Bearbeiter: Prof. Dieter Schmalz

Vorbeugende Unterlassungsklage vor dem Verwaltungsgericht; Unterlassungsanspruch. Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung, Art. 2 I i. V. mit Art. 1 I GG; Schutzbereich; Kfz-Kennzeichen als personenbezogene Daten. Eingriff bei nur kurzfristiger Speicherung sowie bei Verwendung der Daten

BVerwG Urteil vom 22. 10. 2014 (6 C 7/13) NVwZ 2015, 906 (teilweise im Anschluss an BVerfGE 120, 378 ff.)

Fall
(Kennzeichenerfassung)

Das Land L hat in § 33 II Polizeiaufgabengesetz (PAG) unter der Überschrift „Besondere Mittel der Datenerhebung“ folgende Regelung getroffen: Die Polizei kann durch den verdeckten Einsatz automatisierter Kennzeichenerfassungssysteme Kennzeichen von Kraftfahrzeugen sowie Ort, Datum, Uhrzeit und Fahrtrichtung erfassen. Ein Abgleich der erfassten Kennzeichen darf erfolgen mit polizeilichen Fahndungsbeständen 1. über Kraftfahrzeuge oder Kennzeichen, die abhanden gekommen sind, 2. aus Gründen der Strafverfolgung, Strafvollstreckung oder Auslieferung. Eine flächendeckende Erfassung ist nicht zulässig.

Auf dieser Grundlage setzt die Polizei des Landes an 25 Stellen stationäre automatisierte Kennzeichenerkennungssysteme ein, insbesondere an Autobahnen. Die stationären Systeme bestehen aus Kameras, die den fließenden Verkehr auf jeweils einer Fahrspur von hinten erfassen und das Kennzeichen eines durchfahrenden Fahrzeugs mittels eines nicht sichtbaren Infrarotblitzes bildlich aufnehmen. Buchstaben und Ziffern des Kennzeichens werden an einen stationären Rechner am Fahrbahnrand weitergeleitet, von dem das erfasste Kennzeichen automatisch mit verschiedenen im Rechner abgespeicherten (Fahndungs-)Dateien abgeglichen wird. Ergibt sich beim Datenabgleich keine Übereinstimmung mit einem Eintrag in einer Fahndungsliste („kein Treffer“), wird das erfasste Kennzeichen automatisch und endgültig gelöscht. Bei einer vom System festgestellten Übereinstimmung zwischen dem erfassten Kennzeichen und einer auf dem Rechner abgespeicherten Fahndungsdatei wird das Kennzeichen auf den Monitor eines überwachenden Polizeibeamten geleitet, damit dieser die Übereinstimmung zwischen dem erfassten und dem in der Fahndungsdatei enthaltenen Kennzeichen überprüft. Ergibt die Überprüfung, dass keine Übereinstimmung besteht und das System einen Fehler gemacht hat („unechter Treffer“), löscht der Polizeibeamte das erfasste Kennzeichen endgültig. Bei Übereinstimmung des erfassten mit einem gespeicherten Kraftfahrzeugkennzeichen („echter Treffer“) startet der Polizeibeamte eine manuelle Abfrage bei der betreffenden Fahndungsdatei, speichert dann die Daten des Vorgangs und veranlasst weitere polizeiliche Maßnahmen. Monatlich werden etwa acht Millionen Kennzeichen erfasst, die zu 500 bis 600 echten Treffern führen.

K ist jährlich etwa 25.000 km mit dem Pkw im Lande L unterwegs, überwiegend auf Autobahnen. Zwar ist sein Fahrzeug in keiner Fahndungsliste enthalten. Er befürchtet aber, dass er irrtümlich in eine Fahndungsliste gerät und an der Weiterfahrt gehindert wird. Diese Gefahr bestehe auch im Fall eines unechten Treffers. Er steht auf dem Standpunkt, er brauche sich eine derartige umfangreiche und heimliche Überwachung nicht gefallen zu lassen. Er hat vor dem Verwaltungsgericht Klage erhoben und beantragt, das Land L zu verurteilen, es zu unterlassen, durch automatische Systeme Kennzeichen von Kraftfahrzeugen, die auf K zugelassen sind, zu erfassen und mit polizeilichen Dateien abzugleichen. Wie ist über die Klage zu entscheiden?

A. Zulässigkeit der Klage

I. Für die Zulässigkeit des Verwaltungsrechtswegs nach § 40 I VwGO ist zunächst eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit erforderlich. Sie liegt hier vor, weil die angegriffenen Maßnahmen auf § 33 II PAG gestützt sind, die streitentscheidende Norm also eine des öffentlich-rechtlichen Polizeirechts ist. Die Streitigkeit ist auch nichtverfassungsrechtlicher Art. Zwar kann K sich auf Grundrechte berufen, jedoch sind weder der Kläger K noch das beklagte Land als Träger der Polizei Verfassungsorgane, so dass es an der formellen Seite der verfassungsrechtlichen Streitigkeit fehlt. Die Streitigkeit ist auch keinem anderen Gericht zugewiesen. Die abdrängende Zuweisung nach § 23 EGGVG greift nicht ein, weil die Polizei auf der Grundlage des PAG, also auch zur Gefahrenabwehr, tätig wird und nicht ausschließlich nach der StPO zur Strafverfolgung. Der Verwaltungsrechtsweg ist folglich eröffnet.

II. Es ist die statthafte Klageart zu bestimmen.

1. Eine Anfechtungsklage scheidet aus, weil die Kameras lediglich Informationen aufnehmen und die angeschlossenen Rechner diese verarbeiten, aber keine Regelung treffen und mithin keine Verwaltungsakte erlassen. K hat sein Klagebegehren auch nicht als Aufhebungsantrag formuliert.

2. Entsprechend der Formulierung des K (vgl. § 88 VwGO) könnte es sich bei der erhobenen Klage um eine Leistungsklage in der Form der Unterlassungsklage handeln.

a) BVerwG [6] Die Unterlassungsklage stellt einen Unterfall der allgemeinen Leistungsklage dar. Mit ihr wird auf die Unterlassung eines öffentlich-rechtlichen Verwaltungshandelns geklagt. Die Statthaftigkeit dieser Klage begegnet bei drohendem Verwaltungshandeln ohne Verwaltungsaktsqualität keinen Bedenken. Auch das Unterlassen einer hoheitlichen Maßnahme ist eine Leistung, und bei Verwaltungshandeln ohne Verwaltungsaktsqualität kann die Zulassung einer Unterlassungsklage auch nicht zur Umgehung der Zulässigkeitsvoraussetzungen einer Anfechtungsklage führen (Schenke, Verwaltungsprozessrecht, 14. Auflage, 2014, Rn. 354).

b) Das vom Kläger angegriffene öffentlich-rechtliche Verwaltungshandeln liegt im Betrieb von derzeit 25 automatisierten Kennzeichenerkennungssystemen des Beklagten. Sowohl die Erfassung als auch der Abgleich sind keine Verwaltungsakte im Sinne von §. 35 Satz 1 VwVfG… Vielmehr handelt es sich um ein schlichtes Verwaltungshandeln, auch Realhandeln genannt. Konkret handelt es sich um ein Informationshandeln und um die Verarbeitung von Informationen.

III. Besondere Anforderungen könnten sich daraus ergeben, dass K sich gegen künftiges Verwaltungshandeln wendet, dass er also eine vorbeugende Unterlassungsklage erhoben hat.

1. BVerwG [17] Allerdings wendet der Kläger sich gegen mögliche künftige Eingriffe. Will der Bürger ein Behördenhandeln abwehren, das er mit mehr oder minder großer Gewissheit erst in der Zukunft erwartet, geht es um eine nur vorbeugende Unterlassungsklage. Verwaltungsrechtsschutz ist allerdings grundsätzlich nachgängiger Rechtsschutz. Das folgt aus dem Grundsatz der Gewaltenteilung, der der Gerichtsbarkeit nur die Kontrolle der Verwaltungstätigkeit aufträgt, ihr aber grundsätzlich nicht gestattet, bereits im Vorhinein gebietend oder verbietend in den Bereich der Verwaltung einzugreifen. Die Verwaltungsgerichtsordnung stellt darum ein System nachgängigen - ggf. einstweiligen - Rechtsschutzes bereit und geht davon aus, dass dieses zur Gewährung effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 GG) grundsätzlich ausreicht. Vorbeugende Klagen sind daher nur zulässig, wenn ein besonderes schützenswertes Interesse gerade an der Inanspruchnahme vorbeugenden Rechtsschutzes besteht, wenn mit anderen Worten der Verweis auf den nachgängigen Rechtsschutz - einschließlich des einstweiligen Rechtsschutzes - mit für den Kläger unzumutbaren Nachteilen verbunden wäre (st. Rspr; vgl. BVerwGE 26, 23; 40, 323, 326 f;…132, 64 Rn. 26).

2. [18]Ein solches spezifisches Interesse an vorbeugendem Rechtsschutz ergibt sich vorliegend aus dem Umstand, dass der Beklagte dasjenige Kennzeichenerfassungssystem, von dem die behaupteten Rechtsverletzungen ausgehen, bereits betreibt und auch weiterhin einsetzen wird. Hinzu kommt, dass eine polizeiliche Kontrolle mit Hilfe von Kennzeichenerfassungssystemen für den Kläger als Autofahrer nicht erkennbar ist, weil die Erfassung der einzelnen Kennzeichen beim Passieren der Aufnahmekameras von hinten erfolgt und der verwendete Infrarotblitz unsichtbar ist. Die Erfassung geschieht damit heimlich mit der Folge, dass der Kläger ihr nicht ausweichen kann. Zudem sind dem Kläger die einzelnen Standorte der Erfassungssysteme nicht bekannt. Aufgrund der Heimlichkeit der Maßnahme kommt ein nachträglicher Rechtsschutz gegen die Erkennung und den Datenabgleich nicht in Betracht.

IV. Nach h. M. bedarf es auch bei einer Leistungsklage, jedenfalls wenn sie auf Abwehr eines Verwaltungshandelns gerichtet ist, einer Klagebefugnis analog § 42 II VwGO. Denn auch hier besteht das Bedürfnis, Popularklagen zu verhindern. BVerwG [19] Die Zulässigkeit der vorbeugenden Unterlassungsklage lässt sich nicht wegen fehlender Klagebefugnis analog § 42 Abs. 2 VwGO in Frage stellen. Es erscheint nach dem Vortrag des Klägers sowie im Lichte der beträchtlichen Erfassungsreichweite der vom Beklagten betriebenen Systeme möglich, dass ein dem Kläger zuzuordnendes Kfz-Kennzeichen künftig erfasst und gegen polizeiliche Dateien abgeglichen wird. Ferner erscheint nicht von vornherein ausgeschlossen, dass hiermit in Rechte des Klägers eingegriffen und diese verletzt werden. Als verletztes Recht kommt das aus Art. 2 I i. V. mit Art. 1 I GG folgende Recht auf informationelle Selbstbestimmung in Betracht.

V. Für die Bestimmung des richtigen Beklagten gilt bei der Leistungsklage - wie auch sonst grundsätzlich - das Rechtsträgerprinzip (vgl. § 61 Nr. 1 VwGO). Also ist die Klage gegen das Land L als Träger der Polizei zu richten.

Die Unterlassungsklage ist mithin zulässig.

B. Sie ist begründet, wenn K gegen das Land einen Anspruch darauf hat, dass die Polizei es unterlässt, durch automatisierter Kennzeichenerfassung Kennzeichen von Kraftfahrzeugen, die auf K zugelassen sind, zu erfassen und mit polizeilichen Dateien abzugleichen.

Anspruchsgrundlage kann ein öffentlich-rechtlicher Unterlassungsanspruch sein. Er kann aus der Abwehrfunktion eines betroffenen Grundrecht abgeleitet werden, ist aber auch gewohnheitsrechtlich anerkannt. Seine Voraussetzungen entsprechen denen des Folgenbeseitigungsanspruchs (FBA) - ähnlich wie beim Verhältnis des § 1004 I Satz 1 BGB (Beseitigung) zu Satz 2 (Unterlassung). Der FBA hat zur Voraussetzung, dass durch hoheitliches Handeln in ein subjektives Recht eingegriffen wurde, dass dieser Eingriff rechtswidrig war und dass belastende Folgen des Eingriffs fortbestehen. Beim Unterlassungsanspruch entfallen der notwendig stattgefundene Eingriff und dessen Folgen, stattdessen muss der Eingriff drohen.

BVerwG [20] Der öffentlich-rechtliche Unterlassungsanspruch setzt die begründete Besorgnis voraus, der Beklagte werde künftig durch sein hoheitliches Handeln rechtswidrig in die geschützte Rechts- und Freiheitssphäre des Klägers eingreifen.

I. Hoheitliches Handeln ist die Erfassung der Kennzeichen auch des Pkw des K durch die Polizei auf der Grundlage des PAG. Angesichts der umfangreichen Benutzung der Autobahnen durch K ist davon auszugehen, dass eine solche Erfassung erfolgt ist und weiter erfolgen wird.

II. Dadurch müsste in ein subjektives Recht des K eingegriffen werden.

1. Subjektives Recht des K könnte das Recht auf informationelle Selbstbestimmung sein.

a) Dieses Recht ist aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht des Art. 2 I i. V. mit Art. 1 I GG als Anwendungsfall entwickelt worden und wird deshalb auf dieselbe Rechtsgrundlage gestützt (BVerfGE 65, 1 ff., Volkszählungsurteil).

b) Schutzbereich ist das Recht des Einzelnen, grundsätzlich selbst über die Erhebung und Verwendung seiner personenbezogenen Daten zu bestimmen (BVerfGE 65, 1, 42; 120, 378, 398/9; Datenschutz). K fällt unter den Schutzbereich, wenn das Kfz-Kennzeichen des Pkw des K zu den personenbezogenen Daten gehört.

aa) BVerwG [23-26] im Anschluss an BVerfGE 120, 398/9: Ein Kfz-Kennzeichen ist als personenbezogenes Datum in den Schutzbereich des Grundrechts auf informationelle Selbstbestimmung einbezogen. Zwar offenbart die Buchstaben-Zahlen-Kombination, aus der es besteht, aus sich heraus noch nicht diejenige Person, der das Kennzeichen als Halter zuzuordnen ist. Diese Person ist jedoch durch Abfragen aus dem Fahrzeugregister (vgl. §§ 31 ff. StVG) bestimmbar. Dies genügt für den Einbezug in den grundrechtlichen Schutzbereich.

bb) Der grundrechtliche Schutz entfällt nicht schon deshalb, weil die betroffene Information öffentlich zugänglich ist, wie es für Kfz-Kennzeichen, die der Identifizierung dienen, sogar vorgeschrieben ist (§ 23 Abs. 1 Satz 3 StVO). Auch wenn der Einzelne sich in die Öffentlichkeit begibt, schützt das Recht der informationellen Selbstbestimmung dessen Interesse, dass die damit verbundenen personenbezogenen Informationen nicht im Zuge automatisierter Informationserhebung zur Speicherung mit der Möglichkeit der Weiterverwertung erfasst werden (BVerfGE 120, 378, 399).

cc) Der Schutzumfang des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung beschränkt sich nicht auf Informationen, die bereits ihrer Art nach sensibel sind und schon deshalb grundrechtlich geschützt werden. Auch der Umgang mit personenbezogenen Daten, die für sich genommen - wie im Falle von Kfz-Kennzeichen - nur geringen Informationsgehalt haben, kann, je nach seinem Ziel und den bestehenden Verarbeitungs- und Verknüpfungsmöglichkeiten, grundrechtserhebliche Auswirkungen auf die Privatheit und Verhaltensfreiheit des Betroffenen haben. Insofern gibt es unter den Bedingungen der elektronischen Datenverarbeitung kein schlechthin, also ungeachtet des Verwendungskontextes, belangloses personenbezogenes Datum mehr (vgl. BVerfGE 120, 398 f.).

dd) Auch dann, wenn - wie im vorliegenden Fall - die Erfassung eines größeren Datenbestandes letztlich nur Mittel zum Zweck für eine weitere Verkleinerung der Treffermenge ist, kann bereits in der Informationserhebung ein Eingriff liegen, soweit sie die Informationen für die Behörden verfügbar macht und die Basis für einen nachfolgenden Abgleich mit Suchkriterien bildet. Maßgeblich ist, ob sich bei einer Gesamtbetrachtung mit Blick auf den durch den Überwachungs- und Verwendungszweck bestimmten Zusammenhang das behördliche Interesse an den betroffenen Daten bereits derart verdichtet hat, dass ein Betroffensein in einer einen Grundrechtseingriff auslösenden Qualität zu bejahen ist (vgl. BVerfGE 120, 398).

Somit fällt das Kfz-Kennzeichen des K als personenbezogenes Datum unter den Schutzbereich des Art. 2 I i. V. mit Art. 1 I GG.

2. Es müsste ein Eingriff in des Recht auf informationelle Selbstbestimmung erfolgen. Zur Annahme eines Eingriffs ist nach BVerwG [26] im Anschluss an BVerfGE 120, 378 ff. erforderlich, dass bei einer Gesamtbetrachtung mit Blick auf den durch den Überwachungs- und Verwendungszweck bestimmten Zusammenhang das behördliche Interesse an den betroffenen Daten bereits derart verdichtet hat, dass ein Betroffensein in einer einen Grundrechtseingriff auslösenden Qualität zu bejahen ist. Ob das bei der Kennzeichenerfassung der Fall ist, lässt sich nur entscheiden, wenn die drei möglichen Abläufe untersucht werden.

a) Ablauf „kein Treffer“

BVerwG [27, 28] Zu einem Eingriff in den Schutzbereich des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung kommt es…dann nicht, wenn der Abgleich mit dem Fahndungsbestand unverzüglich vorgenommen wird und negativ ausfällt (sog. Nichttrefferfall) sowie zusätzlich rechtlich und technisch gesichert ist, dass die Daten anonym bleiben und sofort spurenlos und ohne die Möglichkeit, einen Personenbezug herzustellen, gelöscht werden (vgl. BVerfG 120, 399). Folglich ist im vorliegenden Fall für die Konstellation des „Nichttreffers“ die Eingriffsqualität von Erfassung und Abgleich eines Kfz-Kennzeichens zu verneinen. Nach den Feststellungen vollzieht sich beides in dieser Konstellation ohne zeitlichen Verzug in vollständig automatisierter Weise und ist ferner gesichert, dass die Daten einer menschlichen Kenntnisnahme unzugänglich bleiben.

b) Ablauf „unechter Treffer“

In diesem Fall geht das System von einer Übereinstimmung zwischen dem erfassten Kennzeichen und einer auf dem Rechner abgespeicherten Fahndungsdatei aus, so dass das Kennzeichen auf den Monitor eines überwachenden Polizeibeamten geleitet wird, damit dieser die Übereinstimmung zwischen dem erfassten und dem in der Fahndungsdatei enthaltenen Kennzeichen überprüft. Ergebnis ist, dass keine Übereinstimmung besteht, so dass der Polizeibeamte das erfasste Kennzeichen endgültig löscht. Den kurzen Blick der überwachenden Person lässt das BVerwG bei der gebotenen Gesamtbetrachtung noch nicht als Eingriff ausreichen. [28] Zwar wird das erfasste Kennzeichen in dieser Konstellation durch den Polizeibeamten, der mit dem visuellen Abgleich betraut ist, zur Kenntnis genommen. Der Polizeibeamte beschränkt sich jedoch auf die Vornahme dieses Abgleichs und löscht den Vorgang umgehend, wenn der Abgleich negativ ausfällt. In diesem Stadium ist das behördliche Interesse an den betroffenen Daten nicht bereits derart verdichtet, dass - bezogen auf den Inhaber des Kfz-Kennzeichens - ein Betroffensein in einer einen Grundrechtseingriff auslösenden Qualität zu bejahen ist. Das behördliche Interesse ist in diesem Stadium nur ein systembezogenes Korrekturinteresse… Der Inhaber des tatsächlich erfassten Kennzeichens hat insoweit nicht mehr hinzunehmen als eine lediglich kurzzeitige Wahrnehmung der Buchstaben-Zahlen-Kombination durch den Polizeibeamten, der seinerseits nicht über die rechtliche Befugnis verfügt - und auch der Sache nach keinen Anlass hätte -, eine Abfrage aus dem Fahrzeugregister vorzunehmen. Die Anonymität des Inhabers bleibt folglich gewahrt. Auch in diesem Fall liegt kein Eingriff vor.

c) Ablauf „Treffer“

aa) BVerwG [27] Demgegenüber kommt es zu einem Eingriff in das Grundrecht, wenn ein erfasstes Kennzeichen im Speicher festgehalten wird und ggfs. Grundlage für weitere Maßnahmen werden kann. Darauf vor allem ist die Maßnahme gerichtet, wenn das Kraftfahrzeugkennzeichen im Fahndungsbestand aufgefunden wird. Ab diesem Zeitpunkt steht das erfasste Kennzeichen zur Auswertung durch staatliche Stellen zur Verfügung und es beginnt die spezifische Persönlichkeitsgefährdung für Verhaltensfreiheit und Privatheit, die den Schutz des Grundrechts auf informationelle Selbstbestimmung auslöst (vgl. BVerfG 120, 399 f.) [30] In der Konstellation des „echten“ Treffers wird die Eingriffsschwelle überschritten.

bb) Da laut Sachverhalt aber feststeht, dass das Kennzeichen des Fahrzeugs des K in keiner Fahndungsliste enthalten ist, ist der Eintritt dieses Falles bei K derzeit ausgeschlossen. BVerwG [31] Im vorliegenden Fall kann es hinsichtlich der Person des Klägers zum Szenarium eines „echten“ Treffers nach derzeitigem Sachstand nicht kommen, da nach den Feststellungen sein Kfz-Kennzeichen nicht im Fahndungsbestand gespeichert ist. Die bloße Eventualität, es könnte zukünftig zu einer solchen Speicherung kommen, muss außer Betracht bleiben. Der öffentlich-rechtliche Unterlassungsanspruch vermittelt keine Handhabe, ein behördliches Handeln abzuwehren, dem nur bei künftigem Hinzutreten außergewöhnlicher Umstände Eingriffsqualität gegenüber dem Anspruchsteller zuwüchse.

Folglich lässt sich im Fall des K bei keinem möglichen Ablauf ein Eingriff in das Grundrecht der informationellen Selbstbestimmung bejahen. K hat keinen Unterlassungsanspruch.

III. Würde anders entschieden und ein Eingriff bejaht, würde das am Ergebnis nichts ändern. Denn dann wäre der Eingriff gerechtfertigt. Das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung ist aufgrund des Art. 2 I GG durch die verfassungsmäßige Ordnung, die als verfassungsgemäße Rechtsordnung verstanden wird, beschränkbar (BVerfGE 65, 43/4; 89, 69, 84; 120, 401). Beschränkendes Gesetz ist § 33 II PAG. Die Vorschrift entspricht auch dem Verhältnismäßigkeitsprinzip: Die im Gesetz genannten Zwecke sind legitim, ihre Verfolgung durch die Kennzeichenerfassung ist geeignet und erforderlich. Da die Belastung des Kfz-Halters in den Fällen „kein Treffer“ und „unechter Treffer“ absolut geringfügig ist, ist sie in diesen Fällen auch angemessen. Sie ist erst recht angemessen, wenn das Kennzeichen in einer Fahndungsliste steht und die Identifizierung des Halters rechtlich geboten ist. (Im Fall BVerfGE 120, 378, 401-433 sind die Anforderungen an die Verfassungsmäßigkeit eines die Kennzeichenerfassung gestattenden Gesetzes im einzelnen behandelt; das dort geprüfte HessSOG entsprach diesen Anforderungen nicht.) Da die im Lande L getroffenen polizeilichen Maßnahmen den in § 33 II PAG enthaltenen Voraussetzungen entsprechen (vgl. „Auf dieser Grundlage“ im Sachverhalt), sind sie auch rechtmäßig. Also wäre auch bei Annahme eines Eingriffs eine Verletzung des Grundrechts des K auf informelle Selbstbestimmung nicht gegeben und würde ein Unterlassungsanspruch nicht bestehen.

Die Klage des K hat keinen Erfolg und ist abzuweisen.

Ergänzender Hinweis zum vorbeugenden Rechtsschutz gegenüber Verwaltungsakten:

1. Die Regelung des Rechtsschutzes gegenüber Verwaltungsakten in §§ 42, 113 I, 80, 80 a VwGO ist grundsätzlich abschließend und beschränkt sich auf einen nachträglichen Rechtsschutz. Der VA muss also erst abgewartet werden, wobei der erste Schritt des möglichen Rechtsschutzes die aufschiebende Wirkung des zulässigen Rechtsbehelfs ist (§ 80 I VwGO). Die aufschiebende Wirkung wäre weitgehend überflüssig, wenn der künftige Adressat sich vorbeugend gegen den VA wenden könnte. Also ist ein vorbeugender Rechtsschutz gegenüber einem noch nicht erlassenen VA durch Unterlassungsklage, vorbeugende Feststellungsklage oder einstweilige Anordnung grundsätzlich nicht zulässig (Kopp/Schenke VwGO, 19. Aufl., Vorb. § 40 Rdnr. 33).

2. Ausnahmen bestehen bei einem qualifizierten Rechtsschutzbedürfnis (Finkelnburg/Dombert/Külpmann, Vorläufiger Rechtsschutz, 6. Aufl., Rdnr. 104). Anwendungsfälle sind (Kopp/Schenke a. a. O. Rdnr. 34): (1) Der VA kann nach Erlass aus Rechtsgründen nicht mehr aufgehoben werden (so bei der beamtenrechtlichen Konkurrentenklage, wenn der Grundsatz der Ämterstabilität eingreift). (2) Durch den Erlass des VA werden vollendete Tatsachen geschaffen, die den Rechtsschutz endgültig vereiteln. (3) Als Folge des VA droht eine Strafe oder ein Bußgeld (OVG Münster NVwZ 2014, 92).


Zusammenfassung