Bearbeiter: Prof. Dieter Schmalz
► Verfassungsbeschwerde gegen (Straf-) Gesetz. ► Allgemeines Persönlichkeitsrecht (Art. 2 I i. V. mit Art. 1 I GG). ► Recht auf selbstbestimmtes Sterben; Eingriff durch Strafbarkeit Dritter. ► Verhältnismäßigkeit der Strafbarkeit geschäftsmäßiger Suizidhilfe, insbesondere Angemessenheit
BVerfG Urteil vom 26. Februar 2020 (2 BvR 2347/15) NJW 2020, 905
Fall (Suizidhilfe)
Im Jahre 2015 wurde in das StGB die Vorschrift des § 217 eingefügt, die unter der Überschrift „Geschäftsmäßige Förderung der Selbsttötung“ wie folgt lautet: (1) Wer in der Absicht, die Selbsttötung eines anderen zu fördern, diesem hierzu geschäftsmäßig die Gelegenheit gewährt, verschafft oder vermittelt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. (2) Als Teilnehmer bleibt straffrei, wer selbst nicht geschäftsmäßig handelt und entweder Angehöriger des in Absatz 1 genannten anderen ist oder diesem nahesteht.“ Nach der amtlichen Begründung soll die Norm die prinzipielle Straflosigkeit des Suizids und der Teilnahme daran nicht infrage stellen, sie soll aber als abstraktes Gefährdungsdelikt zum Schutze des Lebens und der Selbstbestimmung der Menschen die geschäftsmäßige Suizidhilfe, insbesondere durch Sterbehilfevereine, verhindern.
Gegen diese Vorschrift hat Beschwerdeführer B in formell fehlerfreier Weise und fristgemäß Verfassungsbeschwerde beim Bundesverfassungsgericht erhoben. Er ist seit langem schwer und unheilbar krank und hat bei Angehörigen Fälle qualvollen Sterbens erlebt. Er hat sich deshalb entschlossen, im Falle einer nicht mehr erträglichen Verschlechterung seines Leidens sein Leben durch assistierten Suizid zu beenden. Eine Pflege durch Dritte, etwa in einer Palliativeinrichtung, lehnt er ab. Angehörige oder Freunde, die ihm bei einem Suizid helfen könnten, hat er nicht. Er ist Mitglied bei einem Sterbehilfeverein geworden und hatte von diesem die Zusage zu einer Suizidhilfe erhalten. Nach Erlass des § 217 StGB sei ihm dieser Weg verschlossen. Dadurch werde er in seinem durch das Grundrecht der Menschenwürde geschützten Recht auf ein selbstbestimmtes Sterben verletzt.
Der Deutsche Bundestag hat in seiner Stellungnahme ausgeführt, § 217 StGB wende sich dagegen, dass die Angebote der Suizidhilfe die Bereitschaft zu einer übereilten Selbsttötung vergrößerten, und diene damit dem Schutz des hochwertigen Rechtsguts Leben. Weiterhin müssten suizidwillige Personen vor Einflüssen auf ihre Entscheidungsfindung geschützt werden. Eine Grundrechtsverletzung des B enthalte die Vorschrift nicht, weil sie die Selbsttötung straflos lasse und niemand ein Recht auf fremde Hilfe bei einer Selbsttötung habe. Auch bleibe die nicht geschäftsmäßige Suizidhilfe etwa durch Verwandte straffrei. Wie wird das BVerfG entscheiden?
Lösung
Vorbemerkungen: Im Originalfall hatten eine Reihe von Personen und Organisationen VfB erhoben, insgesamt 11. Um die Falllösung nicht zu umfangreich werden zu lassen, wurde der Fall auf die VfB des Haupt-Beschwerdeführers B beschränkt. – Die Entscheidung wird besprochen von Muckel JA 2020, 473; Lang NJW 2020, 1562.
A. Die Verfassungsbeschwerde (VfB) des B müsste nach §§ 90 ff. BVerfGG zulässig sein.
I. Eine VfB muss sich gegen einen Hoheitsakt richten (§ 90 I BVerfGG). Zu den Hoheitsakten gehören Gesetze (vgl. § 93 III BVerfGG). Folglich kann sich die VfB gegen § 217 StGB richten.
II. Der Beschwerdeführer muss behaupten, in einem Grundrecht verletzt zu sein (§ 90 I BVerfGG). B macht geltend, er werde in seinem durch das Grundrecht der Menschenwürde geschützten Recht auf ein selbstbestimmtes Sterben verletzt. Darin liegt die Berufung auf das die Menschenwürde umfassende allgemeine Persönlichkeitsrecht (Art. 2 I i. V. mit Art. 1 I GG).
III. Bei einer Gesetzes-VfB ist erforderlich, dass der Bf. von dem Gesetz selbst, gegenwärtig und unmittelbar betroffen ist (BVerfG [194]).
1. Der eigenen Betroffenheit des B könnte entgegenstehen, dass sich § 217 StGB nur an diejenigen wendet, die eine geschäftsmäßige Suizidhilfe anbieten. BVerfG [195, 196] B ist zwar nicht Adressat der Norm. Eine eigene Betroffenheit liegt aber auch dann vor, wenn eine an Dritte gerichtete Vorschrift einen Beschwerdeführer nicht nur reflexartig, sondern in rechtlich erheblicher Weise berührt (vgl. BVerfGE 13, 230, 232 f.; …130, 151, 176). Eine solche rechtliche Betroffenheit ist insbesondere dann gegeben, wenn ein an Dritte gerichtetes Verbot mittelbar auch darauf zielt, die Freiheit von Grundrechtsträgern einzuschränken, die nicht Normadressaten sind (…). Zweck des in § 217 Abs. 1 StGB normierten Verbots der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung ist es, das Grundrecht auf Leben und die Selbstbestimmung der potentiellen Suizidenten zu schützen. Das an Dritte gerichtete Verbot des § 217 StGB macht es dem Beschwerdeführer, dessen Suizidwunsch sich bereits in einer Mitgliedschaft bei einem Sterbehilfeverein und einem Antrag auf Erteilung einer Freigabe für eine Suizidhilfe manifestiert hat, unmöglich, die von ihm gewünschte geschäftsmäßig angebotene Suizidhilfe in Anspruch zu nehmen. Das Gesetz wirkt damit wie ein unmittelbar an ihn gerichteter Gesetzesbefehl (vgl. BVerfGE 90, 128, 135 f.). B ist also selbst betroffen.
2. Der gegenwärtigen Betroffenheit könnte entgegenstehen, dass B derzeit noch keinen Suizid plant. Andererseits ist dieser Fall angesichts der unheilbaren Krankheit des B kein bloß abstrakter, in einer späteren Zukunft liegender Vorgang, sondern kann sehr schnell eintreten. Auch besteht die Gefahr, dass professionelle Organisationen wegen der angedrohten Strafbarkeit ihre Tätigkeiten einstellen und B deshalb keine Hilfe mehr bekommen kann (im Originalfall hatte ein an der VfB beteiligter Verein sein Angebot bereits eingestellt, vgl. BVerfG [64]). Wegen dieser besonderen Umstände ist B bereits jetzt, also gegenwärtig betroffen.
3. Unmittelbare Betroffenheit liegt vor, wenn die Rechtsfolgen des Gesetzes ohne Vollzugsakt im Einzelfall eintreten. Die Strafdrohung des § 217 StGB verhindert auch ohne eine ausführende Maßnahme, dass B Hilfe erwarten kann, wirkt also unmittelbar.
BVerfG [194] Der Beschwerdeführer, der eine professionelle Suizidhilfe zu gegebener Zeit in Anspruch nehmen möchte, kann geltend machen, durch § 217 StGB selbst, gegenwärtig und unmittelbar in einem verfassungsbeschwerdefähigen Recht (Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG, § 90 Abs. 1 BVerfGG) verletzt zu sein.
IV. Das Gebot vorheriger Rechtswegerschöpfung (§ 90 II BVerfGG) steht der erhobenen VfB nicht entgegen, weil es gegenüber formellen Gesetzen keinen Rechtsweg - außer der VfB - gibt (vgl. § 93 III BVerfGG).
V. Nach dem Sachverhalt ist davon auszugehen, dass B die VfB formgerecht (Schriftform, § 23 BVerfGG), mit der von § 92 BVerfGG geforderten Begründung und innerhalb der Jahresfrist des § 93 III BVerfGG erhoben hat. Folglich ist die VfB zulässig.
B. Begründet ist die VfB, wenn B durch § 217 StGB in einem Grundrecht verletzt wird.
Dabei scheidet das Recht auf das Leben (Art. 2 II 1 GG) als verletztes Grundrecht aus. Zwar betrifft eine Regelung über die Selbsttötung thematisch das Leben. Auch erstreckt sich der Schutz bei Freiheitsrechten auf deren negative Seite; so schützt die Handlungsfreiheit (Art. 2 I GG) auch das Nichthandeln, die Meinungsfreiheit (Art. 5 I 1GG) auch, keine Meinung zu einem Thema zu haben oder sie nicht zu äußern. Für Art. 2 II 1 GG ist aber das Bestehen und Fortbestehen des Lebens so wesentlich, dass aus diesem Grundrecht kein Recht auf Nicht-Leben hergeleitet werden kann.
Verletzt sein kann B, wie bereits oben A II angenommen wurde, in seinem allgemeinen Persönlichkeitsrecht (Art. 2 I i. V. mit Art. 1 I GG). Dieses ist wegen seines weitergehenden Schutzes vorrangig vor dem Recht auf allgemeine Handlungsfreiheit, das der Bundestag in seiner Stellungnahme für anwendbar gehalten hat (BVerfG [106]).
I. Der Entschluss eines Menschen, sein Leben freiwillig und eigenhändig zu beenden, müsste vom Schutzbereich des Persönlichkeitsrechts umfasst sein.
1. BVerfG [205-207] Das allgemeine Persönlichkeitsrecht schützt als „unbenanntes“ Freiheitsrecht Elemente der Persönlichkeit, die nicht Gegenstand der besonderen Freiheitsgarantien des Grundgesetzes sind, diesen aber in ihrer konstituierenden Bedeutung für die Persönlichkeit nicht nachstehen (st. Rspr, vgl. BVerfGE 99, 185, 193;…147, 1, 19 Rn. 38)… Bei der Bestimmung von Inhalt und Reichweite des - nicht abschließend umschriebenen - Schutzbereichs des allgemeinen Persönlichkeitsrechts ist zu berücksichtigen, dass die Würde des Menschen unantastbar ist und gegenüber aller staatlichen Gewalt Achtung und Schutz beansprucht (vgl. BVerfGE 27, 344, 351; 34, 238, 245). Von der Vorstellung ausgehend, dass der Mensch in Freiheit sich selbst bestimmt und entfaltet (vgl. BVerfGE 45, 187, 227; …123, 267, 413), umfasst die Garantie der Menschenwürde insbesondere die Wahrung personaler Individualität, Identität und Integrität (vgl. BVerfGE 144, 20 , 207 Rn. 539). Damit ist ein sozialer Wert- und Achtungsanspruch verbunden, der es verbietet, den Menschen zum bloßen Objekt staatlichen Handelns zu machen oder ihn einer Behandlung auszusetzen, die seine Subjektqualität prinzipiell in Frage stellt (vgl. BVerfGE 27, 1, 6;…144, 20, 207).
Dieser in der Würde des Menschen wurzelnde Gedanke autonomer Selbstbestimmung wird in den Gewährleistungsgehalten des allgemeinen Persönlichkeitsrechts näher konkretisiert (vgl. BVerfGE 54, 148, 155; 65, 1, 41, 42 ff.;…142, 313, 339 Rn. 74). Dabei ist insbesondere zu gewährleisten, dass der Mensch über sich nach eigenen Maßstäben verfügen kann und nicht in Lebensformen gedrängt wird, die in Widerspruch zum eigenen Selbstbild und Selbstverständnis stehen (vgl. BVerfGE 116, 243, 264 f.; 128, 109, 124, 127).
2. Diese allgemeinen Grundsätze könnten im Fall einer Selbsttötungsabsicht dahin zu konkretisieren sind, dass über das Persönlichkeitsrecht auch das Recht auf ein selbstbestimmtes Sterben geschützt wird. Allerdings verlangt der Verletzungsfall, dass der Mensch zum Objekt gemacht wird, keine Anerkennung des Rechts auf Sterben; vielmehr liegt in der Verweigerung dieses Rechts gerade eine Achtung vor dem Leben des Menschen. Auch dessen Subjektqualität wird nicht prinzipiell in Frage gestellt. Es entspricht aber dem Prinzip autonomer Selbstbestimmung des Menschen, ihm die Entscheidungsfreiheit auch im Hinblick auf das Sterben zuzubilligen. Dem wird allerdings entgegenhalten (vgl. BVerfG [146]), die Autonomie finde ihre Grenze in der individuellen physischen Existenz des Menschen, so dass die zielgerichtete Vernichtung des eigenen Lebens kein Ausdruck möglicher Persönlichkeitsentfaltung sei. Die Frage, ob sich die Selbstbestimmung des Menschen auch auf seinen eigenen Tod erstreckt, lässt also unterschiedliche Antworten zu (zu Nachweisen noch nachfolgend a). Das BVerwG hat im Pentobarbital-Urteil BVerwGE 158, 142 anerkannt, dass das allgemeine Persönlichkeitsrecht das Recht eines schwer und unheilbar kranken Menschen umfasse, zu entscheiden, wie und zu welchem Zeitpunkt sein Leben enden soll, vorausgesetzt, er kann seinen Willen frei bilden und entsprechend handeln. Den damit anerkannten Schutzbereich hat das BVerfG jetzt noch erweitert.
a) [209] Die Entscheidung, das eigene Leben zu beenden,… ist Ausfluss des Selbstverständnisses und grundlegender Ausdruck der zu Selbstbestimmung und Eigenverantwortung fähigen Person. Welchen Sinn der Einzelne in seinem Leben sieht und ob und aus welchen Gründen sich eine Person vorstellen kann, ihr Leben selbst zu beenden, unterliegt höchstpersönlichen Vorstellungen und Überzeugungen…. Das allgemeine Persönlichkeitsrecht…umfasst deshalb nicht nur das Recht, nach freiem Willen lebenserhaltende Maßnahmen abzulehnen und auf diese Weise einem zum Tode führenden Krankheitsgeschehen seinen Lauf zu lassen (vgl. auch BVerfGE 142, 313, 341 Rn. 79; BGHSt 11, 111, 113 f.;…55, 191, 196 f. Rn. 18, 203 f. Rn. 31 ff.; BGHZ 163, 195, 197 f.). Das Recht auf selbstbestimmtes Sterben erstreckt sich auch auf die Entscheidung des Einzelnen, sein Leben eigenhändig zu beenden. Das Recht, sich selbst das Leben zu nehmen, stellt sicher, dass der Einzelne über sich entsprechend dem eigenen Selbstbild autonom bestimmen und damit seine Persönlichkeit wahren kann (vgl. Bethge, in: Isensee/Kirchhof, HStR IX, 3. Aufl. 2011, § 203 Rn. 41, 44; Dreier, in: Dreier, GG, Bd. 1, 3. Aufl. 2013, Art. 1 Abs. 1 Rn. 154; Herdegen, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 1 Abs.1 Rn.89 [Mai 2009]; Hufen, NJW 2018, 1525; a. A. Lorenz, in: Bonner Kommentar zum GG, Art. 2 Abs. 1 Rn. 54, 303 [April 2008] sowie Art. 2 Abs. 2 Satz 1 Rn. 420 [Juni 2012]; Starck, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Bd. 1, 7. Aufl. 2018, Art. 2 Abs. 2 Rn. 192).
b) [210] Das Recht auf selbstbestimmtes Sterben als Ausdruck personaler Freiheit ist…nicht auf schwere oder unheilbare Krankheitszustände oder bestimmte Lebens- und Krankheitsphasen beschränkt. Eine Einengung des Schutzbereichs auf bestimmte Ursachen und Motive liefe auf eine Bewertung der Beweggründe des zur Selbsttötung Entschlossenen und auf eine inhaltliche Vorbestimmung hinaus, die dem Freiheitsgedanken des GG fremd ist. Abgesehen davon, dass eine solche Einschränkung in der Praxis zu erheblichen Abgrenzungsschwierigkeiten führen würde, träte sie in Widerspruch zu der das GG bestimmenden Idee von der Würde des Menschen und seiner freien Entfaltung in Selbstbestimmung und Eigenverantwortung (vgl. BVerfGE 80, 138, 154 für die allgemeine Handlungsfreiheit). Die Verwurzelung des Rechts auf selbstbestimmtes Sterben in der Menschenwürdegarantie des Art. 1 Abs. 1 GG impliziert gerade, dass die eigenverantwortliche Entscheidung über das eigene Lebensende keiner weiteren Begründung oder Rechtfertigung bedarf. Maßgeblich ist der Wille des Grundrechtsträgers, der sich einer Bewertung anhand allgemeiner Wertvorstellungen, religiöser Gebote, gesellschaftlicher Leitbilder für den Umgang mit Leben und Tod oder Überlegungen objektiver Vernünftigkeit entzieht (vgl. BVerfGE 128, 282, 308; 142, 313, 339 Rn. 74 für Heileingriffe). Die Selbstbestimmung über das eigene Lebensende gehört zum „ureigensten Bereich der Personalität“ des Menschen, in dem er frei ist, seine Maßstäbe zu wählen und nach ihnen zu entscheiden (vgl. BVerfGE 52, 131, 175 abw. Meinung Hirsch, Niebler und Steinberger für ärztliche Heileingriffe).
c) [211] Das Recht, sich selbst zu töten, kann nicht mit der Begründung verneint werden, dass sich der Suizident seiner Würde begibt, weil er mit seinem Leben zugleich die Voraussetzung seiner Selbstbestimmung und damit seine Subjektstellung aufgibt (vgl. Lorenz, in: Isensee/Kirchhof, HStR VI, 2. Aufl. 2001, § 128 Rn. 62; ders., JZ 2009, 60). Zwar ist das Leben die vitale Basis der Menschenwürde. Daraus kann jedoch nicht der Schluss gezogen werden, dass eine auf einen freien Willen zurückgehende Selbsttötung der in Art. 1 Abs. 1 GG garantierten Menschenwürde widerspräche…. Die selbstbestimmte Verfügung über das eigene Leben ist vielmehr unmittelbarer Ausdruck der der Menschenwürde innewohnenden Idee autonomer Persönlichkeitsentfaltung; sie ist, wenngleich letzter, Ausdruck von Würde. Die Würde des Menschen ist folglich nicht Grenze der Selbstbestimmung der Person, sondern ihr Grund: Der Mensch bleibt nur dann als selbstverantwortliche Persönlichkeit, als Subjekt anerkannt, sein Wert- und Achtungsanspruch nur dann gewahrt, wenn er über seine Existenz nach eigenen, selbstgesetzten Maßstäben bestimmen kann (vgl. Dreier, in: Dreier, GG, Bd. 1, 3. Aufl. 2013, Art. 1 Abs. 1 Rn. 154; Geddert-Steinacher, Menschenwürde als Verfassungsbegriff, 1990, S. 86 ff.; Nettesheim, AöR 130 [2005], S. 105 f.).
3. Da sich § 217 StGB nicht unmittelbar gegen eine zur Selbsttötung entschlossene Person wie B richtet, sondern gegen dessen Helfer, erfasst das Persönlichkeitsrecht den in § 217 StGB geregelten Fall nur, wenn sich dessen Schutzbereich auf die Inanspruchnahme einer geschäftsmäßigen Hilfe erstreckt. In der Stellungnahme des Bundestages, wonach niemand ein Recht auf fremde Hilfe bei einer Selbsttötung habe, wird das in Abrede gestellt. Anders aber BVerfG [213] Das GG gewährleistet die Entfaltung der Persönlichkeit im Austausch mit Dritten, die ihrerseits in Freiheit handeln. Zur grundrechtlich geschützten Freiheit gehört daher auch die Möglichkeit, auf Dritte zuzugehen, bei ihnen Unterstützung zu suchen und von ihnen im Rahmen ihrer Freiheit angebotene Hilfe anzunehmen. Das gilt insbesondere für denjenigen, der erwägt, sein Leben eigenhändig zu beenden. Gerade er sieht sich vielfach erst durch die fachkundige Hilfe kompetenter und bereitwilliger Dritter, insbesondere Ärzte, in der Lage, hierüber zu entscheiden und gegebenenfalls seinen Suizidentschluss in einer für ihn zumutbaren Weise umzusetzen. Ist die Wahrnehmung eines Grundrechts von der Einbeziehung dritter Personen abhängig und hängt die freie Persönlichkeitsentfaltung von der Mitwirkung eines anderen ab, schützt das Grundrecht auch davor, dass es nicht durch ein Verbot gegenüber Dritten, im Rahmen ihrer Freiheit Unterstützung anzubieten, beschränkt wird.
[208] Folglich umfasst das allgemeine Persönlichkeitsrecht als Ausdruck persönlicher Autonomie auch ein Recht auf selbstbestimmtes Sterben, welches das Recht auf Selbsttötung einschließt. Der Grundrechtsschutz erstreckt sich auch auf die Freiheit, hierfür bei Dritten Hilfe zu suchen und sie, soweit sie angeboten wird, in Anspruch zu nehmen.
II. In diesen Schutzbereich müsste durch § 217 StGB ein Eingriff erfolgen. Eingriff ist eine durch Hoheitsakt bewirkte Beeinträchtigung des geschützten Gutes (zum Eingriffsbegriff in der Fallbearbeitung Hobusch JA 2019, 278). Zugunsten des B wird geschützt, dass er sich bei einer Selbsttötung professionell helfen lassen kann. Das wird dadurch verhindert, dass § 217 StGB das Helfen unter Strafe stellt.
BVerfG [215, 216] im Anschluss an oben A III 1: Der Grundrechtsschutz ist nicht auf unmittelbar adressierte Eingriffe beschränkt. Auch staatliche Maßnahmen, die eine mittelbare oder faktische Wirkung entfalten, können Grundrechte beeinträchtigen und müssen daher von Verfassungs wegen hinreichend gerechtfertigt sein. Sie können in ihrer Zielsetzung und Wirkung einem normativen und direkten Eingriff gleichkommen und müssen dann wie ein solcher behandelt werden (vgl. BVerfGE 105, 252, 273; 110, 117, 191). Das in § 217 Abs. 1 StGB strafbewehrte Verbot der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung macht es B faktisch unmöglich, die von ihnen gewählte geschäftsmäßig angebotene Suizidhilfe in Anspruch zu nehmen, weil entsprechende Anbieter ihre Tätigkeit nach Inkrafttreten von § 217 StGB zur Vermeidung strafrechtlicher Konsequenzen eingestellt haben (vgl. oben A III 2).
[217, 218] Die Beeinträchtigungen treten nicht nur reflexartig als Folge eines anderen Zielen dienenden Gesetzes ein (vgl. BVerfGE 116, 202, 222 f.). Sie sind von der Zweckrichtung des Gesetzes vielmehr bewusst umfasst und begründen damit in ihrer Zielsetzung und ihren mittelbar-faktischen Auswirkungen einen Eingriff auch gegenüber den suizidwilligen Personen (vgl. BVerfGE 148, 40, 51 Rn. 28 m. w. N.). Mit dem Verbot der geschäftsmäßigen Suizidhilfe soll nach dem Willen des Gesetzgebers ein wirksamer Schutz des Grundrechts auf Leben und der Selbstbestimmung gerade dadurch erreicht werden, dass solche Angebote Suizidwilligen nicht mehr zur Verfügung stehen… Der Einzelne, der sein Leben mit der Hilfe geschäftsmäßig handelnder Dritter selbstbestimmt beenden möchte, ist gezwungen, auf Alternativen auszuweichen mit dem erheblichen Risiko, dass er mangels tatsächlicher Verfügbarkeit anderer zumutbarer Möglichkeiten einer schmerzfreien und sicheren Selbsttötung seinen Entschluss nicht realisieren kann. Angesichts der existentiellen Bedeutung, die der Selbstbestimmung über das eigene Leben für die personale Identität, Individualität und Integrität zukommt, und des Umstands, dass die Ausübung des Grundrechts durch die Norm jedenfalls erheblich erschwert wird, wiegt der Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Beschwerdeführers auch besonders schwer.
III. Der Eingriff könnte gerechtfertigt sein.
1. Art. 2 I GG steht unter dem Vorbehalt der verfassungsmäßigen Ordnung, die im Schutzbereich der allgemeinen Handlungsfreiheit weit, im Sinne der verfassungsmäßigen Rechtsordnung verstanden wird ( BVerfGE 6, 32, 36, 38, 80, 137,1 52/3; 91, 335, 338/9). Auch für das Persönlichkeitsrecht gelten gesetzliche Schranken (BVerfGE 97, 391, 401), hierbei ist aber zu differenzieren, BVerfG [221]: Der Einzelne muss staatliche Maßnahmen hinnehmen, wenn sie im überwiegenden Interesse der Allgemeinheit oder im Hinblick auf grundrechtlich geschützte Interessen Dritter unter strikter Wahrung des Verhältnismäßigkeitsgebots ergriffen werden (vgl. BVerfGE 120, 224, 239 m. w. N.). Unter Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkten bestehen für das allgemeine Persönlichkeitsrecht im Vergleich zum Schutz des Art. 2 Abs. 1 GG als allgemeine Handlungsfreiheit erhöhte Rechtfertigungsanforderungen. Diese sind besonders hoch, wenn es um Gewährleistungsgehalte geht, die einen spezifischen Bezug zu der Garantie der Menschenwürde aus Art. 1 Abs. 1 GG aufweisen. Dabei reichen die Garantien besonders weit, je mehr sich der Einzelne innerhalb seiner engsten Privatsphäre bewegt, und schwächen sich mit zunehmendem sozialen Kontakt nach außen ab (vgl. Di Fabio, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 2 Abs. 1 Rn. 157 ff.). Folglich ist der Eingriff in das Persönlichkeitsrecht gerechtfertigt, wenn § 217 StGB formell und nach Maßgabe vorstehender Grundsätze auch materiell verfassungsmäßig ist.
2. § 217 StGB müsste formell verfassungsmäßig sein.
a) Die Gesetzgebungszuständigkeit des Bundes für den ins StGB eingefügten § 217 ergibt sich aus dem in Art. 74 I Nr. 1 GG enthaltenen Gebiet des Strafrechts.
b) Von der Beachtung der Anforderungen an ein ordnungsgemäßes Gesetzgebungsverfahren ist auszugehen.
c) Formeller Fehler kann auch ein Verstoß gegen das Bestimmtheitsgebot sein. Es ergibt sich bei Strafgesetzen aus Art. 103 II GG (BVerfGE 87, 391). Im Originalfall hatten sämtliche Beschwerdeführer einen Verstoß gerügt (vgl. BVerfG [7, 74]), insbesondere sei der Begriff der Geschäftsmäßigkeit zu unbestimmt. Jedoch ist für den größten Teil des Anwendungsbereichs des § 217 StGB klar, dass damit die Tätigkeit der Sterbehilfevereine gemeint ist, so dass insoweit Bestimmtheit zu bejahen ist. Für den Bereich der ärztlichen Tätigkeit gilt, dass Geschäftsmäßigkeit ein Handeln in der Absicht kontinuierlicher Wiederholung zur Voraussetzung hat. Daran fehlt es, wenn ein Arzt seinen Patienten in einer palliativ nicht mehr beherrschbaren Notlage beim Suizid unterstützt. In diesen Fällen lässt sich eine Strafbarkeit also durch eine enge Auslegung des § 217 StGB verhindern (vgl. [151]). § 217 StGB ist folglich noch hinreichend bestimmt. (Das BVerfG hat die Frage der Bestimmtheit nicht behandelt.)
3. § 217 StGB in seiner Wirkung gegenüber B müsste auch dem Prinzip der Verhältnismäßigkeit entsprechen.
BVerfG [223-225] Ein grundrechtseinschränkendes Gesetz genügt diesem Grundsatz nur, wenn es geeignet und erforderlich ist, um die von ihm verfolgten legitimen Zwecke zu erreichen, und die Einschränkungen des grundrechtlichen Freiheitsraums hierzu in angemessenem Verhältnis stehen (vgl. BVerfGE 30, 292, 316; 67, 157, 173; 76, 1, 51). Bei der Zumutbarkeitsprüfung ist zu berücksichtigen, dass Regelungen der assistierten Selbsttötung sich in einem Spannungsfeld unterschiedlicher verfassungsrechtlicher Schutzaspekte bewegen. Die Achtung vor dem grundlegenden, auch das eigene Lebensende umfassenden Selbstbestimmungsrecht desjenigen, der sich in eigener Verantwortung dazu entscheidet, sein Leben selbst zu beenden, und hierfür Unterstützung sucht, tritt in Kollision zu der Schutzpflicht des Staates, das hohe Rechtsgut Leben und die Autonomie Suizidwilliger zu schützen. Diese sind von Einwirkungen und Pressionen freizuhalten, welche sie gegenüber Suizidhilfeangeboten in eine Rechtfertigungslage bringen könnten.… Die verfassungsrechtliche Prüfung erstreckt sich darauf, ob der Gesetzgeber die genannten Faktoren ausreichend berücksichtigt und seinen Einschätzungsspielraum in vertretbarer Weise gehandhabt hat (vgl. BVerfGE 88, 203, 262).
a) Der Gesetzgeber muss mit dem Erlass des § 217 StGB legitime Zwecke verfolgen.
aa) BVerfG [229, 230] Ziel des Gesetzes ist es zum einen, die Entwicklung der Beihilfe zum Suizid zu einem „Dienstleistungsangebot der gesundheitlichen Versorgung“, das Menschen dazu verleiten könnte, sich das Leben zu nehmen, zu verhindern… Insbesondere alte und kranke Menschen könnten sich durch derartige, Normalität suggerierende Angebote zur Selbsttötung verleiten lassen oder dazu direkt oder indirekt gedrängt fühlen. Zum anderen will der Gesetzgeber mit dem Verbot im Interesse des Integritäts- und Autonomieschutzes „autonomiegefährdenden Interessenkonflikten“ entgegenwirken und einer sich hieraus allgemein ergebenden Gefahr „fremdbestimmter Einflussnahme in Situationen prekärer Selbstbestimmung“ vorbeugen (vgl. BTDrucks 18/5373, S. 11). Durch die Einbeziehung eines geschäftsmäßig handelnden Suizidhelfers, der spezifische, typischerweise auf die Durchführung des Suizids gerichtete Eigeninteressen verfolge, könnten die freie Willensbildung und Entscheidungsfindung und damit die personale Eigenverantwortlichkeit potentiell beeinflusst werden.
(Der Autonomiegedanke kommt in diesem Fall doppelt und mit gegenläufiger Zwecksetzung vor: Unter B I 1, 2, auf der Ebene des Schutzbereichs, wird damit die Entscheidung des Suizidwilligen für schutzwürdig erklärt. Die vorangegangenen Überlegungen unter aa) verwenden ihn bei der möglichen Rechtfertigung des durch § 217 StGB erfolgenden Eingriffs.)
bb) [232, 233] Art. 1 Abs. 1 Satz 2 GG in Verbindung mit Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG verpflichten den Staat, die Autonomie des Einzelnen bei der Entscheidung über die Beendigung seines Lebens und hierdurch das Leben als solches zu schützen… Angesichts der Unumkehrbarkeit des Vollzugs einer Suizidentscheidung gebietet die Bedeutung des Lebens als ein Höchstwert innerhalb der grundgesetzlichen Ordnung, Selbsttötungen entgegenzuwirken, die nicht von freier Selbstbestimmung und Eigenverantwortung getragen sind. In Wahrnehmung dieser Schutzpflicht ist der Gesetzgeber nicht nur berechtigt, konkret drohenden Gefahren für die persönliche Autonomie von Seiten Dritter entgegenzuwirken, sondern er verfolgt auch insoweit ein legitimes Anliegen, als er verhindern will, dass sich der assistierte Suizid in der Gesellschaft als normale Form der Lebensbeendigung durchsetzt.
cc) [231] Mit diesen Zielen des Lebens- und Autonomieschutzes dient das Verbot des § 217 StGB der Erfüllung einer in der Verfassung begründeten staatlichen Schutzpflicht und damit einem legitimen Zweck.
b) [260, 261] Die Regelung des § 217 StGB stellt als Strafnorm grundsätzlich ein geeignetes Instrument des Rechtsgüterschutzes dar, weil das strafbewehrte Verbot gefahrträchtiger Handlungsweisen den erstrebten Rechtsgüterschutz zumindest fördern kann (vgl. BVerfGE 90, 145, 172; allgemein zum Kriterium der Geeignetheit BVerfGE 30, 292, 316; 33, 171, 187). Die Eignung wird nicht dadurch in Frage gestellt, dass der straffrei verbleibenden nicht geschäftsmäßigen Suizidhilfe, insbesondere im Fall von Angehörigen als Suizidhelfern, nach Auffassung einzelner Beschwerdeführer ein mindestens ebenso großes Gefahrenpotenzial für die Selbstbestimmung des Einzelnen innewohnt wie der geschäftsmäßigen Suizidhilfe durch Außenstehende. Die Entscheidung des Gesetzgebers, nur einer bestimmten von mehreren Gefahrenquellen zu begegnen, vermag Lücken des Rechtsgüterschutzes zu begründen. Soweit der Schutz reicht, wird seine Eignung dadurch aber nicht infrage gestellt.
c) Ein Eingriff ist erforderlich, wenn zur Zweckerreichung kein milderes Mittel zur Verfügung steht. Gegenüber dem Verbot einer geschäftsmäßigen Betätigung sind grundsätzlich Zulassungsverfahren für die Anbieter ein milderes Mittel, bei der Gefahr von Rechtsverstößen auch Auflagen oder eine Versagung bzw. Rücknahme der Zulassung. Angesichts der vom Gesetzgeber mit § 217 StGB verfolgten Zwecke scheidet ein Zulassungsverfahren aber aus, weil auch zugelassene Sterbehilfevereine die Bereitschaft zum Suizid fördern und die Autonomie gefährden können. Gegenüber der Strafandrohung wäre auch ein lediglich verwaltungsrechtliches Verbot für die Anbieter milder. Für B würde sich aber nichts ändern, er würde auch dann keine Hilfe erhalten. Ein im Verhältnis zum strafbewehrten Verbot des § 217 StGB milderes und gleich wirksames Mittel ist nicht erkennbar und wird von B auch nicht vorgeschlagen. Somit ist von der Erforderlichkeit der Maßnahme auszugehen. BVerfG [263] hat die Erforderlichkeit mit Blick auf die mangelnden empirischen Befunde zur Effektivität alternativer, weniger eingriffsintensiver Schutzmaßnahmen offen gelassen.
d) BVerfG [265] Angemessen ist eine Freiheitseinschränkung, wenn das Maß der Belastung des Einzelnen noch in einem vernünftigen Verhältnis zu den der Allgemeinheit erwachsenden Vorteilen steht (vgl. BVerfGE 76, 1, 51). Um dies feststellen zu können, ist eine Abwägung zwischen den Gemeinwohlbelangen, deren Wahrnehmung der Eingriff in Grundrechte dient, und den Auswirkungen auf die Rechtsgüter der davon Betroffenen notwendig (vgl. BVerfGE 92, 277, 327). Hierbei müssen die Interessen des Gemeinwohls umso gewichtiger sein, je empfindlicher der Einzelne in seiner Freiheit beeinträchtigt wird (vgl. BVerfGE 36, 47, 59; 40, 196, 227; Stern, Das Staatsrecht der BRD, Bd. III/2, S. 790). Andererseits wird der Gemeinschaftsschutz umso dringlicher, je größer die Nachteile und Gefahren sind, die aus einer gänzlich freien Grundrechtsausübung erwachsen können (vgl. BVerfGE 7, 377, 404 f.).
aa) Die mit § 217 StGB verfolgten Gemeinwohlbelange Lebens- und Autonomieschutz haben einen hohen Rang. Jedoch lässt sich nicht feststellen, dass diese Belange durch das Angebot der Suizidhilfe und deren Inanspruchnahme durch Suizidwillige in besonderem Maße gefährdet werden und durch Art und Maß der Gefährdung hohes Gewicht erhalten. Vielmehr ist die Suizidhilfe zwar regulierungsbedürftig, sie ist aber nicht so gemeinschädlich, dass ihr schon deshalb Vorrang vor dem Recht des Einzelnen auf ein selbstbestimmtes Sterben zukommen müsste. Sterbehilfevereine erhalten die Motivation für ihre - meist ehrenamtlich geleistete - Tätigkeit aus dem Wunsch, suizidwilligen Menschen zu helfen; eine größere Gefahr für Leben und Autonomie bedeuten sie deshalb nicht. Bei der Gewichtung des - dem § 217 StGB gegenüberstehenden - Rechts auf ein selbstbestimmtes Sterben ist daran anzuknüpfen, dass ein besonders schwerer Eingriff erfolgt (B II a. E.) und dass die Rechtfertigungsanforderungen an den Eingriff besonders hoch sind (B III 1). BVerfG [273] Darüber hinaus findet der Eingriff gegenüber dem Persönlichkeitsrecht seine Grenze dort, wo die freie Entscheidung nicht mehr geschützt, sondern unmöglich gemacht wird. Wird diese Grenze überschritten, fällt die Abwägung zugunsten des Persönlichkeitsrechts aus.
bb) Zur Beantwortung der Frage, ob durch § 217 StGB die freie Entscheidung des Suizidwilligen unmöglich gemacht wird, ist von der bereits oben B I 3 getroffenen Feststellung auszugehen, dass Menschen, zumal wenn sie schwer krank sind, nicht über die Mittel für eine Selbsttötung verfügen, sie also Hilfe brauchen. Professionelle Hilfe durch Organisationen wie Sterbehilfevereine wird ihnen durch § 217 StGB versagt. Vielfach werden, so wie im Fall des B, Verwandte oder Freunde keine Hilfe leisten wollen oder können. Praktisch kommt nur die Hilfe eines Arztes, der ein geeignetes Medikament verschreiben kann, in Betracht. Ob der Betroffene einen solchen Arzt findet, ist aber nicht nur nicht gesichert, sondern eher unwahrscheinlich, zumal die Musterberufsordnung für die in Deutschland tätigen Ärztinnen und Ärzte ein ausdrückliches Verbot ärztlicher Suizidhilfe enthält und die meisten landesrechtlich geregelten Berufsordnungen das übernehmen (BVerfG [291-293, 296]).
BVerfG [284] Wenn die Rechtsordnung bestimmte, für die Autonomie gefährliche Formen der Suizidhilfe, insbesondere die geschäftsmäßige Förderung der Selbsttötung, unter Strafe stellt, muss sie sicherstellen, dass trotz des Verbots im Einzelfall ein Zugang zu freiwillig bereitgestellter Suizidhilfe real eröffnet bleibt… Ohne geschäftsmäßige Angebote der Suizidhilfe ist der Einzelne auf die individuelle Bereitschaft eines Arztes angewiesen, an einer Selbsttötung zumindest durch Verschreibung der benötigten Wirkstoffe assistierend mitzuwirken. Von einer solchen individuellen ärztlichen Bereitschaft wird man aber bei realistischer Betrachtungsweise nur im Ausnahmefall ausgehen können… Zum einen kann kein Arzt verpflichtet werden, Suizidhilfe zu leisten, zum anderen wirken sich die berufsrechtlichen Verbote der Suizidhilfe, wie sie überwiegend im Standesrecht der Ärzte vorgesehen sind, zumindest faktisch handlungsleitend aus. Unter diesen Umständen bedeutet die Strafbarkeit geschäftsmäßiger Suizidhilfe eine Vereitelung des Rechts auf ein selbstbestimmtes Sterben. Die in der Stellungnahme des Bundestages in Bezug genommene Straflosigkeit der Selbsttötung ist angesichts der Tatsache, dass sie durch § 217 StGB praktisch verhindert wird, ohne argumentativen Wert.
BVerfG [279] § 217 StGB suspendiert mit seinem Ansatz eines Schutzes durch ein absolutes Verbot der geschäftsmäßigen Suizidhilfe die Selbstbestimmung des Einzelnen in dem von der Regelung erfassten Bereich vollständig, indem er den Entschluss zur Selbsttötung einem unwiderleglichen Generalverdacht mangelnder Freiheit und Reflexion unterstellt. Dadurch wird die verfassungsprägende Grundvorstellung des Menschen als eines in Freiheit zu Selbstbestimmung und Selbstentfaltung fähigen Wesens (vgl. BVerfGE 32, 98, 107 f.; 138, 296, 339 Rn. 109) in ihr Gegenteil verkehrt.
cc) Ohne Bedeutung ist die Möglichkeit, Angebote aus dem Ausland (Schweiz) anzunehmen. BVerfG [300] Die staatliche Gemeinschaft darf den Einzelnen nicht auf die Möglichkeit verweisen, im Ausland verfügbare Angebote der Suizidhilfe in Anspruch zu nehmen. Der Staat hat den erforderlichen Grundrechtsschutz gemäß Art. 1 Abs. 3 GG innerhalb der eigenen Rechtsordnung zu gewährleisten (so bereits BVerwGE 158, 142, 158 Rn. 36).
BVerfG [264] Folglich ist die von der Vorschrift ausgehende Einschränkung des aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht abzuleitenden Rechts auf selbstbestimmtes Sterben nicht angemessen. § 217 StGB ist nicht verhältnismäßig und verletzt das Persönlichkeitsrecht des B.
Unter [302-305] legt das BVerfG noch dar, dass dieses Ergebnis im Einklang steht mit der Europäischen Menschenrechtskonvention, die als Auslegungshilfe für die Bestimmung von Inhalt und Reichweite der Grundrechte heranzuziehen ist (…), und den vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte formulierten grundlegenden konventionsrechtlichen Wertungen (…).
IV. Als Rechtsfolge kommt die Nichtigkeit des § 217 StGB in Betracht.
1. Es gibt allerdings zwei Gestaltungen, durch die sie verhindert werden kann.
a) Nicht nichtig ist eine Rechtsnorm, wenn durch eine verfassungskonforme Auslegung der Grundrechtsverstoß ausgeräumt werden kann ( BVerwG NVwZ 2019, 890 [24]; BVerfGE 138, 64 Rn. 86). Das ist bei § 217 StGB jedoch nicht möglich. BVerfG [334-336] Eine den Anwendungsbereich der Norm einschränkende Auslegung, die die geschäftsmäßige Förderung der Selbsttötung unter bestimmten Umständen doch für zulässig erklärte, widerspräche den Absichten des Gesetzgebers… Dies gilt insbesondere für eine Auslegung, die die Förderung freiverantwortlicher Selbsttötungen von der Strafbarkeit ausnimmt. Sie liefe dem gesetzgeberischen Anliegen (vgl. BTDrucks 18/5373, S. 3) zuwider. Im Ergebnis würde sie die Vorschrift praktisch leerlaufen lassen (vgl. Riemer, BRJ 2016, 96, 101, zugleich m. w. N. zu abweichenden Ansätzen). Auch eine Auslegung, die Ärzte vom Verbot des § 217 Abs. 1 StGB ausnähme, ist nicht möglich. Der Gesetzgeber hat § 217 StGB als Allgemeindelikt ausgestaltet und von einer Privilegierung der Angehörigen der Heilberufe bewusst abgesehen (vgl. BTDrucks 18/5373, 18).
b) Keine Nichtigkeitserklärung erfolgt in den Fällen, in denen eine Norm nur für unvereinbar mit dem GG zu erklären ist (vgl. § 31 II 2 BVerfGG; BVerfG NJW 2019, 827 und 842 [94-97]). Bei § 217 StGB ist das aber nicht möglich, weil eine Strafvorschrift, die verfassungswidrig ist, nicht mit der Folge aufrechterhalten werden kann, dass doch eine Bestrafung erfolgt (BVerfG [337]).
2. BVerfG [337] § 217 StGB ist wegen der festgestellten Verfassungsverstöße für nichtig zu erklären (§ 95 Abs. 1 Satz 1 BVerfGG). Mit dieser Erklärung wird der VfB des B stattgegeben.
Zur Begründetheit der weiteren Verfassungsbeschwerden [306-333]. -- Unter [338-342] führt das BVerfG noch aus, dass ein neues Gesetz nicht ausgeschlossen ist, und knüpft daran Hinweise für dessen Gestaltung.
Zusammenfassung