Bearbeiter: Prof. Dieter Schmalz

Teil-Anfechtung einer Nebenbestimmung zum VA. Beleihung mit hoheitlichen Kontrollbefugnissen. Staatshaftung für Beliehene, Art. 34 GG. Rückgriff gegenüber dem Handelnden, Art. 34, 2 GG. Nebenbestimmung zum VA, insbesondere Auflage, § 36 II Nr. 4 VwVfG. Gesetzesvorbehalt für Haftungsmodalität bei Beleihung

BVerwG Urteil vom 26. 8. 2010 (3 C 35.09) DVBl 2010, 1434

Fall
(Öko-Kontrollstelle)

Die K-GmbH ist als Kontrollstelle auf dem Gebiet des ökologischen Landbaus tätig. Auf der Grundlage der EU-Verordnung über den ökologischen Landbau und des Bundesgesetzes zur Durchführung der Rechtsakte der EU auf dem Gebiet des ökologischen Landbaus (Öko-LandbauG, ÖLG) prüft sie die landwirtschaftlichen Unternehmen und Verarbeitungsbetriebe auf die Einhaltung der Standards des ökologischen Landbaus und zertifiziert Betriebe und Erzeugnisse. Nach der EU-VO und dem ÖLG können staatliche Behörden diese Kontrolltätigkeit ausüben oder auch private Stellen im Wege der Beleihung damit beauftragt werden. Dementsprechend wurde die K-GmbH durch Bescheid des zuständigen Landesamtes des Bundeslandes B mit der Funktion einer Kontrollstelle beliehen.

Der Beleihungsbescheid enthielt in Ziff. 5 folgenden Text: „Nebenbestimmung. Das Land B übernimmt keine Haftung für Schäden, die der Kontrollstelle in Wahrnehmung ihrer Aufgaben entstehen. Bei Schäden, die die Kontrollstelle in Wahrnehmung ihrer Aufgaben Dritten zufügt und wegen der sie von dem Dritten in Anspruch genommen wird, hat sie keinen Ausgleichsanspruch gegen das Land B. Wird das Land wegen einer Schädigung durch die Kontrollstelle in Anspruch genommen, hat die Kontrollstelle das Land von der Haftung freizustellen.“

Dieser Teil des Bescheids war K vor seinem Erlass von dem Landesamt angekündigt worden und wurde damit begründet, dass K für ihre Tätigkeit Gebühren erhalte und deshalb eventuelle Schäden selbst tragen müsse. Rechtsgrundlagen hierfür seien § 36 II Nr. 4 VwVfG und die Vorschriften des Staatshaftungsrechts. Demgegenüber macht K geltend, bei der Wahrnehmung der übertragenen Kontrollaufgaben ließen sich Fehler nicht ausschließen. Dabei könnten erhebliche Schäden entstehen; der Entzug des Rechts zur Führung des Öko-Labels und die zeitweilige Untersagung der Vermarktung von Produkten träfen den produzierenden Landwirt in mitunter existenzgefährdendem Ausmaß, auch könnten diese Maßnahmen den Verlust von Fördergeldern zur Folge haben. Ihr könne nicht zugemutet werden, die Haftung für diese Schäden vollständig zu übernehmen. Sie beabsichtigt deshalb eine Klage vor dem Verwaltungsgericht. Hätte die Klage Aussicht auf Erfolg ? Ein Widerspruchsverfahren für eine derartige Streitigkeit ist im Lande L nicht mehr vorgesehen.

A. Zulässigkeit einer verwaltungsgerichtlichen Klage

I.
Ob der Verwaltungsrechtsweg eröffnet ist, richtet sich nach § 40 I VwGO.

1. K wendet sich gegen eine Bestimmung, die mit der öffentlich-rechtlich zu beurteilenden Beleihung in engem Zusammenhang steht und deshalb selbst als öffentlich-rechtlich zu beurteilen ist. Die Klage gegen eine öffentlich-rechtliche Maßnahme führt zur Annahme einer öffentlich-rechtlichen Streitigkeit.

2. Die Streitigkeit ist nichtverfassungsrechtlicher Art, weil Ziff. 5 des Beleihungsbescheids mit Verwaltungsrecht (EU-VO, ÖLG) in engem Zusammenhang steht und außerdem weder die Klägerin K, eine private juristische Person, noch das Landesamt Organe sind, die am Verfassungsleben teilnehmen.

3. Die Streitigkeit ist auch keinem anderen Gericht zugewiesen. Zwar betrifft Ziff. 5 die Folgen eines Staatshaftungsanspruchs, für dessen Geltendmachung der Zivilrechtsweg gegeben ist (Art. 34, 3 GG). Jedoch ist Gegenstand der Klage kein Ersatzanspruch, sondern die Frage, welche Folgen eintreten, wenn es zu einem Haftungsfall kommt. Eine solche Regelung im Vorfeld eines Haftungsfalles ist keine Geltendmachung eines Anspruchs und fällt deshalb nicht unter Art. 34, 3 GG. Der Verwaltungsrechtsweg ist gegeben.

II. Der Klageart nach handelt es um eine Anfechtungsklage, wenn sie sich gegen einen Verwaltungsakt richtet. Ziff. 5 des Beleihungsbescheids, gegen den sich die Klage richtet, ist jedenfalls kein eigenständiger VA. Sie könnte aber Teil eines VA sein, was für eine Anfechtungsklage ausreicht (vgl. § 113 I 1 VwGO: „Soweit…“). Teil eines VA wäre Ziff. 5 insbesondere dann, wenn sie - entsprechend der Bezeichnung durch das Landesamt - eine Nebenbestimmung (§ 36 VwVfG) wäre.

1. Teil eines VA ist Ziff. 5 nur, soweit sie eine Regelungswirkung hat oder an der Regelungswirkung des VA teilhat.

a) Das scheidet für Satz 1 von vornherein aus. Dass das Land keine Haftung übernimmt, könnte eine Rechtswirkung nur haben, wenn damit eine bestehende Haftung ausgeschlossen würde, was aber nicht der Fall ist. Es ist keine Vorschrift ersichtlich, wonach die beleihende staatliche Behörde für Eigenschäden haftet, die beim Beliehenen entstehen. Satz 1 ist somit keine Bestimmung, die selbst Regelungswirkung hat oder sich auf die Regelungswirkung des VA auswirkt. Damit ist sie nicht möglicher Gegenstand einer Anfechtungsklage.

b) Satz 2 verneint ebenso wie Satz 1 einen Anspruch, wobei dieser Anspruch bei Satz 2 einen Schaden eines Dritten voraussetzt, der wegen der Inanspruchnahme der K zu einem Schaden der K geworden ist. Insofern ist Satz 2 ein Unterfall des Satz 1. Auch hier ist keine Anspruchsgrundlage ersichtlich, nach der K einen Ausgleichsanspruch gegen das beleihende Land haben könnte. Insbesondere gibt es keinen Anwendungsbereich für eine gesamtschuldnerische Haftung, die zu einem Ausgleichsanspruch nach Art des § 426 BGB führen könnte. Deshalb kommt auch Satz 2 keine (Teil-) Regelungswirkung zu.

Eine Aufhebung des Satzes 1 oder 2 würde zu keiner rechtlichen Besserstellung der K führen. Die Sätze 1 und 2 können nur als Klarstellungen im Sinne einer ohnehin bestehenden Rechtslage verstanden werden.

c) Satz 3 könnte eine Regelungswirkung haben, indem er eine gesetzliche Haftungsregelung abändert.

aa) Grundsätzlich haftet der beleihende Staat für Schadenszufügungen durch den Beliehenen nach Staatshaftungsgrundsätzen (Art. 34 GG, § 839 BGB). BVerwG Abs.-Nr. 21: Es entspricht mittlerweile allgemeiner Ansicht, die Anwendung des Art. 34 Satz 1 GG auf Beliehene zu erstrecken. Auch ein Beliehener handelt im Sinne dieser Vorschrift als „jemand“ „in Ausübung eines ihm anvertrauten öffentlichen Amtes“, nämlich in Wahrnehmung der ihm übertragenen öffentlichen Aufgabe unter Einsatz hoheitlicher Befugnisse (BGHZ 161, 6, 10; st. Rspr., vgl.…BGHZ 122, 85, 87 f. und BGHZ 147, 169, 171 ff; allgemein Ossenbühl, Staatshaftungsrecht, 5. Aufl. 1998, S. 12 ff.; Papier in: Münchener Kommentar zum BGB, Band 5, 5. Aufl. 2009, Rn. 130 m. w. N.). Die Erstreckung findet ihren Grund in der Erwägung, dass es für den Geschädigten keinen Unterschied machen dürfe, ob der Schaden durch hoheitliches Handeln eines öffentlichen Bediensteten oder eines beliehenen Privaten verursacht wird; in beiden Fällen soll ihm die Überleitung der Einstandspflicht auf den Staat eine genügende Haftungsgrundlage sichern (vgl. statt aller nur Ossenbühl, Staatshaftungsrecht, S. 114).

bb) An diese Haftung knüpft Satz 3 an und verpflichtet K, das Land B von der Haftung freizustellen, was vor allem dadurch geschehen kann, dass K dem Dritten den bei ihm eingetretenen Vermögensschaden ersetzt. BVerwG Abs.-Nr. 13: Die - analog § 133 BGB vorzunehmende - Auslegung ergibt, dass die Klägerin für Schäden, die sie in Wahrnehmung der ihr übertragenen Kontrollaufgabe Dritten zufügt, im Innenverhältnis zum Beklagten aufzukommen hat, und zwar in vollem Umfang, also ohne Beschränkung auf schweres Verschulden (Vorsatz, grobe Fahrlässigkeit) und ohne Begrenzung auf bestimmte Haftungssummen.

2. Ob es sich dabei - wie das Landesamt in seiner Begründung ausführt - um eine Auflage i. S. des § 36 II Nr. 4 VwVfG handelt, braucht an dieser Stelle nicht entschieden zu werden, weil sowohl im Falle einer Auflage als auch im anderen Falle eine Teil-Anfechtung zulässig ist.

a) Nach neuerer Rechtsprechung (BVerwGE 112, 221; 131, 11) können Nebenbestimmungen, die sich logisch vom VA trennen lassen, Gegenstand einer Teil-Anfechtung sein. Es kommt dabei nicht mehr auf die begriffliche Einordnung gemäß § 36 II Nr. 1 - 5 VwVfG an. Beleihung und Haftungsregelung lassen sich logisch klar trennen. Die Frage, ob die Nebenbestimmung isoliert aufgehoben werden kann, ist eine Frage der Begründetheit der Klage. Eine Klage ist trotz Rechtswidrigkeit der Nebenbestimmung unbegründet, wenn der nach Aufhebung der Teil-Regelung verbleibende RestVA nicht sinnvoll und rechtmäßig fortbestehen kann. Eine Ausnahme von der isolierten Anfechtbarkeit einer Nebenbestimmung kommt nur bei der sog. modifizierenden Auflage in Betracht. Eine solche liegt hier aber nicht vor. Die Haftungsregelung ist zwar nur zusammen mit der Beleihung sinnvoll, modifiziert diese aber nicht.

b) Auch wenn es sich im vorliegenden Fall nicht um eine Nebenbestimmung i. S. des § 36 II VwVfG, sondern um eine Nebenbestimmung eigener Art handeln sollte (solche gibt es, vgl. Bünte/Knödler NVwZ 2010, 1331 für das Ausländerrecht), ist diese, da sie sich vom HauptVA Beleihung logisch trennen lässt, isoliert anfechtbar.

Somit handelt es sich um eine gegen Ziff. 5 Satz 3 des Beleihungsbescheids gerichtete Anfechtungsklage.

III. Die Klagebefugnis (§ 42 II VwGO) steht K zu, weil sie geltend machen kann, die sie belastende Haftungsregelung verletze sie in ihrem Grundrecht aus Art. 12 I, 19 III GG.

IV. Das nach § 68 VwGO grundsätzlich erforderliche Widerspruchsverfahren ist im Lande B abgeschafft. Weitere Zulässigkeitsbedenken bestehen nicht. Die Teil-Anfechtungsklage ist zulässig.

B. Begründetheit der Klage

I. Nach § 113 I 1 VwGO ist erste Voraussetzung der Begründetheit, dass der angefochtene VA rechtswidrig ist. Im vorliegenden Fall müsste Ziff. 5 Satz 3 rechtswidrig sein. Formelle Bedenken gegen die Rechtmäßigkeit der Beleihung selbst und der Ziff. 5 des Bescheids bestehen nicht. Der K wurde die Regelung angekündigt, worin eine Anhörung i. S. des § 28 VwVfG zu sehen ist. Die Begründung entspricht dem § 39 VwVfG. In materieller Hinsicht steht die Frage der Ermächtigungsgrundlage im Vordergrund. Ist eine Ermächtigungsgrundlage vorhanden, ist sie anzuwenden. Andernfalls stellt sich die Frage, ob eine Ermächtigungsgrundlage erforderlich ist.

1. Für die Beleihung findet sich die Rechtsgrundlage in der EU-VO und im ÖLG. Von einer Haftungsregelung ist dort aber nicht die Rede. Andernfalls hätte das Landesamt die Haftungsregelung auf die Spezialregelung in der EU-VO oder im ÖLG gestützt und nicht auf VwVfG und Staatshaftungsrecht.

2. § 36 II Nr. 4 VwVfG, auf den das Landesamt die Ziff. 5 gestützt hat, hat eine Auflage zu Voraussetzung und außerdem einen ErmessensVA; ferner muss der Erlass der Auflage pflichtgemäßem Ermessen entsprechen.

a) Rein begrifflich lässt sich die Haftungsregelung als eine Bestimmung verstehen, die der durch die Beleihung begünstigten K-GmbH ein Tun auferlegt (durch Gebot), nämlich bei Inanspruchnahme des Landes dieses von der Haftung freizustellen. Auch ist die Beleihung kein gebundener VA, sondern beruht auf einer Ermessensentscheidung. Jedoch ist Sinn der Ziff. 5 nicht, der K ein Handeln abzuverlangen, sondern eine - möglicherweise von der gesetzlichen Haftungsregelung abweichende - Haftungsregelung zu schaffen. Das Haftungsrisiko für Schäden, die durch die Tätigkeit der K entstehen können, soll vom Land auf die K verlagert werden. Das möglicherweise gebotene Handeln der K, nach Schadenseintritt den Schadensbetrag an den Geschädigten zu überweisen, tritt vollständig hinter die Haftungsregelung zurück. Ziff. 5 ist deshalb als Nebenbestimmung eigener Art eine Nebenbestimmung (nur) im weiteren Sinne. (Dazu, dass es solche gibt, vgl. Bünte/Knödler NVwZ 2010, 1331/2, die in einem der Aufenthaltserlaubnis beigefügten Beschäftigungsverbot - ebenso einer Beschäftigungserlaubnis - eine solche NB eigener Art sehen.) Somit enthält Ziff. 5 Satz 3 keine Auflage, § 36 II Nr. 4 VwVfG ist keine Ermächtigungsgrundlage.

b) Selbst wenn eine Auflage angenommen würde, entspräche es nicht pflichtgemäßem Ermessen, der Beleihung durch Auflage eine Änderung der haftungsrechtlichen Regelungen beizufügen. Ob die Haftungsregelung verändert wird, kann nicht in Anwendung des § 36 VwVfG entschieden werden, sondern muss sich am Staatshaftungsrecht ausrichten. (Das BVerwG und die Vorinstanz haben im vorliegenden Originalfall den § 36 VwVfG nicht einmal erwähnt.) Die Vereinbarkeit der Ziff. 5 mit dem Staatshaftungsrecht ist im Folgenden zu prüfen.

3. Ziff. 5 Satz 3 des Bescheids könnte gegen Art. 34, 2 GG verstoßen, was zur Rechtswidrigkeit führen würde.

a) Nach Art. 34, 2 GG bleibt im Falle einer Inanspruchnahme des haftenden Staates nach Art. 34, 1 GG der Rückgriff nur im Falle von Vorsatz oder grober Fahrlässigkeit vorbehalten; ein genereller Rückgriff, so wie ihn Ziff. 5 Satz 3 des Beleihungsbescheides enthält, ist danach nicht vorgehen. Allerdings wird Art. 34, 2 GG ebenso verstanden wie 34, 1 GG, nämlich als bloß grundsätzliche Regelung, die abweichende Regelungen zulässt. Diese bedürfen aber eines Gesetzes, eine Nebenbestimmung im Einzelfall reicht nicht aus. BVerwG Abs.-Nr. 17, 18: Art. 34 Satz 1 GG legt nur Grundsätze fest, die Abweichungen - Ausdehnungen der Haftung ebenso wie Einschränkungen - zugänglich sind. Das ergibt sich schon aus dem Wortlaut („grundsätzlich“) und entspricht allgemeiner Auffassung (vgl. nur BVerfGE 61, 149, 194, 199 f.). Abweichungen bedürfen aber einer gesetzlichen Regelung. Das sagt Art. 34 Satz 1 GG zwar nicht ausdrücklich. Es folgt aber aus der Entstehungsgeschichte. Die Vorschrift geht auf Art. 131 WRV zurück, der in Absatz 2 ausdrücklich bestimmte, dass „die nähere Regelung der zuständigen Gesetzgebung (obliegt)“. Daran wollte der Grundgesetzgeber nichts ändern (BVerfGE 61, 149, 197 f., 200). Auch hierüber besteht allgemeine Einigkeit. Für Art. 34 Satz 2 GG gilt nichts anderes. Der Gesetzesvorbehalt des Art. 131 Abs. 2 WRV bezog sich auf den gesamten Inhalt des voranstehenden Absatzes und damit auch auf die dem Art. 34 Satz 2 GG entsprechende Bestimmung des Art. 131 Abs. 1 Satz 2 WRV. Hinzu kommt, dass Art. 34 Satz 2 GG den Innenregress nicht schon anordnet, sondern lediglich vorbehält. Das versteht sich gerade als Gesetzesvorbehalt.

b) Art. 34 Satz 2 GG findet jedoch auf Private keine Anwendung, selbst wenn sie als Amtsträger im haftungsrechtlichen Sinne für den Staat hoheitlich tätig werden. Insofern bleibt der Anwendungsbereich des Art. 34 Satz 2 GG hinter demjenigen des Art. 34 Satz 1 GG zurück. Das ist nicht erst das Ergebnis einer teleologischen Reduktion (so aber - für den Verwaltungshelfer - BGHZ 161, 6, 11 f.); vielmehr besteht hier - anders als bei Art. 34 Satz 1 GG - kein Anlass, die an sich nur für öffentliche Bedienstete gedachte Vorschrift auf hoheitlich tätige Private zu erstrecken.

BVerwG Abs.-Nrn. 20 - 22: Der Verfassunggeber hatte bei Erlass des Art. 34 GG nur den öffentlichen Dienst im Auge. Insofern schließt die Vorschrift an Art. 33 Abs. 4 GG an. Im Parlamentarischen Rat wurde lediglich erörtert, dass die mittelbare Staatshaftung nicht nur für Amtspflichtverletzungen von Beamten im staatsrechtlichen Sinne eingreifen müsse, sondern - über den Wortlaut von § 839 BGB hinaus - auch für solche von nichtbeamteten Angehörigen des öffentlichen Dienstes; hierüber bestand Einigkeit (vgl. JöR 1 n. F., S. 329). Die Frage der Staatshaftung für Private wurde hingegen nicht erwogen.

Die Interessen des Geschädigten erfordern nicht, den Rückgriff des Staates gegen den Amtsträger zu beschränken. Art. 34 Satz 2 GG, der diese Beschränkung vorsieht, liegt vielmehr ein anderer - doppelter - Zweck zugrunde. Zum einen soll die Entschlussfreude des Amtsträgers gestärkt und damit die Effektivität des hoheitlichen Staatshandelns gefördert, zum anderen der Fürsorgepflicht des Dienstherrn gegenüber seinen Bediensteten Rechnung getragen werden (BGHZ 161, S. 13 m. w. N.; vgl. von Danwitz in: von Mangoldt/Klein/Starck, Grundgesetz, 5. Aufl. 2005, Rn. 125 zu Art. 34 GG; Bryde in: von Münch/Kunig, Grundgesetz, Band 2, 5. Aufl. 2001, Rn. 37 zu Art. 34 GG…. Erst das regelhafte - nicht nur in Ausnahmefällen gegebene - Zusammentreffen beider Zwecke trägt die Entscheidung des Verfassunggebers, die Möglichkeit des Rückgriffs gegen den Amtsträger auf Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit zu beschränken… Das aber schließt die Ausdehnung der Vorschrift auf private Amtsträger aus. Es liegt auf der Hand, dass jedenfalls der Gesichtspunkt der Fürsorge ganz auf die eigenen Bediensteten des Staates zielt, über die Beamten im staatsrechtlichen Sinne hinaus auch auf die Angestellten und Arbeiter im öffentlichen Dienst, dass er aber für Private außerhalb des öffentlichen Dienstes, auch wenn sie hoheitlich tätig werden, nicht oder doch nur in Ausnahmefällen besonderer Schutzbedürftigkeit - etwa zugunsten von Schülerlotsen oder Aufsichtsschülern - greift (vgl. BGHZ 161, 11 ff.).

Somit ergibt sich aus Art. 34, 2 GG weder die Rechtswidrigkeit noch die Rechtmäßigkeit der Ziff. 5 Satz 2 des Beleihungsbescheids.

4. Aus dem rechtsstaatlichen Prinzip vom Vorbehalt des Gesetzes könnte sich ergeben, dass es für Ziff. 5 Satz 3 des Bescheids einer Ermächtigungsgrundlage bedarf, die aber nicht vorhanden ist.

a) Der Vorbehalt des Gesetzes gilt für belastende Eingriffe in Grundrechte sowie für alle in einer Demokratie wesentlichen Entscheidungen (Wesentlichkeitstheorie). Zwar ließe sich der Haftungsrückgriff im Falle einer Beleihung als belastender Eingriff in das Grundrecht der K aus Art. 12 I GG verstehen. Das BVerwG stellt darauf jedoch nicht ab, sondern wendet eine weitere Fallgruppe des Gesetzesvorbehalts an, den institutionellen oder organisatorischen Gesetzesvorbehalt. Danach bedürfen bestimmte organisatorische Entscheidungen eines Gesetzes, wobei zur Konkretisierung die Wesentlichkeitstheorie mit herangezogen wird. BVerwG Abs.-Nrn. 24 - 26:

aa) Es entspricht allgemeiner Überzeugung, dass eine Beleihung nur durch oder aufgrund Gesetzes erfolgen darf. Dies findet seine Grundlage zunächst in Art. 33 Abs. 4 GG, demzufolge hoheitliche Befugnisse in der Regel Angehörigen des öffentlichen Dienstes zu übertragen sind, die in einem öffentlich-rechtlichen Dienst- und Treueverhältnis stehen; das sichert nicht nur einen Funktionsvorbehalt für Beamte im staatsrechtlichen Sinne gegenüber anderen öffentlichen Bediensteten, sondern auch einen weitergehenden Funktionsvorbehalt für öffentliche Bedienstete gegenüber privaten Dritten. Ausnahmen von dieser Regel setzen daher eine Entscheidung des Gesetzgebers voraus (BVerwGE 57, 55, 58 ff.; NVwZ 2006, 829…Der Gesetzesvorbehalt wird von Art. 33 Abs. 4 GG jedoch nicht vollständig erfasst. Die Beleihung Privater mit hoheitlichen Befugnissen stellt auch unabhängig hiervon eine Maßnahme der Staatsorganisation dar, die vom Regelbild der Verfassungsordnung abweicht und dabei die Verfassungsgrundsätze des Rechtsstaats- und des Demokratiegebots berührt. Auch deshalb ist sie dem Gesetzgeber vorbehalten… Der Gesetzgeber muss beurteilen, ob für eine Indienstnahme Privater Gründe sprechen, die gewichtiger sind als der Eintrag, den die Rechtsgüter des Art. 33 Abs. 4 GG, das Rechtsstaats- oder das Demokratiegebot erleiden (vgl. BVerfGE 9, 268, 284…; Rennert JZ 2009, 976, 980). Das betrifft zunächst nur das „Ob“ einer Beleihung.

bb) Darin erschöpft es sich jedoch nicht. Vielmehr können auch einzelne Modalitäten der Beleihung derart wesentlich sein, dass sie der Entscheidung des Gesetzgebers vorbehalten sind. Was in diesem Sinne wesentlich ist, lässt sich nicht allgemein feststellen. Maßgeblich ist jeweils, ob und in welchem Maße die verfassungsrechtlichen Grundsätze des Staatsorganisationsrechts oder andere Verfassungssätze betroffen sind. Das wurde in Rechtsprechung und Lehre bislang vornehmlich mit Blick auf das Demokratieprinzip entwickelt. So lässt eine eher punktuelle, auf seltene Sonderfälle beschränkte Beleihung wie etwa diejenige eines Schiffskapitäns zur Vornahme bestimmter standesamtlicher Hoheitsakte auf hoher See insofern keinen besonderen gesetzgeberischen Entscheidungsbedarf erkennen. Umgekehrt riefe die Substitution einer gesamten Behörde durch eine größere Gesellschaft des Privatrechts einen erheblichen Klärungsbedarf im Hinblick auf eine hinlängliche demokratische Legitimation des hoheitlichen Handelns dieser Gesellschaft und der für sie Handelnden hervor… Zu den Modalitäten einer Beleihung, die hiernach dem Gesetzgeber vorbehalten sind, zählt die Zulassung des Haftungsrückgriffs auf den Beliehenen auch bei einfacher Fahrlässigkeit.Auch hier greift der Rechtsgedanke des Art. 34, 2 GG ein, soweit er darauf zielt, die Entschlussbereitschaft des Handelnden zu erhalten. Dieser Zweck knüpft nicht an die Person des Handelnden an, sondern an den - hoheitlichen - Charakter des Handelns als solches. Er dient damit der Effizienz des hoheitlichen Handelns, das von bremsender Rücksicht auf mögliche Haftungsrisiken freigehalten werden soll. Diese Zielrichtung hat in Art. 34 Satz 2 GG zwar - wie gezeigt - nur für den Umkreis des öffentlichen Dienstes Niederschlag gefunden; sie besitzt aber Bedeutung für jedwedes hoheitliche Verwaltungshandeln, unabhängig davon, ob der Staat durch eigenes Personal selbst handelt oder vermittels eines privaten Beliehenen.

Somit unterfällt Ziff. 5 Satz 3 des Beleihungsbescheids als wesentliche Modalität der Beleihung dem Gesetzesvorbehalt.

b) BVerwG Abs.-Nr. 29: Die nach allem erforderliche gesetzliche Grundlage für die hier umstrittene Haftungsregelung fehlt (wird vom BVerwG unter Abs.-Nrn. 32 und 34 näher dargelegt). Somit ist die Haftungsregelung der Ziff. 5 Satz 3 rechtswidrig.

II. BVerwG Abs.-Nr. 43: Stellt sich die angefochtene Haftungsregelung nach allem mangels gesetzlicher Grundlage als rechtswidrig dar, so wird die Klägerin dadurch auch in ihren Rechten, nämlich in ihrem Grundrecht aus Art. 12 Abs. 1, Art. 19 Abs. 3 GG verletzt (vgl. § 113 Abs. 1 Satz 1 und 4 VwGO). Die Klägerin ist als Kontrollstelle von Öko-Landbau-Unternehmen tätig; das ist ihr Beruf. Mit Erlass des Öko-Landbaugesetzes hat der Gesetzgeber die Kontrolle von Öko-Landbau-Unternehmen zur öffentlichen Aufgabe erklärt und bestimmt, dass diese Aufgabe künftig hoheitlich wahrzunehmen sei. Er hat den bislang in diesem Bereich tätigen Kontrollunternehmen die weitere Kontrolltätigkeit zwar nicht völlig verwehrt, sie aber durch § 4 ÖLG von einer Zulassung als Kontrollstelle abhängig gemacht und sie durch § 2 Abs. 3 ÖLG - nach Wahl des jeweiligen Landes - entweder als Verwaltungshelfer in die behördliche Wahrnehmung der Kontrolle eingebunden oder aber mit der eigenständigen Wahrnehmung der Kontrolle beliehen. Das stellt einen Eingriff in ihre Berufsfreiheit dar… Die Klägerin muss einen Eingriff in die Berufsfreiheit nur dann hinnehmen, wenn dieser in jeder Hinsicht rechtmäßig ist (st. Rspr.; vgl. BVerfGE 6, 32, 37 ff.). Das ist hier aber, wie oben unter I. ausgeführt wurde, nicht der Fall.

Ergebnis: Die Teil-Anfechtungsklage ist zulässig und begründet, hat also Aussicht auf Erfolg.


Zusammenfassung

Leitsätze des BVerwG: