Bearbeiter: Prof. Dieter Schmalz

Fortsetzungsfeststellungsklage in der Situation der Verpflichtungsklage; § 113 I 4 VwGO doppelt analog. Klagebefugnis aus Art. 8 EMRK. Erlaubnis zum Erwerb eines Mittels zur Selbsttötung, §§ 3, 5 BtMG. Passive Sterbehilfe. Recht auf Sterben in extremer Lage, Art. 2 I GG. Verfassungskonforme Auslegung des § 5 BtMG

BVerwG
Urteil vom 2. 3. 2017 (3 C 19.15) NJW 2017, 2215

Fall (15 g Pentobarbital)

Frau K (FK), die seit mehr als 25 Jahren mit Herrn K (HK) verheiratet war, erlitt bei einem Sturz in ihrem Haus eine fast vollständige Querschnittslähmung. Sie war vom Hals abwärts gelähmt, musste künstlich beatmet und ernährt werden, hatte häufige Krampfanfälle mit heftigen Schmerzen und wurde ständig medizinisch betreut und gepflegt. Nach dem Urteil der Ärzte hatte sie noch eine Lebenserwartung von mehreren Jahren, aber ohne Aussicht auf Besserung und auch ohne die Möglichkeit, ihr Leiden ausreichend zu lindern. Nach zwei Jahren empfand FK ihre Situation so qualvoll und entwürdigend, dass sie zu dem Entschluss kam, ihr Leben zu beenden. Sie besprach das mit ihrem Ehemann, der gemeinsamen Tochter, den Ärzten und einem Geistlichen, die Verständnis für ihre Entscheidung zeigten. Jedoch erklärten die Ärzte, sie dürften ihr das für eine Selbsttötung nötige Pentobarbital nicht verschreiben. Denkbar sei ein Abstellen der Beatmung, dabei bestehe aber die Gefahr, dass dieses nicht alsbald zum Tode führt und nur weitere Qualen verursacht.

Unter Hinweis auf diese Situation ließ FK beim hierfür zuständigen Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte in ihrem Namen den Antrag stellen, ihr zum Zweck der Durchführung eines begleiteten Suizids den Erwerb von 15 g Natrium-Pentobarbital - die letale Dosis - zu erlauben. Der Antrag wurde mit Bescheid vom 16. Dezember abgelehnt. Darin bestätigte das Bundesinstitut, dass Natrium-Pentobarbital unter das Betäubungsmittelgesetz (BtMG) fällt und dass der Erwerb von Natrium-Pentobarbital durch FK nach § 3 I BtMG erlaubnispflichtig ist. Zwar besteht nach § 4 I BtMG keine Erlaubnispflicht, wenn ein Arzt das Mittel verschreibt. Eine Verschreibung ist aber nach § 13 BtMG nur zulässig, wenn die „Anwendung am oder im menschlichen … Körper begründet ist“, wobei „begründet“ so verstanden wird, dass der Anwendung ein therapeutischer Zweck zugrunde liegen muss, an dem es im Fall einer Selbsttötung aber fehlt. Ist somit eine Erlaubnis erforderlich, kommt § 5 I Nr. 6 BtMG zur Anwendung. Danach muss die Erlaubnis versagt werden, „wenn die Art und der Zweck des beantragten Verkehrs nicht mit dem Zweck dieses Gesetzes, die notwendige medizinische Versorgung der Bevölkerung sicherzustellen…, vereinbar ist.“ Dabei folgt das Bundesinstitut der überwiegend vertretenen Auffassung, wonach zur notwendigen medizinischen Versorgung nur solche Anwendungen gehören, die im Falle einer Krankheit auf Heilung, die Milderung von Krankheit oder auf die Stillung von Schmerzen gerichtet sind, nicht aber die gezielt tödlich wirken. Gegen diesen Bescheid legten FK und HK Widerspruch ein, den das Bundesinstitut zurückwies. Noch vor Erlass des Widerspruchsbescheids gelang es FK, mit Ehemann und Tochter in die Schweiz zu reisen, wo ihr die Sterbehilfeorganisation Dignitas die Selbsttötung ermöglichte.

HK beabsichtigt, gegen die Bundesrepublik Deutschland als Träger des Bundesinstituts verwaltungsgerichtliche Klage zu erheben und die Feststellung zu beantragen, dass der ablehnende Bescheid vom 16. 12. rechtswidrig und das Bundesinstitut verpflichtet war, der FK die beantragte Erlaubnis zu erteilen. Es sei mit dem Persönlichkeitsrecht seiner Ehefrau unvereinbar gewesen, ihr die Möglichkeit zu nehmen, zur Abwendung schwersten Leids aus dem Leben zu scheiden. Das könne er im eigenen Namen klageweise geltend machen, weil das Leiden seiner Frau auch ihn gravierend belastet habe und die Ablehnung durch das Bundesinstitut sein durch Art. 8 I der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) geschütztes Privatleben beeinträchtigt habe. Hat die Klage Aussicht auf Erfolg?

Lösung

A. Zulässigkeit der Klage


I. Ob der Verwaltungsrechtsweg eröffnet ist, richtet sich nach § 40 I VwGO. Eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit folgt daraus, dass streitentscheidende Normen solche aus dem BtMG sind und dieses zum öffentlichen Recht gehört. Die Streitigkeit ist auch nichtverfassungsrechtlicher Art. Zwar beruft sich HK auf Grundrechte, jedoch ist an der Streitigkeit kein Verfassungsorgan beteiligt, so dass an der für eine verfassungsrechtliche Streitigkeit notwendigen doppelten Verfassungsunmittelbarkeit fehlt. Da die Streitigkeit auch keinem anderen Gericht zugewiesen ist, ist der Verwaltungsrechtsweg gegeben.

II. Da HK sein Klagebegehren (§ 88 VwGO) als Feststellungsantrag formuliert hat und ein Bescheid des Bundesinstituts vorangegangen ist, könnte eine Fortsetzungsfeststellungsklage nach § 113 I 4 VwGO die statthafte Klageart sein.

1. Wie sich aus seiner systematischen Stellung ergibt, erfasst § 113 I 4 VwGO unmittelbar nur eine Anfechtungsklage, bei der sich der VA nach Klageerhebung erledigt hat (BVerwG NVwZ 2015, 987; Bühler/Brönnecke JA 2017, 34/5). Anerkannt ist aber zunächst, dass die Vorschrift analog auf eine Erledigung vor Klageerhebung ausgedehnt wird und dass das sogar die weit häufigeren Fälle sind (Bühler/ Brönnecke S. 36; BVerwGE 36, 39; 81, 227; Decker JA 2016, 241 Fn. 1). Ebenso anerkannt ist die analoge Anwendung auf die Verpflichtungsklage (Bühler/Brönnecke S. 36; Decker JA 2016, 241 ff.; BVerwG NVwZ 2015, 986, JuS 2016, 189). Aus BVerwG NVwZ 2015, 986 ergibt sich, dass der Kläger bei der erledigten Verpflichtungsklage nicht auf die Feststellung beschränkt ist, dass die Ablehnung rechtswidrig war, sondern auch die Feststellung beantragen kann, dass die Behörde verpflichtet war, den beantragten VA zu erlassen, weil der Kläger darauf einen Anspruch hatte. Im vorliegenden Fall kommt die aufgezeigte doppelte Analogie - Anwendung im Fall der Verpflichtungsklage und Erledigung vor Klageerhebung - in Betracht.

2. Es müsste eine Erledigung in der Situation der Verpflichtungsklage eingetreten sein (dazu Decker JA 2016, 244). FK erstrebte im Verwaltungsverfahren den Erlass eines VA, einer Erlaubnis nach § 3 BtMG. Nach Ablehnung des Antrags am 16. 12. wäre die Verpflichtungsklage die richtige Klageart gewesen. Durch den Freitod haben sich der Antrag nach § 3 BtMG und dessen Ablehnung erledigt, weil Antrag und Ablehnung davon abhingen, dass FK lebte und sich töten wollte; diese Situation war entfallen. HK konnte in dieses Verfahren nicht etwa kraft Rechtsnachfolge eintreten, weil dieses höchstpersönlicher Natur war. Somit liegt eine Erledigung in der Situation der Verpflichtungsklage vor.

3. § 113 I 4 VwGO verlangt auch bei analoger Anwendung ein Feststellungsinteresse. Die üblichen Begründungen hierfür wie etwa Wiederholungsgefahr, kurzfristige Erledigung des VA, Rehabilitationsinteresse, Vorbereitung eines nicht aussichtslosen Amtshaftungsprozesses (Bühler/Brönnecke JA 2017, 37/8; Lindner NVwZ 2014, 180 ff.; Decker JA 2016, 245; VGH München NJW 2017, 2779) sind im Fall des HK nicht einschlägig. Jedoch hat HK intensiv Anteil am Schicksal seiner Frau genommen, mit ihr den Entschluss, aus dem Leben zu scheiden, besprochen und an der Stellung des Antrags an das Bundesinstitut, zumindest an der Erhebung des Widerspruchs gegen die Ablehnung mitgewirkt. Daraus ergibt sich ein anerkennenswertes Interesse, geklärt zu bekommen, wie über den Antrag auf die Erlaubnis rechtmäßigerweise hätte entschieden werden müssen. Das gilt umso mehr, wenn auch ein ideelles Interesse als ausreichend angesehen wird (so Thiele DVBl 2015, 954; vgl. aber auch Bühler/Brönnecke JA 2017, 37). BVerwG [12] HK hat auch ein berechtigtes Interesse an der gerichtlichen Überprüfung der Rechtmäßigkeit der behördlichen Versagungsentscheidung…

III. Die Fortsetzungsfeststellungsklage ist nur zulässig, wenn die ursprünglich erhobene oder zu erhebende Klage zulässig war (so speziell für die Verpflichtungsklage Decker JA 2016, 243; Bühler/Brönnecke JA 2017, 40). Denn eine unzulässige Anfechtungs- oder Verpflichtungsklage kann durch die Erledigung nicht zulässig werden.

1. Dass eine Verpflichtungsklage der FK im Falle ihres Weiterlebens nach §§ 40 I, 42 I VwGO statthaft gewesen wäre, ergibt sich aus den bisherigen Ausführungen.

2. Für die Klagebefugnis (§ 42 II VwGO) hätte FK sich auf die Verletzung der auch ihr Interesse schützenden §§ 3, 5 BtMG und auf Art. 2 II, I GG berufen können.

3. FK hatte Widerspruch (§ 68 II VwGO) erhoben, wobei davon auszugehen ist, dass dieser fristgerecht (§ 70 VwGO) war.

4. Die Klagefrist für die Verpflichtungsklage (§ 74 II VwGO) konnte nach Erlass des Widerspruchsbescheids nicht mehr ablaufen, weil FK inzwischen verstorben war und das Verfahren sich erledigt hatte. Eine Verpflichtungsklage wäre zulässig gewesen.

IV. Die unter III 2 zugunsten der FK bejahte Klagebefugnis hätte nur eine von FK selbst, d. h. im eigenen Namen erhobene Verpflichtungsklage gerechtfertigt und kann für die von HK im eigenen Namen zu erhebende Fortsetzungsfeststellungsklage nicht ausreichen. Vielmehr muss HK, damit seine Klage keine - unzulässige - Popularklage ist, sich analog § 42 II VwGO zur Begründung einer ihm zustehenden Klagebefugnis auf die Verletzung eines eigenen Rechts berufen können.

1. § 3 I BtMG oder andere Vorschriften des BtMG sind im Interesse der Allgemeinheit erlassen, §§ 3, 5 auch im Interesse des Antragstellers, und sollen nicht - in drittschützender Weise - das Interesse des Ehemanns einer Antragstellerin schützen. Aus dem BtMG ergeben sich somit keine Rechte des HK.

2. Art. 2 II 1 und I GG schützen die körperliche Unversehrtheit und das Persönlichkeitsrecht. Als Rechte des HK sind sie nicht betroffen. HK wird dadurch, dass seiner Ehefrau die Selbsttötung verwehrt wurde, weder körperlich noch in seiner Persönlichkeit beeinträchtigt. Auf die dahingehenden Rechte der FK kann er sich nicht berufen; auch bestehen diese nach ihrem Tod nicht mehr.

3. Nach Art. 8 I EMRK hat jede Person, also auch HK, das R echt auf Achtung des Privat- und Familienlebens.

a) Es liegt nahe, in der erledigten Ablehnungsentscheidung des Bundesinstituts keine andauernde Beeinträchtigung des Privatlebens des HK zu sehen. Nach dem selbstgewählten und von HK mitgewünschten Tod der Frau nimmt das Privatleben des HK den von ihm erstrebten Verlauf. Dementsprechend haben die Verwaltungsgerichte (VG Köln, OVG Münster) in der ersten Klagerunde die Klagebefugnis verneint. BVerfG NJW 2009, 979 hat die Verfassungsbeschwerde des HK mangels Beschwerdebefugnis des HK für unzulässig erklärt.

(Würde dieser Auffassung gefolgt, wäre die Fortsetzungsfeststellungsklage unzulässig. Die weitere Prüfung, insbesondere die der Begründetheit der Klage, müsste in der Form eines Hilfsgutachtens erfolgen; an dessen Spitze würde unterstellt, dass HK die Klagebefugnis zusteht.)

b) Im Fall des BVerwG hatte HK jedoch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) angerufen, der in der Entscheidung Koch/Deutschland NJW 2013, 2953 einen Eingriff in das nach Art. 8 EMRK geschützte Privatleben des HK bejaht hat. Die wesentliche Begründung lautet, [44] Nach der bisherigen Rspr. des EGMR - die wiedergegeben wird - kommt es darauf an, ob es enge familiäre Bindungen gab (nachfolgend a)…, ob der Bf. ein hinlängliches persönliches oder rechtliches Interesse am Ausgang des Verfahrens hatte (nachfolgend b)… und ob der Bf. vorher ein Interesse an der Sache bekundet hat (nachfolgend c)…

[45] a) Der Gerichtshof stellt fest, dass der Bf. und seine Ehefrau zu dem Zeitpunkt, als die Letztgenannte die Erlaubnis zum Erwerb des tödlichen Medikaments beantragte, seit 25 Jahren verheiratet waren. Es steht außer Frage, dass der Bf. eine enge Bindung zu seiner verstorbenen Ehefrau hatte.

b) Der Bf. hat ferner nachgewiesen, dass er seine Ehefrau auf ihrem gesamten Leidensweg begleitet und schließlich ihren Wunsch akzeptiert und unterstützt hat, ihrem Leben ein Ende zu setzen, und dass er mit ihr in die Schweiz gefahren ist, um diesen Wunsch zu verwirklichen.

c) Das persönliche Engagement des Bf. wird ferner dadurch unter Beweis gestellt, dass er gemeinsam mit seiner Ehefrau Widerspruch eingelegt und das innerstaatliche Verfahren nach dem Tode der Ehefrau in seinem eigenen Namen weiter verfolgt hat. Angesichts dieser außergewöhnlichen Umstände räumt der Gerichtshof ein, dass der Bf. ein starkes und nachhaltiges Interesse an einer Entscheidung über die ursprüngliche Klage hat.

[54] Angesichts der vorstehenden Erwägungen ist der Gerichtshof der Auffassung, dass die Entscheidung des Bundesinstituts, den Antrag von Frau B. K. abzulehnen, und die Weigerung der Verwaltungsgerichte, die Klage des Bf. der Sache nach zu prüfen, einen Eingriff in das Recht des Bf. auf Achtung seines Privatlebens aus Art. 8 EMRK dargestellt haben.
(Kritisch hierzu Bünnigmann NWVBl 2017, 330; zustimmend Brade/Tänzer NVwZ 2017, 1436.)

c) In der erneuten Klagerunde waren die deutschen Gerichte an diese Ausführungen gebunden, so dass die Klagebefugnis des HK in der Fortsetzungsfeststellungsklage zu bejahen ist. BVerwG [12] Die Klagebefugnis (§ 42 Abs. 2 VwGO) sowie das notwendige Feststellungsinteresse (§ 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO) sind aufgrund der Entscheidung des EGMR zu bejahen. Danach kann der Kläger geltend machen, durch die Weigerung des Bundesinstituts, seiner verstorbenen Frau die beantragte Erlaubnis zu erteilen, in eigenen Rechten (Art. 8 Abs. 1 EMRK) verletzt worden zu sein… (vgl. EGMR NJW 2013, 2953 Rn. 45 ff.).

V. Eine Frist für die Erhebung der Fortsetzungsfeststellungsklage gibt es nicht. Die Klage ist somit zulässig.

B. Für die Begründetheit der Fortsetzungsfeststellungsklage ist zunächst erforderlich, dass der ablehnende Bescheid des Bundesinstituts vom 16. 12. rechtswidrig war, was sich nach den Vorschriften des BtMG richtet.

Zum Gedankengang: Vielfach wird empfohlen, bei der Fortsetzungsfeststellungsklage in der Verpflichtungssituation zu prüfen, ob der Kläger einen Anspruch auf den VA hatte (Bühler/Brönnecke JA 2017, 41; Decker JA 2016, 246). Jedoch ist es dann, wenn wie im vorliegenden Fall mit § 5 BtMG ein Versagungsgrund - und keine Anspruchsgrundlage - zur Anwendung kommt, zweckmäßig, dem Wortlaut des § 113 I 4, V VwGO zu folgen und zunächst die Rechtswidrigkeit der Versagung zu prüfen. Anschließend kann geprüft werden, ob darüber hinaus ein Anspruch bestand; so hat auch das BVerwG geprüft, vgl. dort [10].

I. Für die Rechtmäßigkeit des Versagungsbescheids ist erste Voraussetzung, dass der von FK erstrebte Erwerb des Pentobarbitals erlaubnisbedürftig war.

1. Insoweit kann der im Sachverhalt wiedergegebenen Auffassung des Bundesinstituts gefolgt werden, wonach Pentobarbital unter das Betäubungsmittelgesetz (BtMG) fällt und der Erwerb nach § 3 I BtMG erlaubnispflichtig ist. Begründung dafür ist, dass Pentobarbital in der Anlage III zu § 1 I BtMG aufgeführt ist.

2. Nach § 4 I BtMG entfällt die Erlaubnispflicht, wenn ein Arzt das Mittel verschreibt. BVerwG [16] Voraussetzung dafür ist aber nach § 13 Abs. 1 Satz 1 BtMG, dass die Anwendung am oder im menschlichen Körper begründet ist. Das ist der Fall, wenn nach anerkannten Regeln der ärztlichen Wissenschaft… das Mittel im Rahmen einer medizinischen Behandlung zu therapeutischen Zwecken eingesetzt werden soll (…). Die Selbsttötung ist aber keine Anwendung zu einem therapeutischen Zweck. Hinzu kommt, dass die Ärzte im Fall der FK erklärt haben, sie dürften das für eine Selbsttötung nötige Pentobarbital ihr nicht verschreiben. Dabei folgen sie ihrer Berufsordnung, nach der Ärzte das Leben der oder des Sterbenden nicht verkürzen dürfen, also erst recht nicht das Leben einer noch nicht sterbenden Patientin, und dass die Hilfe bei der Selbsttötung keine ärztliche Aufgabe ist (vgl. Hillgruber JZ 2017, 782 Fn. 27). Außerdem besteht derzeit für Ärzte das Risiko, sich nach § 217 StGB strafbar zu machen, weil teilweise vertreten wird, dass auch Ärzte, die Sterbehilfe gewähren, „geschäftsmäßig“ handeln (Fischer, StGB, 64. Aufl. 2017, § 17 Rdnr. 7; Schütz/Sitte NJW 2017, 2155). Für FK war eine Verschreibung somit nicht erreichbar (Schütz/Sitte NJW 2017, 2155). Ein Bezug von Pentobarbital war nur über eine Erlaubnis möglich.

II. Nach § 5 I Nr. 6 BtMG ist die Erlaubnis zu versagen, wenn der Erwerb des beantragten Betäubungsmittels nicht mit dem Zweck des Gesetzes vereinbar ist, der darauf gerichtet ist, die notwendige medizinische Versorgung der Bevölkerung sicherzustellen. Ob der genannte Gesetzeszweck die Verschaffung eines Mittels zum Zwecke der Selbsttötung wegen unerträglichen Leids umfasst oder ihr entgegen steht, ist eine Frage der Auslegung des § 5 I Nr. 6 BtMG.

1. BVerwG [20, 21] Dem Begriff der Sicherstellung der notwendigen medizinischen Versorgung der Bevölkerung liegt zugrunde, dass Betäubungsmittel nicht nur schädliche Wirkungen haben, sondern in bestimmten Fällen für die menschliche Gesundheit auch von Nutzen sein können. Das Gesetz sieht daher von einem Verbot des Betäubungsmittelverkehrs ab, soweit Betäubungsmittel zu medizinischen Zwecken benötigt werden… Die Voraussetzungen der Verschreibungsfähigkeit regelt § 13 Abs. 1 BtMG. Die danach erforderliche therapeutische Zielrichtung der Anwendung des Betäubungsmittels liegt vor, wenn sie dazu dient, Krankheiten oder krankhafte Beschwerden zu heilen oder zu lindern. Für den Begriff der medizinischen Versorgung in § 5 Abs. 1 Nr. 6 BtMG kann aus systematischen Gründen nichts anderes gelten. Die notwendige medizinische Versorgung mit Betäubungsmitteln wird vorrangig dadurch sichergestellt, dass Patienten ein zu Therapiezwecken benötigtes Betäubungsmittel der Anlage III aufgrund einer ärztlichen Verschreibung in der Apotheke erwerben können oder der Arzt es ihnen im Rahmen einer Behandlung verabreicht oder zum unmittelbaren Verbrauch überlässt (§ 13 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 BtMG)… Entsprechend hat der Senat in seiner Rechtsprechung zu § 3 Abs. 2 BtMG auf eine auf Heilung oder Linderung von pathologischen Zuständen gerichtete Anwendung des Betäubungsmittels abgestellt (vgl. BVerwGE 123, 352, 354 f., 356 f.; 154, 352 Rn. 13). Danach schließt § 5 Abs. 1 Nr. 6 BtMG die Erteilung einer Erwerbserlaubnis zum Zweck der Selbsttötung grundsätzlich aus. Zwar werden Betäubungsmittel in der palliativen Medizin verwendet. Die palliativ-medizinische Behandlung Todkranker lässt sich beschreiben als „Hilfe beim Sterben" (…). Das bringt zum Ausdruck, dass die palliativ-medizinische Maßnahme einen schon begonnenen Sterbeprozess begleitet. Im Unterschied dazu wird das Betäubungsmittel bei der Selbsttötung gezielt dazu eingesetzt, den Tod unmittelbar herbeizuführen.

2. Zu einem anderen Ergebnis könnte eine im vorliegenden Fall gebotene verfassungskonforme Auslegung des § 5 I Nr. 6 BtMG führen. Dann müsste das ausnahmslos geltende Verbot, Betäubungsmittel zum Zweck eines Suizids zu erwerben, das Grundrecht der FK aus Art. 2 I GG verletzen (dazu hier unter 2.), und es müsste die Möglichkeit bestehen, dieses Ergebnis durch Auslegung des § 5 I Nr. 6 BtMG zu vermeiden (dazu 3.).

a) Zum Schutzbereich des Art. 2 I GG führt BVerwG [23, 24] aus: Das Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit und die Verpflichtung zur Achtung und zum Schutz der Menschenwürde gemäß Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG… umfassen, dass der Mensch über sich selbst verfügen und sein Schicksal eigenverantwortlich gestalten kann (…).Die grundrechtlich geschützte Freiheit schließt deshalb das Recht ein, auf Heilung zielende medizinische Behandlungen oder sonstige therapeutische Maßnahmen abzulehnen (vgl. BVerfG NJW 2017, 53 Rn. 74 f.). Das gilt auch für die Ablehnung lebensverlängernder Maßnahmen (vgl. BGHSt 55, 191 Rn. 23). Einfach-gesetzlich findet dies eine Bestätigung in den Regelungen über die Patientenverfügung (§§ 1901 a ff. BGB). Ohne Einwilligung des einwilligungsfähigen Patienten oder gegen den tatsächlich geäußerten oder mutmaßlichen Willen des einwilligungsunfähigen Patienten dürfen lebenserhaltende oder -verlängernde Maßnahmen weder eingeleitet noch fortgesetzt werden (… BGHZ 202, 226 Rn. 14 f.).

Ausgehend davon umfasst das allgemeine Persönlichkeitsrecht… auch das Recht eines schwer und unheilbar kranken Menschen, zu entscheiden, wie und zu welchem Zeitpunkt sein Leben enden soll, vorausgesetzt, er kann seinen Willen frei bilden und entsprechend handeln (folgen Nachw., auch auf die Gegenmeinung). Dabei beschränkt sich der Grundrechtsschutz nicht auf Fälle, in denen infolge des Endstadiums einer tödlichen Krankheit der Sterbeprozess bereits begonnen hat oder unmittelbar bevorsteht. Die verfassungsrechtlich gebotene Achtung vor dem persönlichen Umgang des Einzelnen mit Krankheit und dem eigenen Sterben schließt auch die freiverantwortlich getroffene Entscheidung schwer kranker Menschen ein, ihr Leben vor Erreichen der Sterbephase oder losgelöst von einem tödlichen Krankheitsverlauf beenden zu wollen.
(Vertiefend und zustimmend hierzu Brade/Tänzer NVwZ 2017, 1437/8.)

Der von FK geäußerte Wunsch zu sterben fiel deshalb in den Schutzbereich des Art. 2 I GG.

b) Die Verweigerung einer Erlaubnis zum Erwerb einer letalen Dosis Pentobarbital ist ein Eingriff in das Recht der FK und nicht lediglich die Vorenthaltung einer Leistung (Schütz/Sitte NJW 2017, 2156; Sachs JuS 2017, 801). BVerwG [26] Durch die Ablehnung der beantragten Erwerbserlaubnis wurde Frau K daran gehindert, die angestrebte Selbsttötung in der von ihr beabsichtigten Weise umzusetzen. § 5 Abs. 1 Nr. 6 BtMG bewirkte so eine Beschränkung ihres Rechts, selbstbestimmt zu entscheiden, wann und wie ihr Leben enden soll. Es kann dahinstehen, ob darin ein Eingriff im klassischen Sinne zu sehen ist… Denn der Abwehrgehalt der Grundrechte kann auch bei einer mittelbaren Beeinträchtigung betroffen sein, wenn diese in ihrer Zielsetzung und in ihren Wirkungen einem Eingriff gleichkommt (vgl. BVerfGE 110, 177, 191; 116, 202, 222). So liegt es hier. Die ausnahmslose Beschränkung des Zugangs zu einem Betäubungsmittel auf die Anwendung zu therapeutischen Zwecken im engeren Sinne verhindert, dass ein Mittel wie Natrium-Pentobarbital zur Selbsttötung zur Verfügung steht. Von diesem Zugangsverbot werden auch schwer und unheilbar kranke Menschen betroffen, die wegen der von ihnen als unerträglich empfundenen Leidenssituation frei und ernsthaft entschieden haben, ihr Leben zu beenden, und dazu ein Betäubungsmittel verwenden möchten, dessen Wirkungen ihnen eine schmerzlose und sichere Selbsttötung ermöglicht. Der fehlende Zugang zu einem solchen Betäubungsmittel kann zur Folge haben, dass sie ihren Sterbewunsch nicht oder nur unter unzumutbaren Bedingungen realisieren können. Darin liegt eine mittelbare Beeinträchtigung ihres Grundrechts aus Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG. (anders Hillgruber JZ 2017, 778, der einen Eingriff ablehnt)

c) Eine Rechtfertigung des Eingriffs ist über die Schranke der verfassungsmäßigen Ordnung (Art. 2 I GG) möglich, die jedes formell und materiell verfassungsmäßige Gesetz umfasst. BVerwG [30] Danach bestehen keine Bedenken dagegen, dass der Erwerb eines Betäubungsmittels zum Zweck der Selbsttötung nach § 5 Abs. 1 Nr. 6 BtMG grundsätzlich nicht erlaubnisfähig ist. Das Verbot dient dem Schutz von Menschen in vulnerabler Position und Verfassung vor Entscheidungen, die sie möglicherweise voreilig, in einem Zustand mangelnder Einsichtsfähigkeit oder nicht freiverantwortlich treffen, sowie der Verhinderung von Missbrauch. Mit der Abwehr solcher Gefahren verfolgt der Gesetzgeber legitime Ziele, die es rechtfertigen, den Zugang zu einem Betäubungsmittel zu verbieten (folgen Nachw.).

d) Ein ausnahmsloses Verbot auch in Extremlagen verstößt aber gegen das Prinzip der Verhältnismäßigkeit. BVerwG [31, 32] Die genannten Ziele können das Verbot, Betäubungsmittel zum Zweck der Selbsttötung zu erwerben, im Lichte von Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG aber nicht mehr rechtfertigen, wenn sich der Erwerber wegen einer schweren und unheilbaren Erkrankung in einer extremen Notlage befindet. Das ist der Fall, wenn - erstens - die schwere und unheilbare Erkrankung mit gravierenden körperlichen Leiden, insbesondere starken Schmerzen verbunden ist, die bei dem Betroffenen zu einem unerträglichen Leidensdruck führen und nicht ausreichend gelindert werden können (…), - zweitens - der Betroffene entscheidungsfähig ist und sich frei und ernsthaft entschieden hat, sein Leben beenden zu wollen und ihm - drittens - eine andere zumutbare Möglichkeit zur Verwirklichung des Sterbewunsches nicht zur Verfügung steht. Ist der Betroffene in einer solchen Weise seiner Krankheit ausgeliefert, kommt seinem Selbstbestimmungsrecht ein besonderes Gewicht zu, hinter dem die staatliche Schutzpflicht für das Leben aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG zurücktritt.…

Dabei scheidet die Selbsttötung in der Schweiz als andere zumutbare Möglichkeit aus. BVerwG [36] Art. 1 Abs. 3 GG verpflichtet den Staat, den erforderlichen Grundrechtsschutz innerhalb der eigenen Rechtsordnung zu gewähren.

3. BVerwG [37, 38] § 5 Abs. 1 Nr. 6 BtMG lässt sich in diesem Sinne grundrechtskonform auslegen… In einer extremen Notlage der dargelegten Art kann die Anwendung eines Betäubungsmittels zur Selbsttötung ausnahmsweise als therapeutischen Zwecken dienend angesehen werden; sie ist die einzige Möglichkeit, eine krankheitsbedingte, für den Betroffenen unerträgliche Leidenssituation zu beenden… Es ist auch nicht erkennbar, dass die verfassungskonforme Interpretation dem Willen des Gesetzgebers zuwiderläuft… (zustimmend zur verfassungskonformen Auslegung Sachs JuS 2017, 802; Brade/Tänzer NVwZ 2017, 1438/9; ablehnend Hillgruber JZ 2017, 781).

4. Eine Entscheidung über die Rechtmäßigkeit der Versagung durch das Bundesinstitut hängt davon ab, ob die oben B II 2 d) im Wege der verfassungskonformen Auslegung gewonnenen Voraussetzungen für einen Ausnahmefall vorlagen.

(1) Aus dem Sachverhalt ergibt sich ohne weiteres, dass FK an einer schweren und unheilbaren Erkrankung litt, die mit gravierenden körperlichen Leiden, insbesondere starken Schmerzen verbunden war, und dass diese bei ihr zu einem unerträglichen Leidensdruck geführt hat, der nicht ausreichend gelindert werden konnte.

(2) FK war entscheidungsfähig und hat sich nach Beratungen frei und ernsthaft entschieden, ihr Leben zu beenden.

(3) Zur Entscheidung der Frage, ob eine andere zumutbare Möglichkeit zur Verwirklichung des Sterbewunsches zur Verfügung stand, reichen die Feststellungen im Sachverhalt nicht aus. BVerwG [42] Angesichts der sich aus (1) und (2) ergebenden Sachlage hätte das Bundesinstitut die beantragte Erlaubnis nicht ablehnen dürfen, ohne zu prüfen, ob Frau K eine andere zumutbare Möglichkeit zur Verwirklichung ihres Sterbewunsches hatte. Hiervon konnte das Bundesinstitut nicht bereits deshalb ausgehen, weil Frau K künstlich beatmet wurde. Damit stand zwar die Möglichkeit eines palliativ-medizinisch begleiteten Behandlungsabbruchs im Raum. Es war aber nicht geklärt, ob das Abstellen der Beatmung in ihrem Fall in absehbarer Zeit zum Tode geführt hätte. (Zu den verschiedenen alternativen Möglichkeiten Schütz/Sitte NJW 2017, 2157/8; nach der dort geäußerten Auffassung bestehen heute genügend alternative Möglichkeiten, die einen Erwerb von Pentobarbital als nicht mehr erforderlich erscheinen lassen.)

Die Prüfung des Bundesinstituts hätte auf der Grundlage von §§ 24, 26 VwVfG unter Hinzuziehung von Ärzten, anderen Sachkundigen und den Angehörigen erfolgen müssen. Deren Unterlassung macht den ablehnenden Bescheid rechtswidrig. Zwar führt grundsätzlich eine unterlassene Sachaufklärung durch die Behörde noch nicht zum Erfolg der Klage, sondern verpflichtet das VG dazu, in Anwendung des Amtsermittlungsgrundsatzes (§ 86 I VwGO) den Rechtsstreit spruchreif zu machen; das gilt für alle Klagearten (Hufen JuS 2009, 857), insbesondere auch für die Verpflichtungsklage (BVerwG NVwZ 2011, 618; Berlit NVwZ 2013, 333). Anders liegt es bei Ermessensentscheidungen (vgl. § 113 V 2 VwGO) und auch im vorliegenden Fall, BVerwG [43] Die nötige Aufklärung kann nach dem Tod von Frau K nicht mehr nachgeholt werden. Die Frage, ob zumutbare Alternativen zur Verfügung gestanden hätten, ist ohne ihre Beteiligung nicht mehr zu klären. Dementsprechend kam auch eine Zurückverweisung an das Berufungsgericht zur weiteren Sachaufklärung nicht in Betracht. Somit bleibt es bei der Feststellung, dass der ablehnende Bescheid rechtswidrig war.

Die nicht mehr bestehende Aufklärungsmöglichkeit steht auch einer Entscheidung über den weitergehenden Antrag des HK auf Feststellung, dass das Bundesinstitut zur Erteilung der Erlaubnis verpflichtet war, entgegen. Deshalb hat das BVerwG in dem diesem Fall zugrunde liegenden Urteil entschieden: Es wird festgestellt, dass der Bescheid des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte vom 16. Dezember 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 3. März 2005 rechtswidrig gewesen ist. Der weitergehende Antrag des Klägers wird zurückgewiesen.

Somit ist die in obigem Sachverhalt gestellte Frage, ob die Klage auf Feststellung, dass der ablehnende Bescheid vom 16. 12. rechtswidrig und das Bundesinstitut verpflichtet war, der FK die beantragte Erlaubnis zu erteilen, Aussicht auf Erfolg hat, dahin zu beantworten, dass lediglich der Antrag auf Feststellung der Rechtswidrigkeit Aussicht auf Erfolg hat.


Zusammenfassung