Bearbeiter: Prof. Dieter Schmalz
► Urteilsverfassungsbeschwerde gegen Entscheidung eines Zivilgerichts. ► Grundrechtsanwendung im Privatrecht; mittelbare Drittwirkung. ► Hausrecht und Hausverbot, §§ 903, 1004 BGB. ► Keine Ausstrahlungswirkung der allgemeinen Handlungsfreiheit (Art. 2 I GG) auf Zivilrecht. ► Ausstrahlungswirkung des Gleichheitsgrundrechts (Art. 3 I GG) bei Ausschluss von einer allgemein zugänglichen Veranstaltung. ► Sachlicher Grund für Stadionverbot bei Verdachtsstörer
BVerfG Beschluss vom 11. 4. 2018 (1 BvR 3080/09) NJW 2018, 1667
Fall (Stadionverbot)
Am 25. 3. fand in Duisburg ein Fußballspiel der Ersten Bundesliga statt zwischen dem FC Bayern München (FCB) und dem MSV Duisburg (V), der damals noch in der 1. Bundesliga spielte. Fußballfan F, der Mitglied des Vereins FCB und Inhaber von Heim- und Auswärtsdauerkarten war, nahm an dem Spiel als Zuschauer teil. Nach Ende des Spiels kam es auf dem Weg zur nächsten Bahnstation zu gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen FCB- und MSV-Fans, bei denen Personen verletzt und Autos beschädigt wurden. Die Angriffe gingen von einer gewaltbereiten, „Schickeria“ genannten „Ultra“-Fangruppe des FCB aus. F gibt zu, zu dieser Gruppe zu gehören, und befand sich auch innerhalb dieser Gruppe. Ob F, der eine Beteiligung an den Angriffen bestreitet, sich daran beteiligt hat, konnte nicht mehr aufgeklärt werden. F und zahlreiche andere Personen aus der Ultra-Fangruppe wurden vorübergehend in Polizeigewahrsam genommen. Gegen sie wurden Verfahren wegen Landfriedensbruchs (§ 125 StGB) eingeleitet.
Mit Schreiben vom 18. 4. sprach V gegenüber F für die Dauer von zwei Jahren ein bundesweites Stadionverbot aus. Er stützte sich dabei auf sein Hausrecht und die „Richtlinien zur einheitlichen Behandlung von Stadionverboten" des Deutschen Fußball-Bundes (Stadionverbots-Richtlinien, SVRL). Nach deren § 4 III Nr. 8 soll bei Ermittlungsverfahren wegen Landfriedensbruchs ein solches Verbot verhängt werden. V handelte dabei im Namen des DFB und sämtlicher Vereine der Fußball-Ligen, die sich für die Festsetzung solcher Verbote wechselseitig bevollmächtigt haben. Nach § 6 I SVRL soll der Betroffene vorher angehört werden. V verfügt über die Kopie eines Anhörungsschreibens, dessen Erhalt aber von F bestritten wurde; den Zugang des Schreibens kann V nicht nachweisen. Am 27. 10. wurde das Ermittlungsverfahren gegen F nach § 153 I StPO wegen Geringfügigkeit eingestellt. § 7 SVRL bestimmt in Abs. 1, dass das Stadionverbot im Falle einer Einstellung nach § 170 II StPO aufzuheben ist, und in Abs. 2, dass es im Falle einer Einstellung nach § 153 I StPO überprüft werden soll. Nachdem F eine Überprüfung beantragt und V Einsicht in die Ermittlungsakten genommen hatte, entschied V, das Verbot nicht aufzuheben. Der FCB kündigte F die Dauerkarten und schloss ihn aus dem Verein aus.
F erhob Klage im Zivilrechtsweg. Nachdem das Verbot wegen Zeitablaufs außer Kraft getreten war, beantragte er die Feststellung, dass das Stadionverbot rechtswidrig war. Die Klage wurde in drei Instanzen abgewiesen. Der BGH (V ZR 253/08, NJW 2010, 534) führte aus, anders als bei einer Bestrafung reiche für ein Stadionverbot die Gefahr aus, dass eine Person bei künftigen Spielen sicherheitsrelevante Störungen verursachen könnte. Im Fall des F ergebe sich das aus dem E rmittlungsverfahren und der Tatsache, dass F Teil der Gruppe war, aus der heraus Gewalttaten verübt wurden. Grundrechte des F würden dadurch nicht verletzt.
Hiergegen will F Verfassungsbeschwerde erheben. Er trägt vor, in Anbetracht der überragenden sozialen Bedeutung, den der Fußball in der Gesellschaft habe, sei es mit den Grundrechten nicht vereinbar, wenn allein aufgrund eines Verdachts ein Stadionverbot ausgesprochen werde. Zumindest hätte es einer Begründung dafür bedurft, warum an dem Verbot trotz Einstellung des Ermittlungsverfahrens festgehalten worden sei. Bei ihm als bloßem Mitläufer auf dem Weg zur Bahnstation sei ein bundesweites jahrelanges Stadionverbot unverhältnismäßig gewesen. Hat die Verfassungsbeschwerde Aussicht auf Erfolg?
Lösung
A. Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerde (VfB)
I. Die VfB muss sich gegen einen Hoheitsakt richten (§ 90 I BVerfGG).
1. Das Urteil des BGH sowie die vorangegangenen Urteile des AG und des LG sind mit der VfB angreifbare Hoheitsakte, da auch die Gerichte öffentliche Gewalt i. S. der § 90 I BVerfGG, Art. 93 I Nr. 4 a GG ausüben. Die VfB ist also eine Urteilsverfassungsbeschwerde. Demgegenüber ist das Stadionverbot kein Hoheitsakt.
2. Möglicherweise würde es ausreichen, die VfB gegen das letztinstanzliche Urteil des BGH zu richten. Jedoch hat das BVerfG im Originalfall die VfB gegen alle drei Urteile gerichtet, aber maßgeblich auf die Begründung im letztlich verbindlichen Urteil des BGH abgestellt (BVerfG [49]). Wird dem gefolgt, sind Beschwerdegegenstand die - im Ergebnis gleich lautenden - drei Zivilurteile, wobei die Begründung dem BGH-Urteil zu entnehmen ist.
II. Der Beschwerdeführer muss geltend machen, in einem Grundrecht verletzt zu sein (§ 90 I BVerfGG; Beschwerdebefugnis). Dass auch Gerichte Grundrechte verletzen können, ergibt sich aus Art. 1 III GG, wenn dort bestimmt ist, dass Gesetzgebung, vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung an die Grundrechte gebunden sind.
1. Welche Grundrechte als verletzt angesehen werden, braucht an dieser Stelle noch nicht entschieden zu werden. BVerfG [26, 27] hält es für ausreichend, dass F vorgetragen hat, die Fachgerichte hätten dem Stadionbetreiber…das Recht zuerkannt, ein Stadionverbot nach Einstellung des gegen F angestrengten Ermittlungsverfahrens nach § 153 Abs. 1 StPO auf einen bloßen Verdacht zu stützen. Mit diesem Vortrag ist die Möglichkeit einer Grundrechtsverletzung im Sinne des § 23 Abs. 1 Satz 1 BVerfGG hinreichend dargelegt. Dass F im Originalfall sich auf sein allgemeines Persönlichkeitsrecht aus Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG berufen hatte, hindert das BVerfG nicht, weitere Grundrechte in die Prüfung einzubeziehen, soweit sich die vom Beschwerdeführer geltend gemachte Rechtsverletzung in Blick auf dieselbe Beschwer auch oder vorrangig im Blick auf andere Grundrechte ergeben kann. Innerhalb des durch die geltend gemachte Beschwer bestimmten Streitgegenstandes prüft das BVerfG alle in Betracht zu ziehenden Grundrechte. Damit behält sich das BVerfG vor, statt des von F gerügten Art. 2 I GG den Gleichheitssatz (Art. 3 I GG) als entscheidend für die Lösung des Falles heranzuziehen (unten B II 2).
2. Einer Berufung auf die Verletzung von Grundrechten könnte entgegen stehen, dass das BGH-Urteil ein Urteil in einem Rechtsstreit zwischen F und dem V-Verein, also zwischen zwei Privatrechtssubjekten ist.
a) Private wie V sind grundsätzlich nicht an die Grundrechte gebunden (vgl. Art. 1 III GG), sondern ihre Rechtsbeziehungen richten sich nach Privatrecht, das insbesondere durch Vertragsfreiheit und den Schutz durch absolute Rechte gekennzeichnet ist. Andererseits sind die Grundrechte im Privatrecht nicht ohne Bedeutung. Dabei braucht die Frage, ob und inwieweit gegenüber V ein Grundrecht des F zur Anwendung kommt, noch nicht hier, bei der Zulässigkeit entschieden zu werden, sondern kann der Begründetheitsprüfung vorbehalten bleiben (dort B I 1). Denn für das Geltendmachen einer Grundrechtsverletzung ist ausreichend, dass sich der Beschwerdeführer auf ein Grundrecht beruft und eine Verletzung möglich ist (ähnlich wie bei § 42 II VwGO). Im vorliegenden Fall ist möglich, dass ein Grundrecht über die Lehre von der Drittwirkung der Grundrechte zur Anwendung kommt und verletzt ist. BVerfG [26] Der Bf. ist beschwerdebefugt. Er macht geltend, dass die Fachgerichte mit der Bestätigung des auf das Hausrecht gestützten Stadionverbots die Ausstrahlungswirkung der Grundrechte in das Zivilrecht nicht hinreichend beachtet hätten. Diese Geltendmachung ist ausreichend.
b) Erst recht sind die bei einer Urteilsverfassungsbeschwerde bestehenden Beschränkungen der Prüfungsbefugnis des BVerfG ( nur „s pezifische Verfassungsverletzung“) keine Frage der Zulässigkeit, sondern betreffen den Prüfungsmaßstab innerhalb der Begründetheit (dazu B I 2 ). Sie sind zwar in der Praxis von großer Bedeutung bei der vom Bf. zu überwindenden Hürde der Annahme zur Entscheidung (§§ 93 a-c BVerfGG), jedoch ist auch diese keine Zulässigkeitsfrage, sondern die Annahme zur Entscheidung setzt die Zulässigkeit voraus.
III. Die nach § 90 II 1 BVerfGG notwendige Rechtswegerschöpfung ergibt sich aus dem Durchlaufen des Zivilrechtswegs in drei Instanzen bis zum BGH.
IV. Die VfB könnte deshalb unzulässig geworden sein, weil sich das Stadionverbot inzwischen durch Zeitablauf erledigt hat. Das BVerfG prüft das unter dem Gesichtspunkt des Rechtsschutzbedürfnisses und Feststellungsinteresses.
1. [28] Trotz Erledigung des ursprünglichen Rechtsschutzziels kann das Rechtsschutzbedürfnis in Form eines Feststellungsinteresses fortbestehen, wenn (1) Wiederholungsgefahr besteht, (2) eine fortwirkende Beeinträchtigung zu beseitigen ist, (3) tiefgreifende und folgenschwere Grundrechtseingriffe in Rede stehen und sich die direkte Belastung durch den angegriffenen Hoheitsakt auf eine Zeitspanne beschränkt, in welcher nach dem regelmäßigen Geschäftsgang eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts kaum erlangt werden kann oder wenn (4) von einem Rehabilitierungsinteresse auszugehen ist (vgl. BVerfGE 81, 138, 140 f.;…110, 77, 92). Damit überträgt das BVerfG die zum Feststellungsinteresse bei der Fortsetzungsfeststellungsklage nach § 113 I 4 VwGO entwickelten Fallgruppen auf die Verfassungsbeschwerde.
2. Im vorliegenden Fall greift zumindest (2) ein. BVerfG [29] F war es zwei Jahre lang verwehrt, in Deutschland die Spiele der Fußballnationalmannschaft, der Fußballbundes- und -regionalligen als Zuschauer zu besuchen. Zugleich hat er seine Dauerkarte sowie seine Mitgliedschaft beim FCB verloren. Er wurde in die Liste über die bundesweit geltenden Stadionverbote eingetragen… Diese Umstände sind auch nach Ablauf des Stadionverbots geeignet, sein Ansehen zu beeinträchtigen. Hinzu kommt, dass ein Zivilprozess durch drei Instanzen typischerweise länger dauert als das hier festgesetzte Verbot, so dass eine verfassungsrechtliche Klärung praktisch unmöglich wäre, wollte man in diesen Fällen das allgemeine Rechtsschutzinteresse verneinen.
V. Falls F die formellen Voraussetzungen für die Erhebung der VfB beachtet (§ 23 BVerfGG: Schriftform; § 92 BVerfGG: Begründung; § 93 I: Monatsfrist), ist die VfB zulässig.
B. Begründet ist die VfB, wenn F durch die Zivilurteile, letztlich durch das Urteil des BGH, in einem Grundrecht verletzt ist.
I. Hierfür müssten die Grundrechte anwendbar sein.
1. Wie bereits oben A II 2 a) angesprochen wurde, könnte der Anwendung der Grundrechte e ntgegen stehen, dass das BGH-Urteil in einem Rechtsstreit zwischen zwei Privatrechtssubjekten ergangen ist.
a) Private wie V sind grundsätzlich nicht an die Grundrechte gebunden (vgl. Art. 1 III GG), sondern ihre Rechtsbeziehungen richten sich nach Privatrecht. Die in Art. 1 III GG normierte Grundrechtsbindung der Gerichte, auch der Zivilgerichte, reicht für eine Grundrechtsanwendung zugunsten des F nicht aus. Denn diese betrifft zunächst nur das eigene Verfahren des Gerichts, z. B. dass es den Parteien rechtliches Gehör gewährt und dass es durch die Gestaltung seines Verfahrens deren Persönlichkeitsrechte nicht verletzt. Im vorliegenden Fall geht es nicht um das Verfahren, sondern um den Inhalt des Urteils, und dieser betrifft die Privatpersonen F und V. Würde sich im vorliegenden Fall ein Grundrecht des F durchsetzen, würde dadurch nicht der Staat bzw. der für ihn handelnde BGH beschränkt, sondern die Beschränkung träfe V und dessen Rechtsbeziehung zu F. Mit diesen Überlegungen wurde eine unmittelbare Anwendung der Grundrechte auf das Verhältnis des F zu V verneint.
b) Die Bedeutung der Grundrechte für das Privatrecht besteht darin, dass sie über die Lehre von der mittelbaren Drittwirkung der Grundrechte zur Anwendung kommen. Der Begriff der Drittwirkung erklärt sich so, dass bei einem Grundrecht der stets beteiligte private Grundrechtsinhaber und der Staat Erster und Zweiter sind. Wegen des Privatrechtsverhältnisses kommt ein weiterer Privater hinzu; einer der beiden Privaten ist dann der Dritte, im vorliegenden Fall F (Michl JA 2017, 1063; dort S. 1062 ff. ausführlich zur Bedeutung der Grundrechte im Privatrecht).
BVerfG [32] Nach ständiger Rechtsprechung können die Grundrechte in privatrechtlichen Streitigkeiten im Wege der mittelbaren Drittwirkung Wirksamkeit entfalten (vgl. BVerfGE 7, 198, 205 f.;…89, 214, 229; 137, 273, 313 Rn. 109). Danach verpflichten die Grundrechte die Privaten grundsätzlich nicht unmittelbar untereinander. Sie haben jedoch auf die privatrechtlichen Rechtsbeziehungen Ausstrahlungswirkung und sind von den Fachgerichten, insbesondere über zivilrechtliche Generalklauseln und unbestimmte Rechtsbegriffe, bei der Auslegung des Fachrechts zur Geltung zu bringen. Die Grundrechte entfalten hierbei ihre Wirkung als verfassungsrechtliche Wertentscheidungen und strahlen als „Richtlinien“ in das Zivilrecht ein (…). BVerfG NJW 2018, 1744 [16] Der Einfluss der Grundrechte auf die Auslegung und Anwendung der zivilrechtlichen Normen ist nicht auf Generalklauseln beschränkt, sondern erstreckt sich auf alle auslegungsfähigen und -bedürftigen Tatbestandsmerkmale der zivilrechtlichen Vorschriften (…). Es handelt sich um einen Anwendungsfall der verfassungskonformen Auslegung. Dazu, dass die Rechtsinstitute der verfassungskonformen Auslegung, der Drittwirkung und der Ausstrahlungswirkung miteinander verbunden sind, Muckel JA 2018, 553, 556 in einer Besprechung dieses Falles.
2. Ob und wie eine grundrechtskonforme Auslegung des Privatrechts erfolgt, ist primär eine Aufgabe der Zivilgerichte. Bei Urteilsverfassungsbeschwerden überprüft das BVerfG deren Urteile deshalb nur beschränkt auf spezifische Verfassungsverletzungen. BVerfG [34] Die Auslegung und Anwendung des bürgerlichen Rechts obliegt grundsätzlich den Fachgerichten. Regelmäßig ist es nicht Sache des BVerfG, den Zivilgerichten vorzugeben, wie sie im Ergebnis zu entscheiden haben (vgl. BVerfGE 129, 78, 102). Die Schwelle eines Verstoßes gegen Verfassungsrecht, den das BVerfG zu korrigieren hat, ist erst erreicht, wenn die Auslegung der Zivilgerichte Fehler erkennen lässt, die auf einer grundsätzlich unrichtigen Anschauung von der Bedeutung der betroffenen Grundrechte beruhen und auch in ihrer materiellen Bedeutung für den konkreten Rechtsfall von einigem Gewicht sind, insbesondere weil darunter die Abwägung der beiderseitigen Rechtspositionen im Rahmen der privatrechtlichen Regelung leidet (BVerfGE 134, 204, 234 Rn. 103 m. w. N.; st. Rspr, neuestens noch NJW 2018, 1745 [17]).
Allerdings sind diese Grundsätze bei einer klausurmäßigen Fallbearbeitung nicht zur Anwendung geeignet. Sie sind zu unbestimmt für eine Subsumtion und werden auch vom BVerfG nur als Leitlinie und flexibel herangezogen. Meist lässt sich die Prüfung auch deshalb nicht so wie in der Praxis des BVerfG beschränken, weil die genaue Begründung des vorangegangenen Zivilurteils nicht bekannt ist. Deshalb bleibt es grundsätzlich dabei, dass eine Verletzung des Grundrechts nach dem normalen Prüfungsschema geprüft wird. Der eingeschränkten Prüfungsbefugnis wird dadurch Rechnung getragen, dass im Verfahren der Urteilsverfassungsbeschwerde die Feststellung und Würdigung des Sachverhalts, die Auslegung und Anwendung des einfachen Rechts nicht nach nachgeprüft, sondern insoweit den Ausführungen des Fachgerichts gefolgt wird, soweit diese vertretbar sind; ferner wird dem Fachgericht ein Abwägungs- und Entscheidungsspielraum zugebilligt wird, bei dessen Einhaltung ein Verfassungsverstoß nicht angenommen wird.
3. Nach den oben I 1 b) zur Drittwirkung dargelegten Grundsätzen müssten im vorliegenden Fall auslegungsbedürftige zivilrechtliche Vorschriften zur Anwendung kommen.
V hat das Stadionverbot auf das Hausrecht und die Stadionverbots-Richtlinien gestützt. Die SVRL sind keine Rechtsnormen und gegenüber F nicht verbindlich (so BGH in dem im vorliegenden Fall mit der VfB angegriffenen Urteil NJW 2010, 534 [27 ]). Das Hausrecht beruht auf dem Eigentum oder dem Besitz an dem Grundstück (§§ 858 ff., 903, 1004 BGB; BGH NJW 2012, 1725 [8] ) und ermöglicht seinem Inhaber, grundsätzlich frei darüber zu entscheiden, wem er den Zutritt zu der Örtlichkeit gestattet und wem er ihn verwehrt (BGH NJW 2006, 1054 m. w. N.). Da angenommen werden kann, dass V Eigentümer des Stadions ist oder zumindest die Eigentumsrechte wahrnehmen darf, ist die Berufung auf das Eigentum ausreichend und kann der Besitz außer Betracht bleiben. Kraft des Eigentums darf der Eigentümer einen Unterlassungsanspruch nach § 1004 I 2 BGB durch ein Hausverbot geltend machen (BGH NJW 2010, 534 [ 16]). Danach muss eine Beeinträchtigung (Störung) vorliegen oder drohen, und der Eigentümer darf nicht zur Duldung verpflichtet sein (§ 1004 II BGB). Diese Begriffe sind auslegungsfähig, so dass dabei Grundrechte des F, aber auch des V berücksichtigt werden können. Die Anwendbarkeit von Grundrechten ist somit zu bejahen.
II. Es ist ein Grundrecht zu suchen, das zugunsten des F die Auslegung beeinflusst, vom BGH nicht richtig angewendet wurde, so dass F in diesem Grundrecht verletzt wird. Meist ist ein solches Grundrecht leicht zu finden, insbesondere in den häufigen Fällen der Beeinträchtigung der Meinungs- oder Pressefreiheit (so bereits BVerfGE 7, 198 in dem grundlegenden Lüth-Urteil; ferner z. B. BVerfG NJW 2016, 3360); in BVerfG NJW 2015, 2485 war es die Versammlungsfreiheit. Der vorliegende Fall ist dadurch gekennzeichnet, dass das einschlägige Grundrecht nicht ohne weiteres ersichtlich ist. Ein spezielles Grundrecht auf Besuch von Fußballspielen gibt es nicht.
1. Die vom BGH vorgenommene, zur Rechtmäßigkeit des Stadionverbots führende Auslegung könnte F in seinem Grundrecht aus Art. 2 I GG verletzen.
a) Seit dem Elfes-Fall BVerfGE 6, 32 (ferner BVerfGE 80, 137, 52; 90, 145, 171; 91, 335, 338) ist anerkannt, dass Art. 2 I GG auch die allgemeine Handlungsfreiheit schützt. Zu dieser gehört, ein Fußballspiel zu besuchen und zu diesem Zweck ein Stadion zu betreten.
b) Bei der Anwendung der Grundrechte im Privatrecht besteht die Besonderheit, dass in aller Regel auch der andere am Rechtsverhältnis Beteiligte Grundrechte hat. Das Hausrecht des V ist über das Eigentum und damit über das Grundrecht aus Art. 14 GG geschützt (vgl. auch BVerfG NJW 2018, 1744: einerseits Kunstfreiheit, andererseits Persönlichkeitsrecht). Käme im vorliegenden Fall zugunsten des F dessen Handlungsfreiheit zur Anwendung, hätte das die Folge, dass F seine Handlungsfreiheit unter Verwendung fremden Eigentums ausüben dürfte. Nach BVerfG ist das bereits prinzipiell ausgeschlossen, so dass es nicht einmal zu einer Abwägung kommt. [37] Auf Seiten des F kann dem Eigentumsrecht des V nicht Art. 2 Abs. 1 GG in Form der allgemeinen Handlungsfreiheit entgegengehalten werden. Zwar ergibt sich aus der allgemeinen Handlungsfreiheit gegenüber dem Staat ein Abwehrrecht gegen ungerechtfertigte und insbesondere unverhältnismäßige Verbote jeder Art und damit auch gegen Verbote, die den Zugang als Zuschauer zu einem Fußballspiel betreffen. Dies ist Ausdruck der rechtsstaatlichen Asymmetrie, nach der Bürgerinnen und Bürger prinzipiell frei sind, der Staat ihnen gegenüber bei Eingriffen in ihre Freiheit jedoch gebunden und damit rechenschaftspflichtig ist (vgl. BVerfGE 128, 226, 244 f.). Der grundrechtlichen Gewährleistung der allgemeinen Handlungsfreiheit lässt sich jedoch nicht eine Wertentscheidung der Verfassung entnehmen, nach der in jedem Privatrechtsstreit die unbenannte Freiheit zu jedwedem selbstbestimmten Handeln die Auslegung des Privatrechts im Wege der mittelbaren Drittwirkung anleiten müsste. Die Freiheit, nach subjektivem Belieben ein bestimmtes Verhalten zu verwirklichen - wie hier Fußballspiele zu besuchen -, kann privatrechtlichen Veranstaltern…schon grundsätzlich nicht zur Einschränkung ihrer Eigentümerbefugnisse entgegengehalten werden. Bei [38] verweist das BVerfG auf Ausnahmen bei besonderen Fallgestaltungen, von denen jedoch hier keine vorliegt. Art. 2 I GG ist somit nicht zu berücksichtigen und kann nicht verletzt sein.
2. Die vom BGH vorgenommene, zur Rechtmäßigkeit des Stadionverbots führende Auslegung könnte F in seinem Grundrecht aus Art. 3 I GG verletzen.
a) Ähnlich wie bei Art. 2 I GG enthält der allgemeine Gleichheitssatz kein allgemeines Gebot zur grundsätzlichen Gleichbehandlung im Privatrecht. BVerfG [40] Dahingehende Anforderungen ergeben sich auch nicht aus den Grundsätzen der mittelbaren Drittwirkung. Grundsätzlich gehört es zur Freiheit jeder Person, nach eigenen Präferenzen darüber zu bestimmen, mit wem sie wann und unter welchen Bedingungen Verträge abschließen und wie sie hierbei auch von ihrem Eigentum Gebrauch machen will. Diese Freiheit wird durch die Rechtsordnung und insbesondere durch das Zivilrecht näher ausgestaltet und vielfach begrenzt… Ein allgemeiner Grundsatz, wonach private Vertragsbeziehungen jeweils den Rechtfertigungsanforderungen des Gleichbehandlungsgebots unterlägen, folgt aus Art. 3 Abs. 1 GG auch im Wege der mittelbaren Drittwirkung nicht.
b) [41] Gleichheitsrechtliche Anforderungen für das Verhältnis zwischen Privaten aus Art. 3 Abs. 1 GG können sich jedoch für spezifische Konstellationen ergeben.
aa) Eine solche Konstellation liegt dem hier in Frage stehenden bundesweit gültigen Stadionverbot zugrunde. Maßgeblich für die mittelbare Drittwirkung des Gleichbehandlungsgebots ist dessen Charakter als einseitiger, auf das Hausrecht gestützter Ausschluss von Veranstaltungen, die aufgrund eigener Entscheidung der Veranstalter einem großen Publikum ohne Ansehen der Person geöffnet werden und der für die Betroffenen in erheblichem Umfang über die Teilnahme am gesellschaftlichen Leben entscheidet. Indem ein Privater eine solche Veranstaltung ins Werk setzt, erwächst ihm von Verfassungs wegen auch eine besondere rechtliche Verantwortung. Er darf seine hier aus dem Hausrecht…resultierende Entscheidungsmacht nicht dazu nutzen, bestimmte Personen ohne sachlichen Grund von einem solchen Ereignis auszuschließen. Die verfassungsrechtliche Anerkennung des Eigentums als absolutes Recht und die daraus folgende einseitige Bestimmungsmacht des Hausrechtsinhabers ist hier, anknüpfend an die Sozialbindung des Eigentums (Art. 14 Abs. 2 GG), mit der von den Gerichten zu beachtenden Ausstrahlungswirkung des Gleichbehandlungsgebots in Ausgleich zu bringen.
Bei der danach erforderlichen Prüfung, ob das Stadionverbot durch einen sachlichen Grund gerechtfertigt ist, verfügen die Fachgerichte über einen sich aus den Überlegungen zur beschränkten Kontrolle durch das BVerfG (oben B I 2) ergebenden Spielraum. BVerfG [45] Deshalb ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, wenn die Gerichte einen sachlichen Grund zur Verhängung eines Stadionverbots schon in der begründeten Besorgnis sehen, dass von einer Person die Gefahr künftiger Störungen ausgeht. Angesichts des berechtigten Interesses der Stadionbetreiber an einem störungsfreien Verlauf der Fußballspiele und ihrer Verantwortung für die Sicherheit von Sportlern und Publikum bedarf es hierfür nicht der Erweislichkeit vorheriger Straftaten oder rechtswidrigen Handelns. Es reicht, dass sich die Besorgnis künftiger Störungen durch die Betroffenen auf konkrete und nachweisliche Tatsachen von hinreichendem Gewicht stützen lässt. Das gilt auch, wenn - wie bei dem Besuch eines Fußballspiels - der Zutritt aufgrund eines Vertragsverhältnisses mit dem Hausrechtsinhaber gewährt wird ( BGH NJW 2010, 534 [11 ]). Folglich ist die Auffassung des F, es sei mit den Grundrechten nicht vereinbar, wenn allein aufgrund eines Verdachts ein Stadionverbot ausgesprochen werden könne, nicht zutreffend.
bb) Dementsprechend durfte der BGH annehmen, dass bei F eine solche Besorgnis bestand. Gegen F war ein Verfahren wegen Landfriedensbruchs eingeleitet worden. BVerfG [53] Die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens setzt von Gesetzes wegen einen auf Tatsachen beruhenden Anfangsverdacht voraus. Da den Veranstaltern regelmäßig keine besseren Erkenntnismittel zur Verfügung stehen, dürfen sich diese, so lange das Ermittlungsverfahren läuft, auf diese Einschätzung der Sicherheitsbehörden stützen. Somit war das Stadionverbot zur Zeit seines Erlasses gerechtfertigt.
BVerfG [55] Mit der späteren Einstellung des Verfahrens ist der sachliche Grund für das Stadionverbot nicht entfallen… F hat einer aus rund 80 Personen bestehenden Gruppe namens „Schickeria“ aus der gewaltbereiten „Ultra“-Szene angehört und sich nach dem fraglichen Spiel in einer Gruppe befunden, aus welcher heraus es in erheblichem Umfang zu Provokationen und Körperverletzungsdelikten gekommen ist. Daraus ergibt sich weiterhin die Besorgnis, dass F sich künftig an Störungen beteiligt. Die nach § 7 II SVRL vorgeschriebene, für V intern bindende Überprüfung hat V vorgenommen. Es bestand keine Verpflichtung dazu, das Verbot aufzuheben oder abzukürzen (Umkehrschluss aus § 170 I SVRL).
BVerfG [50] Folglich durfte der BGH das Stadionverbot als rechtmäßig bestätigen, weil es sich auf einen sachlichen Grund stützen kann. Seine Erwägungen dazu halten den verfassungsrechtlichen Anforderungen einer Drittwirkung des Art. 3 Abs. 1 GG Stand.
3. BVerfG [46] Mit dem Erfordernis eines sachlichen Grundes für die Verhängung eines Stadionverbots verbinden sich verfahrensrechtliche Anforderungen… Dazu gehört jedenfalls grundsätzlich die vorherige Anhörung der Betroffenen. Auch ist die Entscheidung auf Verlangen zu begründen, um den Betroffenen die Durchsetzung ihrer Rechte zu ermöglichen.
a) Dass eine vorherige Anhörung des F erfolgt ist, lässt sich, weil der Zugang des Anhörungsschreibens von F bestritten wird und von V nicht nachgewiesen werden kann, nicht feststellen. Auch ist eine formelle Begründung nicht erfolgt.
b) Das ist jedoch nicht mehr erheblich. BVerfG [58] Denn F hatte im Rahmen des zivilrechtlichen Verfahrens wenigstens nachträglich die Möglichkeit, sich mit den Gründen für das Stadionverbot auseinanderzusetzen und sich hierzu Gehör zu verschaffen. Verstöße gegen Verfahrensvorschriften führen somit nicht zu einer Verletzung des Art. 3 I GG.
4. Entgegen dem Vorbringen des F verstößt das Stadionverbot auch nicht gegen das Prinzip der Verhältnismäßigkeit (vom BVerfG nicht angesprochen).
a) Nach den Ausführungen oben B II 2 b bb) kann die Rechtmäßigkeit der Entscheidung, ein Stadionverbot zu verhängen, also das Ob des Stadionverbots, nicht mehr in Frage gestellt werden. Zweck war, künftige Störungen von Spielen und den Abläufen vor und nach den Spielen unter Beteiligung des F möglichst sicher zu verhindern. Dafür war ein Verbot geeignet, notwendig und angemessen.
b) Das gilt auch für das bundesweite Verbot. Denn ein Verbot etwa nur für das Stadion des V hätte die Möglichkeit offen gelassen, dass Bayern-Fan F in anderen Stadien sich an Störungen beteiligt.
c) Es bleibt die Frage, ob die Dauer von zwei Jahren verhältnismäßig war. Hier kann man der Auffassung sein, 18 oder 20 Monate hätten auch ausgereicht. Jedoch hatte bereits V einen Entscheidungsspielraum bei der Dauer des Verbots. Nach § 5 III SVRL, an dem V sich gerade aus Gründen der Gleichbehandlung orientieren durfte, beträgt die Dauer eines Stadionverbots zwischen 12 und 36 Monaten; 24 Monate liegen danach im Mittelfeld und erscheinen noch als angemessen. Des Weiteren besaß auch der BGH, der die Dauer nicht beanstandet hat (vgl. das mit der VfB angegriffene Urteil NJW 2010, 534 [28 ]), einen aus den Ausführungen oben B I 2 folgenden Entscheidungsspielraum, den er durch die Billigung des Verbots nicht überschritten hat. Bei einer Gesamtwürdigung des Verbots ist zwar zuzugeben, dass ein zweijähriges Stadionverbot vom Bayern-Fan F als hart empfunden werden kann; objektiv ist es weder existenzbedrohend noch sonst besonders schwerwiegend. Folglich sind 24 Monate noch nicht unverhältnismäßig und führen nicht zu einer Verletzung des Art. 3 I GG.
5. Ergebnis: Das Urteil des BGH verletzt kein Grundrecht. Eine gegen das Urteil erhobene VfB hat keine Aussicht auf Erfolg.
(Die Entscheidungen des BGH und des BVerfG liegen auf einer Linie der Rechtsprechung, die dahin geht, den Vereinen und dem DFB es nicht zu erschweren, gegen Randale in und um den Fußballstadien vorzugehen, vgl. dazu auch BGH NJW 2016, 3715, „ Pyros im Fußballstadion“.)
Zusammenfassung