Bearbeiter: Prof. Dieter Schmalz

Verwaltungsvollstreckung wegen einer Geldforderung. Geldzuwendung für Betriebsgründung und Arbeitsplatzbeschaffung. Widerruf und Rückforderung wegen Zweckverfehlung, §§ 49 III, 49 a VwVfG; Anspruchsvoraussetzungen; Widerrufsermessen bei § 49 III VwVfG. Öffentlich-rechtlicher Erstattungsanspruch im Insolvenzverfahren. Verwaltung als Insolvenzgläubiger, § 38 InsO. Restschuldbefreiung, § 300 InsO

BVerwG Urteil vom 26. 2. 2015 (3 C 8.14) NVwZ 2015, 1392

Fall (Kein Dauerarbeitsplatz)

Die für Wirtschaftsförderung zuständige Behörde B des Landes L bewilligte dem K im Jahre 2004 durch Zuwendungsbescheid aus Mitteln des Förderungsprogramms „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur“ 23.500 Euro zur Gründung eines Betriebs. Der Bescheid enthielt den Zusatz, dass die Zuwendung zu dem Zweck gewährt wird, einen Dauerarbeitsplatz zu schaffen und für einen Zeitraum von mindestens fünf Jahren nach Betriebsgründung zu erhalten. K eröffnete den Betrieb und stellte A als Arbeitnehmer ein. Als sich im Jahre 2008 herausstellte, dass der Betrieb auf Dauer nicht rentabel geführt werden konnte, stellte K den Betrieb ein und entließ A. Kurz darauf eröffnete das Amtsgericht das Insolvenzverfahren über das Vermögen des K. Nach der Abwicklung des Verfahrens im Jahre 2009 erfuhr die B-Behörde von dem Scheitern des K und dem Insolvenzverfahren. Sie hörte K dazu an und erließ noch im Jahre 2009 einen Bescheid, in dem sie den Zuwendungsbescheid aus dem Jahre 2004 mit Rückwirkung widerrief und die 23.500 Euro zurückverlangte. Zur Begründung verwies sie darauf, dass K den Arbeitsplatz entgegen der Auflage im Bescheid nicht erhalten habe.

K hielt den Widerruf für nicht berechtigt und verhandelte mit B, konnte diese aber nicht umstimmen. Nachdem die Sache längere Zeit geruht hatte, teilte B dem K mit, sie werde den Erstattungsbescheid vollstrecken. Inzwischen hat das Amtsgericht dem K Restschuldbefreiung nach § 300 der Insolvenzordnung (InsO) gewährt. Nunmehr verlangt K von B, dies anzuerkennen und von der Vollstreckung des Bescheids abzusehen. B verweigert das und verweist darauf, dass sich die Restschuldbefreiung nach §§ 300, 301 I InsO auf Forderungen der Insolvenzgläubiger erstreckt und dass nach § 38 InsO Insolvenzgläubiger nur ist, wer „einen zur Zeit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens begründeten Vermögensanspruch gegen den Schuldner“ hat. Der Erstattungsanspruch der B sei aber erst 2009, also nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens im Jahre 2008 entstanden.

K hat in zulässiger Weise verwaltungsgerichtliche Klage gegen das von der B-Behörde vertretene Land L erhoben und beantragt festzustellen, dass die Vollstreckung aus dem Erstattungsbescheid von 2009 unzulässig ist. Ist die Klage begründet?

Lösung

Die Begründetheit der Feststellungsklage hängt davon ab, ob B berechtigt ist, aus dem Erstattungsbescheid von 2009 zu vollstrecken.

I. Ob eine Behörde zur Vollstreckung einer Geldforderung berechtigt ist, richtet sich zunächst nach dem Verwaltungsvollstreckungsrecht, das regelmäßig im Verwaltungsvollstreckungsgesetz (VwVG) geregelt ist (für Steuern, die von Bundes- oder Landesfinanzbehörden verwaltet werden: §§ 249 ff. Abgabenordnung).

1. Danach sind Voraussetzungen für die Vollstreckung (z. B. nach § 6 I VwVG NRW)

a) ein Leistungsbescheid und die Fälligkeit der Leistung.

b) Außerdem soll der Schuldner gemahnt worden sein, und es soll eine Schonfrist von einer Woche eingehalten werden.

Im vorliegenden Fall ist Leistungsbescheid der Erstattungsbescheid von 2009. Vom Vorliegen der anderen Voraussetzungen ist auszugehen.

2. Wie sich aus den aufgeführten Voraussetzungen ergibt, ist die Rechtmäßigkeit des Leistungsbescheids keine Voraussetzung für die Vollstreckung, so dass deren Rechtmäßigkeit nicht mit Einwendungen gegen die Rechtmäßigkeit des Leistungsbescheids bezweifelt werden kann. Will der Betroffene sich gegen die Rechtmäßigkeit des Leistungsbescheids wenden, muss er seine Einwendungen außerhalb des Vollstreckungsverfahrens geltend machen (so z. B. § 7 I VwVG NRW; § 256 AO). Im vorliegenden Fall hätte K eine Anfechtungsklage gegen den Erstattungsbescheid von 2009 erheben können. Inzwischen ist aber eine so lange Zeit verstrichen, dass davon ausgegangen werden muss, dass der Bescheid von 2009 unanfechtbar ist. Ist der Leistungsbescheid unanfechtbar, bleibt nur ein Antrag auf Wiederaufgreifen des Verwaltungsverfahrens nach § 51 VwVfG (vgl. BVerwGE 122, 293). Im vorliegenden Fall ist allerdings nicht ersichtlich, dass ein solcher Antrag Aussicht auf Erfolg haben könnte. Deshalb wendet sich K mit der erhobenen Klage nur gegen die Vollstreckung aus diesem Bescheid und nicht gegen den Bescheid selbst.

Da die grundsätzlichen Voraussetzungen für die Vollstreckung des Bescheids vorliegen, hat die Klage nur Erfolg, wenn die Vollstreckung wegen des Bestehens eines Vollstreckungshindernisses unzulässig ist.

II. Die Vollstreckung aus dem Bescheid von 2009 könnte als Folge des Insolvenzverfahrens und in Anwendung von Vorschriften der InsO unzulässig sein.

1. Dann müsste der verwaltungsrechtliche Erstattungsanspruch, der von der B-Behörde in dem Bescheid geltend gemacht und offensichtlich auf §§ 49, 49 a VwVfG gestützt wurde, unter den Anwendungsbereich der InsO fallen. Bedenken dagegen können sich aus dem unterschiedlichen Rechtscharakter der einschlägigen Regelungen ergeben: Die InsO gehört zum zivilprozessualen Vollstreckungsrecht, die Rückforderung durch einen auf §§ 49, 49 a VwVfG gestützten Bescheid zum öffentlichen Recht. Grundsätzlich können zivilrechtliche Vorschriften öffentlich-rechtliche Ansprüche nicht zum Wegfall bringen oder umgestalten (genauer dazu Ehlers JZ 2015, 1000/1001 in einer Besprechung des Falles). Im Ergebnis besteht aber kein Zweifel, dass auch Vermögensansprüche der Behörden im Insolvenzfall unter die InsO fallen. BVerwG [11] Das Insolvenzverfahren nach der Insolvenzordnung (InsO)…dient der gemeinschaftlichen Befriedigung aller persönlichen Gläubiger des Insolvenzschuldners, die einen zur Zeit der Eröffnung des Verfahrens begründeten Vermögensanspruch gegen ihn haben (Insolvenzgläubiger, § 1 Satz 1 und § 38 InsO). Es erfasst neben privatrechtlichen Ansprüchen auch Steuerforderungen, öffentliche Abgaben und sonstige öffentlich-rechtliche Forderungen, wie sich etwa aus § 55 Abs. 4 und § 185 InsO ableiten lässt und daraus folgt, dass der Gesetzgeber für diese Ansprüche jenseits der Insolvenzordnung keine insolvenzrechtlichen Sondervorschriften getroffen hat… § 55 IV InsO bestimmt, dass bestimmte Steuerschulden Masseverbindlichkeiten sind und also dem Insolvenzverfahren unterliegen. § 185 InsO handelt von Ansprüchen, für die der Zivilrechtsweg nicht gegeben ist.

2. BVerwG [11] fährt hierzu fort: Das führt unter anderem dazu, dass die Träger der öffentlichen Verwaltung ihre Insolvenzforderungen nur nach Maßgabe der Insolvenzordnung geltend machen können (§ 87 InsO); damit ist der Erlass eines Leistungsbescheids während des Insolvenzverfahrens grundsätzlich unzulässig… Diese Feststellung hat jedoch im vorliegenden Fall keine Auswirkungen auf den Widerrufs- und Erstattungsbescheid, weil dieser erst nach Beendigung des Insolvenzverfahrens erlassen wurde.

3. Der Anspruch aus dem Erstattungsbescheid könnte unter die Restschuldbefreiung (§ 300 InsO) fallen und deshalb nicht mehr vollstreckbar sein. § 286 InsO bestimmt, dass ein Schuldner nach Erfüllung bestimmter Voraussetzungen, insbesondere nach Ablauf einer „Wohlverhaltensphase“, von den im Insolvenzverfahren nicht erfüllten Verbindlichkeiten „befreit“ wird. Zwar ergibt sich aus § 301 III InsO, dass die unter die Restschuldbefreiung fallenden Forderungen nicht erlöschen, sondern sich in unvollkommene Verbindlichkeiten (Naturalobligationen) umwandeln. Der Schuldner kann die Erfüllung der Schulden aber verweigern und wird damit praktisch schuldenfrei (Nebel NVwZ 2015, 1395, Anmerkung zu der Entscheidung). Unter diese Rechtsfolge fällt auch die im Bescheid von 2009 gegenüber K geltend gemachte Erstattungsforderung, falls hierfür die Voraussetzungen vorliegen.

a) Dass auch auf verwaltungsrechtliche Ansprüche die InsO anwendbar ist, wurde bereits ausgeführt; also können diese auch unter die Restschuldbefreiung fallen. Weitere Anwendbarkeitsvoraussetzung für §§ 286 ff. InsO ist, dass der Schuldner eine natürliche Person ist, was auf K zutrifft. Auch steht einer Restschuldbefreiung nicht entgegen, dass B, weil sie von dem Insolvenzverfahren keine Kenntnis hatte, die Forderung nicht zur Tabelle nach § 175 InsO angemeldet hat. Denn nach § 301 I 2 InsO wirkt die Restschuldbefreiung auch für Gläubiger, die ihre Forderungen nicht angemeldet haben.

b) Wie bereits im Sachverhalt wiedergegeben wurde, hat § 300 InsO zur Voraussetzung, dass es sich um die Forderung eines Insolvenzgläubiger handelt; also müsste das Land L, für das die B-Behörde handelt, Insolvenzgläubiger sein. Nach § 38 InsO ist Insolvenzgläubiger, wer „einen zur Zeit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens begründeten Vermögensanspruch gegen den Schuldner“ hat. Die von B geltend gemachte Erstattungsforderung müsste Anfang 2008, als das Insolvenzverfahren eröffnet wurde, begründet gewesen sein. Damit stellt sich die Frage, in welchem Zeitpunkt ein Anspruch, der auf §§ 49, 49 a VwVfG gestützt wird, begründet ist (zu den möglichen Zeitpunkten Nebel NVwZ 2015, 1395).

aa) Begründet ist ein Anspruch jedenfalls dann, wenn er entstanden ist. Entstanden ist ein Anspruch nach §§ 49, 49 a VwVfG, wenn der Widerruf nach § 49 erklärt wurde und die zu erstattende Leistung gemäß § 49 a I 2 VwVfG durch VA festgesetzt wurde. Diese Anforderungen erfüllt erst der 2009 erlassene Bescheid. Da das Insolvenzverfahren 2008 eröffnet und im Jahre 2008 bereits abgewickelt wurde, war der Anspruch auf Rückzahlung zur Zeit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens noch nicht entstanden.

BVerwG [15] Der öffentlich-rechtliche Erstattungsanspruch des § 49 a VwVfG entsteht, wenn der VA, der der Leistung zugrunde liegt, mit Wirkung für die Vergangenheit aufgehoben worden und damit der Rechtsgrund der Leistung beseitigt ist (§ 49 a Abs. 1 Satz 1 VwVfG;…). Das geschah hier erst nach der Insolvenzeröffnung mit Zustellung des Widerrufsbescheids. Der Anspruch war bei Eröffnung des Insolvenzverfahrens auch nicht deshalb entstanden, weil der Widerruf mit Wirkung für die Vergangenheit erfolgte. Die Notwendigkeit, im Insolvenzverfahren die Insolvenzgläubiger bestimmen zu können, schließt es aus, die Rückwirkung des Widerrufs zu berücksichtigen… Der Erstattungsanspruch gemäß § 49 a Abs. 1 Satz 1 VwVfG setzt den Widerruf und damit sowohl einen Widerrufsgrund als auch die Ermessensausübung für seine Entstehung voraus.

bb) Der Begriff „begründet“ könnte allerdings weiter sein als „entstanden“. Durch den Widerruf und die Rückforderung wird eine bereits vorher bestehende Rechtslage, kraft deren die Behörde das Recht zum Widerruf und zur Rückforderung hat, verwirklicht. Wesentlich für die Rechtsstellung der Behörde ist diese vorher bestehende Rechtslage. Sie ergibt sich aus dem Vorliegen der den Widerruf rechtfertigenden Voraussetzungen des § 49 VwVfG. Liegen diese vor, d. h. darf die Behörde widerrufen und anschließend zurückfordern, ist ihr Anspruch in seinem wesentlichen Kern begründet.

BVerwG [14] Begründet ist ein Anspruch nicht erst dann, wenn er entstanden ist. Auch ein Anspruch, der noch nicht fällig (betagt) ist oder dessen Entstehung vom Eintritt einer zeitlichen Voraussetzung abhängen soll (befristeter Anspruch) und selbst ein Anspruch, der erst mit dem Eintritt einer Bedingung entsteht, ist gemäß §§ 41, 42, 191 InsO bereits begründet… Allgemein gilt, dass ein Anspruch begründet ist, wenn der anspruchsbegründende Tatbestand bereits vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens erfüllt ist. Das Schuldverhältnis - der so genannte Schuldrechtsorganismus, der die Grundlagen des Anspruchs bildet - muss bestanden haben, auch wenn sich hieraus der Anspruch erst später ergibt (BGH ZInsO 2005, 537, 538 m .w. N.; Sinz, in: Uhlenbruck, InsO, 13. Aufl. 2010, § 38 Rn. 26; Ehricke, in: MüKoInsO, 3. Aufl. 2013, § 38 Rn. 16;…). Mit anderen Worten muss der Rechtsgrund seiner Entstehung bereits gelegt sein (…).

[16] Obwohl der Erstattungsanspruch seinerzeit noch nicht entstanden war, war er dennoch bereits im Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens begründet, wenn auf der Grundlage des mit dem Zuwendungsbescheid…entstandenen Rechtsverhältnisses der Widerrufsgrund der Zweckverfehlung gemäß § 49 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 VwVfG mit der vorzeitigen Geschäftsaufgabe gegeben war und damit die den Erstattungsanspruch materiell begründenden Umstände eingetreten waren.

4. Folglich hängt die Frage, ob der Anspruch aus § 49 a VwVfG begründet war, davon ab, ob Widerruf und Rückforderung im Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens im Jahre 2008 rechtmäßig hätten ausgesprochen werden dürfen. Zwar wurde oben I 2 ausgeführt, dass der - 2009 erlassene - Leistungsbescheid als Vollstreckungsgrundlage nicht rechtmäßig zu sein braucht. Wenn jetzt aber geprüft wird, ob bereits 2008 ein Anspruch begründet war, kann das nur davon abhängen, ob zu dem damaligen Zeitpunkt Widerruf und Rückforderung rechtmäßig gewesen wären. Denn andernfalls fehlte die Grundlage dafür, das Bestehen eines Anspruchs zu bejahen.

a) Anwendbare Rechtsgrundlage für einen Widerruf ist § 49 III VwVfG. Die Vorschrift ist als Regelung eines VA, der eine Geldleistung zu einem bestimmten Zweck bewilligt, spezieller als die allgemeinere Regelung in § 49 II VwVfG. Außerdem ermöglicht § 49 II nur einen Widerruf für die Zukunft, während § 49 III die für die Rückforderung nach § 49 a benötigte Rechtsgrundlage für einen rückwirkenden Widerruf bereit hält.

b) Der Zuwendungsbescheid von 2004 war rechtmäßig und gewährte eine einmalige Geldleistung zu dem in dem Bescheid festgesetzten Zweck, dass ein Dauerarbeitsplatz geschaffen und für einen Zeitraum von mindestens fünf Jahren nach Betriebsgründung erhalten wird.

c) Nach § 49 III 1 Nr. 1 VwVfG ist Widerrufsgrund, wenn die Leistung nicht mehr für den im VA bestimmten Zweck verwendet wird (Zweckverfehlung). Da der VA von 2004 datiert und K den A bereits 2008 entlassen hat, wurde der Arbeitsplatz nicht für fünf Jahre, sondern nur für vier Jahre erhalten. Der Zweck der Subvention wurde folglich verfehlt. Ein nur zeitabschnittsweiser Widerruf ist in § 49 III nicht vorgesehen. Dass die Nichterfüllung der Auflage auf den finanziellen Schwierigkeiten des K beruhte und diese von K möglicherweise nicht verschuldet wurden, ist unerheblich, weil es bei § 49 III VwVfG nicht auf die Gründe für die Zweckverfehlung ankommt. Die Voraussetzungen für einen Widerruf lagen also vor, und zwar bereits vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens.

d) 49 III ist - ebenso wie § 49 I und II - eine Kann-Vorschrift, räumt also Ermessen ein. (Demgegenüber setzt die Rückforderung nach § 49 a keine Ermessensentscheidung voraus; vielmehr gilt: ist der Widerruf erfolgt, muss zurückgefordert werden.)

aa) Grundsätzlich ist bei einer auf eine Ermessensnorm gestützten Forderung „die Ausübung des Ermessens ein anspruchskonstituierendes Element einer öffentlich-rechtlichen Forderung“ (Nebel NVwZ 2015, 1395). Danach ist für die Feststellung, dass ein Anspruch i. S. des § 38 InsO begründet ist, die Ausübung des Ermessens erforderlich. Im vorliegenden Fall hat B ihre Ermessensentscheidung erst 2009 getroffen und damit erst nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens, so dass das Fehlen der Ermessensentscheidung einer Restschuldbefreiung entgegenstehen könnte.

bb) Um dieses Ergebnis zu vermeiden, hatte das OVG als Vorinstanz angenommen, bei § 49 III VwVfG handele es sich um ein intendiertes Ermessen, bei dem die Behörde praktisch keinen Spielraum habe, so dass die Ermessensentscheidung nicht abgewartet zu werden brauchte. Das BVerwG hält das für nicht nötig und begründet das mit der Besonderheit des im Falle des § 49 III VwVfG eingeräumten Ermessens. Dieses braucht nicht ausgeübt zu werden, wenn die Behörde den Widerruf vornimmt, sondern ermöglicht nur, ausnahmsweise vom Widerruf abzusehen.

BVerwG [17] In der Rechtsprechung des Senats ist anerkannt, dass wegen des haushaltsrechtlichen Grundsatzes der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit bei Zuwendungen, die ihren Zweck verfehlen, im Regelfall das Widerrufsermessen nur durch Widerruf fehlerfrei ausgeübt werden kann (BVerwGE 105, 55, 58). Dem liegt zugrunde, dass der Erstattungsanspruch materiell von der Zweckverfehlung getragen wird und keiner weiteren rechtfertigenden Umstände bedarf. Das auf dieser Grundlage auszuübende Ermessen ermöglicht es, im Einzelfall vom Widerruf und damit der Rückforderung abzusehen, und hat somit eine potentiell rechtsvernichtende Funktion…. Es kommt daher nicht darauf an, dass das Ermessen ausgeübt wurde, um den Erstattungsanspruch im Sinne von § 38 InsO zu begründen.

Ein noch ausstehendes Ermessen hindert also die Feststellung, dass der Anspruch der B bereits im Jahre 2008 und damit vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens begründet war, nicht.

e) Um eine Begründetheit i. S. des § 38 InsO anzunehmen, könnte im Falle eines Erstattungsanspruchs nach §§ 49 III, 49 a VwVfG erforderlich sein, dass der Behörde das Vorliegen eines Widerrufsgrundes bekannt war. Diese Voraussetzung würde hier nicht vorliegen, weil B Kenntnis von dem Widerrufsgrund erst nach der Abwicklung des Insolvenzverfahrens erhalten hat.

aa) Grundsätzlich geht das VwVfG davon aus, dass die Behörde Kenntnis von dem Widerrufsgrund erhalten muss. Denn andernfalls kann sie weder den Widerruf noch die Rückforderung anordnen. Auch beginnt die Jahresfrist der §§ 49 III 2, 48 IV VwVfG nur nach Kenntnis zu laufen.

bb) Nach BVerwG ist aber eine solche Kenntnis für die Bejahung des § 38 InsO nicht erforderlich. Dazu verweist es auf den zivilrechtlichen Bereicherungsanspruch wegen Zweckverfehlung (§ 812 I 2 BGB), bei dem ebenfalls keine solche Kenntnis vorgeschrieben ist. [21, 22] Die verwaltungsverfahrensrechtliche Notwendigkeit des Widerrufs rechtfertigt es nicht, anders als für den entsprechenden zivilrechtlichen Kondiktionsanspruch der ungerechtfertigten Bereicherung wegen Nichterreichen des bezweckten Erfolgs, den öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch erst mit der Kenntnis des Widerrufsgrunds als begründet zu erachten und damit im Ergebnis zu privilegieren. Dafür bietet die Insolvenzordnung keine Grundlage. Auch allgemein gilt, dass ein anspruchsbegründender Sachverhalt vorliegen muss, Kenntnis hiervon aber nicht erforderlich ist. Vor diesem Hintergrund ist auch die Entscheidungsfrist des § 49 Abs. 3 Satz 2 i. V. m. § 48 Abs. 4 VwVfG ohne Bedeutung… Ebenso wenig hängt die Wirkung der Restschuldbefreiung von der Kenntnis der Eröffnung des Insolvenzverfahrens ab… Jenseits des Schutzes, den § 826 BGB in den Fällen gewährt, in denen der Insolvenzschuldner einen Anspruch eines Gläubigers bewusst zur Erreichung der Restschuldbefreiung verschweigt, hat der Gesetzgeber dem Interesse an einer umfassenden Restschuldbefreiung Vorrang gegenüber Erwägungen der materiellen Gerechtigkeit gegeben (BGH WM 2011, 271 Rn. 19 ff.).

5. Folglich war der Anspruch der B bereits 2008 begründet. B bzw. das Land L war Insolvenzgläubiger im Sinne von § 38 InsO. Der Erstattungsanspruch wird von der Restschuldbefreiung nach § 300 InsO erfasst, so dass aus dem den Anspruch festsetzenden Bescheid von 2009 nicht mehr vollstreckt werden darf. Die Feststellungsklage des K ist begründet.


Zusammenfassung