Bearbeiter: RA Prof. Dieter Schmalz
Thema: Antragsbefugnis im Normenkontrollverfahren gegen einen Bebauungsplan
I. Grundsätzlich ist für die Zulässigkeit einer verwaltungsgerichtlichen Klage eine Klagebefugnis erforderlich. Der Kläger muss geltend machen, in eigenen Rechten verletzt zu sein. Das ergibt sich
An der Klagebefugnis fehlt es,
II. Auch für die Zulässigkeit des Normenkontrollverfahrens (§ 47 VwGO; Aufsatz hierzu: Ehlers JURA 2005, 171) verlangt das Gesetz beim Antrag einer Privatperson – im Unterschied zum Verfahren auf Antrag einer Behörde – in § 47 II parallel zu obigen Fällen eine Antragsbefugnis. Der Antragsteller (Kläger) muss geltend machen, durch die Rechtsvorschrift oder deren Anwendung in seinen Rechten verletzt zu sein oder in absehbarer Zeit verletzt zu werden. Das gilt insbesondere für den Hauptfall des Normenkontrollverfahrens, der Klage gegen einen Bebauungsplan (vgl. § 47 I Nr. 1). Wegen der Besonderheiten bei einem Plan, der keine Einzelfallregelung enthält und sich an keinen bestimmten Adressaten wendet, lassen sich die zu § 42 II entwickelten Grundsätze nur mit Modifikationen auf § 47 II übertragen. Nach h. M ist bei § 47 II im Falle des Normenkontrollverfahrens gegen einen Bebauungsplan wie folgt konkretisierend zu unterscheiden:
1. Wer Eigentümer eines Grundstücks in dem Plangebiet ist und durch den Plan oder seine Änderung nachteilig betroffen wird, kann stets geltend machen, in seinem Recht verletzt zu sein (BVerwG NVwZ 1998, 732; Hufen JuS 2005, 88). Denn nach der Rspr. des BVerwG (E 107, 215, 220/1 - Leitentscheidung zu § 47 II bei der Normenkontrollklage gegen einen Bebauungsplan) hat das Abwägungsgebot nach § 1 VI, VII BauGB drittschützenden Charakter. Der Eigentümer hat ein „Recht auf gerechte Abwägung“ (BVerwGE 107, 223vgl. aber auch BVerwGE 119, 312). Der Antragsteller ist antragsbefugt, wenn er geltend machen kann, in solchen Belangen betroffen zu sein, die bei der Abwägung zu berücksichtigen waren (dazu noch BVerwG im folgenden Fall). Das Eigentum an den im Plangebiet liegenden Grundstücken ist, da durch den Bebauungsplan im Wesentlichen die Nutzung dieser Grundstücke geregelt wird, stets ein solcher Belang und in die Abwägung einzubeziehen. Macht der Antragsteller geltend, dass die Planung rechtswidrig ist, kann § 1 VI, VII BauGB auch verletzt sein. Weiterhin kann sich der Eigentümer auf eine durch die rechtswidrige Planung mögliche Verletzung des Eigentums (Art. 14 GG) berufen. Dem unmittelbar Planbetroffenen steht also die Antragsbefugnis zu.
2. Davon zu unterscheiden ist die Klage des Plannachbarn.
a) Im Fall BVerwGE 107, 215 wandten sich Grundstückseigentümer, deren Anwesen 10 m jenseits der Grenze des Bebauungsplans lag, dagegen, dass durch den Bebauungsplan eine bisherige Grünfläche als Kleingartengebiet mit Vereinsheim ausgewiesen wurde. Das BVerwG sah in dem Interesse der Kläger an der Erhaltung einer ungestörten Wohnlage einen nach § 1 VI BauGB (vgl. dort Nr. 1, 7c und e) abwägungserheblichen Belang und bejahte die Antragsbefugnis (S. 222). Ebenso entschied es in einem Fall, in dem sich Anwohner außerhalb des Plangebiets dagegen wandten, dass der ihr Anwesen erschließende Weg durch eine neue Bebauung völlig überlastet würde (BVerwG NVwZ 2001, 431); ein weiteres Beispiel bringt das BVerwG im folgenden Fall unter II 2a.
b) Im folgenden Fall ist Kläger ebenfalls ein außerhalb des Plangebiets gelegener Eigentümer, der sich aber nicht gegen eine von der neuen Bebauung ausgehende Störung wendet, sondern dagegen, dass er nicht in den Plan einbezogen wurde. Der Fall gibt dem BVerwG Gelegenheit, seine bisherigen Rspr. zusammenzufassen und sie für die neue Fallgruppe weiter zu entwickeln.
► Antragsbefugnis beim Normenkontrollverfahren gegen einen Bebauungsplan, § 47 II VwGO. ► Subjektive Rechte aus dem Abwägungsgebot des § 1 VI BauGB; Recht auf gerechte Abwägung. ► Abgrenzung der unter § 1 VI BauGB fallenden Belange
BVerwG Urteil vom 30. 4. 2004 (4 CN 1/03) NVwZ 2004, 1120
Fall (Ein zweites Wohnhaus auf dem Grundstück)
Frau E ist Eigentümerin eines am östlichen Ortsrand der Gemeinde G gelegenen größeren Grundstücks. Auf dem westlichen, von der Straße aus betrachtet vorderen Teil des Grundstücks steht ein Wohnhaus, das zu einer einzeiligen Bebauung gehört, die in nord-südlicher Richtung verläuft. Der hintere, östlich gelegene Teil des Grundstücks ist unbebaut. Für das ganze Gebiet stellte die Gemeinde den Bebauungsplan „Hagfeld“ auf. In diesen wurde nur der westliche, bebaute Teil des Grundstücks der E einbezogen, während der hintere, östliche Teil Außengebiet blieb. Im geltenden Flächennutzungsplan war zwar auch das östlich gelegene Gelände als Wohnbaufläche vorgesehen, jedoch befindet sich ein neuer Flächennutzungsplan im Aufstellungsverfahren, der eine Erweiterung der Wohnbaufläche in Richtung Osten nicht mehr vorsieht und statt dessen die dort vorhandene Landschaft schützt. Im Aufstellungsverfahren für den Bebauungsplan Hagfeld hatte E den Antrag gestellt, ihr zu ermöglichen, entsprechend dem geltenden Flächennutzungsplan auf dem hinteren Teil ein zweites Wohnhaus zu bauen. Das hatte die Gemeinde aber unter Hinweis auf die beabsichtigte Änderung abgelehnt. E fragt, ob sie die Möglichkeit hat, klageweise gegen den für sie ungünstigen Teil des Bebauungsplans vorzugehen.
I. Gegenüber einem Bebauungsplan ist ein Normenkontrollverfahren nach § 47 I Nr. 1 VwGO statthaft, weil ein Bebauungsplan eine nach dem BauGB erlassene Satzung ist (§ 10 I BauGB). Der Normenkontrollantrag ist innerhalb von zwei Jahren nach Erlass des Bebauungsplans zu stellen (§ 47 II 1). Zuständig für die Entscheidung über den Normenkontrollantrag ist das OVG / der VGH (§ 47 I). Der Antrag ist gegen die Gemeinde zu richten (§ 47 II 2). Diese Bedingungen kann E erfüllen.
II. Der Antragstellerin E müsste die Antragsbefugnis nach § 47 II VwGO zustehen.
1. Zur Antragsbefugnis macht das BVerwG auf S. 1120/1 unter II zunächst allgemeine Ausführungen.
a) An die Geltendmachung einer Rechtsverletzung sind dieselben Anforderungen wie an die Klagebefugnis nach § 42 II VwGO zu stellen. Es ist daher ausreichend, wenn der Antragsteller hinreichend substanziiert Tatsachen vorträgt, die es zumindest als möglich erscheinen lassen, dass er durch den zur Prüfung gestellten Rechtssatz in einem subjektiven Recht verletzt wird (st. Rspr., vgl. z. B. BVerwGE 107, 215; NVwZ 2000, 1296).
b) Wie der erkennende Senat in BVerwGE 107, 215 weiter entschieden hat, kann die Verletzung eines derartigen subjektiven Rechts auch aus einem Verstoß gegen das in § 1 VI BauGB enthaltene Abwägungsgebot folgen. Dieses Gebot hat hinsichtlich solcher privater Belange drittschützenden Charakter, die für die Abwägung erheblich sind. Antragsbefugt ist also, wer sich auf einen abwägungserheblichen privaten Belang berufen kann; denn wenn es einen solchen Belang gibt, besteht grundsätzlich auch die Möglichkeit, dass die Gemeinde ihn bei ihrer Abwägung nicht korrekt berücksichtigt hat (vgl. BVerwG NVwZ 2000, 1413).
c) Nach BVerwG S. 1121 sind allerdings nicht abwägungserheblich: Belange, die keinen städtebaulichen Bezug haben; die nur geringwertige oder mit einem Makel behaftete, d. h. nicht schutzwürdige Interessen betreffen; die für die Gemeinde nicht erkennbar waren.
d) Die – nicht nur geringfügige – Beeinträchtigung des Grundstückseigentums im Plangebiet ist stets abwägungserheblich (Einleitung vor dem Fall unter II 1). Im vorliegenden Fall liegt jedoch der hintere Teil des Grundstücks der E, um den es geht, gerade nicht im Plangebiet.
2. Wie das BVerwG auf S. 1121 ausführt, können auch die Interessen eines Eigentümers, dessen Grundstück nicht in den Geltungsbereich des Bebauungsplans einbezogen werden soll, nach den dargelegten Grundsätzen abwägungserheblich sein.
a) Das ist der Fall, wenn der Bebauungsplan oder seine Ausführung nachteilige Auswirkungen auf das Grundstück oder seine Nutzung haben kann. Solche planungsbedingten Folgen müssen, wenn sie mehr als geringfügig, schutzwürdig und erkennbar sind, ebenso wie jeder vergleichbare Konflikt innerhalb des Plangebiets im Rahmen des Abwägungsgebots bewältigt werden… Ein derartiger Sachverhalt lag dem Beschluss BVerwG NVwZ 1996, 888 zu Grunde. Dort hatte die Verwirklichung der Planung Schwierigkeiten für die Bewirtschaftung eines außerhalb des Plangebiets liegenden landwirtschaftlichen Grundstücks zur Folge. Für die Antragsbefugnis genügt bereits die Tatsache der planungsbedingten nachteiligen Auswirkungen… Im vorliegenden Fall hat der Bebauungsplan keine nachteiligen Auswirkungen auf die Nutzung des Grundstücks der E; vielmehr kann dieses wie bisher genutzt werden. Dass der hintere Teil nicht Bauland geworden ist, ist keine nachteilige Auswirkung, sondern die Vorenthaltung einer Vergünstigung.
b) Der VGH Mannheim als Vorinstanz im BVerwG-Fall hatte den im Aufstellungsverfahren geäußerten Wunsch der E auf Einbeziehung ihres Grundstücksteils als Belang gewertet und damit die Antragsbefugnis der E begründet. Das geht dem BVerwG aber zu weit. Es weist darauf hin, dass die Gemeinden die Bebauungspläne in eigener Verantwortung aufstellen (§ 2 I BauGB). Danach bleibt es der Einschätzung der Gemeinde überlassen, ob sie einen Bebauungsplan aufstellt, ändert oder aufhebt. Maßgebend sind ihre eigenen städtebaulichen Vorstellungen… Auf die Aufstellung eines Bebauungsplans und seinen Inhalt besteht kein Anspruch (§ 1 III 2 BauGB). Die Gründe, die den Gesetzgeber veranlasst haben, ein subjektives Recht auf eine bestimmte gemeindliche Bauleitplanung zu verneinen, stehen auch einem „subjektiv-öffentlichen Anspruch auf fehlerfreie Bauleitplanung“ entgegen, der auf die Einbeziehung eines Grundstücks in den Geltungsbereich eines Bebauungsplans und auf die Ausweisung des Grundstücks als Bauland zielt. Somit fällt das Interesse auf Einbeziehung eines Grundstücks in einen Bebauungsplan grundsätzlich nicht unter die nach § 1 VI, VII BauGB geschützten Belange, deren gerechte Behandlung bei der Abwägung verlangt werden kann.
c) Möglicherweise besteht eine Antragsbefugnis ausnahmsweise dann, wenn die Gemeinde das Grundstück willkürlich, d. h. aus anderen als städtebaulichen Gründen, nicht einbezieht. Dieser Auffassung folgt Hufen JuS 2005, 88 und bringt als Beispiel den Fall, dass eine Gemeinde ein Grundstück aus dem Plangebiet ausklammert, um den Eigentümer dafür zu „bestrafen“, dass er sein Grundstück nicht an die Gemeinde verkauft hat. Das BVerwG spricht diese Frage an, lässt sie aber offen, weil die Absicht, die geplante Änderung des Flächennutzungsplans bereits jetzt zu berücksichtigen, Willkür ausschließt.
d) Folglich kann E nicht geltend machen, in einem abwägungserheblichen Belang und damit in einem Recht aus § 1 VI, VII BauGB verletzt zu sein. Auch Art. 14 GG kann nicht verletzt sein, wenn ein Grundstück, das bisher nicht Bauland war, aus sachlichen Gründen nicht Bauland wird. E ist nicht antragsbefugt. Ihr Normenkontrollantrag wäre nicht zulässig.
Zusammenfassung