Anwendungsvoraussetzungen für die Geltendmachung einer Erstattung und Verzinsung nach § 49a I, III VwVfG. Zwei-Stufen-Theorie; Voraussetzungen. Rückabwicklung eines zinslosen Darlehens auf der ersten, der öffentlich-rechtlichen Stufe durch VA oder auf der zweiten Stufe, dem Darlehensvertrag

BVerwG Urteil vom 8. 9. 2005 (3 C 50/04) NJW 2006, 536 (= DVBl 2006, 118)

Fall (Zweistufentheorie beim Aufbau Ost)

Firma K, die spätere Klägerin, wollte unter einem Neubau eine Tiefgarage bauen und darin 330 öffentliche Stellplätze errichten. Dafür beantragte sie öffentliche Mittel bei der hierfür zuständigen Bezirksregierung B (im Originalfall: des Landes Sachsen-Anhalt). Mit Bewilligungsbescheid der B wurden K 4 Mio. € als zinsloses Darlehen bewilligt. In dem Bescheid hieß es: Darlehensgewährung und Rückzahlungsbedingungen werden noch in einem Darlehensvertrag geregelt. Die Wirksamkeit der Bewilligung ist durch den Abschluss des Darlehensvertrages aufschiebend bedingt. Anschließend schlossen das Land, vertreten durch B, und K einen Darlehensvertrag über die zinslose Gewährung eines Darlehens in Höhe von 4 Mio. € und legten die Rückzahlungsmodalitäten fest. Der Darlehensvertrag enthielt das Recht des Darlehensgebers zur fristlosen Kündigung, wenn der Bewilligungsbescheid aufgehoben wird oder aus sonstigen Gründen unwirksam ist. Das Darlehen wurde anschließend an K ausgezahlt.

In der Zeit zwischen dem Erlass des Bewilligungsbescheids und dem Abschluss des Darlehensvertrages hatte K das Bauprojekt an die Grundstücksgesellschaft G veräußert. In dem Veräußerungsvertrag trat K der G den Anspruch auf Auszahlung des von B bewilligten Darlehens unter der Bedingung ab, dass G in den noch zu schließenden Darlehensvertrag eintreten könnte. Sollte das nicht möglich sein, verpflichtete sich K, die Käuferin G wirtschaftlich so zu stellen, als wäre sie in den Darlehensvertrag eingetreten. G verwirklicht inzwischen das Bauvorhaben.

Nachdem die B-Behörde von dem Sachverhalt Kenntnis erhalten hatte, richtete sie am 1. 12. einen Bescheid an K, in dem K zur Rückzahlung des Darlehens in Höhe von 4 Mio. € und zur Verzinsung in Höhe von 5 % über dem Basiszinssatz verpflichtet wurde. Darin, dass K bei Abschluss des Darlehensvertrages verschwiegen habe, dass K selbst das Projekt gar nicht mehr durchführen wolle, liege eine arglistige Täuschung, die sie zur Anfechtung des Darlehensvertrages berechtige. Der Wegfall des Darlehensvertrages führe auf Grund der in der Bewilligung enthaltenen Bedingung zum Wegfall der Bewilligung selbst. Nach erfolglosem Widerspruch erhob K gegen diesen Bescheid verwaltungsgerichtliche Klage. Während des Verfahrens zahlte K das Darlehen zurück; insoweit erklärten die Parteien die Hauptsache für erledigt. Wie ist über die Klage zu entscheiden, soweit sie sich noch gegen die Zinsforderung richtet ?

A. Zulässigkeit der Klage

I. Die Zulässigkeit des Verwaltungsrechtsweges ergibt sich gemäß § 40 I VwGO daraus, dass die B-Behörde die Zinsforderung durch Verwaltungsakt (Bescheid vom 1. 12.) geltend macht. Eine gegen einen VA gerichtete Klage begründet stets eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit. Das würde selbst dann gelten, wenn die Behörde zum Erlass des VA nicht berechtigt wäre, weil auch ein unberechtigter VA Gegenstand einer öffentlich-rechtlichen Streitigkeit wäre.

II. Da sich die Klage gegen einen VA wendet und auf dessen Aufhebung gerichtet ist, handelt es sich um eine Anfechtungsklage i. S. des § 42 I VwGO. Bedenken gegen deren Zulässigkeit bestehen nicht: K ist Adressatin eines sie belastenden VA und damit klagebefugt (§ 42 II VwGO). Das Widerspruchsverfahren ist ergebnislos durchgeführt (§§ 68 ff. VwGO).

B Begründetheit der Klage

Die Anfechtungsklage ist gemäß § 113 I 1 VwGO begründet, wenn der angegriffene VA rechtswidrig ist und den Kläger in seinen Rechten verletzt. Im vorliegenden Fall ist wegen der Erledigung der Rückzahlungsforderung nur noch die Zinsforderung als Teil des ursprünglichen Gesamt-VA vom 1. 12. zu prüfen. Als belastender Teil eines VA bedarf die Zinsforderung, um rechtmäßig zu sein, einer Ermächtigungsgrundlage.

I. Anwendbare Ermächtigungsgrundlage kann § 49a VwVfG sein. Grundvorschrift ist Absatz 1, der zunächst erfüllt sein muss. Die Berechtigung zur Zinsforderung ergibt sich dann aus Absatz 2.

§ 49a I 1 gewährt der Behörde einen durch VA durchsetzbaren (§ 49a I 2) Erstattungsanspruch unter den Voraussetzungen, dass ein auf eine Leistung gerichteter VA mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen oder widerrufen oder infolge Eintritts einer auflösenden Bedingung unwirksam geworden ist. Einer der Hauptfälle, Rücknahme oder Widerruf des ursprünglichen Bewilligungsbescheids, liegt nicht vor. Auch eine auflösende Bedingung ist nicht eingetreten. Die B-Behörde beruft sich aber darauf, dass der Darlehensvertrag wegen der Anfechtung rückwirkend entfallen und der Bewilligungsbescheid deshalb wegen Nichteintritts der im Bewilligungsbescheid enthaltenen Bedingung unwirksam geworden sei. Diesen Fall könnte man den in § 49a I 1 ausdrücklich geregelten Fällen gleichstellen.

II. Zunächst müsste aber der Anwendungsbereich des § 49a eröffnet sein. BVerwG NJW 2006, 537 unter [22]: Obwohl der Gesetzestext dies nicht ausdrücklich sagt, setzt er voraus, dass die zu erstattenden Leistungen auf der Grundlage eines Verwaltungsakts erbracht worden sind, der ihren Rechtsgrund darstellt (vgl. Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 6. Aufl. 2001, § 49a Rdnr. 5; Kopp/Ramsauer, VwVfG, 9. Aufl. 2005, Rdnr. 3, 4). Das bedeutet, dass Leistungen, die auf einem anderen Rechtsgrund wie etwa einem öffentlich-rechtlichen Vertrag oder erst recht auf einem privatrechtlichen Vertrag beruhen, nicht nach § 49a I VwVfG zurückgefordert werden können. Darin kann man einen Anwendungsfall des actus-contrarius-Gedankens sehen: Nur wenn der ursprüngliche leistungsgewährende Akt ein VA war, darf die Rückabwicklung als der gegenteilige Akt ebenfalls durch VA erfolgen.

Folglich ist hier zu prüfen, ob die 4 Mio. € von B an K durch VA erbracht wurden.

1. Ist, wie im vorliegenden Fall, ein die Leistung enthaltender VA vorangegangen, so ist in aller Regel die Leistung auf der Grundlage dieses VA erbracht worden. Bei der hier gegebenen Gestaltung ist das aber deshalb zweifelhaft, weil zwischen B und K nicht nur ein VA ergangen ist, sondern auch ein Darlehensvertrag geschlossen wurde. Es bestanden also öffentlich-rechtliche und privatrechtliche Beziehungen nebeneinander. Deren Ordnung erfolgt durch die Anwendung der Zwei-Stufen-Theorie.

Dementsprechend stellt das BVerwG auf S. 537 unter [23] fest, dass die hier vorgenommene Gestaltung einen klassischen Fall der Anwendung der Zwei-Stufen-Theorie darstellt (vgl. dazu BVerwGE 41, 127; BGHZ 52, 155; 61, 296…). Der Bekl. hat zunächst über das „Ob“ der Gewährung einer Zuwendung in Form eines zinslosen Darlehens durch Verwaltungsakt entschieden. Die konkrete Umsetzung der Darlehensgewährung ist sodann durch einen Darlehensvertrag erfolgt, der die Modalitäten von Auszahlung und Rückzahlung festgelegt hat. Beide Akte sind inhaltlich verknüpft, indem einerseits der Bewilligungsbescheid unter die aufschiebende Bedingung des Zustandekommens eines Darlehensvertrages gestellt worden ist und andererseits dem Darlehensgeber ein fristloses Kündigungsrecht für den Fall der Aufhebung oder sonstigen Unwirksamkeit des Bewilligungsbescheids eingeräumt worden ist. – Anwendungsfälle der Zwei-Stufen-Theorie sind insbesondere

Ausgeschlossen ist die Zwei-Stufen-Theorie i. d. R. bei verlorenen Zuschüssen, weil es sich nicht um eine Schenkung handelt und eine andere privatrechtliche Form nicht zur Verfügung steht.

2. Bei dieser Gestaltung fragt sich nunmehr, ob die Darlehenssumme auf Grund des VA, also auf der ersten Stufe gewährt worden ist – nur dann wäre § 49a anwendbar – oder ob das verneint werden muss. Da das Darlehen letztlich auf Grund der Bewilligung durch VA, unmittelbar aber erst auf Grund des Darlehensvertrages ausgezahlt wurde, lassen sich beide Betrachtungsweisen vertreten. Das BVerwG entscheidet sich dafür, die Zweistufigkeit streng zu berücksichtigen und die Konsequenzen auch für die Rückabwicklung zu ziehen.

a) BVerwG S. 537 unter [25]: Der Darlehensvertrag bildet die unmittelbare Grundlage für die Auszahlung des Darlehens. Während sich aus dem Bewilligungsbescheid nur ein Anspruch auf Abschluss des Darlehensvertrages ergibt, folgt der Anspruch auf die Darlehenssumme allein aus dem Darlehensvertrag. Da die Rückforderung das Gegenstück („actus contrarius“) zur Auszahlung ist, teilt sie deren Rechtscharakter. Sie ist daher ebenfalls dem bürgerlichen Recht zuzuordnen. Die Rückabwicklung des Darlehens wird somit unter dem Aspekt der Zwei-Stufen-Theorie der zweiten Stufe zugeordnet.

b) Für diese Betrachtungsweise gerade bei der im vorliegenden Fall gegebenen Gestaltung führt das BVerwG noch zwei weitere Argumente an:

aa) S. 537 unter [26]: Ein Wegfall des Bewilligungsbescheids führt nicht automatisch zur Unwirksamkeit des Darlehensvertrages. Vielmehr haben die Beteiligten für diesen Fall ein Kündigungsrecht des Darlehensgebers vereinbart. Solange davon nicht Gebrauch gemacht wird, bleibt eine Rechtsgrundlage für das Behaltendürfen der Darlehenssumme gegeben.

bb) Außerdem ermöglicht es diese Sicht, Störungen der Rechtsbeziehungen, die auf der Ebene des Darlehensvertrags eintreten [das wäre hier der Fall, weil B den Vertrag wegen arglistiger Täuschung angefochten hat], auch auf dieser Ebene zu berücksichtigen und darüber bestehende Streitigkeiten vor den dafür zuständigen Zivilgerichten auszutragen.

3. Somit ist die Darlehenssumme ausschließlich auf Grund des Darlehensvertrages und nicht auf Grund des Bewilligungsbescheids gezahlt. Die Anwendungsvoraussetzung für § 49a I VwVfG, dass der zurückzufordernde Betrag auf Grund eines VA geleistet worden ist, liegt nicht vor. Greift aber § 49a I nicht ein, gilt gleiches für den Annexanspruch aus § 49a III. § 49a III kann folglich keine Ermächtigungsgrundlage für eine nachträgliche Zinsforderung sein. Eine andere Ermächtigungsgrundlage ist nicht ersichtlich.

III. Der die Zinsforderung geltend machende Bescheid vom 1. 12. ist somit rechtswidrig. Er verletzt K in ihrem aus Art. 2 I GG fließenden Recht, in ihrer Handlungsfreiheit, die auch die Freiheit vor hoheitlich auferlegten Geldforderungen umfasst, nicht durch eine rechtswidrige Geldzahlungspflicht belastet zu werden. Die Anfechtungsklage ist begründet.

Aus den vorangegangenen Überlegungen könnte gefolgert werden, dass B lediglich die falsche Rechtsform für die Geltendmachung einer an sich berechtigten Forderung gewählt hat und statt dessen auf dem Zivilrechtsweg hätte vorgehen müssen (in diese Richtung auch das BVerwG auf S. 538 unter [27]). Das gilt jedoch nur für den Rückzahlungsanspruch selbst. Auf die nachträgliche Verzinsung hätte das Land privatrechtlich weder einen Anspruch aus dem Vertrag noch aus einer gesetzlichen Vorschrift hat. Ein Zinsanspruch bei einem unverzinslichen Darlehen hätte sich nur über § 49a III begründen lassen; diese Vorschrift ist aber, wie ausgeführt, nicht anwendbar.

Zusammenfassung