Bearbeiter: Prof. Dieter Schmalz

Bestrafung wegen Beleidigung (§ 185 StGB) als Eingriff in die Meinungsfreiheit (Art. 5 I GG). Beschränkung der Meinungsfreiheit durch allgemeine Gesetze und die persönliche Ehre (Art. 5 II GG). Abwägung zwischen Meinungsfreiheit und Schutz der Ehre (Art. 2 I i. V. mit 1 I GG). Schmähkritik.

BVerfG
Beschluss vom 19.5.2020 (1 BvR 2397/19) NJW 2020, 2622

Fall (Justizverbrecher)

B und seine Partnerin hatten sich getrennt und stritten mit Hilfe der Gerichte um den Umgang mit der gemeinsamen Tochter. Mehrere Instanzen entschieden zum Nachteil des B; in letzter Instanz entschied das Oberlandesgericht, ihm das Umgangsrecht vollständig zu entziehen. In einem Weblog mit zahlreichen Einträgen prangerte B an, dass ihm der Kontakt mit seiner Tochter vollständig verwehrt werde, was er als schweres Unrecht empfinde. Dabei bezeichnete er die beteiligten Richter und den Präsidenten des OLG wiederholt als „asoziale Justizverbrecher“, „Provinzverbrecher“, „Kindesentfremder“ und als „Hauptakteure einer strukturellen Korruption“. Er warf ihnen vor, sie wollten ihn „mittels Rechtsbeugung in den Suizid treiben“. In den Einträgen nannte er ihre vollen Namen und bildete sie mit Fotos ab. Die Anwältin der Gegenseite bezeichnete er als „widerwärtige und bösartige Hetzerin“.

Daraufhin wurde B vom Amtsgericht wegen Beleidigung zu einer Geldstrafe von 90 Tagessätzen zu je 10 Euro verurteilt. Eine Berufung beim Landgericht und die Revision beim OLG blieben ohne Erfolg. In der maßgeblichen Begründung des LG-Urteils führte dieses aus, die Verwendung derart herabwürdigender Beschimpfungen zeige, dass die Diffamierung im Vordergrund gestanden habe, so dass B sich nicht auf das Grundrecht der Meinungsfreiheit berufen könne. Hilfsweise werde eine Abwägung zwischen Meinungsfreiheit und Ehrenschutz vorgenommen. Dabei sei zwar zugunsten des B dessen starke Betroffenheit zu werten, überwiegendes Gewicht habe aber der Ehrenschutz. Die unter Namensnennung und Bebilderung im Internet, also öffentlich erhobenen Vorwürfe enthielten einen schwerwiegenden Angriff auf die Ehre und Integrität der Richter. Insbesondere die wiederholte Bezeichnung der Richter als asozial und als Justizverbrecher sei eine gezielte und massive Kränkung, vor der diese geschützt werden müssten.

Gegen die drei Strafurteile hat B formell fehlerfrei Verfassungsbeschwerde beim Bundesverfassungsgericht erhoben. Zur Begründung führt er aus, es verletze sein Recht auf Meinungsfreiheit, wenn das LG erklärt, er könne sich nicht auf Meinungsfreiheit berufen, oder wenn es dieses Grundrecht nur hilfsweise anwendet. Zu seinen Gunsten spreche, dass er angesichts des ihm durch die Fehlurteile zugefügten Unrechts, des Desinteresses der Medien an seinem Fall und der offensichtlich bestehenden Seilschaften bei den Gerichten keine andere Möglichkeit gehabt habe, seiner Stimme Gehör zu verschaffen. Wie ist über die Verfassungsbeschwerde zu entscheiden?

Lösung

Vorbemerkungen: Die gleiche Problemstellung wie in diesem Fall „Justizverbrecher“ liegt weiteren aktuellen Entscheidungen des BVerfG zugrunde: NJW 2020, 2629, „Rechtsamtsleiterin“; NJW 2020, 2631, „Rote Null“; NJW 2020, 2636, „Tierschutzverein“; NJW 2021, 148, „Trulla“; NJW 2021, 301, „mit einem dämlichen Grinsen“. Das BVerfG hat seine Rspr. in einer „Klarstellung“ zusammengefasst und diese auf seiner Homepage als Pressemitteilung Nr. 49/2020 unter dem Datum 19.6.2020 veröffentlicht (im Folgenden als „PM“ zitiert). – Dem Abdruck des Falles „Justizverbrecher“ in der NJW 2020 ist auf S. 2628 eine Anm. von Gostomzyk angefügt. Ausführlich besprochen werden die Fälle von Ladeur JZ 2020, 943 ff.; vgl. auch Teichmann JZ 2020, 549 ff.; Hufen JuS 2021, 282.

A. Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerde (VfB)

I. Beschwerdegegenstand der VfB muss ein Akt öffentlicher Gewalt (§ 90 I BVerfGG) sein, besser bezeichnet als Hoheitsakt. Ergangene Hoheitsakte sind im vorliegenden Fall die Strafurteile des AG, des LG und des OLG. Dabei handelt es sich aber um einen einheitlichen Eingriff, so dass eine einheitliche Prüfung der drei Urteile vorzunehmen ist. Der Eingriff selbst ergibt sich aus der Verurteilung durch das AG, die Begründung ist dem Urteil des LG zu entnehmen. Die VfB ist eine Urteilsverfassungsbeschwerde.

II. Der Beschwerdeführer muss geltend machen, in einem Grundrecht verletzt zu sein (§ 90 I BVerfGG; Beschwerdebefugnis).

1. B beruft sich auf eine Verletzung der Meinungsfreiheit (Art. 5 I 1 GG). Da er wegen der Äußerung einer Meinung verurteilt wurde, ist eine Verletzung des Art. 5 I 1 GG möglich.

2. Bei einer Urteils-VfB wird nicht die Richtigkeit des Urteils überprüft; das BVerfG ist keine „Superrevisionsinstanz“. Insbesondere reicht es für die Grundrechtsverletzung nicht aus, dass das ein Grundrecht beschränkende einfache Gesetz nicht zutreffend angewendet worden ist. Vielmehr prüft das BVerfG bei einer Urteils-VfB nur, ob eine spezifische Verfassungsverletzung vorliegt (BVerfGE 18, 85, 92; 95, 96, 128; NJW 2018, 2385 [69-71]; Johann NJW 2019, 1928). Die sich daraus ergebende Beschränkung der Prüfung betrifft aber die Begründetheit der VfB. Für die Zulässigkeit ist ausreichend, dass eine spezifische Verfassungsverletzung möglich ist (vgl. BVerfG NJW 2020, 2235 Rdnr. 61). Sie ist im Falle des B möglich, weil es spezifische Verfassungsregeln für das Verhältnis zwischen Meinungsfreiheit und persönlichkeitsrechtlichem Ehrenschutz gibt, die durch die Begründung des LG verletzt sein können. Folglich steht B die Beschwerdebefugnis zu.

III. Den nach § 90 II 1 BVerfGG vor der Erhebung der VfB zu durchlaufenden Rechtsweg hat B mit der erfolglos gebliebenen Revision ausgeschöpft.

IV. B hat die VfB formell fehlerfrei erhoben, also die Schriftform (§ 23 BVerfGG) eingehalten, eine Begründung (§ 92 BVerfGG) beigefügt und die Monatsfrist (§ 93 I 1 BVerfGG) gewahrt. Die VfB ist zulässig.

B. Begründetheit der VfB

Die VfB ist begründet, wenn B durch die Verurteilung in seinem Grundrecht der Meinungsfreiheit (Art. 5 I 1 GG) verletzt ist.

I. Die Urteile müssten einen Eingriff in den Schutzbereich des Art. 5 I 1 GG enthalten.

1. BVerfG [12] Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG gibt jedem das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten. Grundrechtlich geschützt sind damit insbesondere Werturteile, also Äußerungen, die durch ein Element der Stellungnahme gekennzeichnet sind. Dies gilt ungeachtet des womöglich ehrschmälernden Gehalts einer Äußerung. Dass eine Aussage polemisch oder verletzend formuliert ist, entzieht sie nicht dem Schutzbereich des Grundrechts (vgl. BVerfGE 54, 129, 138 f.; 61, 1, 7 f; st. Rspr.). Selbst ein Eingriff in Rechte Dritter oder eine Strafbarkeit nach §§ 185 ff StGB entziehen die Äußerung nicht dem Schutzbereich des Art. 5 I 1 GG; andernfalls wäre Art 5 II GG nicht verständlich. Auch die Einordnung einer Äußerung als Formalbeleidigung oder Schmähkritik haben auf der Ebene des Schutzbereichs noch keine Bedeutung (BVerfGE 93, 266, 294).

Sämtliche im Sachverhalt wiedergegebene Äußerungen des B sind (negative) Werturteile und fallen deshalb unter den Schutzbereich des Art. 5 I 1 GG. Sollte das LG mit der Aussage, B könne sich nicht auf das Grundrecht berufen, das anders sehen, wäre das unzutreffend; die damit verbundenen Überlegungen des LG haben erst bei der Rechtfertigung Bedeutung.

2. Ein Eingriff in die Meinungsfreiheit liegt nicht nur vor, wenn die Äußerung untersagt oder erschwert wird, sondern auch dann, wenn sie mit hoheitlich zugefügten Nachteilen verbunden wird. Das ist bei einer Bestrafung der Fall. BVerfG [12] Die strafrechtliche Sanktionierung knüpft an die in den Schutzbereich fallenden und als Werturteil zu qualifizierenden Äußerungen an und greift damit in die Meinungsfreiheit des B ein. Somit enthält die Bestrafung wegen Beleidigung einen Eingriff in den Schutzbereich des Art. 5 I 1 GG (vgl. auch EGMR NJW 2020, 751 LS 7 im Hinblick auf Art. 10 EMRK).

II. Der Eingriff könnte gerechtfertigt sein.

1. BVerfG [14] Nach Art. 5 Abs. 2 GG findet das Grundrecht der Meinungsfreiheit seine Schranken in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze. Dazu gehört § 185 StGB (vgl. BVerfGE 93, 266, 290 ff., Soldaten sind Mörder), auf den sich die angegriffenen Entscheidungen stützen. Die in Art. 5 II GG enthaltene Grundrechtsschranke unterliegt aber ihrerseits Schranken (sog. Schranken-Schranken oder Gegen-Schranken). Dazu gehört zunächst die formelle und materielle Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes, gegen die bei § 185 StGB aber keine Bedenken bestehen.

a) Normalerweise ist wichtigste Gegen-Schranke das Prinzip der Verhältnismäßigkeit. Es beschränkt den Eingriff sowohl auf der Gesetzesebene als auch auf der Anwendungsebene und ist dort Element einer grundrechtskonformen Gesetzesanwendung. Bei der Bestrafung wegen Beleidigung wird es aber durch den Ehrenschutz verdrängt. Der Ehrenschutz folgt aus dem Persönlichkeitsrecht (Art. 2 I i. V. mit Art. 1 I GG; BVerfGE 54, 217) und beruht damit auf einem Grundrecht, das der Meinungsfreiheit Grenzen setzt. Noch deutlicher würde das, wenn als Schranke der Meinungsfreiheit nicht nur das allgemeine Gesetz - auf das das BVerfG abstellt - herangezogen würde, sondern das ebenfalls in Art. 5 II GG enthaltene Recht der persönlichen Ehre; dann ergäbe sich die Gegenüberstellung von Meinungsfreiheit und Ehrenschutz direkt aus Art. 5 GG.

b) Folge davon, dass sich zwei Grundrechte gegenüberstehen, ist das Abwägungsgebot im Hinblick auf die beiden Rechtsgüter. BVerfG [15] Bei Anwendung des § 185 StGB auf Äußerungen im konkreten Fall verlangt Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG zunächst eine der Meinungsfreiheit gerecht werdende Ermittlung des Sinns der infrage stehenden Äußerung (vgl. BVerfGE 93, 266, 295 f.; Beschluss vom 29. Juni 2016 - 1 BvR 2732/15 -, Rn. 12 f.). Darauf aufbauend erfordert das Grundrecht der Meinungsfreiheit als Voraussetzung einer strafgerichtlichen Verurteilung nach § 185 StGB im Normalfall eine abwägende Gewichtung der Beeinträchtigungen, die der persönlichen Ehre auf der einen und der Meinungsfreiheit auf der anderen Seite drohen (vgl. BVerfGE 7, 198, 212; 85, 1, 16; 93, 266, 293; st. Rspr.). PM unter I 1: Eine ehrenbeeinträchtigende Äußerung ist nur dann eine gemäß § 185 StGB tatbestandsmäßige und rechtswidrige (§ 193 StGB) Beleidigung, wenn das Gewicht der persönlichen Ehre in der konkreten Situation das der Meinungsfreiheit des sich Äußernden überwiegt. – In den Gedankengang eingefügt wird die Abwägung entweder bei der Frage, ob eine Beleidigung tatbestandsmäßig vorliegt, oder bei der Frage der Wahrnehmung berechtigter Interessen i. S. des § 193 StGB (BVerfG [26]).

2. BVerfG [15] Abweichend von den Überlegungen 1b) tritt ausnahmsweise bei herabsetzenden Äußerungen, die die Menschenwürde eines anderen antasten oder sich als Formalbeleidigung oder Schmähung darstellen, die Meinungsfreiheit hinter den Ehrenschutz zurück, ohne dass es einer Einzelfallabwägung bedarf (vgl. BVerfGE 82, 43, 51; 93, 266, 293 f.; 99, 185, 196; st. Rspr.). [17] Dabei handelt es sich um verschiedene Fallkonstellationen, an die jeweils strenge Kriterien anzulegen sind. Sie sind nachfolgend zu prüfen (im Einzelnen zu den drei Fallgruppen Teichmann JZ 2020, 550 ff.).

a) Die Äußerungen des B könnten die Menschenwürde der kritisierten Richter antasten.

aa) BVerfG [22] Da die Menschenwürde als Wurzel aller Grundrechte mit keinem Einzelgrundrecht abwägungsfähig ist, muss die Meinungsfreiheit stets zurücktreten, wenn eine Äußerung die Menschenwürde eines anderen verletzt. Allerdings bedarf es einer sorgfältigen Begründung, wenn ausnahmsweise angenommen werden soll, dass der Gebrauch der Meinungsfreiheit auf die unantastbare Menschenwürde durchschlägt (vgl. BVerfGE 93, 266, 293; 107, 275, 284…). Eine Menschenwürdeverletzung kommt nur in Betracht, wenn sich eine Äußerung nicht lediglich gegen einzelne Persönlichkeitsrechte richtet, sondern einer konkreten Person den ihre menschliche Würde ausmachenden Kern der Persönlichkeit abspricht (…). Beispiele sind eine Hassbotschaft, in der der Äußernde einer Person „das Schicksal der Juden in Auschwitz“ wünscht, oder wenn eine dunkelhäutige Person durch nachgeahmte Affenlaute nicht als Mensch, sondern als Affe adressiert wird ( BVerfG, Beschluss vom 2.11.2020, AZ. 1 BvR 2727/19).

bb) Die Äußerungen des B disqualifizieren die Beteiligten zwar in ihrer beruflichen Sphäre, gehen aber nicht darüber hinaus und betreffen nicht den Kern ihrer Persönlichkeit. (Einen solchen Vorwurf hatte auch das LG dem B nicht gemacht.) Somit entfällt eine Abwägung nicht wegen eines Verstoßes gegen die Menschenwürde.

b) Die Äußerungen des B könnten Formalbeleidigungen sein.

aa) BVerfG [21] Um solche Fälle kann es sich etwa bei mit Vorbedacht und nicht nur in der Hitze einer Auseinandersetzung verwendeten, nach allgemeiner Auffassung besonders krassen, aus sich heraus herabwürdigenden Schimpfwörtern - etwa aus der Fäkalsprache - handeln. Auch dort ist es im Regelfall nicht erforderlich, in eine Grundrechtsabwägung einzutreten (vgl. BVerfGE 82, 43, 51; 93, 266, 294; BVerfG, Beschluss vom 14. Juni 2019 - 1 BvR 2433/17 -, Rn. 18). In Fällen der Formalbeleidigung ist das Kriterium der Strafbarkeit die kontextunabhängig gesellschaftlich absolut missbilligte und tabuisierte Begrifflichkeit und damit die spezifische Form dieser Äußerung… [23] Voraussetzung ist also, dass die verwendete Beschimpfung das absolute Mindestmaß menschlichen Respekts verlässt und unabhängig von den Umständen grundsätzlich nicht mit der Meinungsfreiheit vereinbar sein kann. Beispiele sind, dass eine Person mit Vorbedacht vor anderen als „Vollidiot“ bezeichnet wird, oder im Internet als „Türkensau“.

bb) Die von B gegenüber den Richtern verwendeten Begriffe enthalten zwar schwere Kränkungen, verwenden aber keine Worte aus der Fäkalsprache und auch keine absolut missbilligten und tabuisierten Begriffe. BVerfG [37] Eine Einordnung der Äußerungen als unabhängig von einer Abwägung strafbare Formalbeleidigung scheidet aus, weil es sich bei den von B verwendeten Begrifflichkeiten („Justizverbrecher“, „Rechtsbeuger“) um Begriffe handelt, mit denen in einem anderen Kontext durchaus sachliche Kritik an Personen und deren Verhalten zum Ausdruck gebracht werden könnte. Selbst die Bezeichnung der Anwältin als widerwärtige und bösartige Hetzerin verwendet keine Begriffe, die absolut tabu sind. Formalbeleidigungen können B somit nicht vorgeworfen werden.

c) Die Äußerungen des B könnten eine Schmähkritik enthalten.

aa) BVerfG [18, 19] Der Charakter einer Äußerung als Schmähung oder Schmähkritik folgt nicht schon aus einem besonderen Gewicht der Ehrbeeinträchtigung als solcher und ist damit nicht ein bloßer Steigerungsbegriff. Auch eine überzogene, völlig unverhältnismäßige oder ausfällige Kritik macht eine Äußerung noch nicht zur Schmähung, so dass selbst eine Strafbarkeit von Äußerungen, die die persönliche Ehre erheblich herabsetzen, in aller Regel eine Abwägung erfordert (vgl. BVerfGE 82, 272, 283). Eine Äußerung nimmt den Charakter als Schmähung vielmehr erst dann an, wenn nicht mehr die Auseinandersetzung in der Sache, sondern die Diffamierung der Person im Vordergrund steht (vgl. BVerfGE 82, 272, 283 f.; 85, 1, 16; 93, 266, 294, 303; BVerfG, Beschluss vom 14. Juni 2019 - 1 BvR 2433/17 -‚ Rn. 18). Denn Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG schützt nicht nur sachlich-differenzierte Äußerungen, sondern Kritik darf auch grundlos, pointiert, polemisch und überspitzt geäußert werden… Eine Schmähung im verfassungsrechtlichen Sinn ist erst gegeben, wenn eine Äußerung keinen irgendwie nachvollziehbaren Bezug mehr zu einer sachlichen Auseinandersetzung hat und es bei ihr im Grunde nur um das grundlose Verächtlichmachen der betroffenen Person geht…Für eine Schmähung ist also erforderlich, dass ein Sachbezug der Äußerung fehlt oder ganz gering ist (zum Sachbezug Ladeur JZ 2020, 946/7, 950). Beispiel ist, wenn zu einem Richter angesichts eines Bagatellfalles gesagt wird, er hätte „von Gesetz oder Recht noch nie etwas gehört“.

bb) Im vorliegenden Fall stehen die Vorwürfe des B im Zusammenhang mit seiner Kritik an den Gerichtsentscheidungen und wenden sich gegen den Entzug des Umgangsrechts mit seiner Tochter, haben also einen Sachbezug. BVerfG [38] Zwar kommt in Fällen, in denen Äußerungen in einem Blog einen konkreten Bezug zu einem kritisierten Vorgehen nicht mehr erkennen lassen, auch eine Schmähung in Betracht. Im vorliegenden Fall ist jedoch festzustellen, dass den Äußerungen ein Sachbezug nicht fehlt. Somit sind die Äußerungen des B nicht als Schmähkritik einzuordnen.

cc) Im Widerspruch dazu könnte den Ausführungen des LG, wonach die Diffamierung im Vordergrund gestanden habe und eine Abwägung nur hilfsweise vorgenommen werde, entnommen werden, dass das LG von einer Schmähkritik ausgegangen ist. BVerfG [24] Hält ein Gericht eine Äußerung ohne hinreichende Begründung für ein Antasten der Menschenwürde, Formalbeleidigung oder Schmähung, mit der Folge, dass eine konkrete Abwägung unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls entbehrlich wird, so liegt darin ein verfassungsrechtlich erheblicher Fehler, der zur Aufhebung der Entscheidung führt, wenn diese darauf beruht (vgl. BVerfGE 93, 266, 294; BVerfG, Beschluss vom 19. Februar 2019 - 1 BvR 1954/17 -, Rn. 12; es liegt hier ebenso wie in den Fällen, in denen bei der Meinungsäußerung ihre Einordnung als Tatsachenbehauptung oder als Werturteil unzutreffend erfolgt, BVerfG NJW 2013, 3021 [14]). Im vorliegenden Fall hat die Einordnung des LG aber nicht dazu geführt, dass die Abwägung entfallen ist, sondern das LG hat diese Abwägung vorgenommen. Auch beruhte das Urteil nicht auf dieser Einordnung, sondern wäre auch ohne sie aufgrund der vorgenommenen Abwägung in gleichem Sinne ausgefallen. Das Urteil des LG ist deshalb nicht wegen eines Abwägungsausfalls aufzuheben.

3. Da somit kein Fall vorliegt, nach dem eine Abwägung entfallen kann, hatte eine Abwägung zu erfolgen. Diese wurde vom LG vorgenommen. Dass das LG die Abwägung nur hilfsweise vorgenommen hat, ist - entgegen der Auffassung des B - nicht zu beanstanden. BVerfG [25] empfiehlt ausdrücklich eine hilfsweise Abwägung in Fällen, in denen eine Schmähkritik oder eine Formalbeleidigung angenommen wurde und diese Beurteilung zweifelhaft ist; ebenso in NJW 2020, 2638 Rdnr. 24 und in der PM unter I 2b). Zugeordnet wird die Abwägung nachfolgend der Prüfung, ob eine Beleidigung tatbestandsmäßig vorliegt (vgl. oben B II 1 b).

a) Da bei Urteilsverfassungsbeschwerden die Prüfung auf spezifische Verfassungsverletzungen beschränkt ist (oben A II 2), bedarf es einer Konkretisierung des Prüfungsmaßstabs. Nach BVerfG [27] ist bei Strafurteilen wegen Beleidigung zu prüfen, ob die Fachgerichte Bedeutung und Tragweite der durch die strafrechtliche Sanktion betroffenen Meinungsfreiheit ausreichend berücksichtigt und innerhalb des ihnen zustehenden Wertungsrahmens die jeweils für den Fall erheblichen Abwägungsgesichtspunkte identifiziert und ausreichend in Rechnung gestellt haben. Zu den hierbei zu berücksichtigenden Umständen können insbesondere Inhalt, Form, Anlass und Wirkung der betreffenden Äußerung sowie Person und Anzahl der Äußernden, der Betroffenen und der Rezipienten gehören (vgl. BVerfGE 18, 85, 92 f.; 93, 266, 296). Konkretere Leitlinien enthält die PM unter I 1b): Was den Inhalt einer Äußerung betrifft, ist deren konkreter ehrschmälernder Gehalt erheblich. Ferner ist das Gewicht der Meinungsfreiheit umso höher, je mehr die Äußerung darauf zielt, einen Beitrag zur öffentlichen Meinungsbildung zu leisten, und umso geringer, je mehr es hierbei nur um eine „Privatfehde“ geht. Auch ist i n die Abwägung einzustellen, ob die Privatsphäre des Betroffenen berührt ist oder ob die Meinungsäußerung sein öffentliches Wirken betrifft, bei dem er sich stärker der Kritik stellen muss. Mit Blick auf Anlass und Begleitumstände einer Äußerung kann insbesondere erheblich sein, ob sie unvermittelt in einer hitzigen Situation oder mit längerem Vorbedacht gefallen ist. Erheblich ist auch, welche Verbreitung und Wirkung sie entfaltet. BVerfG [34] Die beeinträchtigende Wirkung einer Äußerung ist gesteigert, wenn sie in wiederholender und anprangernder Weise, etwa unter Nutzung von Bildnissen der Betroffenen, oder besonders sichtbar in einem der Öffentlichkeit zugänglichen Medium getätigt wird. Ein solches die ehrbeeinträchtigende Wirkung einer Äußerung verstärkendes Medium kann insbesondere das Internet sein. [35] Diese Gesichtspunkte müssen nicht in jedem Fall in ihrer Gesamtheit „abgearbeitet“ werden. Je nach Umständen kann auch eine knappe Abwägung ausreichen.

b) Trotz des Begriffs der spezifischen Verfassungsverletzung als Ausgangsüberlegung muss die Überprüfung nicht darauf gerichtet sein, Fehler bzw. Verletzungen zu suchen, sondern kann auch darauf gerichtet sein, ob das überprüfte Urteil den Anforderungen entspricht, was sich im vorliegenden Fall anbietet (vgl. BVerfG [36-45]). Demzufolge ist festzustellen, dass das LG den Inhalt der Meinungsäußerungen des B zutreffend als schwerwiegende und kränkende Angriffe auf die Richter gewertet hat. Dabei hat B keinen Beitrag zur öffentlichen Meinungsbildung geleistet, sondern lediglich seinen privaten Fall zum Gegenstand der Äußerungen gemacht hat, was deren Schutzwürdigkeit vermindert. Beim Anlass für die Äußerungen hat das LG zu Gunsten des B dessen Betroffenheit in die Abwägung eingestellt. Andererseits ist es zutreffend zu Lasten des B davon ausgegangen, dass die Angriffe nicht aus einer Augenblickssituation stammten, sondern dass sie über einen längeren Zeitraum vorgetragen wurden und über das Internet der Öffentlichkeit zugänglich waren. BVerfG [42] Vor allem stellt das Urteil auf die wiederkehrende, besonders hartnäckige und durch die Namensnennung, den anklagenden Duktus und die Untermalung durch Bilder anprangernde Form der Äußerungen ab, die diesen eine gesteigerte verletzende Wirkung verlieh. Das gilt verstärkt zu Gunsten des OLG-Präsidenten, weil dieser an den kritisierten Entscheidungen nicht beteiligt war. Die Abwägung zum Nachteil des B erweist sich somit als verfassungsgemäß.

Die von B dagegen vorgebrachten Argumente ändern daran nichts. Weder der Hinweis auf angebliche Fehlurteile oder Seilschaften noch der Wunsch nach Aufmerksamkeit der Medien rechtfertigt es, Richter als asoziale Justizverbrecher zu diffamieren. BVerfG [45] Es bleibt B unbenommen, sich öffentlich über die ihm aus seiner Sicht widerfahrenen Ungerechtigkeiten oder allgemeine Missstände auch in deutlichen Worten zu empören. Jedoch bleibt die Feststellung berechtigt, dass B das Maß und die Form einer durch die Meinungsfreiheit gedeckten Kritik und Empörung verlassen hat. Gleiches gilt für die Bezeichnung der Anwältin als widerwärtige und bösartige Hetzerin.

Ergebnis: Die Abwägung durch das LG entspricht den verfassungsrechtlichen Anforderungen und weist keine Rechtsfehler auf. Folglich ändert die Berücksichtigung der Meinungsfreiheit nichts daran, dass B sich der Beleidigung strafbar gemacht hat. Der Eingriff in Art. 5 I 1 GG durch die Urteile ist gerechtfertigt. Art. 5 I 1 GG ist nicht verletzt. Die VfB ist unbegründet und abzuweisen.

Ergänzende Hinweise: Im Originalfall hat die 2. Kammer des Ersten Senats des BVerfG die VfB des B als offensichtlich unbegründet nicht zur Entscheidung angenommen (vgl. § 93 a, b BVerfGG). – Von den weiteren in der Vorbemerkung aufgeführten Fällen blieb die VfB auch im Fall „Rechtsamtsleiterin“ erfolglos, in den Fällen „Rote Null“ und „Tierschutzverein“ hatte sie dagegen Erfolg. Erfolgreich war auch eine Beschwerde von Rechtsanwälten, die wegen einer Strafanzeige gegen Richter verurteilt worden waren, beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) NJW 2020, 751. – Ähnliche Überlegungen wie im obigen Fall gelten im Zivilrecht, wenn ein Kläger wegen Beleidigung Unterlassung oder Schadensersatz verlangt; dann sind, da das die Klage begründende Persönlichkeitsrecht ein Rahmenrecht ist, obige Überlegungen bei der Frage der Rechtswidrigkeit des Eingriffs zu prüfen, vgl. BVerfGE 7, 198 (Lüth); Teichmann JZ 2020, 549 f.; BVerfG NJW 2013, 3021 (Winkeladvokat); BVerfG NJW 2020, 300 Rdnr. 125 (Recht auf Vergessen I); BVerfG vom 2.11.2020 - 1 BvR 2727/19 (Affenlaute).


Zusammenfassung