtigen, dass die durch die Strafvorschrift verbotene Mitteilung kein Element des persönlichen Meinens und Dafürhaltens, sondern nur Tatsachenbehauptungen enthält, hinsichtlich derer ein gerechtfertigter Eingriff unter geringeren Voraussetzungen möglich ist. Auch ist in die Abwägung einzustellen, dass der Eingriff zeitlich bis zur Erörterung des Schriftstücks in mündlicher Verhandlung beschränkt ist und nur bestimmte, besonders gefahrträchtige Formen von Veröffentlichungen verbietet, es dem Betroffenen aber möglich bleibt, seine Meinung durch Formen der indirekten Wiedergabe - wenn auch ohne den Anschein amtlicher Authentizität - zu verbreiten.
BVerfGE 71, 2206, 220 hat auch für die von § 353 d Nr. 3 beeinträchtigte Presse- und Rundfunkfreiheit (Art. 5 I 2 GG) angenommen, durch das bloße Verbot einer wörtlichen Wiedergabe würden diese Freiheiten nur wenig beeinträchtigt. Die Eingriffswirkung vermindere sich weiter dadurch, dass der Presse die Schriftstücke vielfach nicht vorliegen. Folglich ist die Beeinträchtigung des Art. 5 I gering; ihr kommt kein besonderes Gewicht zu.

Andererseits dient § 353 d Nr. 3 dem Schutz der Neutralität des Gerichts und der Pflicht zur Erforschung der materiellen Wahrheit als Grundlage des den Strafprozess bestimmenden Schuldprinzips (Art. 1 Abs. 1 i. V. m. Art. 20 Abs. 3 GG) und damit ebenfalls der Wahrung von Rechtsgütern mit Verfassungsrang. Ihnen ist ein hohes Gewicht zuzuerkennen. Unter Bezugnahme auf den Fall des A führt BVerfG [41] aus: So bestand im Falle des Bf. auch nicht lediglich eine theoretische Gefahr der Beeinflussung von Laienrichtern und Zeugen. Die Anklage war zur Großen Strafkammer erfolgt, die in derartigen Verfahren in der Besetzung mit zwei Berufsrichtern und zwei Schöffen entscheidet (vgl. § 76 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 4 GVG). Als Beweismittel waren unter anderem 15 Zeugen vorgesehen. Deren Unvoreingenommenheit zu schützen, begründet ein gewichtiges öffentliches Interesse.

Somit lässt sich nicht feststellen, dass die betroffenen Freiheiten aus Art. 5 I GG ein höheres Gewicht haben als der Schutz der Rechtspflege. Daran ändert auch das Vorbringen des A nichts, dass i n seinem Fall die Wiedergabe der Anklageschrift nötig gewesen sei, um einer drohenden Vorverurteilung entgegenzutreten. BVerfG [38] Die von A vertretene Auffassung würde die Gefahr einer weitgehenden Vorverlagerung der Meinungsbildung mit sich bringen und die Wahrheitsfindung als zentrales Element des Strafprozesses zu Gunsten einer außerprozessualen öffentlichen oder medialen Diskussion zurückdrängen. Ob bei einer außerordentlich hohen Rufschädigung davon eine Ausnahme zu machen ist, kann hier offen bleiben, weil über das Verfahren gegen A in den Medien nur in der Form berichtet worden war, dass eine Zeitung die Pressemeldung des A wiedergegeben hatte.

Folglich ist § 353 d Nr. 3 StGB nicht unangemessen und insgesamt verhältnismäßig. Daraus folgt weiter, dass § 353 d Nr. 3 auch in den Fällen, in denen die Veröffentlichung durch den Betroffenen selbst erfolgt, verfassungsmäßig ist.

5. Gegen die Anwendung des § 353 d Nr. 3 durch die Strafgerichte bestehen keine Bedenken. A hat die Anklageschrift im Wortlaut ins Internet gestellt und damit für jeden zugänglich gemacht, mithin die Anklageschrift öffentlich mitgeteilt, bevor sie in öffentlicher Verhandlung erörtert wurde oder das Verfahren abgeschlossen war.

III. Die Verurteilung des A verletzt diesen in keinem Grundrecht. Eine VfB hat keine Aussicht auf Erfolg. (Das BVerfG hat die VfB für offensichtlich unbegründet erklärt und nicht zur Entscheidung angenommen, vgl. § 93 a BVerfGG.)


Zusammenfassung