Bearbeiter: Prof. Dieter Schmalz

Verteilung der Gesetzgebungskompetenzen nach Art. 74 I Nr. 11 und Nr. 12 GG; Abgrenzung Ladenschlussrecht und Arbeitsrecht. Konkurrierende Gesetzgebung; Gebrauchmachen durch den Bundesgesetzgeber nach Art. 72 I GG. Anforderungen an eine abschließende Regelung. Berufsfreiheit, Art. 12 I GG; Einschränkungen durch Gewährung arbeitsfreier Samstage

BVerfG Beschluss vom 14. 1. 2015 (1 BvR 931/12) NVwZ 2015, 582

Fall (Thüringer Ladenöffnungsgesetz)

Das Ladenschlussgesetz des Bundes enthält in § 17 unter der Überschrift „Besonderer Schutz der Arbeitnehmer“ folgende Vorschrift: „ (4) Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Verkaufsstellen können verlangen, in jedem Kalendermonat an einem Samstag von der Beschäftigung freigestellt zu werden.“ Nach der Föderalismusreform 2006 erließen eine Reihe von Bundesländern neue Gesetze über den Ladenschluss und die Ladenöffnung, so auch das Land L. Dessen § 12 Ladenöffnungsgesetz (LadÖffG) trifft folgende Regelung:

㤠12 Besonderer Arbeitnehmerschutz

(3) Arbeitnehmer in Verkaufsstellen dürfen mindestens an zwei Samstagen in jedem Monat nicht beschäftigt werden. Das für das Ladenöffnungsrecht zuständige Ministerium kann im Einvernehmen mit dem zuständigen Ausschuss des Landtags für bestimmte Personengruppen sowie in Einzelfällen Ausnahmen von Satz 1 durch Rechtsverordnung regeln.“ Eine solche Rechtsverordnung wurde bisher nicht erlassen.

Die im Lande L ansässige B-GmbH betreibt ein Möbelhaus. Sie hält § 12 III 1 LadÖffG für verfassungswidrig und begründet das wie folgt: Durch diese Vorschrift werde das am Samstag für die Verkaufsberatung zur Verfügung stehende Personal halbiert. Da in der Möbelbranche die Samstage die umsatzstärksten Verkaufstage seien, habe das zur Folge, dass ein massiver Umsatzrückgang eintrete. Vor allem verstoße § 12 III LadÖffG gegen den höherrangigen § 17 IV Bundes-Ladenschlussgesetz. Auch werde B dadurch benachteiligt, dass in anderen Bundesländern keine so weitgehende Regelung gelte. Kunden würden in Einkaufsstädte benachbarter Länder abwandern, denn im Möbeleinzelhandel würden 90 Minuten Fahrzeit ohne weiteres in Kauf genommen. Die Landesregierung von L verweist darauf, dass § 17 IV Bundes-Ladenschlussgesetz damit begründet wurde, „zumindest einen arbeitsfreien Samstag im Monat zu ermöglichen“; also werde ein weitergehender Schutz der Arbeitnehmer nicht ausgeschlossen. Hätte eine Verfassungsbeschwerde der B vor dem Bundesverfassungsgericht gegen § 12 III LadÖffG Aussicht auf Erfolg?

A. Die Verfassungsbeschwerde (VfB) müsste nach §§ 90 ff. BVerfGG zulässig sein.

I. Die VfB muss sich gegen einen Hoheitsakt richten (§ 90 I BVerfGG). Zu den Hoheitsakten gehören auch Gesetze (vgl. § 93 III BVerfGG). Folglich kann sich die VfB gegen § 12 III LadÖffG richten.

II. Der Beschwerdeführer muss behaupten, in einem Grundrecht verletzt zu sein (§ 90 I BVerfGG).

1. B kann geltend machen, in ihrer Berufsausübungsfreiheit (Art. 12 I GG) dadurch verletzt zu sein, dass § 12 III LadÖffG ihre Berufsausübung durch ein Beschäftigungsverbot einschränkt und dass dieses kompetenzwidrig ist, gegen Bundesrecht und gegen das Prinzip der Verhältnismäßigkeit verstößt.

2. Außerdem könnte B durch die Berufung darauf, dass B gegenüber den Möbelgeschäften in benachbarten Einkaufsstädten eines anderen Bundeslandes benachteiligt werde, eine Verletzung des allgemeinen Gleichheitssatzes (Art. 3 I GG) behaupten. Jedoch kann ein Landesgesetz aufgrund eines Vergleichs mit dem Gesetz eines anderen Landes Art. 3 I nicht verletzen. Art. 3 verpflichtet immer nur denselben Hoheitsträger zu einer Gleich- oder Ungleichbehandlung, gilt also nur im Zuständigkeitsbereich desselben Hoheitsträgers. BVerfG [61]

Der Gleichheitssatz wird nicht verletzt, wenn ein Landesgesetzgeber innerhalb seines Kompetenzbereiches eine von der Gesetzgebung anderer Länder abweichende Regelungen trifft, auch wenn dadurch die Einwohnerinnen und Einwohner seines Landes mehr belastet oder begünstigt werden (vgl. BVerfGE 32, 346, 360; 33, 224, 231; st. Rspr.). Das BVerfG hat diese Prüfung erst am Ende der Begründetheitsprüfung vorgenommen. Sie ist aber so offensichtlich, dass es vorzuziehen ist, Art. 3 I bereits innerhalb der Zulässigkeitsprüfung auszuscheiden.

III. Die VfB gegen ein Gesetz setzt zusätzlich voraus, dass der Beschwerdeführer von dem Gesetz selbst, gegenwärtig und unmittelbar betroffen ist (Sachs JuS 2015, 765 in einer Besprechung des BVerfG-Beschlusses).

1. B ist von dem Beschäftigungsverbot des § 12 III LadÖffG selbst betroffen und beruft sich nicht auf die Betroffenheit anderer.

2. Die Betroffenheit ist auch gegenwärtig, da § 12 III in Kraft getreten ist und Beachtung beansprucht.

3. Unmittelbare Betroffenheit liegt vor, wenn das Gesetz keiner Umsetzung mehr bedarf. Es darf kein Vollzugsakt für die Anwendung im Einzelfall vorgesehen sein. BVerfG [22] Die Bf. betreibt eine Verkaufsstelle in Thüringen, so dass die Regelung auf sie Anwendung findet, ohne dass es eines weiteren Vollzugsaktes bedarf (vgl. BVerfGE 126, 112, 133 m. w. N.). Sie darf Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer - anders als in der Vergangenheit üblich - nicht an mehr als zwei Samstagen im Monat im Verkauf einsetzen.

Somit ist B von dem angegriffenen Gesetz selbst, gegenwärtig und unmittelbar betroffen.

IV. Das Gebot vorheriger Rechtswegerschöpfung (§ 90 II 1 BVerfGG) steht der Zulässigkeit der VfB nicht entgegen, weil es gegenüber formellen Gesetzen keinen Rechtsweg - außer der VfB - gibt (vgl. § 93 III BVerfGG). Allerdings kann die Subsidiarität der VfB ihre Zulässigkeit hindern.

1. BVerfG [23, 24] Der Grundsatz der Subsidiarität erfordert, dass vor Einlegung einer VfB alle zur Verfügung stehenden prozessualen Möglichkeiten ergriffen werden, um eine Korrektur der geltend gemachten Verfassungsverletzung zu erwirken oder eine Grundrechtsverletzung zu verhindern (vgl. BVerfGE 123, 148, 172; 134, 242, 285 Rn. 150; st. Rspr.). Daher ist eine VfB unzulässig, wenn in zumutbarer Weise Rechtsschutz durch die Anrufung der Fachgerichte erlangt werden kann. Damit soll unter anderem erreicht werden, dass das BVerfG nicht auf ungesicherter Tatsachen- und Rechtsgrundlage weitreichende Entscheidungen trifft (vgl. BVerfGE 123, 148, 172 m. w. N.).

2. Das BVerfG hat die Pflicht zur Anrufung der Fachgerichte aber ausnahmsweise verneint, wenn sie nicht zumutbar ist, weil dies offensichtlich sinn- und aussichtslos wäre. Dies kann der Fall sein, wenn der Misserfolg eines verwaltungsgerichtlichen Verfahrens von vornherein feststeht, weil die Norm der Verwaltung keinen Ermessens- oder Beurteilungsspielraum einräumt (vgl. BVerfGE 123, 148, 172). Wirft ein Sachverhalt allein spezifisch verfassungsrechtliche Fragen auf, die das BVerfG letztlich zu beantworten hat, ohne dass von einer vorausgegangenen fachgerichtlichen Prüfung verbesserte Entscheidungsgrundlagen zu erwarten wären, ist die vorherige Nutzung fachgerichtlicher Rechtsschutzmöglichkeiten auch im Hinblick auf einen in zeitlicher und tatsächlicher Hinsicht effektiven Rechtsschutz nicht zumutbar (vgl. BVerfGE 123, 148, 172 f. m .w. N.). Außerdem verlangt der Grundsatz der Subsidiarität nicht, dass Betroffene vor Erhebung einer VfB gegen eine straf- oder bußgeldbewehrte Rechtsnorm verstoßen und sich dem Risiko einer entsprechenden Ahndung aussetzen müssen, um dann im Straf- oder Bußgeldverfahren die Verfassungswidrigkeit der Norm geltend machen zu können (vgl. BVerfGE 81, 70, 82 f.; 97, 157, 165).

Danach musste die Bf. hier vor Einlegung der VfB keinen fachgerichtlichen Rechtsschutz in Anspruch nehmen. Zwar ist ein Verstoß gegen § 12 Abs. 3 Satz 1 LadÖffG weder straf- noch bußgeldbewehrt, doch normiert § 12 Abs. 3 Satz 1 LadÖffG ein unmittelbar geltendes Beschäftigungsverbot ohne jeden Auslegungsspielraum. Die Bf. müsste bewusst gegen dieses gesetzliche Verbot verstoßen, um Unterlassungsverfügungen gemäß § 13 Abs. 2 LadÖffG und in der Folge wohl auch Zweifel an ihrer gewerberechtlichen Zuverlässigkeit zu provozieren. Auch ist hier mangels Auslegungsspielraums nicht ersichtlich, dass die weitere Fallanschauung der Fachgerichte die Entscheidungsgrundlage des BVerfG verbessern könnte. Im Mittelpunkt der VfB stehen Fragen der Gesetzgebungskompetenz, deren Klärung ohnehin letztlich dem BVerfG vorbehalten ist.


Somit stehen weder das Gebot zur Rechtswegerschöpfung noch das Prinzip der Subsidiarität der Zulässigkeit der VfB entgegen.

V. Die Jahresfrist des § 93 III BVerfGG kann durch die Erhebung der VfB noch im Jahre nach dem Inkrafttretens des Gesetzes gewahrt werden. Von einer formgerechten Erhebung der VfB (Schriftform, § 23 BVerfGG) und der von § 92 BVerfGG geforderten Begründung ist auszugehen. Die VfB wäre zulässig.

B. Die VfB ist begründet, wenn § 12 III LadÖffG B in ihrem Grundrecht aus Art. 12 I GG verletzt.

I. Es müsste ein Eingriff in den Schutzbereich des Grundrechts der Berufsfreiheit erfolgt sein.

1. B betreibt ein Möbelhaus als eine auf Dauer angelegte Tätigkeit, die der Gewinnerzielung dient, übt somit eine berufliche Tätigkeit aus. Zu dieser gehört, über den Einsatz des Personals zu entscheiden, insbesondere auch eine Entscheidung dahin zu treffen, dass Arbeitnehmer am Samstag im Verkauf die Kunden beraten. Dass die Arbeitnehmer eines Möbelhauses am Samstag arbeiten, wird somit vom Schutzbereich des Art. 12 I GG umfasst.

2. Wenn § 12 III LadÖffG bestimmt, dass Arbeitnehmer in Verkaufsstellen mindestens an zwei Samstagen in jedem Monat nicht beschäftigt werden dürfen, enthält er ein Beschäftigungsverbot und schränkt die beschriebene Entscheidungsfreiheit ein. Da dieser Regelung auch eine berufsregelnde Tendenz zukommt, bedeutet sie einen Eingriff.

II. Der Eingriff könnte gerechtfertigt sein. Das begrenzte Beschäftigungsverbot des § 12 III LadÖffG enthält keine Regelung der Berufswahl, sondern eine der Berufsausübung. Diese ist bereits nach dem Wortlaut des Art. 12 I 2 GG grundsätzlich zulässig. § 12 III LadÖffG müsste aber auch formell und materiell verfassungsmäßig sein.

1. Zur formellen Verfassungsmäßigkeit gehört, dass das Land L, das die Vorschrift erlassen hat, zu ihrem Erlass zuständig war, d. h. über die Gesetzgebungskompetenz verfügte. Nach Art. 70 I GG haben die Länder die Gesetzgebungskompetenz, soweit das GG sie nicht dem Bund zuweist. Eine ausschließliche Gesetzgebungszuständigkeit des Bundes (Art. 73 GG) ist nicht gegeben. Eine Bundeszuständigkeit könnte sich aus den Vorschriften über die konkurrierende Gesetzgebung (Art. 70 II, 72, 74 GG) ergeben.

a) Art. 74 I Nr. 11 GG räumt dem Bund die Zuständigkeit für das Recht der Wirtschaft, insbesondere das Gewerberecht ein, nimmt aber den Ladenschluss ausdrücklich hiervon aus. Keine Bundeszuständigkeit, sondern eine Landeszuständigkeit ist somit gegeben, wenn § 12 III LadÖffG eine Regelung des Ladenschlusses ist. Dafür spricht, dass die Vorschrift in einem Gesetz steht, das sich zwar Ladenöffnungsgesetz nennt, dessen wesentliche Bedeutung aber in der Regelung besteht, wann die Läden nicht geöffnet sein dürfen, d. h. das ein Gesetz über den Ladenschluss ist. Andererseits ist die Vorschrift mit „Besonderer Arbeitnehmerschutz“ überschrieben. Der Arbeitsschutz fällt unter Art. 74 I Nr. 12 GG und enthält keine Ausnahmeregelung zugunsten der Länder. Es ist also zu entscheiden, ob § 12 III LadÖffG eine Regelung des Ladenschlusses oder eine des Arbeitsschutzes ist. BVerfG [27] Für die Gesetzgebungsmaterie des Ladenschlusses sind nach Art. 70 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 GG die Länder zur Gesetzgebung befugt; das Arbeitszeitrecht ist demgegenüber gemäß Art. 74 Abs. 1 Nr. 12 GG Gegenstand der konkurrierenden Gesetzgebungskompetenz des Bundes.

aa) § 12 III LadÖffG enthält in seinem Wortlaut keine Regelung über die Öffnung oder Schließung der Geschäfte. Auch ist dies nicht der Sinn der Vorschrift. Vielmehr geht sie davon aus, dass die Verkaufsstellen am Samstag geöffnet bleiben dürfen, denn andernfalls bestünde kaum ein Bedürfnis dafür, ein Beschäftigungsverbot auszusprechen. BVerfG [32] Das Grundgesetz selbst bestimmt den Begriff „Ladenschluss“ nicht näher. Nach dem Wortlaut des Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 GG wird mit dem Begriff „Ladenschluss“ der gesetzlich geregelte Rahmen der täglichen Verkaufszeit in Einzelhandelsgeschäften umschrieben. Beschäftigungsbedingungen sind dem gängigen Wortsinn nach hiervon nicht umfasst.Das BVerfG [32-35] begründet dieses Ergebnis auch noch mit der Entstehungsgeschichte des anlässlich der Föderalismusreform 2006 geänderten Art. 74 I Nr. 11 GG: In der Begründung des 52. Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes 2006 (BTDrucks 16/813, S. 13) finden sich keine Hinweise darauf, dass durch die veränderte Zuständigkeit für das „Recht des Ladenschlusses“ auch Art. 74 Abs. 1 Nr. 12 GG berührt sein könnte. Ziel des verfassungsändernden Gesetzgebers war es vielmehr, Gesetzgebungskompetenzen wegen nur regionaler Auswirkungen auf die Länder zu übertragen, und dies nur insoweit, wie das Prinzip der Wirtschaftseinheit nicht gefährdet werde (…). Dies trifft auf den Ladenschluss zu, nicht aber auf den Arbeitsschutz als Teil des Arbeitsrechts oder auf das spezielle Arbeitszeitrecht. Danach ist § 12 III LadÖffG keine Regelung des Ladenschlusses, sondern eine des Arbeitsschutzes.

bb) § 12 III LadÖffG könnte aber dadurch zu einer unter den Ladenschluss i. S. des Art. 74 I Nr. 11 GG fallenden Materie werden, dass diese Vorschrift so eng mit dem Ladenschlussrecht verzahnt ist, dass sie von diesem nicht getrennt werden kann. (Der Begriff der „Verzahnung“ wird von Sachs JuS 2015, 765 als „vergleichsweise wenig prominente Figur“ bezeichnet.) Eine so enge Verzahnung wird vom BVerfG aber verneint, [39] Eine Regelung der samstäglichen Arbeitszeit im Wege eines Freistellungsanspruchs ist mit dem Ladenschlussrecht nicht derart zwingend verzahnt, dass sie von der diesbezüglichen geschriebenen Gesetzgebungskompetenz der Länder mit erfasst wäre. Es handelt sich lediglich um Materien, die aufeinander wirken, aber nicht zwingend zusammen geregelt werden müssen… Die Landesgesetzgeber sind auch nicht gehindert, von ihrer Gesetzgebungskompetenz für den Ladenschluss Gebrauch zu machen, wenn sie nicht zugleich Regelungen zur Arbeitszeit treffen können. Vielmehr haben die Länder den Ladenschluss größtenteils neu geregelt, ohne jeweils auch den Arbeitsschutz neu zu fassen.

cc) Das BVerfG verneint auch eine - eng mit den Überlegungen bb) zusammenhängende - Zuständigkeit der Länder kraft Sachzusammenhangs mit dem Ladenschlussrecht. [40] Zwar liegt es nicht fern, auch die Arbeitszeit zu regeln, wenn der Ladenschluss normiert wird. Doch genügen reine Zweckmäßigkeitserwägungen zur Begründung von Gesetzgebungskompetenzen aus dem Gesichtspunkt des Sachzusammenhangs nicht (vgl. BVerfGE 3, 407, 421). Notwendig ist vielmehr, dass das Übergreifen in den Kompetenzbereich des Bundes für den Arbeitsschutz unerlässlich ist, um eine Regelung des Ladenschlusses verständigerweise treffen zu können. Daran fehlt es hier. Arbeitszeitrechtliche Regelungen erfassen weite Teile des Arbeitslebens und sind nicht ladenschlussspezifisch. Wie ausgeführt, kann das Ladenschlussrecht geregelt werden, ohne dass ein von § 17 IV LadSchG abweichendes Beschäftigungsverbot ausgesprochen wird.

dd) Nicht behandelt wird vom BVerfG die weitere Art der ungeschriebenen Gesetzgebungszuständigkeiten: die Annexkompetenz. Sie ist im vorliegenden Fall aber aus denselben Gründen wie unter bb) und cc) ausgeführt zu verneinen (Ulber NVwZ 2015, 1028). Die Einführung arbeitsfreier Tage lässt sich nicht als bloßer Annex zum Sachgebiet des Ladenschlusses auffassen.

ee) Ergebnis ist, dass § 12 III LadÖffG nicht unter die in Art. 74 I Nr. 11 GG enthaltene Ausnahme für den Ladenschluss fällt. Über Art. 70, 74 I Nr. 11 GG lässt sich eine Gesetzgebungszuständigkeit des Landes nicht begründen.

b) Vielmehr fällt § 12 III LadÖffG unter das in Art. 74 I Nr. 12 GG enthaltene Recht des Arbeitsschutzes. Somit haben Bund und Länder hierfür die konkurrierende Gesetzgebungszuständigkeit. Wollen sie hiervon Gebrauch machen, sind die zusätzlichen Vorschriften des Art. 72 GG zu beachten. Für ein gesetzgeberisches Tätigwerden des Landes gilt Art. 72 I GG. Danach ist das Land nicht mehr zuständig, wenn der Bund von seiner Zuständigkeit durch Gesetz Gebrauch gemacht hat. Ein solches Gebrauchmachen könnte darin liegen, dass der Bund in § 17 IV LadSchlG eine Regelung über die Freistellung von der Arbeitspflicht an Samstagen getroffen hat.

aa) BVerfG [43, 44] Ein Gebrauchmachen von einer Gesetzgebungskompetenz in einer den Landesgesetzgeber im Sinne des Art. 72 Abs. 1 GG ausschließenden Weise liegt vor, wenn ein Bundesgesetz eine bestimmte Frage erschöpfend regelt (vgl. BVerfGE 7, 342,347; 20, 238, 248; 49, 343, 359; 67, 299, 324)… Die Sperrwirkung für die Länder setzt voraus, dass der erschöpfende Gebrauch der Kompetenz durch den Bund hinreichend erkennbar ist (vgl. BVerfGE 98, 265, 301). Eine erschöpfende Regelung kann positiv durch eine Regelung erfolgen oder negativ durch das Unterlassen einer Regelung (vgl. BVerfGE 2, 232, 236; 34, 9, 28); auch durch absichtsvollen Regelungsverzicht kann eine Kompetenzmaterie erschöpft sein (vgl. BVerfGE 32, 319, 327 f.; 98, 265, 300). Die Sperrwirkung tritt nach Art. 72 Abs. 1 GG ein, solange und soweit der Bund die Materie regelt; sie ist also zeitlich und sachlich begrenzt.(Die hauptsächliche Bedeutung des hier behandelten BVerfG-Beschlusses besteht in diesen strengen Anforderungen an das Gebrauchmachen und in der nachfolgenden sorgfältigen Prüfung dieser Voraussetzungen, wodurch der Gesetzgebungsspielraum der Länder erweitert wird. Vgl. die Besprechung des Falles durch Bauerschmidt DÖV 2015, 656 unter der Überschrift: „Das Bundesverfassungsgericht wagt mehr Föderalismus“. Weitere Besprechungen dieses Falles, die bereits zitiert wurden, sind: Sachs JuS 2015, 765; Ulber NVwZ 2015, 1026.)

bb) § 17 IV LadSchlG enthält eine abschließende Regelung, wenn aus der Vorschrift hinreichend deutlich hervorgeht, dass weitergehende Ansprüche der Beschäftigten nicht bestehen sollen. Die Rechte aus § 17 IV sind in zweierlei Hinsicht begrenzt: Der Freistellungsanspruch ist auf einen Samstag im Monat begrenzt, und er muss vom Arbeitnehmer geltend gemacht werden. In beiden Punkten geht § 12 III LadÖffG darüber hinaus: Es werden zwei arbeitsfreie Samstage gewährt, und es gilt ein Beschäftigungsverbot kraft Gesetzes. Dem Wortlaut des § 17 IV lässt sich eine abschließende und eine Besserstellung der Beschäftigten ausschließende Regelungswirkung nicht entnehmen. Aus der im Sachverhalt wiedergegebenen Begründung zu § 17 IV ergibt sich eher das Gegenteil, indem § 17 IV nur einen Mindestschutz gewähren soll. BVerfG [46] Die bundesgesetzliche Norm beschränkt nach ihrem Wortlaut den Freistellungsanspruch auf einen Samstag im Kalendermonat, legt aber objektiv nicht ausdrücklich fest, dass dies als abschließende Vorgabe für eine diesbezüglich zwingende Arbeitszeitregelung zu verstehen ist. Ein Anhaltspunkt, dass der Freistellungsanspruch auf genau einen Samstag begrenzt sein soll, ist der Regelung nicht zu entnehmen. Insofern lässt sich die Regelung auch als eine bloße Minimalgarantie verstehen. Ausweislich der Beschlussempfehlung des Ausschusses für Wirtschaft und Arbeit im Deutschen Bundestag zur Erweiterung der Ladenöffnungszeiten am Samstag sollte ein gesetzlicher Anspruch eingeführt werden, der „zumindest einen arbeitsfreien Samstag im Monat ermöglichen soll“ (BTDrucks 15/591, S. 2). BVerfG [49] Auch sonst liegen keine Anhaltspunkte dafür vor, die bundesrechtliche Regelung zur Beschäftigung an Samstagen…für abschließend zu halten. Ergänzend verweist das BVerfG noch auf Rundschreiben des fachlich zuständigen Bundesministeriums für Arbeit und Soziales, wonach § 17 IV nicht abschließend sei, und darauf, dass auch andere Landesgesetze über § 17 IV hinausgehende Vorschriften erlassen haben. Die Länder haben mit dem Erlass von 15 unterschiedlichen Landesgesetzen das Ladenschlussrecht heterogen normiert, ohne dass der Bund eigene Regelungen zur Samstagsarbeit auf den Weg gebracht hätte, aus denen ein anderweitiger Regelungswille erkennbar würde.

Die gegenteilige Auffassung vertritt das Sondervotum des Richters Paulus, vgl. dort [6] Der Bund hat den Sachbereich der Samstagsarbeit in § 17 Abs. 4 LadSchlG vollständig geregelt, indem er Beschäftigten im Einzelhandel einen individuellen Anspruch auf einen freien Samstag im Monat eingeräumt hat… Das Bedürfnis der Wirtschaft und der Arbeitnehmer nach der Ermöglichung von Samstagsarbeit zu Erwerbszwecken einerseits und das Bedürfnis der betroffenen Familien nach einem gemeinsamen Wochenende auf der anderen Seite hat der Bundesgesetzgeber mit der Regelung in § 17 Abs. 4 LadSchlG erschöpfend gegeneinander abgewogen. - Insgesamt ist der Beschluss, soweit er die abschließende Regelung durch § 17 IV LadSchlG verneint (vgl. vorstehend B II 1 b), mit (nur) 5: 3 Stimmen ergangen.

c) BVerfG [51] Da eine erschöpfende Regelung der in Rede stehenden Materie durch den Bund mithin nicht eindeutig erkennbar ist, steht Art. 72 Abs. 1 GG der Regelung des § 12 Abs. 3 LadÖffG nicht entgegen. Der Bund hat von seiner konkurrierenden Gesetzgebungszuständigkeit nicht abschließend Gebrauch gemacht. Das Land L ist zuständig geblieben. § 12 III LadÖffG ist formell verfassungsmäßig.

2. Da, wie ausgeführt, § 17 IV LadSchlG weitergehende landesrechtliche Regelungen gestattet (Ulber NVwZ 2015, 1028: „Öffnungsklausel für Landesrecht“), besteht zwischen § 12 III LadÖffG und § 17 IV LadSchG auch kein Widerspruch i. S. des Art. 31 GG; § 12 III verstößt nicht gegen Bundesrecht.

3. Die materielle Verfassungsmäßigkeit ist gegeben, wenn § 12 III LadÖffG Art. 12 I GG nicht verletzt. Bereits geprüft und bejaht wurde, dass der Eingriff in Art. 12 I 1 GG durch Art. 12 I 2 GG und den darauf gestützten § 12 III LadÖffG gerechtfertigt sein kann. Es bleibt die Verhältnismäßigkeit des Eingriffs zu prüfen.

BVerfG [54-60] Ein Eingriff in die Berufsausübungsfreiheit muss den Anforderungen an die Verhältnismäßigkeit der Einschränkung von Freiheitsrechten genügen… Daher müssen die Eingriffe zur Erreichung des Eingriffsziels geeignet sein und dürfen nicht weiter gehen, als es die Gemeinwohlbelange erfordern. Die Eingriffsmittel dürfen zudem nicht übermäßig belastend sein, so dass bei einer Gesamtabwägung zwischen der Schwere des Eingriffs und dem Gewicht der ihn rechtfertigenden Gründe die Grenze der Zumutbarkeit noch gewahrt ist (vgl. BVerfGE 121, 317, 346 m. w. N.).

a) Das Gesetz zielt auf den Arbeitsschutz und den Schutz der Vereinbarkeit von Erwerbstätigkeit und Familie und damit auf Gemeinwohlbelange, die Einschränkungen der Berufsausübungsfreiheit zu rechtfertigen vermögen (vgl. BVerfGE 111, 10, 32). Der Gesetzgeber will so auf die mit den Ausweitungen der Ladenöffnungszeiten verbundene Verschlechterung der Arbeitsbedingungen der Beschäftigten im Einzelhandel reagieren, die sowohl die Gesundheit wie das Familienleben beeinträchtigen. Die mit der Liberalisierung des Ladenschlusses verbundene Zunahme von Wochenendarbeit verlagere Arbeit in Zeiten, die der physiologischen Erholung und der sozialen Teilhabe dienen; die beschränkte Einsatzmöglichkeit an Samstagen bezwecke insofern, dem Personal möglichst weitgehend ein zusammenhängendes arbeitsfreies Wochenende zu sichern und die Rahmenbedingungen für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu verbessern. § 12 III LadÖffG ist zur Erreichung dieses Zweckes geeignet.

b) Was die Erforderlichkeit betrifft, liegen nach BVerfG keine Anhaltspunkte dafür vor, dass der Gesetzgeber die Regelung für die Verfolgung seiner Ziele nicht für erforderlich halten durfte, weil sie unter verschiedenen gleich geeigneten Möglichkeiten nicht die am wenigsten belastende sei (vgl. BVerfGE 102, 197, 217). Nach der weitgehenden Freigabe der Ladenschlusszeiten sichern die ladenschlussrechtlichen Regelungen allein jedenfalls kein arbeitsfreies Wochenende. Die angegriffene Regelung garantiert Beschäftigten in regelmäßigen, kürzeren Abständen demgegenüber ein vollständig freies Wochenende für Erholung, ein gemeinsames Familienleben und soziale Teilhabe (vgl. BVerfGE 125, 39, 82 f., 85 ff.). Die…Möglichkeit, Arbeitszeit betrieblich zu regeln, ist nicht gleich geeignet, dieses Ziel für alle zu erreichen; darauf hat der Gesetzgeber keinen Einfluss und ein erzwingbares Mitbestimmungsrecht gibt es auch nur in Betrieben, in denen ein Betriebsrat gebildet ist. Gleiches gilt für tarifvertragliche Regelungen, die eine Tarifbindung oder Allgemeinverbindlichkeit voraussetzen.

c) Die Regelung ist auch angemessen. Die Berufsausübungsfreiheit wird durch § 12 Abs. 3 Satz 1 und 2 LadÖffG nur geringfügig beschränkt. Sie hindert die betroffenen Unternehmen nicht daran, ihre Geschäfte an umsatzstarken Samstagen zu öffnen. Allerdings erzwingt sie organisatorische Vorkehrungen in personeller Hinsicht. Damit entstehen für die Unternehmen voraussichtlich Kosten. Auch können sich Umsatzeinbußen ergeben…Diese Umsatzeinbußen können aber durch die zu treffenden organisatorischen Maßnahmen wie die Einstellung von Teilzeitkräften im Rahmen gehalten werden. Sollte das nicht gelingen, kann versucht werden, eine Ausnahmereglung nach § 12 III 2 LadÖffG zu erreichen. Jedenfalls reicht das Vorbringen der B nicht aus, um von nicht abwendbaren, unzumutbar hohen Kosten und Umsatzeinbußen auszugehen. BVerfG: Es ist nicht unverhältnismäßig im engeren Sinne, wenn der Gesetzgeber die erheblichen Belange des Schutzes der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer als überwiegend erachtet. Vor dem Hintergrund der Flexibilisierung der Arbeitszeiten und der Ausweitung von Ladenöffnungszeiten kann der Gesetzgeber der Möglichkeit zur Erholung und sozialen Teilhabe für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer entsprechend große Bedeutung beimessen. Insofern müssen sich Regeln zur Freistellung an Samstagen auch an der aus Art. 6 Abs. 2 GG resultierenden Schutzpflicht des Gesetzgebers zugunsten von Familien mit Kindern orientieren, wonach der Gesetzgeber dafür Sorge tragen muss, dass Familientätigkeit und Erwerbstätigkeit miteinander vereinbar sind (vgl. BVerfGE 88, 203, 260)…. Vorliegend überschreitet der Gesetzgeber seinen Ausgestaltungsspielraum nicht, wenn er zur Arbeitszeit im Handel an Wochenenden normativ begrenzte Vorgaben macht.

4. § 12 III LadÖffG ist somit formell und materiell verfassungsmäßig. Der darin liegende Eingriff in Art. 12 I GG ist gerechtfertigt. Art. 12 I GG ist nicht verletzt. Eine VfB hat keine Aussicht auf Erfolg. (Das BVerfG hat die VfB zurückgewiesen.)


Zusammenfassung