Bearbeiter: Prof. Dieter Schmalz

Verwaltungsgerichtliche Zwischenfeststellungsklage (§§ 173 VwGO, 256 II ZPO). Maßnahmen zum Tierschutz, § 16a TierSchG. Verwaltungsvollstreckung; Notwendigkeit eines Verwaltungsakts als Grundverfügung. Folgenbeseitigungsanspruch

BVerwG
Urteil vom 12.1. 2012 (7 C 5.11) NVwZ 2012, 1184

Fall (Verkaufte Pferde)

Frau F betrieb eine Pferdezucht, bei der sie allein sich um die 15 Pferde kümmerte. Als sie in Haft kam, wurden die Pferde, wie der beamtete Tierarzt vor Ort feststellte und in einem Vermerk niederlegte, nicht mehr versorgt. Die für den Tierschutz zuständige B-Behörde der Kreisverwaltung setzte F eine Frist, innerhalb derer sie die Versorgung der Tiere sicherstellen sollte, und veranlasste den örtlichen Reitverein, sich um die Betreuung und Versorgung der Tiere zu kümmern. Da F nichts unternahm und der Reitverein die Versorgung nur für eine kurze Zeit übernehmen wollte, sah die B-Behörde nur die Möglichkeit, die Tiere an Dritte zu veräußern. Sachbearbeiter S bei B besprach den Fall mit dem Leiter des Rechts- und Ordnungsamtes. Dieser sandte S anschließend eine E-Mail, in der er zu dem Ergebnis kam, es sollte nach § 16a Abs. 1 Nr. 2 TierschG vorgegangen werden. „Das ist der einfachste Weg. Wenn Sie erst eine Anordnung erlassen, könnte ein Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO gestellt werden und wir müssten nach bisheriger Praxis abwarten, bis über diesen entschieden ist. Ich meine, dass wir solche Verzögerungen nicht hinnehmen können. Bitte teilen Sie das Frau F zuvor mit.“ S informierte F über die Absicht der Behörde, die Pferde wegzunehmen und zu veräußern, wenn nicht F noch eine andere Lösung finde. Der Kaufpreis werde nach Abzug der der Kreisverwaltung entstandenen Kosten an F ausgezahlt. F antwortete, sie habe im Augenblick zwar keine Möglichkeit, sich selbst um die Tiere zu kümmern, und habe auch kein Geld, um jemand anderes damit zu beauftragen, mit der Wegnahme und Veräußerung sei sie aber nicht einverstanden.

Nachdem S sich um einen Erwerber für die Pferde bemüht hatte, erklärte sich der R-Reitverein e.V. zur Übernahme bereit. Die Pferde wurden vom Grundstück der F entfernt und nach Abschluss eines Kaufvertrages und der Bezahlung des Kaufpreises dem R übergeben. Die nach Abzug der Kosten verbliebene Kaufsumme liegt noch auf einem Konto der B. F ist inzwischen aus der Haft entlassen. Sie hat Klage vor dem zuständigen Verwaltungsgericht gegen den Kreis erhoben und beantragt, festzustellen, dass die vom Beklagten durchgeführte Veräußerung von 15 Pferden rechtswidrig war, und dass der Beklagte zur Rückgängigmachung der Veräußerung und Rückgabe der Pferde verurteilt wird. Sie kann darauf verweisen, dass der R-Verein sich bereit erklärt hat, den Kaufvertrag rückabzuwickeln, sollte sich herausstellen, dass die Veräußerung zu Unrecht erfolgt ist. Wie ist über die Klage zu entscheiden ?

Aus dem Tierschutzgesetz:

§ 2 I: Wer ein Tier hält, betreut oder zu betreuen hat,

1. muss das Tier seiner Art und seinen Bedürfnissen entsprechend angemessen ernähren, pflegen und verhaltensgerecht unterbringen…

§ 16a I: Die zuständige Behörde trifft die zur Beseitigung festgestellter Verstöße und die zur Verhütung künftiger Verstöße notwendigen Anordnungen. Sie kann insbesondere

1.im Einzelfall die zur Erfüllung der Anforderungen des § 2 erforderlichen Maßnahmen anordnen,

2. ein Tier, das nach dem Gutachten des beamteten Tierarztes mangels Erfüllung der Anforderungen des § 2 erheblich vernachlässigt ist oder schwerwiegende Verhaltensstörungen aufzeigt, dem Halter fortnehmen und so lange auf dessen Kosten anderweitig pfleglich unterbringen, bis eine den Anforderungen des § 2 entsprechende Haltung des Tieres durch den Halter sichergestellt ist; ist eine anderweitige Unterbringung des Tieres nicht möglich oder ist nach Fristsetzung durch die zuständige Behörde eine den Anforderungen des § 2 entsprechende Haltung durch den Halter nicht sicherzustellen, kann die Behörde das Tier veräußern…

3. demjenigen, der den Vorschriften des § 2, einer Anordnung nach Nummer 1 oder einer Rechtsverordnung nach § 2a wiederholt oder grob zuwidergehandelt und dadurch den von ihm gehaltenen oder betreuten Tieren erhebliche oder länger anhaltende Schmerzen oder Leiden oder erhebliche Schäden zugefügt hat, das Halten oder Betreuen von Tieren einer bestimmten oder jeder Art untersagen…

§ 18 I: Ordnungswidrig handelt, wer vorsätzlich oder fahrlässig

1. einem Wirbeltier, das er hält, betreut oder zu betreuen hat, ohne vernünftigen Grund erhebliche Schmerzen, Leiden oder Schäden zufügt,

2. einer vollziehbaren Anordnung nach § 8a Abs. 5, § 11 Abs. 3 Satz 2 oder § 16a Satz 2 Nr. 1, 3 oder 4 zuwiderhandelt…

A. Zulässigkeit der Klage

I. Voraussetzung für die Zulässigkeit des Verwaltungsrechtswegs ist, dass eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit i. S. des § 40 I VwGO vorliegt. F wendet sich mit beiden Anträgen gegen die Wegnahme und Veräußerung der Pferde. Diese Maßnahmen hat die B-Behörde auf § 16a TierSchG gestützt. Diese Vorschrift richtet sich an die zuständige Behörde und ist deshalb eine öffentlich-rechtliche Vorschrift. Darauf gestützte Maßnahmen sind öffentlich-rechtlicher Natur. Wendet sich der Kläger, wie im vorliegenden Fall die Klägerin, gegen öffentlich-rechtliche Maßnahmen, handelt es sich um eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit. Der Verwaltungsrechtsweg ist gegeben.

II. Als Klageart für den Feststellungsantrag kommt der Spezialfall einer Zwischenfeststellungsklage in Betracht.

1. Sie würde allerdings ausscheiden, wenn die Wegnahme und Veräußerung der Pferde, gegen die F sich wendet, durch Verwaltungsakt vorgenommen worden wäre. Denn dann müsste das Klagebegehren der F (vgl. § 88 VwGO) als Anfechtungsantrag (§ 42 I VwGO) ausgelegt werden; der Antrag auf Rückgängigmachen der Veräußerung wäre ein Antrag nach § 113 I 2 VwGO. Jedoch hat die B-Behörde keine Regelung (§ 35 VwVfG) getroffen. Sie hat F lediglich eine Frist gesetzt und sie später über die Absicht der Behörde informiert, um ihr Gelegenheit zu geben, sich selbst um die Tiere zu kümmern. Ein bloß tatsächliches Vorgehen ohne VA entsprach auch der Absicht der B, wie sich aus der E-Mail des Leiters des Rechts- und Ordnungsamtes ergibt.

2. Die Zwischenfeststellungsklage ist in der VwGO nicht geregelt. Nach § 173 VwGO ist die ZPO entsprechend anzuwenden, wenn die grundsätzlichen Unterschiede der beiden Verfahrensarten dies nicht ausschließen. BVerwG [12]: N ach § 256 Abs. 2 ZPO kann bis zum Schluss derjenigen mündlichen Verhandlung, auf die das Urteil ergeht, der Kläger durch Erweiterung des Klageantrags beantragen, dass ein im Laufe des Prozesses streitig gewordenes Rechtsverhältnis, von dessen Bestehen oder Nichtbestehen die Entscheidung des Rechtsstreits ganz oder zum Teil abhängt, durch richterliche Entscheidung festgestellt wird. Zweck der Zwischenfeststellungsklage ist die Ausdehnung der Rechtskraft auf das dem Anspruch zugrunde liegende Rechtsverhältnis, das sonst von der Rechtskraftwirkung nicht erfasst würde (Assmann, in: Wieczorek/Schütze, ZPO, 3. Aufl., § 256 Rnr. 344; vgl. auch BVerwGE 39, 135, 138). Sie ist ein Ersatz dafür, dass die Elemente der Entscheidung zum Grund der Klage nicht in Rechtskraft erwachsen. Voraussetzung ist daher, dass die Entscheidung des Rechtsstreits von dem Bestehen des Rechtsverhältnisses abhängt. Ein weiteres (rechtliches) Interesse an der alsbaldigen Feststellung ist dagegen nicht erforderlich. Das Feststellungsinteresse wird durch die Vorgreiflichkeit ersetzt (BGHZ 69, 37, 41…).

a) Rechtsverhältnis zwischen F und B ist die Berechtigung der B, ihr die Pferde wegzunehmen und sie zu veräußern; B behauptet das Bestehen des Rechtsverhältnisses, F bestreitet es. Somit ist zwischen den Parteien ein Rechtsverhältnis streitig.

b) Von dem Rechtsverhältnis müsste die Entscheidung der Hauptklage, des zweiten Antrags der F, abhängen. Ziel der Hauptklage ist die Rückgängigmachung der Veräußerung der Pferde. Das kann F nur erreichen, wenn die Veräußerung rechtswidrig war. War B dagegen zur Veräußerung der Pferde berechtigt, scheidet ein Anspruch auf Rückgängigmachen aus. Somit ist das streitige Rechtsverhältnis für die Entscheidung über den zweiten Klageantrag vorgreiflich.

c) BVerwG [14]: Auch das allgemeine Rechtsschutzinteresse für die Klage liegt vor. Dieses setzt voraus, dass sich die begehrte Feststellung auf einen Gegenstand bezieht, der über den der Rechtskraft fähigen Gegenstand des Rechtsstreits hinausgeht. Für eine Zwischenfeststellungsklage ist daher kein Raum, wenn mit dem Urteil über die Hauptklage die Rechtsbeziehungen der Parteien erschöpfend geregelt sind (vgl. BGH NJW 2007, 82, 83). Insoweit genügt die hier bestehende bloße Möglichkeit, dass das inzident ohnehin zu klärende Rechtsverhältnis zwischen den Parteien noch über den gegenwärtigen Streitgegenstand hinaus Bedeutung gewinnen kann. Eine solche Bedeutung könnte darin bestehen, dass F Schadensersatz verlangt und hierfür die bereits festgestellte Rechtswidrigkeit eine wesentliche Voraussetzung dafür begründet.

Der Feststellungsantrag ist zulässig.

III. Der Hauptantrag zielt darauf, die Veräußerung der Pferde rückgängig zu machen.

1. Dabei handelt es sich um ein Realhandeln, auch als schlichtes Verwaltungshandeln bezeichnet. Dieses kann mit einer Leistungsklage verfolgt werden.

2. Für die Leistungsklage ist analog § 42 II VwGO eine Klagebefugnis erforderlich ( BVerwGE 101,159; 60,144,150). F kann geltend machen, die Veräußerung der Pferde sei ein nicht gerechtfertigter Eingriff in ihr Eigentum gewesen, worin eine fortdauernde Rechtsverletzung liegt.

IV. Beide Anträge richten sich gegen den Kreis als Träger der B-Behörde (§ 61 Nr. 1 VwGO). Sie sind zulässig.

B. Begründetheit des Feststellungsantrags

I. Die Wegnahme und Veräußerung der Pferde bedurfte als belastendes Verwaltungshandeln einer Ermächtigungsgrundlage. Als solche kommt § 16a I Nr. 2 TierSchG in Betracht. Es müssten die Voraussetzungen dieser Vorschrift vorliegen.

1. Die Pferde wurden durch F nicht den Anforderungen des § 2 I Nr. 1 TierSchG entsprechend versorgt und gefüttert. Dadurch wurden sie erheblich vernachlässigt. Dass sich der Reitverein um die Pferde gekümmert hat, ändert daran nichts, da dies nur eine Folge der Vernachlässigung durch F war und auch keine Dauerlösung darstellte.

BVerwG [17]: Die Voraussetzungen des § 2 I Nr. 2 TierSchG lagen vor. Dabei kann dahinstehen, ob der…Vermerk des beamteten Tierarztes ein Gutachten im Sinne des § 16a Satz 2 Nr. 2 TierSchG ist. Denn die Klägerin hatte für die Zeit ihrer Abwesenheit die Versorgung der Pferde - insbesondere deren Ernährung und Pflege - in keiner Weise sichergestellt. Sinn des Gutachtens ist es, Klarheit darüber zu erhalten, ob die Haltung artgerecht ist. Ein solches Gutachten ist deshalb nach Sinn und Zweck der Vorschrift entbehrlich, wenn Tiere bei Abwesenheit des Halters überhaupt nicht versorgt - insbesondere überhaupt nicht ernährt - werden.

2. Es lagen auch die weitergehenden Voraussetzungen für eine Veräußerung vor. B hat F eine Frist gesetzt. Eine Sicherstellung der Versorgung der Tiere konnte dadurch nicht erreicht werden. Auch war eine anderweitige Unterbringung offenbar nicht möglich. F hatte nicht das Geld dazu. Die Behörde wäre dazu möglicherweise in der Lage gewesen, ihr ist aber nicht zuzumuten, dafür für längere Zeit öffentliche Gelder einzusetzen.

II. Die Wegnahme und Veräußerung sind gegen den Willen der F durchgesetzt worden. Es handelt sich daher um Maßnahmen mit Vollstreckungscharakter. Neben den Voraussetzungen des § 16a I Nr. 2 TierSchG könnten die Voraussetzungen für eine Vollstreckung nach dem VwVG vorliegen müssen.

1. Nach dem Verwaltungsvollstreckungsrecht bedarf es grundsätzlich einer Grundverfügung (§ 55 I VwVG NRW); eine solche Grundverfügung hat B bewusst nicht erlassen.

a) § 16a TierSchG lässt sich mit den Standardmaßnahmen des Polizei- und Ordnungsrechts vergleichen. Für diese wird heute überwiegend vertreten, dass das Festhalten und Durchsuchen von Personen, das Durchsuchen von Sachen, das Betreten und Durchsuchen von Wohnungen, die Ingewahrsamnahme von Personen auch zu den dafür typischerweise nötigen Zwangsmaßnahmen ermächtigen („Standardmaßnahmen mit Vollstreckungscharakter“, Möstl JURA 2011, 849; Poscher/Rusteberg JuS 2012, 27/8; Muckel JA 2012, 274). Bei der Sicherstellung von Sachen wird sowohl vertreten, dass sie nur eine VA-Befugnis gewährt, als auch, dass sie bereits zum Vollzug ermächtigt (Muckel JA 2012, 274).

b) Das BVerwG verzichtet auf den Vergleich mit den Standardmaßnahmen des POR und entscheidet die Frage, ob bei § 16a I Nr. 2 TierSchG eine Grundverfügung erforderlich ist, allein durch Auslegung des § 16a I Nr. 2. BVerwG [20 – 25]:

aa) Nach Wortlaut und Gesetzessystematik konkretisiert § 16a Satz 2 TierSchG, wie die Formulierung „insbesondere“ zeigt, für die dort genannten Fallgruppen - ohne erkennbare Differenzierung - die aus der Generalklausel des § 16a Satz 1 folgende Befugnis, Anordnungen zu treffen. Der Begriff der Anordnung deckt sich nach dem Sprachgebrauch des Gesetzgebers regelmäßig mit dem der Regelung im Sinne des § 35 Abs. 1 Satz 1 VwVfG und verweist damit auf die Handlungsform des Verwaltungsakts. Für Anordnungen nach § 16a Satz 2 Nr. 1, 3 und 4 TierSchG folgt diese Gleichsetzung zudem zwingend aus § 18 Abs. 1 Nr. 2 TierSchG. Danach handelt ordnungswidrig, wer vorsätzlich oder fahrlässig einer „vollziehbaren“ Anordnung nach § 16a Satz 2 Nr. 1, 3 oder 4 zuwiderhandelt. Vollziehbar sind nur Verwaltungsakte. Es spricht unter systematischen Gesichtspunkten nichts dafür, dass aus dem Maßnahmenkatalog des Satzes 2 nur die Nummer 2 nicht als Befugnisnorm ausgestaltet sein soll. Dass die Nummer 2 nicht in § 18 I Nr. 2 TierSchG aufgeführt ist, ist kein Gegenargument, sondern hat seinen Grund darin, dass ein Zuwiderhandeln im Fall des § 16a I Nr. 2 nicht möglich ist und deshalb ein Bußgeld nicht sinnvoll wäre.

bb) Auch bestand bereits bei Erlass des Gesetzes ein differenziertes System des Verwaltungsvollstreckungsrechts in den Bundesländern, nach dem grundsätzlich vor einem Eingriff in Rechte von Bürgern ein VA notwendig ist und ein solcher nur ausnahmsweise entbehrlich ist. Wenn der Bundesgesetzgeber von diesem System eine Ausnahme durch Bundesrecht hätte schaffen wollen, hätte dies deutlich zum Ausdruck kommen müssen.

cc) Dass die zuständigen Behörden grundsätzlich nur in Vollziehung eines Verwaltungsakts Zwang anwenden dürfen, folgt aus dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit sowie aus dem Recht auf effektiven Rechtsschutz (Art. 19 Abs. 4 GG).
Insoweit ist eine verfassungskonforme Auslegung geboten.

(1) Der aus dem Rechtsstaatsgebot (Art. 20 Abs. 1 und 3 GG) abgeleitete Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verlangt, dass ein Grundrechtseingriff einem legitimen Zweck dient und als Mittel zu diesem Zweck geeignet, erforderlich und angemessen ist (vgl. BVerfGE 109, 279, 335 ff; 115, 320, 345 und NJW 2007, 2464, 2468). Ein Eingriff ist nur dann erforderlich, wenn er zur Erreichung des mit der Maßnahme angestrebten Erfolges das mildeste Mittel gleicher Wirksamkeit ist. Die zwangsweise Durchsetzung verwaltungsrechtlicher Pflichten im Wege der Verwaltungsvollstreckung setzt deshalb grundsätzlich den vorherigen Erlass eines VA voraus. Der Verwaltungszwang schließt sich an ein Verwaltungsverfahren an, das mit dem Erlass eines VA endet… Zugleich soll der VA dem Bürger Rechtssicherheit gewähren und als Vollstreckungstitel eine materiell- und verfahrensrechtliche Grundlage für die Zwangsanwendung bilden. Dieses gestufte Verfahren belastet den Adressaten der Maßnahme weniger als die unvermittelte Zwangsanwendung, die den Pflichtigen ungleich härter trifft als die auf einer Grundverfügung aufbauende Verwaltungsvollstreckung. Sie nimmt ihm die Möglichkeit, den Vollstreckungszwang abzuwenden (…). Bevor die Behörde zur Tat schreitet, muss sie zunächst versuchen, den Betroffenen zur Erfüllung seiner Verpflichtung anzuhalten. Vor die Tat setzt der Rechtsstaat das Wort (Pietzner, VerwArch 84, 1993, S. 262). Die unmittelbare Zwangsanwendung ist daher auf Fälle begrenzt, in denen der Zweck der Maßnahme nicht durch den Erlass eines VA und die Anordnung von dessen sofortiger Vollziehung nach § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO erreicht werden kann.

(2) Dies trägt auch dem Gebot effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 GG) Rechnung. Art. 19 Abs. 4 GG garantiert nicht nur das formelle Recht und die theoretische Möglichkeit, die Gerichte anzurufen, sondern auch die Effektivität des Rechtsschutzes; der Bürger hat einen substantiellen Anspruch auf eine möglichst wirksame gerichtliche Kontrolle (BVerfGE 40, 272, 275; 77, 275, 284). Das vorgenannte Regel-Ausnahme-Verhältnis zwingt die Behörde grundsätzlich, sich eine Vollstreckungsgrundlage in Form eines vollziehbaren VA zu verschaffen. Wehrt sich der Bürger mit Widerspruch und Anfechtungsklage gegen einen VA, kann dieser aufgrund des durch Art. 19 Abs. 4 GG abgesicherten Suspensiveffekts (vgl. § 80 Abs. 1 Satz 1 VwGO) grundsätzlich erst vollzogen werden, nachdem die Gerichte seine Rechtmäßigkeit geprüft haben (…). Ordnet die Behörde nach § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO aus einem besonderen öffentlichen oder privaten Interesse den Sofortvollzug an, bedarf dies der Rechtfertigung (…) und unterliegt gerichtlicher Prüfung (vgl. § 80 Abs. 5 VwGO). Greift die Verwaltung hingegen ohne Grundverfügung zum Zwang, kann der Bürger zwar nach § 123 VwGO um vorbeugenden Rechtsschutz im Wege der einstweiligen Anordnung nachsuchen. Die Lastenverteilung zwischen Behörde und Bürger kehrt sich dabei aber um.

dd) Diese Erwägungen gelten uneingeschränkt auch für die Fortnahme und Veräußerung nach § 16a Satz 2 Nr. 2 TierSchG… Inhalt der Fortnahmeverfügung ist die Anordnung an den Halter, das Tier herauszugeben. Belange des Tierschutzes (Art. 20a GG) stehen dem nicht entgegen. Unter Beachtung der gesetzlichen Voraussetzungen kann die Behörde nach § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO die sofortige Vollziehung der Fortnahmeverfügung anordnen oder - falls auch das keine zeitnahe effektive Gefahrenbeseitigung ermöglicht - zu dem im Landesvollstreckungsrecht geregelten Instrument der unmittelbaren Ausführung oder des Sofortvollzugs greifen. In diesem Rahmen kann und muss die Behörde dann ihrer verfassungsrechtlichen Pflicht, die Tiere im Rahmen der verfassungsmäßigen Ordnung nach Maßgabe von Gesetz und Recht zu schützen (Art. 20a GG), nachkommen. Ist ein Tier erheblich vernachlässigt oder zeigt es schwerwiegende Verhaltensstörungen auf, wird die Behörde deshalb ein Tier so schnell wie es Recht und Gesetz erlauben dem Halter fortnehmen dürfen und müssen.

Somit ermächtigt § 16a I Nr. 2 TierSchG nur zum Erlass eines darauf gestützten VA, der GrundVA für eine nachfolgende Verwaltungsvollstreckung ist (§ 55 I VwVG NRW). Einen solchen VA hat die B-Behörde nicht erlassen. Zu einer unmittelbaren Durchsetzung der Verpflichtung aus § 16a I Nr. 2 ermächtigt die Vorschrift nicht.

2. Vom Erlass einer Grundverfügung konnte abgesehen werden, wenn die Voraussetzungen für einen Sofortvollzug (§ 55 II VwVG) gegeben waren. Danach kann Verwaltungszwang ohne Grundverfügung nur dann angewendet werden, wenn das zur Abwendung einer gegenwärtigen Gefahr notwendig ist. Nach dem Sachverhalt hat B der F zunächst eine Frist gesetzt, während der der Reitverein die Tiere betreute. Später wurde F informiert und hat geantwortet. Während dieser Vorgänge war es möglich, eine Fortnahme- und Veräußerungsverfügung zu erlassen und ihre sofortige Vollziehung nach § 80 II Nr. 4, III VwGO anzuordnen. Ein Sofortvollzug war nicht notwendig.

3. Das BVerwG [18] ist somit zu folgendem Ergebnis gekommen: Die Veräußerung der Tiere war rechtswidrig, weil deren Fortnahme und Veräußerung nicht durch einen VA gegenüber der Halterin angeordnet worden war. § 16a Satz 2 Nr. 2 Halbs. 1 TierSchG ermächtigt grundsätzlich nur zum Erlass einer Fortnahme- und einer Veräußerungsverfügung, die nach Landesrecht zu vollstrecken sind. Ohne vorausgehenden VA kann ein Tier nur fortgenommen und veräußert werden, wenn und soweit die Voraussetzungen…des Sofortvollzugs nach Landesrecht vorliegen. Daran fehlt es hier. Ist die Fortnahme von Tieren mangels VA rechtswidrig, ist schon aus diesem Grund auch deren nachfolgende…Veräußerung rechtswidrig. Folglich ist die Zwischenfeststellungsklage begründet.

C. Begründetheit der Klage auf Rückgängigmachen der Veräußerung

F müsste ein auf Rückgängigmachen der Veräußerung gerichteter Anspruch zustehen. Ein solcher Anspruch könnte ein Folgenbeseitigungsanspruch sein.

I. Es müssten dessen Voraussetzungen vorliegen.

1. Ein hoheitliches Handeln der B liegt in der Fortnahme und Veräußerung der Pferde. Dass die Veräußerung durch Kaufvertrag in privatrechtlicher Form vorgenommen wurde, ändert daran nichts. Ein Kaufvertrag liegt nur im Verhältnis zum Käufer vor. Im Verhältnis zu F handelt es sich insgesamt um eine auf die öffentlich-rechtliche Vorschrift des § 16a TierSchG gestützte Zwangsmaßnahme.

2. B hat dadurch in das Eigentum der F und damit in ein subjektives Recht der F eingegriffen.

3. Der Eingriff ist rechtswidrig, wie aufgrund des Ergebnisses der Zwischenfeststellungsklage (oben B.) feststeht.

4. Die andauernden Folgen bestehen darin, dass F Eigentum und Besitz an den Pferden verloren hat.

II. Rechtsfolge ist die Verpflichtung zur Wiederherstellung des früheren rechtmäßigen Zustandes durch die Beseitigung der unmittelbaren Folgen des Eingriffs (BVerwGE 69, 373/4). Im vorliegenden Fall wird der frühere rechtmäßige Zustand durch Rückgängigmachen der Veräußerung und Rückgabe der Pferde an F wieder hergestellt. Da der Reitverein als Erwerber der Pferde zu der Rückgängigmachung bereit ist, ist die Wiederherstellung nicht unmöglich. Sie ist B auch nicht unzumutbar.

Der Leistungsantrag auf Rückgängigmachen der Veräußerung und Rückgabe der Pferde ist ebenfalls begründet.


Zusammenfassung