Bearbeiter: Prof. Dieter Schmalz

Friedhof als öffentliche Einrichtung der Gemeinde; Benutzungsregelung durch Satzung; Rechtmäßigkeit und Wirksamkeit einer Satzungsbestimmung. Erforderliche Ermächtigungsgrundlage für Satzung. Berufsfreiheit, Art. 12 GG, Eingriff und Verletzung. Bestimmtheitsgebot bei Rechtsnormen. Verhältnismäßigkeit


BVerwG
Urteil vom 16. 10. 2013 (AZ. 8 CN 1.12) www.bverwg.de)

Fall
(Kinderarbeit)

Im Jahre 1999 hat die Internationale Arbeitsorganisation (I nternational Labour Organization, ILO, Sitz in Genf) das „Übereinkommen über das Verbot und unverzügliche Maßnahmen zur Beseitigung der schlimmsten Formen der Kinderarbeit“ (ILO-Konvention 182) beschlossen. In Art. 3 der Konvention, die auch von Deutschland ratifiziert wurde, werden die verbotenen Formen der Kinderarbeit näher bezeichnet, u. a. alle Formen der Sklaverei oder sklavereiähnlichen Praktiken, der Zwangs- oder Pflichtarbeit. Als bekannt wurde, dass durch verbotene Kinderarbeit hergestellte Grabsteine auch in Deutschland verwendet wurden, beschloss der Rat der im Lande L gelegenen Stadt S Ende 2013 formell fehlerfrei eine Änderung der für den städtischen Friedhof erlassenen Friedhofssatzung, in die folgender § 28 II eingefügt wurde:

„Es dürfen nur Grabmale aufgestellt werden, die nachweislich in der gesamten Wertschöpfungskette ohne ausbeuterische Kinderarbeit im Sinne des Übereinkommens über das Verbot und unverzügliche Maßnahmen zur Beseitigung der schlimmsten Formen der Kinderarbeit der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO-Konvention 182) hergestellt wurden.“

Nach § 7 GO des Landes L können die Gemeinden zur Regelung ihrer Angelegenheiten Satzungen erlassen. Nach § 7 a GO können die Gemeinden in ihren Satzungen insbesondere die Benutzung ihrer öffentlichen Einrichtungen regeln.

Steinmetzmeister M stellt in seinem Betrieb fast ausschließlich Grabmale für den städtischen Friedhof in S her. Er macht geltend, zwar gebe es in Indien, von wo er seine Steine überwiegend beziehe, Kinderarbeit. Er beziehe die Steine aber über einen Importeur und sei zu den in der neu eingefügten Vorschrift geforderten Nachweisen nicht in der Lage. Deshalb werde seine Berufsfreiheit unzumutbar beschränkt. Die Vorschrift sei auch deshalb unwirksam, weil sie nicht die Benutzung des Friedhofs, sondern eine gewerbliche Tätigkeit im Vorfeld der Friedhofsnutzung regele. Die Bekämpfung der Kinderarbeit sei keine gemeindliche, sondern eine bundesweite Aufgabe.

M hat in zulässiger Weise das zuständige Verwaltungsgericht angerufen. Wie wird dieses über die Rechtsgültigkeit des § 28 II Friedhofssatzung (FS) entscheiden?

Vorbemerkungen: 1) Prozessual handelte es sich bei dem in Bayern spielenden Originalfall um eine in Bayern nach § 47 I Nr. 2 VwGO zulässige Normenkontrollklage. In einem Bundesland, in dem es keine Normenkontrollklage nach § 47 I Nr. 2 VwGO gibt (z. B. NRW), könnte M auf Feststellung klagen, dass er nicht verpflichtet ist, bei der Aufstellung von Grabsteinen auf dem städtischen Friedhof den Nachweis nach § 28 II FS zu erbringen. Außerdem hätte M die Möglichkeit, weiterhin Steine ohne Nachweis aufzustellen, und, falls ihm gegenüber ein Verbot erlassen wird, gegen dieses Verbot zu klagen; in diesem Verfahren würde über die Gültigkeit der Satzungsbestimmung inzidenter entschieden. In der folgenden Lösung kommt es auf die prozessuale Seite wegen der eingeschränkten Fragestellung nicht an. 2) Die im Sachverhalt wiedergegebenen §§ 7, 7 a GO entsprechen den Vorschriften der GO Bay, gelten aber sinngemäß auch in den anderen Bundesländern. Gibt es keine dem § 7 a entsprechende Vorschrift (so in NRW), folgt die Befugnis zur Regelung der Benutzung der öffentlichen Einrichtung bereits aus der allgemeinen Satzungsbefugnis des § 7 GO (Gern, Deutsches Kommunalrecht, 3. Aufl. 2003, Rdnrn. 255, 269; Hofmann/Theisen/Bätge, KommR in NRW, 15. Aufl. 2013, S. 210).

Lösung

§ 28 II FS ist nur rechtsgültig, wenn die Vorschrift rechtmäßig ist. Satzungen sind materielle Rechtsnormen, für die der Grundsatz gilt, dass ihre Rechtswidrigkeit zur Unwirksamkeit führt. Der - anderslautende - Grundsatz, wonach auch rechtswidrige Rechtsakte rechtswirksam (bestandskräftig) sind, solange sie nicht aufgehoben werden, gilt nur für Einzelakte (Urteile, Beschlüsse, Verwaltungsakte). Somit ist die Rechtmäßigkeit des § 28 II FS zu prüfen.

Für dessen Erlass war der Rat der Gemeinde zuständig (Organzuständigkeit). Ob die Gemeinde zuständig war (Verbandskompetenz), kann im Zusammenhang mit der Ermächtigungsgrundlage geprüft werden. Bedenken gegen das Verfahren bei Erlass der Satzung sind nicht ersichtlich. Somit ist die materielle Rechtmäßigkeit des § 28 II FS zu prüfen.

I. Als untergesetzliche Normen bedürfen Satzungen - ebenso wie Rechtsverordnungen (vgl. Art. 80 GG) - einer Ermächtigungsgrundlage. Ermächtigungsgrundlage im vorliegenden Fall können §§ 7, 7 a GO sein. § 7 GO enthält die allgemeine Satzungsbefugnis der Gemeinden in Anerkennung ihres Selbstverwaltungsrechts.

1. § 7 scheidet allerdings von vornherein aus, wenn die Regelung des § 28 II FS eine Materie betrifft, die in eine die Zuständigkeit der Länder einschließlich der Kommunen verdrängende Zuständigkeit des Bundes fällt.

a) Das ergibt sich noch nicht aus dem Vorbringen des M, die Bekämpfung von Kinderarbeit sei eine bundesweite Aufgabe. Denn das schließt einen Bezug zu den örtlichen Angelegenheiten nicht aus. Auch die Bekämpfung des Klimawandels ist eine bundesweite, ja eine weltweite Aufgabe; trotzdem dürfen - und müssen - sich die Kommunen daran beteiligen. Nicht zuständig ist die Gemeinde aber, wenn es sich um eine Aufgabe handelt, die in die Gesetzgebungszuständigkeit des Bundes fällt.

b) BVerwG [19]: Eine ausschließliche Gesetzgebungskompetenz des Bundes nach Art. 73 Abs. 1 Nr. 5 GG („Warenverkehr mit dem Ausland“) ist nicht gegeben, da das Verbot der Verwendung von Grabmalen aus ausbeuterischer Kinderarbeit auf Friedhöfen nicht den Warenverkehr mit dem Ausland regelt und allenfalls mittelbare Auswirkungen auf den Import und Handel von solchen Grabmalen hat.

c) Die Regelung in § 28 II FS könnte zum bundesrechtlich zu regelnden Gewerberecht (Art. 74 I Nr. 11, Art. 72 GG) gehören.

aa) Dass nur Grabsteine verwendet werden dürfen, die ohne Kinderarbeit hergestellt wurden, ist keine typische Materie des Gewerberechts. Jedoch betrifft § 28 II FS gewerblich tätige Steinmetze, was bei Erlass dieser Vorschrift auch bekannt war. Die Nachweispflicht begründet für Steinmetze eine ihre gewerbliche Tätigkeit begrenzende Pflicht. Deshalb kann bejaht werden, dass die Regelung einer gewerblichen Tätigkeit vorliegt.

bb) Land und Kommune sind im Bereich der konkurrierenden Gesetzgebungskompetenz (Art. 74 GG) nur ausgeschlossen, wenn der Bund von seiner Kompetenz Gebrauch gemacht hat (Art. 72 I GG). Eine Regelung, wie sie in § 28 II FS enthalten ist, hat der Bund nicht getroffen. Ein Gebrauchmachen durch den Bund liegt allerdings auch vor, wenn dieser eine Materie abschließend geregelt hat. Für das Gewerberecht ergibt sich grundsätzlich eine abschließende Regelung aus § 1 GewO. Sie betrifft die Anerkennung bestimmter Gewerbearten, die Voraussetzungen für deren Aufnahme, insbesondere die Einführung von Erlaubnispflichten, und die Regelung von Verbotstatbeständen wie z. B. die Rücknahme von Erlaubnissen und das Einschreiten nach § 35 GewO. Die abschließende Wirkung erstreckt sich aber nicht auf bloße Modalitäten der gewerblichen Tätigkeit, wozu auch das Verbot der Verwendung von Produkten gehört, die durch Kinderarbeit hergestellt wurden.

BVerwG [19]: Ob Satzungsregelungen der angegriffenen Art dem Kompetenztitel des Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 GG (Recht der Wirtschaft, Handwerk) zugeordnet werden können, mag dahinstehen. Eine Sperrwirkung zu Lasten der Länder und Gemeinden ergäbe sich nur, wenn der Bund von seiner Gesetzgebungszuständigkeit durch Gesetz Gebrauch gemacht hätte (Art. 72 Abs. 1 GG). Davon ist hier nicht auszugehen; der Bund hat den hier in Frage stehenden Sachverhalt, dass Steinmetze bestimmte Produkte wegen ihres Herstellungsprozesses nicht oder jedenfalls nicht für bestimmte Zwecke verwenden dürfen, nicht geregelt.

Somit steht eine Bundeskompetenz der Regelung in § 28 II FS nicht entgegen.

2. Positive Voraussetzung für §§ 7, 7 a GO ist, dass die Regelung eine eigene Angelegenheit der Gemeinde, d. h. eine Angelegenheit der örtlichen Gemeinschaft (Art. 28 II GG) und damit ihren Selbstverwaltungsbereich betrifft. BVerwG [16]: Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft sind diejenigen Bedürfnisse und Interessen, die in der örtlichen Gemeinschaft wurzeln oder auf sie einen spezifischen Bezug haben, die also den Gemeindeeinwohnern gerade als solchen gemeinsam sind, indem sie das Zusammenleben und -wohnen der Menschen in der (politischen) Gemeinde betreffen (BVerfGE 79, 127, 151 .). Dazu gehört insbesondere die Regelung der Benutzung ihrer öffentlichen Einrichtungen.
.
a) Kommunale Friedhöfe sind öffentliche Einrichtungen der Gemeinde (Ehlers JURA 2012, 692: „Bestattungseinrichtungen“; dort JURA 2012, 692 ff. und 849 ff. findet sich eine Behandlung der wesentlichen Fragen zu den öffentlichen Einrichtungen).

b) § 28 II FS müsste eine Regelung der Benutzung des Friedhofs sein. Das wurde von BayVGH GewArch 2012, 160 verneint. Die Entstehung der für die Grabmale benötigten Steine habe nichts mit dem eigentlichen Zweck des Friedhofs zu tun, betreffe vielmehr ein allgemeinpolitisches Anliegen. Anders aber der BayVGH im vorliegenden Fall und das BVerwG [17]: Der VGH hat zu Recht angenommen, dass die angegriffene Satzungsregelung die Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft nicht überschreitet. § 28 Abs. 2 FS regelt Voraussetzungen für das Aufstellen von Grabsteinen auf den Friedhöfen der Antragsgegnerin [der Stadt]. Damit handelt es sich um eine Regelung der Benutzung der kommunalen Friedhöfe… Wenn eine Kommune der Auffassung ist, eine pietätvolle und würdige Friedhofsgestaltung setze voraus, dass ein Friedhofsnutzer die Einrichtung in dem Bewusstsein aufsuchen kann, nicht mit Grabsteinen konfrontiert zu werden, die in grob menschenrechtswidriger Weise hergestellt worden sind, so hat der VGH darin eine zulässige Konkretisierung des Friedhofszwecks gesehen. Dass dies mit Art. 28 Abs. 2 GG unvereinbar wäre, ist nicht erkennbar. Namentlich wird dadurch der gegenständliche Bezug zu den Friedhöfen der Antragsgegnerin nicht verlassen.

Somit sind die sich aus dem Wortlaut der §§ 7, 7 a GO ergebenden Voraussetzungen erfüllt.

3. Gleichwohl ist § 28 II FS nicht rechtmäßig, wenn § 28 II FS einen Eingriff in ein Grundrechte enthält und §§ 7, 7 a GO nicht zu Eingriffen in Grundrechte ermächtigen.

a) § 28 II FS könnte in das Grundrecht der Berufsfreiheit der Steinmetze (Art. 12 GG) eingreifen. BVerwG [24]: Schutzgut des Art. 12 Abs. 1 GG ist auch die Erwerbszwecken dienende freie unternehmerische Betätigung. Zwar sind die Steinmetze nicht unmittelbare Adressaten der kommunalen Norm. Sie sind indessen in das Nutzungsverhältnis zwischen dem Grabnutzungsberechtigten und der Antragsgegnerin einbezogen und bedürfen einer Zulassung durch die Friedhofsverwaltung (§ 34 Abs. 1 BFS). Auch nicht unmittelbar auf die berufliche Betätigung abzielende Maßnahmen können infolge ihrer spürbaren tatsächlichen Auswirkungen geeignet sein, den Schutzbereich des Art. 12 Abs. 1 GG mittelbar erheblich zu beeinträchtigen. Voraussetzung für die Anerkennung solcher faktischen Beeinträchtigungen der Berufsfreiheit ist, dass ein enger Zusammenhang mit der Ausübung des Berufs besteht und dass nicht nur vom Staat ausgehende Veränderungen der Marktdaten oder allgemeinen Rahmenbedingungen eintreten, sondern eine objektiv berufsregelnde Tendenz erkennbar ist (BVerfGE 95, 267, 302; 113, 29, 48). Die angegriffene Satzungsbestimmung stellt eine nicht unerhebliche grundrechtsspezifische Einschränkung der gewerblichen Betätigungsfreiheit dar, da viele Steinmetze in Deutschland Grabmale aus Indien oder aus sonstigen Ländern der Dritten Welt, in denen Kinderarbeit vorkommt, beziehen (vgl. Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Fraktion DIE LINKE, BTDrucks 17/2406 S. 1, wonach zwei Drittel aller in Deutschland aufgestellten Grabsteine aus Indien stammen).

b) Generalklauseln wie §§ 7, 7 a GO reichen als Rechtsgrundlage für Grundrechtseingriffe nicht aus (Ehlers JURA 2012, 696 m. w. N. Fn 59). Vielmehr bedürfen „besondere Belastungen des Bürgers auch einer besonderen Ermächtigung.“ So auch BVerwG [26 - 28]:

aa) Zwar gebietet Art. 12 Abs. 1 GG nicht, dass Einschränkungen der Berufsfreiheit stets unmittelbar durch den staatlichen Gesetzgeber oder durch die von ihm ermächtigte Exekutive angeordnet werden müssen. Vielmehr sind solche Regelungen innerhalb bestimmter Grenzen auch in Gestalt von Satzungen zulässig, die von einer Selbstverwaltungskörperschaft im Rahmen ihrer Autonomie erlassen werden (BVerfGE 33, 125, 155 ff., Facharztbeschluss)… Es ist jedoch verfassungsrechtlich unverzichtbar, dass eine hinreichende, vom parlamentarischen Gesetzgeber geschaffene Ermächtigungsgrundlage vorhanden ist, die dem Satzungsgeber die Befugnis eröffnet, in das Grundrecht der Berufsfreiheit einzugreifen. Dabei sind die Anforderungen an die Bestimmtheit der Ermächtigung umso höher, je empfindlicher die freie berufliche Betätigung beeinträchtigt wird und je stärker die Interessen der Allgemeinheit von der Art und Weise der Tätigkeit berührt werden (BVerfGE 71, 162, 172; 98, 49, 60; 101, 312, 323). Nach der Intensität des Grundrechtseingriffs richtet sich namentlich, mit welchem Maß an Bestimmtheit der Gesetzgeber Inhalt, Zweck und Ausmaß der Satzungsregelung vorgeben muss… Die grundlegende Entscheidung, ob und welche Gemeinschaftsinteressen so gewichtig sind, dass das Freiheitsrecht des Einzelnen zurücktreten muss, fällt allein in den Verantwortungsbereich des staatlichen Gesetzgebers (…). Der Regelungsvorbehalt des Art. 12 Abs. 1 Satz 2 GG soll sicherstellen, dass der Gesetzgeber dieser Verantwortung gerecht wird.

bb) Ausgehend von diesen Maßstäben fehlt der zur Normenprüfung gestellten Satzungsbestimmung eine ausreichende gesetzliche Grundlage. Weder die Gewährleistung der gemeindlichen Satzungsautonomie in Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG noch die in den jeweiligen Gemeindeordnungen eingeräumte…allgemeine Befugnis zum Erlass von Satzungen genügt den Anforderungen des Art. 12 Abs. 1 Satz 2 GG an eine formell-gesetzliche Ermächtigung… Auch die den Gemeinden eingeräumte Befugnis, die Benutzung ihrer öffentlichen Einrichtungen zu regeln, genügt nicht…

Somit fehlte bei Erlass der Satzung Ende 2013 die für sie erforderliche Ermächtigung.

II. Für den Fehler einer mangelnder Ermächtigungsgrundlage für § 28 II FS hat bereits ausgereicht, dass ein Eingriff in die Berufsfreiheit vorliegt; eine Grundrechtsverletzung war hierfür nicht notwendig. Andererseits ergibt sich aus den vorstehenden Ausführungen, dass für den Eingriff in Art. 12 GG keine Rechtfertigung gegeben ist, so dass § 28 II FS auch eine Verletzung des Art. 12 GG bedeutet (BVerwG [23 - 29]). - Nicht entgegen gehalten werden kann diesem Ergebnis, dass § 28 II FS der von Deutschland ratifizierten und damit völkerrechtlich verbindlichen ILO-Konvention 182 entspricht. Denn auch völkerrechtlich verbindliche Rechtsakte dürfen in Deutschland nur im Einklang mit der Verfassung umgesetzt werden.

Ergebnis zu I. ist, dass § 28 II FS wegen Fehlens der notwendigen Ermächtigung und wegen Verletzung des Art. 12 GG rechtswidrig ist.

III. Eine Rechtsnorm muss hinreichend bestimmt gefasst sein. § 28 II FS könnte gegen den Bestimmtheitsgrundsatz verstoßen. BVerwG [21, 22]:

1. Eine Vorschrift entspricht nur dann rechtsstaatlichen Grundsätzen, wenn und soweit sich aus ihr mit ausreichender Bestimmbarkeit ermitteln lässt, was von den pflichtigen Personen verlangt wird. Vom Normgeber wird verlangt, die Rechtsvorschriften so genau zu fassen, wie dies nach der Eigenart der zu ordnenden Lebenssachverhalte mit Rücksicht auf den Normzweck möglich ist (…). Die Notwendigkeit der Auslegung einer Begriffsbestimmung nimmt der Norm noch nicht die Bestimmtheit. Es genügt, wenn die Betroffenen die Rechtslage anhand objektiver Kriterien erkennen und ihr Verhalten danach ausrichten können (BVerfGE 45, 400, 420; 78, 205, 212; BVerwGE 96, 110, 111).

2. Gemessen an diesen Grundsätzen verletzt die angegriffene Satzungsbestimmung das Gebot der Normenklarheit und der hinreichenden Bestimmtheit, indem sie anordnet, dass nur Grabmale aufgestellt werden dürfen, die „nachweislich in der gesamten Wertschöpfungskette“ ohne ausbeuterische Kinderarbeit im Sinne der ILO-Konvention 182 hergestellt wurden. Durch diese Regelung hat es die Antragsgegnerin der Friedhofsverwaltung überlassen zu überprüfen und zu beurteilen, ob die von den Steinmetzen beigebrachten Nachweise belegen, dass das Grabmal in der gesamten Wertschöpfungskette ohne ausbeuterische Kinderarbeit hergestellt worden ist, und damit die im Zusammenhang mit der Anwendung dieser Bestimmung entstehenden Probleme unzulässigerweise in den Normvollzug verlagert. Dies könnte den Anforderungen an die Klarheit und Bestimmtheit einer Norm nur gerecht werden, wenn für den Normbetroffenen unschwer erkennbar wäre, welcher Nachweis genügen würde. Daran fehlt es jedoch, da es bislang keine validen Nachweismöglichkeiten gibt. Derzeit können sich die Steinmetzbetriebe nur auf Eigenerklärungen von Herstellern und Lieferanten stützen, die jedoch keine Sicherheit hinsichtlich des Merkmals „frei von Kinderarbeit“ garantieren können. Verlässliche Zertifizierungssysteme und Gütesiegel unabhängiger Organisationen sind bisher nicht bekannt… Angesichts dessen bedürfte es einer Bestimmung, welcher Art der geforderte Nachweis zu sein hat und welche Nachweise als ausreichend angesehen werden; gegebenenfalls müsste der Normgeber die Voraussetzungen festlegen, unter denen die Zeugnisse privater Zertifizierungsstellen als ausreichend angesehen werden.

Somit verletzt § 28 II FS auch das rechtsstaatliche Bestimmtheitsgebot.

IV. § 28 II FS könnte schließlich auch das Prinzip der Verhältnismäßigkeit verletzen. Dieses findet auf den Erlass der Satzung bereits deshalb Anwendung, weil der Gemeinde ein Ermessensspielraum zusteht und das Verhältnismäßigkeitsprinzip eine Grenze für die Ermessensausübung bildet. Außerdem muss das Verhältnismäßigkeitsprinzip deshalb beachtet werden, weil ein Eingriff in die Berufsfreiheit erfolgt (Art. 12 GG, oben I 3 a). BVerwG [32, 33]:

1. Durch das Verbot der Verwendung von Grabmalen, die unter Einsatz von Kinderarbeit im Sinne der ILO-Konvention 182 hergestellt wurden, wird ein verfassungsrechtlich legitimer Zweck verfolgt. Das Verbot soll die Würde der Ruhestätte und des Friedhofs…wahren und fördern. Es ist geeignet, diesen Regelungszweck zu fördern; denn bei Nichterbringung des von der Vorschrift geforderten Nachweises wird die Verwendung solcher Grabsteine auf Friedhöfen der Antragsgegnerin verhindert.

2. Es ist ferner erforderlich, da ein milderes Mittel, das den Regelungszweck ebenso gut erreichte, die Berufsausübungsfreiheit der Steinmetze aber weniger beschränkte, nicht erkennbar ist.

3. Das Gebot der Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne die Angemessenheit der Maßnahme, ist verletzt, wenn die Schwere des Eingriffs völlig außer Verhältnis zum damit verfolgten Zweck steht (st. Rspr. …).

a) Das Erfordernis nachzuweisen, dass aufzustellende Grabmale nicht aus ausbeuterischer Kinderarbeit herrühren, stellt eine einschneidende, schwerwiegende Beschränkung der Berufsausübung der Steinmetze dar. Es macht einen wesentlichen Teil ihrer beruflichen Betätigung davon abhängig, dass sie den vollen Beweis einer negativen Tatsache erbringen. Die damit verbundene schwerwiegende Beeinträchtigung steht außer Verhältnis zu dem mit ihr verfolgten Zweck, solange nicht klar geregelt ist, welcher Art der geforderte Nachweis zu sein hat und welche Nachweise als ausreichend angesehen werden. Zwischen den Beteiligten ist unstreitig, dass ein Großteil der von den Steinmetzen verwendeten Grabmale aus Ländern der sogenannten Dritten Welt bezogen wird, in denen Kinderarbeit vorkommt. Die Steinmetze können nicht die Wertschöpfungskette jedes einzelnen von dort importierten Grabmals selbst verfolgen. Sie können ohne hinreichend bestimmte Regelung der Anforderungen an geeignete Nachweise auch nicht erkennen, welche der derzeit erhältlichen Bescheinigungen über eine von ausbeuterischer Kinderarbeit freie Wertschöpfungskette hinreichend verlässlich sind. Vielmehr wird ihnen das unkalkulierbare Risiko aufgebürdet einzuschätzen, ob von ihnen beschaffte Nachweise von der Antragsgegnerin anerkannt werden. Damit können für sie erhebliche Kosten, Umsatzeinbußen und gegebenenfalls auch Wettbewerbsnachteile gegenüber Konkurrenten, deren Nachweise im Einzelfall anerkannt werden, verbunden sein.

b) Allerdings ist die Bekämpfung der schlimmsten Formen verbotener Kinderarbeit ein ganz gewichtiges Ziel. Es ist aber zu bedenken, dass die Regelung in § 28 II FS nicht unmittelbar Kinderarbeit verhindert, sondern die Nachfrage nach Steinen, die in Kinderarbeit hergestellt wurden, vermindern soll. Unter diesem Aspekt tritt das Gewicht des letztlich verfolgten Ziels hinter die dadurch unmittelbar herbeigeführten Belastungen der Steinmetze zurück. Kinderarbeit soll bekämpft werden, aber nur mit für die Steinmetze zumutbaren Mitteln, woran es bei § 28 II FS fehlt.

V. Seit einer Änderung des Bestattungsgesetzes NRW durch das Gesetz GVBl 2014, 405 bestimmt § 4 a BestG, dass Grabsteine entweder aus Staaten stammen müssen, in denen nicht gegen die ILO-Konvention 182 verstoßen wird, oder dass sie entsprechend zertifiziert sein müssen. Da diese Vorschrift keine Satzungsermächtigung enthält, kann sie schon deshalb nicht zu einer Heilung des § 28 II FS führen. Vielmehr ergibt sich daraus ein zusätzlicher Rechtswidrigkeitsgrund. Denn der neue § 4 a BestG regelt das Problem der Grabsteine aus Kinderarbeit so, dass eine weitere Regelung durch eine gemeindliche Satzung nicht zulässig erscheint. Somit verstößt seit Inkrafttreten des § 4 a BestG NRW § 28 II FS der Stadt S zusätzlich gegen § 4 a BestG als höherrangiges Landesrecht.


Zusammenfassung