Bearbeiter: Prof. Dieter Schmalz

Frage- und Informationsrecht der Bundestagsabgeordneten gegenüber der Bundesregierung aus Art. 38 I 2, 20 II 2 GG. Gewaltenteilung; parlamentarische Kontrolle der Regierung. Kontrolle der Regierung als Ausfluss des Demokratieprinzips. Grenzen des Fragerechts, insbesondere kraft exekutiver Eigenverantwortlichkeit der Regierung. Berufsfreiheit (Art. 12 GG), Schutz der Geschäftsgeheimnisse

BVerfG
Urteil vom 21. 10. 2014 (2 BvE 5/11) NVwZ 2014, 1652

Fall
(Rüstungsexporte)

A ist Bundestagsabgeordneter. Medienberichten zufolge soll das Bundeswirtschaftsministerium Waffengeschäfte mit Saudi-Arabien genehmigt haben und weitere Genehmigungen in Aussicht gestellt haben. Zuvor soll der Bundessicherheitsrat zugestimmt haben. Der Bundessicherheitsrat ist ein Ausschuss der Bundesregierung zur Koordinierung von Aspekten der Verteidigungs- und Außenpolitik sowie des Außenwirtschaftsrechts. Den Vorsitz im Bundessicherheitsrat führt die Bundeskanzlerin, weitere Mitglieder sind die u. a. Bundesministerinnen und Bundesminister des Auswärtigen, der Verteidigung, des Innern, der Finanzen, für Wirtschaft und der Chef des Bundeskanzleramtes.

In einer Fragestunde im Bundestag stellte A folgende Fragen an die Bundesregierung: 1) Ist es richtig, dass die Bundesregierung die Lieferung von 200 Kampfpanzern des Typs Leopard an Saudi-Arabien genehmigt hat? 2) Zusatzfrage: Ist der Bundesregierung bekannt, dass Saudi-Arabien anderen Staaten Waffen zur Verfügung stellt, die diese gegen Oppositionelle einsetzen, und dass in Saudi-Arabien Menschen ausgepeitscht und in entwürdigender Weise hingerichtet werden; dass keine Bürgerrechte gelten; dass Frauen unterdrückt werden, die nicht einmal Auto fahren dürfen? 3) Weitere Zusatzfrage: Mit welcher Begründung wurde die Genehmigung erteilt, und stand dabei das Interesse der Rüstungsindustrie im Vordergrund? 4) Liegen Anträge auf weitere Exportgenehmigungen für Kriegswaffen vor, und werden diese voraussichtlich genehmigt? 5) Welchen Wert umfasst die Lieferung der Panzer, d. h. wie hoch ist der Kaufpreis?

Im Auftrag der Bundesregierung nahm Staatssekretär S aus dem Wirtschaftsministerium dazu Stellung und erklärte, die Bundesregierung folge regelmäßig den Beschlüssen des Bundessicherheitsrates. Dessen Verhandlungen seien bekanntlich geheim, so dass er dazu grundsätzlich keine Angaben machen könne. Die Notwendigkeit zur Geheimhaltung ergebe sich aus dem Schutzbedürfnis der Beziehungen Deutschlands zu den möglichen Empfängerländern und den Interessen der Empfängerländer, die Wert auf eine größtmögliche Vertraulichkeit legten. Zur Menschenrechtslage in anderen Ländern Stellung zu nehmen, sei nicht Aufgabe des Wirtschaftsministeriums.

A hält diese Antworten für nicht ausreichend und fragt, ob er mit Aussicht auf Erfolg das Bundesverfassungsgericht anrufen kann.

A. Ein Antrag beim BVerfG müsste zulässig sein.

I. Beim BVerfG sind Anträge nur in bestimmten Verfahren zulässig; sie sind grundsätzlich in Art. 93 GG und näher im BVerfGG geregelt. Im vorliegenden Fall könnte es sich um einen Antrag im Organstreitverfahren nach Art. 93 I Nr. 1 GG, §§ 13 Nr. 5, 63 - 67 BVerfGG handeln.

Nach Art. 93 I Nr. 1 GG entscheidet das BVerfG „ über die Auslegung dieses Grundgesetzes aus Anlass von Streitigkeiten über den Umfang der Rechte und Pflichten eines obersten Bundesorgans oder anderer Beteiligter, die durch dieses Grundgesetz oder in der Geschäftsordnung eines obersten Bundesorgans mit eigenen Rechten ausgestattet sind.“ A als Abgeordneter des Deutschen Bundestages streitet sich mit der Bundesregierung um die Frage, ob nach den Vorschriften des Grundgesetzes die Antworten der Bundesregierung auf die Fragen des A in der Fragestunde ausreichend waren oder ob die Regierung zu weitergehenden Antworten verpflichtet war. Somit handelt es sich begrifflich um ein Organstreitverfahren.

II. Nach § 63 BVerfGG können nur die dort Aufgeführten Beteiligte am Verfahren sein.

1. Ein Abgeordneter ist Teil des Organs Bundestag und im GG mit den in Art. 38 I 2 aufgeführten Rechten ausgestattet. BVerfG [105] Die Parteifähigkeit der Antragsteller als Abgeordnete des Deutschen Bundestages folgt aus Art. 93 Abs. 1 Nr. 1 GG. Dem Abgeordneten kommt gemäß Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG ein eigener verfassungsrechtlicher Status zu, der im Organstreitverfahren gegenüber anderen Verfassungsorganen verteidigt werden kann (BVerfGE 108, 251, 270; 124, 161, 184; st. Rspr.).

2. Die Bundesregierung, an die A seine Fragen gestellt hat, ist ausdrücklich in § 63 BVerfGG als parteifähig aufgeführt. Sie ist daher Antragsgegnerin in dem Organstreitverfahren.

III. Der Streitgegenstand entspricht dem Begriff des Organstreitverfahrens (oben I.). Im vorliegenden Fall ist durch Auslegung des GG die unter den Beteiligten streitige Frage zu entscheiden, welche Fragen von einem Abgeordneten gestellt werden dürfen und von der Bundesregierung zu beantworten sind. Zu entscheiden ist dies durch Auslegung des die Rechte der Abgeordneten regelnden Art. 38 I 2 GG.

IV. Die nach § 64 BVerfGG erforderliche Antragsbefugnis setzt voraus, dass der Antragsteller geltend macht, dass er oder das Organ, dem er angehört, durch eine Maßnahme oder Unterlassung des Antragsgegners in seinen ihm durch das Grundgesetz übertragenen Rechten oder Pflichten verletzt oder unmittelbar gefährdet ist. A kann geltend machen, dass er in seinem ihm durch Art. 38 I 2 GG übertragenen Recht gegenüber der Bundesregierung auf Auskunft über Fragen verletzt ist.

V. Die formellen Voraussetzungen nach § 64 II BVerfGG (Bezeichnung der verletzten Vorschrift; hier: Art. 38 I 2 GG) und nach § 64 III BVerfGG (Antragstellung binnen sechs Monaten) können gewahrt werden. Folglich sind die Anträge zulässig.

B. Ein Antrag im Organstreitverfahren ist nach § 67 Satz 1 BVerfGG begründet, wenn die beanstandete Maßnahme oder Unterlassung des Antragsgegners gegen eine Bestimmung des Grundgesetzes verstößt. Im vorliegenden Fall handelt es sich um mehrere Unterlassungen der Bundesregierung bei der Beantwortung der Fragen des A.

Als Bestimmungen, gegen die die Bundesregierung durch Unterlassen von Antworten verstoßen haben kann, kommen in Betracht: die Grundvorschrift über die Rechtsstellung der Abgeordneten (Art. 38 I 2 GG) und die Grundvorschrift über die Gewaltenteilung (Art. 20 II 2 GG), soweit danach die Staatsgewalt durch Organe der Gesetzgebung (Bundestag) und der vollziehenden Gewalt (Regierung und Verwaltung) - und der Rechtsprechung - ausgeübt wird. Zwar finden sich auch in der Anlage 4 zur Geschäftsordnung des Bundestages Vorschriften über die Fragestunde. Sie regeln aber nur eher formale Aspekte und Modalitäten der Fragestellung und ihrer Beantwortung und eignen sich nicht für die grundsätzliche Behandlung des Fragerechts zwischen Bundestag/Abgeordneten und Bundesregierung.

I. Aus den genannten Verfassungsvorschriften ergibt sich grundsätzlich ein Fragerecht der Abgeordneten und eine Antwortpflicht der Bundesregierung. BVerfG [130-132] Aus Art. 38 Abs. 1 Satz 2 und Art. 20 Abs. 2 Satz 2 GG folgt ein Frage- und Informationsrecht des Deutschen Bundestages gegenüber der Bundesregierung, an dem die einzelnen Abgeordneten und die Fraktionen als Zusammenschlüsse von Abgeordneten nach Maßgabe der Ausgestaltung in der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages teilhaben und dem grundsätzlich eine Antwortpflicht der Bundesregierung korrespondiert (vgl. BVerfGE 124, 161, 188; st. Rspr.)… Zur Begründung stellt das BVerfG auf drei Argumente ab:

1. Die Antworten der Bundesregierung auf schriftliche Anfragen und auf Fragen in der Fragestunde des Deutschen Bundestages sollen dazu dienen, dem Bundestag und den einzelnen Abgeordneten die für ihre Tätigkeit nötigen Informationen auf rasche und zuverlässige Weise zu verschaffen. Die Bundesregierung schafft mit ihren Antworten auf parlamentarische Anfragen so die Voraussetzungen für eine sachgerechte Arbeit innerhalb des Parlaments (vgl. zum Ganzen BVerfGE 13, 123, 125; 57, 1 5; 105, 252, 270; 105, 279, 306; 124, 161, 187 ff.).

2. Das parlamentarische Regierungssystem wird auch durch die Kontrollfunktion des Parlaments geprägt. Die parlamentarische Kontrolle von Regierung und Verwaltung verwirklicht den Grundsatz der Gewaltenteilung, der für das Grundgesetz ein tragendes Funktions- und Organisationsprinzip darstellt. Der Gewaltenteilungsgrundsatz zielt dabei nicht auf eine absolute Trennung der Funktionen der Staatsgewalt, sondern auf die politische Machtverteilung, das Ineinandergreifen der drei Gewalten und die daraus resultierende gegenseitige Kontrolle und Begrenzung mit der Folge der Mäßigung der Staatsgewalt… Ohne Beteiligung am Wissen der Regierung kann das Parlament sein Kontrollrecht gegenüber der Regierung nicht ausüben. Daher kommt dem parlamentarischen Informationsinteresse besonders hohes Gewicht zu, soweit es um die Aufdeckung möglicher Rechtsverstöße und vergleichbarer Missstände innerhalb von Regierung und Verwaltung geht…


3. Die Kontrollfunktion ist zugleich Ausfluss der aus dem Demokratieprinzip folgenden Verantwortlichkeit der Regierung gegenüber dem Parlament. Art. 20 Abs. 2 Satz 2 GG gestaltet den Grundsatz der Volkssouveränität aus. Er legt fest, dass das Volk die Staatsgewalt, deren Träger es ist, außer durch Wahlen und Abstimmungen durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausübt. Das setzt voraus, dass das Volk einen effektiven Einfluss auf die Ausübung der Staatsgewalt durch diese Organe hat. Deren Akte müssen sich auf den Willen des Volkes zurückführen lassen und ihm gegenüber verantwortet werden (vgl. BVerfGE 83, 60,72; 93, 37, 66; 130, 76, 123). Dieser Zurechnungszusammenhang zwischen Volk und staatlicher Herrschaft wird…auch durch den parlamentarischen Einfluss auf die Politik der Regierung hergestellt. Das „Ausgehen der Staatsgewalt" vom Volk muss für das Volk wie auch die Staatsorgane jeweils konkret erfahrbar und praktisch wirksam sein. Es muss ein hinreichender Gehalt an demokratischer Legitimation erreicht werden, ein bestimmtes Legitimationsniveau… Nur das vom Volk gewählte Parlament kann den Organ- und Funktionsträgern der Verwaltung auf allen ihren Ebenen demokratische Legitimation vermitteln. Im Fall der nicht durch unmittelbare Volkswahl legitimierten Amtswalter und Organe setzt die demokratische Legitimation der Ausübung von Staatsgewalt regelmäßig voraus, dass sich die Bestellung der Amtsträger auf das Staatsvolk zurückführen lässt und ihr Handeln eine ausreichende sachlich-inhaltliche Legitimation erfährt. In personeller Hinsicht ist eine hoheitliche Entscheidung demokratisch legitimiert, wenn sich die Bestellung desjenigen, der sie trifft, durch eine ununterbrochene Legitimationskette auf das Staatsvolk zurückführen lässt. Die sachlich-inhaltliche Legitimation wird durch Gesetzesbindung und Bindung an Aufträge und Weisungen der Regierung vermittelt.

4. Danach hatte A grundsätzlich das Recht, die im Sachverhalt aufgeführten fünf Fragen zu stellen. Die Bundesregierung war grundsätzlich verpflichtet, sie wahrheitsgemäß zu beantworten.

a) Für Frage 1) bedeutet das bereits abschließend, dass die Frage zulässig war, dass die Bundesregierung sie zu beantworten hatte und, da sie das nicht getan hat, das verfassungsmäßige Recht des A verletzt hat. Die Frage nach der erfolgten Genehmigung der Ausfuhr von 200 Panzern nach Saudi-Arabien betraf einen abgeschlossenen Vorgang, zu dem sich Parlament und Abgeordnete eine Meinung dazu bilden durften, welche Konsequenzen er haben konnte. Es ist kein Grund ersichtlich, diesen Vorgang im Verhältnis zum Bundestag der Geheimhaltung zu unterwerfen, zumal die Lieferung selbst und das Eintreffen und die Verwendung der Panzer in Saudi-Arabien oder das Ausbleiben einer solchen Lieferung weder den Abgeordneten noch der interessierten Öffentlichkeit verborgen bleiben wird.

b) Das gilt erst recht für die Frage 2). Auch hier ist kein Grund ersichtlich, der die Bundesregierung dazu berechtigen könnte, ihre Kenntnis über die Menschenrechtslage in Saudi-Arabien zu verbergen. Eine Beeinträchtigung der Beziehungen zu Saudi-Arabien lässt sich durch eine zurückhaltende Formulierung der Antwort vermeiden. Der Verweis des S, es sei nicht Aufgabe des Wirtschaftsministeriums, hierzu Stellung zu nehmen, ist unzutreffend, weil die Frage an die Bundesregierung gestellt war und S für die gesamte Regierung geantwortet hat.

Das BVerfG hat daher festgestellt, dass die Bundesregierung die Antragsteller durch Nichtbeantworten der Fragen nach einer positiven Genehmigungsentscheidung und nach der Menschenrechtslage in deren Rechten aus Art. 38 I 2 und 20 II 2 GG verletzt hat.

c) Bei den verbleibenden Fragen 3), 4) und 5) kommen die nachfolgend zu behandelnden Einschränkungen in Betracht.

II. Fragerecht und Antwortpflicht unterliegen Einschränkungen. BVerfG [134] Der Informationsanspruch des Bundestages und der einzelnen Abgeordneten besteht gleichwohl nicht grenzenlos. Das BVerfG entwickelt vier Grenzen [135-156].

1. Das Fragerecht kann sich von vornherein nicht auf Angelegenheiten beziehen, die nicht in die Zuständigkeit der Bundesregierung fallen, da es insoweit an einer Verantwortlichkeit der Bundesregierung gegenüber dem Deutschen Bundestag fehlt (BVerfGE 124, 161, 189). Dazu stellt auch die GeschO BT Anlage 4 Ziff. 2 klar: Zulässig sind Fragen aus den Bereichen, für die die Bundesregierung unmittelbar oder mittelbar verantwortlich ist. Nach Art. 26 II 1 GG ist die Bundesregierung für die Ausfuhrgenehmigung von Kriegswaffen - zu denen Kampfpanzer gehören - zuständig. Sie ist deshalb auch dafür zuständig, das Parlament über damit zusammen hängende Fragen zu informieren. Die Einschaltung des Bundessicherheitsrats ändert daran nichts, weil dieser ein Gremium im Aufgabenbereich der Bundesregierung ist und über keine eigene verfassungsrechtliche Zuständigkeit verfügt. An einer fehlenden Zuständigkeit der Bundesregierung scheitern die weiteren Fragen 3) - 5) deshalb nicht.

Ergänzender Hinweis: Die rechtliche Ordnung der Kriegswaffenexportkontrolle, u. a. durch Art. 26 II GG und das Kriegswaffenkontrollgesetz, wird vom BVerfG ausführlich unter [2-9] dargestellt.

2. Die wichtigste Grenze für das Fragerecht und die Antwortpflicht ergibt sich daraus, dass der Bundesregierung nach dem Gewaltenteilungsgrundsatz ein Kernbereich exekutiver (oder spezieller: gubernativer, d. h. auf die Regierung bezogener) Eigenverantwortung zukommt, in den auch das Parlament nicht eingreifen darf.

a) BVerfG [136-138] Begrenzt wird der Informationsanspruch des Bundestages und der einzelnen Abgeordneten auch durch das Gewaltenteilungsprinzip. In seiner grundgesetzlichen Ausformung als Gebot der Unterscheidung zwischen gesetzgebender, vollziehender und rechtsprechender Gewalt (Art. 20 Abs. 2 Satz 2 GG) dient dieses Prinzip zugleich einer funktionsgerechten Zuordnung hoheitlicher Befugnisse zu unterschiedlichen, jeweils aufgabenspezifisch ausgeformten Trägern öffentlicher Gewalt und sichert die rechtliche Bindung aller Staatsgewalt (BVerfGE 124, 78, 120)… Das Gewaltenteilungsprinzip ist damit zugleich Grund und Grenze des Informationsanspruchs des Parlaments gegenüber der Regierung. Je weiter ein parlamentarisches Informationsbegehren in den inneren Bereich der Willensbildung der Regierung eindringt, desto gewichtiger muss es sein, um sich gegen ein von der Regierung geltend gemachtes Interesse an Vertraulichkeit durchsetzen zu können (vgl. BVerfGE 110, 199, 222; 124, 78, 122 f.).

b) Die Verantwortung der Regierung gegenüber Parlament und Volk setzt notwendigerweise einen Kernbereich exekutiver Eigenverantwortung voraus, der einen grundsätzlich nicht ausforschbaren Initiativ-, Beratungs- und Handlungsbereich einschließt. Dazu gehört zum Beispiel die Willensbildung der Regierung selbst, sowohl hinsichtlich der Erörterungen im Kabinett als auch bei der Vorbereitung von Kabinetts- und Ressortentscheidungen, die sich vornehmlich in ressortübergreifenden und -internen Abstimmungsprozessen vollzieht (…). Eine Pflicht der Regierung, parlamentarischen Informationswünschen zu entsprechen, besteht danach in der Regel nicht, wenn die Information zu einem Mitregieren Dritter bei Entscheidungen führen kann, die in der alleinigen Kompetenz der Regierung liegen (…). Bei [163] ergänzt das BVerfG: Andernfalls würde die Kontrollaufgabe des Parlaments in eine Steuerungsbefugnis verkehrt, die ihm ausweislich von Art. 26 Abs. 2 Satz 1 GG in diesem Bereich nicht zukommt.

[137, 138] Diese Gefahr besteht bei Informationen aus dem Bereich der Vorbereitung von Regierungsentscheidungen regelmäßig, solange die Entscheidung noch nicht getroffen ist. So könnte ein wesentlicher Teil einer politischen Entscheidung wie die Bestimmung des Zeitpunkts, zu dem sie fallen soll, der Regierung weitgehend aus der Hand genommen werden, wenn das Parlament schon vor diesem Zeitpunkt auf den Stand der Entscheidungsvorbereitung innerhalb der Regierung zugreifen könnte (…). Die Kontrollkompetenz des Bundestages erstreckt sich demnach grundsätzlich nur auf bereits abgeschlossene Vorgänge; sie enthält nicht die Befugnis, in laufende Verhandlungen und Entscheidungsvorbereitungen einzugreifen (BVerfGE 67, 100, 139; 110, 199, 215; 124, 78, 121)

c) Damit steht fest, dass Frage 4), ob Anträge auf weitere Exportgenehmigungen für Kriegswaffen vorliegen und ob diese voraussichtlich genehmigt werden, unzulässig war. Sie greift in möglicherweise laufende Verhandlungen und damit in den Kernbereich exekutiver Eigenverantwortlichkeit der Regierung ein und verstößt gegen das Gewaltenteilungsprinzip. Durch die Nichtbeantwortung der Frage wurde A nicht in einem Recht verletzt.

d) Auch die Begründung der Bundesregierung für die Entscheidung über eine Exportgenehmigung wird vom BVerfG [229, 230] zum Kernbereich exekutiver Eigenverantwortung gerechnet und braucht deshalb nicht mitgeteilt zu werden. Folglich war auch die Frage 3) unzulässig, und ihre Nichtbeantwortung verletzte A nicht in seinem Recht.

3. Die dritte Schranke bildet das Staatswohl, wenn dieses eine Geheimhaltung erfordert.

a) BVerfG [150] Eine weitere Grenze des Informationsanspruchs des Bundestages bildet das Wohl des Bundes oder eines Landes (Staatswohl), das durch das Bekanntwerden geheimhaltungsbedürftiger Informationen gefährdet werden kann (vgl. BVerfGE 67, 100, 134 ff.; 124, 78, 123 jeweils für das Beweiserhebungsrecht parlamentarischer Untersuchungsausschüsse)… [153] Auch Belange des Geheimschutzes im Interesse verfassungsrechtlich geschützter Güter sind als zwingende Gründe des Staatswohls grundsätzlich geeignet, die Einschränkung von Statusrechten der Abgeordneten zu rechtfertigen (…).

b) Im Zusammenhang damit legt das BVerfG dar, dass der Bundestag in der Geheimschutzordnung in detaillierter Weise die Voraussetzungen für die Wahrung von Dienstgeheimnissen bei der Aufgabenerfüllung des Bundestages festgelegt hat (…). Die Verschwiegenheitspflicht aufgrund parlamentsrechtlicher Regelungen wird durch die strafrechtliche Sanktion des § 353 b Abs. 2 Nr. 1 StGB bekräftigt… Das Geheimhaltungsinteresse wird deshalb noch nicht allein deshalb verletzt, weil Umstände den Mitgliedern des Bundestages bekannt werden, sondern muss zusätzlich begründet werden.

c) Dass derartige Staatswohlgründe die Geheimhaltung der Antworten auf die Fragen 1) und 2) erfordern, wird vom BVerfG nicht erörtert und ist auch nicht ersichtlich. Bei den Fragen 3) und 4) wird das Recht der Bundesregierung, Antworten zu verweigern, vom BVerfG zusätzlich auf das Staatswohlinteresse an einer Geheimhaltung gestützt. Zu Frage 3) [176] Eine erhebliche Beeinträchtigung außenpolitischer Interessen drohte, wenn auch die Gründe für die Ablehnung einer Genehmigung oder Voranfrage mitgeteilt werden müssten, etwa die Gefahr der Verwendung der zur Ausfuhr vorgesehenen Kriegswaffen bei einer friedensstörenden Handlung oder bei Menschenrechtsverletzungen. Zudem könnten die Gründe in Einzelfällen Rückschlüsse auf bestimmte Informationsquellen zulassen, an deren Geheimhaltung die Bundesregierung gerade im Verhältnis zu dem betroffenen Land zum Schutz seiner Informationskanäle ein berechtigtes Interesse hat. Zu Frage 4) [174] Die Antwort auf Fragen zu noch nicht beschiedenen Anträgen auf Erteilung einer Genehmigung für die Ausfuhr von Kriegswaffen kann die Bundesregierung ebenso wie die Auskunft über Voranfragen von Rüstungsunternehmen auch aus Gründen des Staatswohls verweigern. Entsprechendes gilt für die Tatsache, dass ein Genehmigungsantrag abgelehnt wurde. Bei Frage 5) kann zwar ein Geheimhaltungsinteresse relevant sein, aber nicht aus Gründen des Staatswohls, sondern, wie nachfolgend zu behandeln ist, im Interesse der Rüstungsfirma.

4. Einer Frage und ihrer Antwort kann das Grundrecht eines Privaten, im vorliegenden Fall des die Panzer liefernden Rüstungsunternehmens, entgegen stehen.

a) BVerfG [154] Schließlich können das Fragerecht der Abgeordneten und die Antwortpflicht der Bundesregierung dadurch begrenzt sein, dass diese gemäß Art. 1 Abs. 3 GG die Grundrechte zu beachten haben (…). Werden Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse durch den Staat offen gelegt oder verlangt er deren Offenlegung, so ist Art. 12 Abs. 1 GG in seinem Schutzbereich berührt (vgl. BVerfGE 115, 205, 230; 128, 1, 56). Das Grundrecht der Berufsfreiheit ist nach Art. 19 Abs. 3 GG auch auf juristische Personen anwendbar, soweit sie eine Erwerbszwecken dienende Tätigkeit ausüben, die ihrem Wesen und ihrer Art nach in gleicher Weise einer juristischen wie einer natürlichen Person offen steht (…).

b) [155] Das Freiheitsrecht des Art. 12 Abs. 1 GG schützt das berufsbezogene Verhalten einzelner Personen oder Unternehmen am Markt. Erfolgt die unternehmerische Berufstätigkeit nach den Grundsätzen des Wettbewerbs, wird die Reichweite des Freiheitsschutzes auch durch die rechtlichen Regeln mitbestimmt, die den Wettbewerb ermöglichen und begrenzen (…). Behindert eine den Wettbewerb beeinflussende staatliche Maßnahme eine juristische Person in ihrer beruflichen Tätigkeit, so stellt dies eine Beschränkung ihres Freiheitsrechts aus Art. 12 Abs. 1 GG dar (…).

[184] Durch die Offenlegung von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen von Unternehmen der Rüstungsindustrie im Rahmen der Beantwortung parlamentarischer Anfragen greift die Bundesregierung in den Schutzbereich der Berufsfreiheit ein. Sowohl schriftliche Antworten der Bundesregierung als auch mündliche Antworten im Rahmen von Fragestunden sind öffentlich. Schriftliche Antworten werden durch den Bundestag in Drucksachen veröffentlicht…, mündliche Antworten in Fragestunden sind den jeweiligen Plenarprotokollen zu entnehmen… Damit wird Konkurrenten die Kenntnisnahme von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen der betroffenen Unternehmen ermöglicht (vgl. BVerfGE 115, 205, 231).

c) [185] Der mit einer Offenlegung von Informationen zu beabsichtigten Rüstungsexportgeschäften verbundene Eingriff in die Berufsfreiheit der Unternehmen der deutschen Rüstungsindustrie ist generell insoweit gerechtfertigt, wie die Bundesregierung in ihrer Antwort Auskunft darüber gibt, dass der Bundessicherheitsrat die Genehmigung für ein konkretes Kriegswaffenausfuhrgeschäft erteilt hat und in diesem Rahmen Angaben über Art und Anzahl der Kriegswaffen, über das Empfängerland, über die beteiligten deutschen Unternehmen und über das Gesamtvolumen des Geschäfts macht. Darüber hinaus gehende Angaben würden grundsätzlich in unverhältnismäßiger Weise in die Berufsfreiheit der Unternehmen eingreifen. Dies gilt insbesondere für Angaben, die so konkret sind, dass aus ihnen auf vertrauliche Informationen, etwa auf den Einzelpreis eines bestimmten Rüstungsguts, rückgeschlossen werden könnte. Folglich durfte die Bundesregierung auf die Frage 5) nicht antworten. BVerfG [219] Auch die Antwort auf die Zusatzfrage des Antragstellers zu dem konkreten Kaufpreis für 200 Leopard-Kampfpanzer…durfte die Antragsgegnerin verweigern.

III. III. Gesamtergebnis: Das Organstreitverfahren ist begründet, soweit die Bundesregierung die Antworten auf die Fragen 1) und 2) verweigert hat; insoweit ergeht die Feststellung eines verfassungswidrigen Verhaltens. Die Verweigerung der Antworten auf die Fragen 3), 4) und 5) war berechtigt; insoweit werden die Feststellungsanträge des A zurückgewiesen. Die Antwort auf die Fallfrage lautet also: Nur hinsichtlich der Fragen 1) und 2) kann A mit Aussicht auf Erfolg das BVerfG anrufen. - Das Urteil des BVerfG wird besprochen von Glawe NVwZ 2014, 1632.


Zusammenfassung