Bearbeiter: Prof. Dieter Schmalz

Prüfungsrecht; erste juristische Staatsprüfung. Verpflichtungsklage auf Neubescheidung, § 113 V 2 VwGO. VA-Charakter einzelner Benotungen, § 35 VwVfG. Beurteilungs- und Bewertungsspielraum; gerichtliche Überprüfbarkeit. Widerspruchsverfahren, § 68 VwGO; gespaltener Widerspruchsbescheid

BVerwG
Urteil vom 23. 5. 2012 (6 C 8.11) NJW 2012, 2901

Fall
(Examensarbeit nicht zu schaffen)

Jurastudentin S, die im Land L wohnt und dort auch studiert hat, unterzog sich der ersten juristischen Staatsprüfung vor dem zuständigen Justizprüfungsamt. Nach dem Juristenausbildungsgesetz des Landes L hatte sie eine Hausarbeit und vier Klausuren zu schreiben. Die von ihr dabei erzielten Ergebnisse erreichten nicht die für ein Bestehen der schriftlichen Prüfung notwendige Punktzahl, so dass S am 1. 2. den Bescheid erhielt, dass sie die Prüfung nicht bestanden hat. Die Einsichtnahme in die Bewertungen ergab, dass die wesentliche Kritik an der Hausarbeit darin bestand, dass die Bearbeitung unvollständig sei; an der BGB- und der Strafrechtsklausur wurde kritisiert, dass die Bearbeitung sich nicht vorwiegend an der Rechtsprechung orientiert habe. S erhob - den im Lande L bei Prüfungsentscheidungen noch zulässigen - Widerspruch. Darin machte sie geltend, die Aufgabe der Hausarbeit sei zu umfangreich gewesen. Bei den beiden Klausuren sei sie vorwiegend Meinungen gefolgt, die auch in der Kommentar- und Lehrbuchliteratur vertreten würden. Der Widerspruchsbescheid vom 2. 4., der von der hierfür zuständigen Leitung des Justizprüfungsamtes mit Rechtsbehelfsbelehrung erlassen wurde, führte aus, die Bewertungen der beiden Klausuren hielten sich innerhalb des der Prüfungskommission zustehenden Spielraums und seien nicht zu beanstanden; insoweit sei der Widerspruch als unbegründet zurückzuweisen. Dagegen sei die Aufgabenstellung der Hausarbeit so umfangreich gewesen, dass sie innerhalb der zur Verfügung stehenden Zeit nicht zu schaffen war. Der Bescheid vom 1. 2. wurde aufgehoben, um S Gelegenheit zu geben, eine neue Hausarbeit zu schreiben.

Auch nach Anfertigung der neuen Hausarbeit reichten die von S durch die Hausarbeit und die Klausuren erreichten Punkte nicht für das Bestehen der schriftlichen Prüfung, so dass S am 3. 7. den erneuten Bescheid erhielt, dass sie die Prüfung nicht bestanden habe. Bei der Hausarbeit wurde beanstandet, dass die Begründungen weithin zu oberflächlich und deshalb zu wenig überzeugend seien. Dagegen erhob S wiederum Widerspruch und führte zu der Beurteilung der Hausarbeit aus, es habe sich um eine praktische Arbeit aus dem Polizei- und Ordnungsrecht gehandelt, bei der vertiefte wissenschaftliche Ausführungen fehl am Platze gewesen seien. Der zurückweisende Widerspruchsbescheid vom 4. 9. hielt die Bewertung der zweiten Hausarbeit für nicht fehlerhaft. Über die Bewertung der Klausuren sei bereits abschließend im Bescheid vom 2. 4. entschieden worden, so dass das Nichtbestehen der Prüfung feststehe. S fragt, ob sie noch eine Möglichkeit hat, gegen das Nichtbestehen der Prüfung verwaltungsgerichtlich vorzugehen. Sie weist darauf hin, dass ihr für das Bestehen der schriftlichen Prüfung lediglich zwei Punkte fehlen.

A. Es könnte eine verwaltungsgerichtliche Klage zulässig sein.

I. Die Zulässigkeit des Verwaltungsrechtsweges folgt aus § 40 I 1 VwGO. Die streitentscheidenden Normen ergeben sich aus dem Juristenausbildungsgesetz (JAG) des Landes L und den Vorschriften der VwGO über die Nachprüfung einer Verwaltungsentscheidung im Widerspruchsverfahren (§§ 68 ff. VwGO). Dabei handelt es sich um öffentlich-rechtliche Vorschriften, so dass eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit gegeben ist. Die Streitigkeit ist auch nichtverfassungsrechtlicher Art und keinem anderen Gericht zugewiesen.

II. Das für die Bestimmung der Klageart maßgebende Klagebegehren (§ 88 VwGO) der S geht dahin, dass sie letztlich das Bestehen der juristischen Staatsprüfung erstrebt. Dieses wird durch einen - ein Recht einräumenden - Verwaltungsakt ausgesprochen, so dass eine Verpflichtungsklage (§ 42 I VwGO) die richtige Klageart ist. Allerdings ist angesichts der Eigenart einer Prüfungsentscheidung nicht anzunehmen, dass das VG das JPA dazu verurteilt, das Bestehen der Prüfung durch S auszusprechen. Auch wäre die abschließende Entscheidung über das Bestehen der ersten juristischen Staatsprüfung nicht spruchreif, weil S sich noch der mündlichen Prüfung unterziehen müsste. S wird deshalb nur eine Verurteilung zu einer Neubewertung und Neubescheidung ihrer schriftlichen Arbeiten erreichen können. Auch dabei handelt es sich aber um eine Verpflichtungsklage in der Form der Bescheidungsklage (§ 113 V 2 VwGO).

Im Originalfall (aus Hessen) hatte die Klägerin im wesentlichen beantragt (vgl. BVerwG [5]), dem Beklagten aufzugeben, sie zur erneuten Anfertigung einer Examenshausarbeit zuzulassen, hilfsweise, ihre Examenshausarbeit nach Maßgabe der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu bewerten, sie zur erneuten Anfertigung der Aufsichtsarbeiten zuzulassen, hilfsweise, die von ihr erstellten Aufsichtsarbeiten…nach Maßgabe der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu bewerten…

III. Die Klagebefugnis (§ 42 II VwGO) ergibt sich daraus, dass S geltend machen kann, aus dem JAG einen Anspruch auf eine fehlerfreie Bewertung ihrer Prüfungsleistungen zu haben und in diesem Recht verletzt zu sein. Außerdem kann sie sich auf ihr Recht zur freien Berufswahl (Art. 12 I GG) berufen und dessen Verletzung geltend machen.

IV. Das Widerspruchsverfahren nach § 68 II, I VwGO ist durchgeführt und ohne Erfolg geblieben.

V. Die Klage kann frist- und formgerecht erhoben werden und ist zulässig.

B. Die Begründetheit der Verpflichtungsklage richtet sich nach § 113 V VwGO. Sie hat zur Voraussetzung, dass der von S letztlich beantragte VA, die Prüfung für bestanden zu erklären, rechtswidrig abgelehnt wurde und S dadurch in ihren Rechten verletzt wird. Das ist wiederum der Fall, wenn einzelne oder alle der drei von S beanstandeten Beurteilungen der schriftlichen Arbeiten fehlerhaft erfolgt sind.

I. Bei der Beurteilung von Prüfungsarbeiten und anderen Prüfungsleistungen wird den Prüfenden ein Beurteilungs- oder Bewertungsspielraum zuerkannt (BVerfGE 84, 34, für juristische Staatsprüfungen). Er lässt sich damit begründen, dass die Bewertungskriterien im Gesetz oder der Prüfungsordnung nur unbestimmt bezeichnet werden, dass Prüfer Einschätzungen und Erfahrungen aus vergleichbaren Prüfungen heranziehen müssen und dass bei mündlichen Prüfungen die Prüfungssituation nur begrenzt oder gar nicht rekonstruierbar ist. Auch würde eine volle gerichtliche Überprüfung mit der Möglichkeit einer Neubewertung denen, die gegen die Prüfungsentscheidung klagen, verbesserte Chancen einräumen und gegen das Gebot zur Chancengleichheit verstoßen. Rechtswidrig ist die Beurteilung einer Prüfungsleistung erst dann, wenn die eingeräumte Bewertungsbefugnis überschritten ist. Dazu BVerwG AZ. 6 B 18.11, Beschluss vom 16. 8. 2011, unter [16]:

1. Der Bewertungsspielraum ist überschritten, wenn die Prüfungsbehörden Verfahrensfehler begehen, anzuwendendes Recht verkennen, von einem unrichtigen Sachverhalt ausgehen, allgemeingültige Bewertungsmaßstäbe verletzen oder sich von sachfremden Erwägungen leiten lassen. Ein in diesem Sinne allgemeingültiger Bewertungsgrundsatz ist es, dass zutreffende Antworten und brauchbare Lösungen im Prinzip nicht als falsch bewertet werden und zum Nichtbestehen führen dürfen. Soweit die Richtigkeit oder Angemessenheit von Lösungen wegen der Eigenart der Prüfungsfrage nicht eindeutig bestimmbar sind, gebührt zwar dem Prüfer ein Bewertungsspielraum, dem aber ein Antwortspielraum des Prüflings gegenübersteht. Eine vertretbare und mit gewichtigen Argumenten folgerichtig begründete Lösung darf nicht als falsch bewertet werden. Überschritten wird der Beurteilungsspielraum ferner, wenn eine Bewertung auf einer wissenschaftlich-fachlichen Annahme des Prüfers beruht, die einem Fachkundigen als unhaltbar erscheinen muss (…).

2. Gegenstände des prüfungsspezifischen Beurteilungsspielraums sind etwa die Punktevergabe und Notengebung, soweit diese nicht mathematisch determiniert sind, die Einordnung des Schwierigkeitsgrades einer Aufgabenstellung, bei Stellung verschiedener Aufgaben deren Gewichtung untereinander, die Würdigung der Qualität der Darstellung, die Gewichtung der Stärken und Schwächen in der Bearbeitung sowie die Gewichtung der Bedeutung eines Mangels (…). Ebenso handelt es sich um eine dem Prüfer vorbehaltene prüfungsspezifische Wertung, ob im Hinblick auf eine entsprechend definierte Notenstufe bzw. zugeordnete Punktzahl eine Prüfungsleistung als „brauchbar“ zu bewerten ist (…).

II. Bei der (zweiten) Hausarbeit wurde beanstandet, dass die Begründungen weithin zu oberflächlich und deshalb zu wenig überzeugend waren. Dabei handelt es sich um eine Würdigung der Qualität der Darstellung i. S. von oben I 2, also um eine prüfungsspezifische Wertung. Einer der oben I 1 aufgeführten Beurteilungsfehler liegt nicht vor. Die Beurteilung der Hausarbeit weist deshalb keinen Beurteilungsfehler auf, insoweit ist die Prüfungsentscheidung nicht rechtswidrig.

III. Eine Rechtswidrigkeit könnte sich aus der Beurteilung der BGB- und der Strafrechtsklausur ergeben.

1. Insoweit ist allerdings zunächst zu klären, ob diese Beurteilungen noch überprüft werden können. Nach den Ausführungen im (zweiten) Widerspruchsbescheid ist das nicht der Fall.

a) Die Beurteilungen der Klausuren könnten VAe sein, die dadurch unanfechtbar geworden sind, dass S den diese Beurteilungen für rechtmäßig erklärenden Widerspruchsbescheid vom 2. 4. nicht angegriffen hat.

aa) BVerwG im vorliegenden Fall unter [13]: Eine gerichtliche Überprüfung findet nicht statt, soweit es sich bei einem angegriffenen Verwaltungshandeln um einen in Bestandskraft erwachsenen VA handelt. Das Institut der Bestandskraft, das sich aus dem Ziel der Rechtssicherheit rechtfertigt und im Verwaltungsprozessrecht über die Normierung von Widerspruchs- und Klagefristen für Anfechtungs- und Verpflichtungsbegehren im Näheren ausgestaltet wird, ist mit Art. 19 Abs. 4 GG vereinbar (BVerfGE 60, 253, 269).

bb) Einzelbeurteilungen im Prüfungsverfahren sind nur dann VAe i. S. des § 35 VwVfG, wenn sie bereits eine abschließende (Teil-) Regelung enthalten. BVerwG [14]: Der Senat hat wiederholt ausgesprochen, dass die Benotungen einzelner Prüfungsleistungen regelmäßig keine selbständige rechtliche Bedeutung haben, sondern lediglich eine Grundlage der behördlichen Entscheidung über das Bestehen und Nichtbestehen der Prüfung bilden, die ihrerseits eine rechtliche Regelung enthält und daher den VA darstellt, der im verwaltungsgerichtlichen Verfahren auf seine Rechtmäßigkeit hin überprüft werden kann (…). Ferner hat der Senat hervorgehoben, dass der Bewertung einer einzelnen Prüfungsleistung in der jeweiligen Prüfungsordnung aufgrund einer besonderen Ausgestaltung des Prüfungsverfahrens eine selbständige rechtliche Bedeutung zuerkannt sein kann (…). Der vorliegende Fall gibt dem Senat Gelegenheit zu der Klarstellung, dass die Frage, ob einer Einzelnote Regelungsqualität im Sinne von § 35 Satz 1 VwVfG zukommt, ausschließlich anhand der jeweiligen Prüfungsordnung zu klären ist. Allerdings ist im vorliegenden Fall, wie häufig, davon auszugehen, dass die Prüfungsordnung keine Bestimmungen über den Rechtscharakter der einzelnen Noten enthält. Für diesen Fall fährt das BVerwG fort: Fehlen dort ausdrückliche Festlegungen, ist sie mithilfe der üblichen Auslegungsmethoden zu beantworten. Danach ist auf den obigen Grundsatz zurückzukommen, wonach die Benotung einzelner Prüfungsleistungen grundsätzlich keine selbständige rechtliche Bedeutung hat, sondern erst die abschließende Entscheidung über das Bestehen oder Nichtbestehen der Prüfung den VA darstellt. Folglich ist im Hinblick auf die Teilnoten eine selbständige Angreifbarkeit weder möglich noch erforderlich, um eine Bestandskraft zu vermeiden.

Somit sind die Benotungen der beiden Klausuren nicht wegen eines ihnen von vornherein zukommenden VA-Charakters bindend geworden.

b) Jedoch könnte der Widerspruchsbescheid vom 2. 4., der den Widerspruch der S gegen die Einzelnoten für unbegründet und als zurückzuweisen erklärt, dahin verstanden werden, dass er den Beurteilungen der Klausuren VA-Charakter zuerkennt.

aa) Nach § 79 I Nr. 1 VwGO ist bei der Anfechtungsklage Streitgegenstand der ursprüngliche VA in der Gestalt des Widerspruchsbescheids. Da dem Verwaltungsprozess das Prinzip zugrunde liegt, dass Ausgangsbescheid und Widerspruchsbescheid zu einer Einheit verschmelzen, und dieser Rechtsgedanke auch auf die Verpflichtungsklage zutrifft, kann § 79 I Nr. 1 auf die Verpflichtungsklage analog angewendet werden (allerdings streitig, vgl. Kopp/Schenke, VwGO, 17. Aufl. 2011, § 79 Rdnr. 3; Posser/Wolff, VwGO, 2008, § 79 Rdnr. 6). Darüber hinaus wird § 79 I Nr. 1 (analog) auch auf den Fall angewendet, dass die ursprüngliche Maßnahme kein VA war, sondern erst vom Widerspruchsbescheid als VA beurteilt wird (BVerwGE 78, 3). Eine im Ergebnis dahingehende Auffassung hatte das BerGer. im vorliegenden Fall vertreten (und wurde in obigem Sachverhalt als Inhalt des Widerspruchsbescheids vom 4. 9. wiedergegeben). Vgl. BVerwG [4]: Nach den Ausführungen des BerGer. habe die Klägerin insoweit keinen schutzwürdigen Rechtsanspruch auf eine gerichtliche Überprüfung. Aus der Einheit der Prüfung folge, dass die Bewertungen derjenigen Einzelleistungen, gegen die der Kandidat innerhalb der Rechtsmittelfristen keine Einwände erhebe, als feststehende Berechnungsgrundlage in den neuerlichen Prüfungsbescheid einflössen. Der Widerspruchsbescheid vom 2. 4. …habe die Fortsetzung des Prüfungsverfahrens nur im Hinblick auf die Hausarbeit zugestanden. Die Noten der Aufsichtsarbeiten hingegen habe die Klägerin bis zum Ablauf der gesetzlichen Rechtsmittelfrist gelten lassen.

bb) Anders das BVerwG, [18]: Ob die Maßnahme einer Behörde die Merkmale eines VA erfüllt, insbesondere eine für den Betroffenen verbindliche, zur Rechtsbeständigkeit führende Regelung bilden soll, ist danach zu beurteilen, wie der Empfänger sie unter Berücksichtigung der ihm erkennbaren Umstände verstehen muss; Unklarheiten gehen zu Lasten der Verwaltung (…BVerwGE 99, 101, 103; vgl. auch Kopp/Ramsauer, VwVfG, 12. Aufl. 2011, § 35 Rn. 54 m. w. N.). Die Klägerin musste aufgrund des Widerspruchsbescheids nicht davon ausgehen, dass der Beklagte mit diesem eine verbindliche, die verwaltungsprozessuale Klagefrist in Lauf setzende verbindliche Entscheidung des Inhalts treffen wollte, wonach hinsichtlich der Aufsichtsarbeiten das Prüfungsverfahren beendet sei und ein Recht der Klägerin auf Neubewertung oder Neuanfertigung ihrer Aufsichtsarbeiten nicht bestehe. Zwar werden in der Begründung des Bescheids die Einwendungen der Klägerin gegen die Bewertungen ihrer Aufsichtsarbeiten als sachlich nicht zutreffend beurteilt und ist hier davon die Rede, ihr Widerspruch sei „als unbegründet zurückzuweisen“. Auf der anderen Seite hat der Widerspruchsbescheid im Tenor den ursprünglichen Prüfungsbescheid vom 1. 2.…vollumfänglich aufgehoben…In Anbetracht dieses Gesamtbildes war aus der Empfängerperspektive nicht darauf zu schließen, dass der Beklagte mit dem Widerspruchsbescheid hinsichtlich der Aufsichtsarbeiten - über die Mitteilung hinausgehend, dass deren Bewertung nicht zu beanstanden…sei - eine rechtsverbindliche Entscheidung über das Nichtbestehen eines Anspruchs auf erneute Bewertung bzw. Prüfungswiederholung herbeiführen wollte, gegen die zur Vermeidung eines Verlusts des gerichtlichen Überprüfungsanspruchs innerhalb der Klagefrist Klage zu erheben gewesen wäre.

cc) Für diese Betrachtung spricht auch, dass das JPA zu einer solchen Teilregelung nicht berechtigt gewesen wäre. Es würde sich um einen gespaltenen Widerspruchsbescheid handeln: teilweise Zurückweisung (hinsichtlich der Klausuren), teilweise Stattgabe (hinsichtlich der Hausarbeit); dieser ist aber nicht zulässig. BVerwG [20, 21]:

(1) Stünde der Prüfungsbehörde im Rahmen einer gespaltenen Widerspruchsentscheidung, mit der dem Begehren des Prüflings nach Neubewertung bzw. Prüfungswiederholung hinsichtlich einzelner Prüfungsleistungen entsprochen wird, die Befugnis zu, hinsichtlich der Bewertungen der übrigen Prüfungsleistungen abschlägige, eigenständig bestandskraftfähige Entscheidungen zu treffen, würde die materiell-rechtliche Festlegung, wonach Einzelbewertungen eine selbständige Regelungsqualität abgeht, im praktischen Ergebnis ebenso wie der prozessrechtliche Befund unterlaufen, dass das Institut der Bestandskraft an das Vorliegen eines VA anknüpft. Die Einzelbewertungen würden auf diese Weise einen ähnlichen materiell-rechtlichen und prozessrechtlichen Status erlangen wie Regelungen, welche die Begriffsmerkmale des § 35 Satz 1 VwVfG erfüllen. Dies hätte zur Folge, dass über das Ergebnis ein- und derselben Prüfung unter Umständen unterschiedliche Verwaltungsstreitverfahren zu führen wären.

(2) Im gerichtlichen Verfahren lässt allerdings § 113 V 2 VwGO zu, dass das VG hinsichtlich einzelner Punkte unterschiedliche Rechtsauffassungen äußern kann, die dann im Verhältnis Behörde - Bürger bindend sind. Jedoch hat der Gesetzgeber eine vergleichbare Vorschrift…für das Widerspruchsverfahren nicht erlassen. Gegen eine entsprechende Anwendung von § 113 Abs. 5 Satz 2 VwGO im Widerspruchsverfahren sprechen bereits die unterschiedlichen rechtlichen Rahmenbedingungen von gerichtlicher und widerspruchsbehördlicher Entscheidungstätigkeit. Die Vorschrift trägt dem Erfordernis der Wahrung von Entscheidungsprärogativen der Exekutive insbesondere in Fällen administrativer Ermessens- und Beurteilungsspielräume Rechnung und damit einem Gesichtspunkt, der sich auf das Verhältnis zwischen Widerspruchs- und Ausgangsbehörde in aller Regel nicht übertragen lässt. Hinzu kommt, dass der Verlust des Anspruchs auf (weitere) gerichtliche Überprüfung schwerer wiegt, wenn er bereits im vorprozessualen Stadium eintritt.

c) Somit haben die Ausführungen im Widerspruchsbescheid vom 2. 4. zu den Beurteilungen der beiden Klausuren keine Bindungswirkung und schließen eine Überprüfung der Bewertungen im Verwaltungsprozess gegen die negative Prüfungsentscheidung vom 4. 9. nicht aus.

2. Bei der nunmehr vorzunehmenden Überprüfung der Klausurbeurteilungen ist von den Ausführungen oben I 1 auszugehen. Danach ist es ein allgemeingültiger Bewertungsgrundsatz, dass eine vertretbare und mit gewichtigen Argumenten begründete Lösung nicht als falsch bewertet werden darf. Ob dieser Grundsatz verletzt wurde, lässt sich nach dem Sachverhalt, in dem lediglich die Auffassung der S wiedergegeben wird, nicht entscheiden. Erweist sich aber als zutreffend, dass in den Klausurbearbeitungen Meinungen gefolgt wurde, die in der Kommentar- und Lehrbuchliteratur vertreten werden, liegen Bewertungsfehler vor. Denn Ausführungen im Sinne der Literatur dürfen nicht deshalb, weil die Rechtsprechung anders entscheidet, zur Grundlage einer negativen Beurteilung gemacht werden; vielmehr sind diese durchaus vertretbar und zu akzeptieren. In solchem Fall wären die Bewertungen rechtswidrig und würden S in ihren Rechten verletzen, zumal S nur zwei Punkte zum Bestehen der schriftlichen Prüfung fehlen. S könnte ein Bescheidungsurteil dahin erhalten, dass die Prüfer zu einer Neubewertung der beiden Klausuren verpflichtet werden (§ 113 V 2 VwGO).


Zusammenfassung