Bearbeiter: Prof. Dieter Schmalz

Gewerberechtliche Untersagung nach § 35 GewO wegen fehlender finanzieller Leistungsfähigkeit des Gewerbetreibenden. Bestimmung des Verhältnisses zwischen gewerberechtlichem Untersagungsverfahren und Insolvenzverfahren durch § 12 GewO; Vorrang des Insolvenzverfahrens. Untersagung nach § 35 I GewO und Wiedergestattung nach § 35 VI GewO. Erweiterte Gewerbeuntersagung nach § 35 I 2 GewO als Ermessensentscheidung; Nichtgebrauch des Ermessens. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Entscheidung über die Anfechtungsklage

BVerwG Urteil vom 15. 4. 2015 (8 C 6/14) NVwZ 2015, 1545

Fall (Handel und Montage von Bauteilen)

K ist Inhaber eines in der Stadt S ansässigen Unternehmens mit dem Gegenstand „Handel und Montage von Bauteilen“. Er geriet in finanzielle Schwierigkeiten und konnte ca. 5.000 Euro Steuerschulden nicht mehr begleichen und 845 Euro Sozialversicherungsbeiträge nicht mehr abführen; hinzu kamen private Schulden. Bei einer Anhörung durch die für Angelegenheiten der Gewerbeaufsicht zuständige B-Behörde der Stadt S hat er erklärt, im Augenblick wisse er nicht, wie er seinen Zahlungsverpflichtungen nachkommen könne; praktisch sei er derzeit mittellos. Mit Bescheid vom 17. September des laufenden Jahres, zugestellt am 21. 9., untersagte die B-Behörde dem K die Ausübung des Gewerbes „Handel und Montage von Bauteilen" und erstreckte die Untersagung auch auf eine „Tätigkeit als Vertretungsberechtigter eines Gewerbetreibenden und auf die Tätigkeit als Leiter eines Gewerbebetriebes im Bereich des von ihm derzeit betriebenen Gewerbes“. Ferner drohte B für den Fall der Nichtbeachtung dieser Verfügung ein Zwangsgeld in Höhe von 1.500 Euro an und verfügte die Anordnung der sofortigen Vollziehung. Zur Begründung wurde unter Bezugnahme auf die einschlägigen gesetzlichen Vorschriften ausgeführt, K habe nicht mehr die für die Führung eines gewerblichen Unternehmens erforderlichen Mittel und sei deshalb eine Gefahr für Beschäftigte und Kunden; die Untersagung sei deshalb zwingend geboten. Gegen diese Verfügung erhob K am 28. 9. verwaltungsgerichtliche Klage. Zugleich beantragte er die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage; diesem Antrag gab das Verwaltungsgericht statt.

Am 10. 10. eröffnete das Amtsgericht auf Antrag eines Gläubigers des K das Insolvenzverfahren über das Vermögen des K und ordnete gemäß § 21 I, II Nr. 1 und 2 Insolvenzordnung (InsO) an, dass Verfügungen des Schuldners nur mit Zustimmung des Insolvenzverwalters wirksam sind. Insolvenzverwalter V gestattete dem K die vorläufige Fortführung des Betriebs insbesondere zur Abwicklung der noch vorliegenden Aufträge. K verweist in dem Verwaltungsprozess auf die neu eingetretenen Umstände und macht geltend, es sei widersprüchlich, wenn ihm die Behörde die weitere Tätigkeit verbiete, während der Insolvenzverwalter sie ihm gestatte. Bei finanziellen Problemen müsse der Insolvenzverwalter das letzte Wort haben. Bleibe es bei der Untersagungsverfügung, werde der derzeit laufende Versuch, einen Insolvenzplan zu erstellen, der die Fortführung des Unternehmens ermöglicht, praktisch vereitelt. Außerdem regt K an, das Klageverfahren bis zur Entscheidung über den Insolvenzplan auszusetzen. Wie wird das VG über die Klage entscheiden? Es ist davon auszugehen, dass ein Widerspruchsverfahren nicht mehr erforderlich ist (vgl. § 68 I 2 1. Satzteil VwGO).

A. Zulässigkeit der verwaltungsgerichtlichen Klage

I. Die Zulässigkeit des Verwaltungsrechtswegs folgt aus § 40 I 1 VwGO. Die in dem Fall streitentscheidenden Normen sind solche des Gewerberechts und damit öffentlich-rechtlicher Natur. Es handelt sich um eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit, die auch nichtverfassungsrechtlicher Art und keinem anderen Gericht zugewiesen ist.

II. Der Klageart nach könnte es sich um eine Anfechtungsklage handeln. Dann müsste sich die Klage gegen einen Verwaltungsakt richten.

1. Die Untersagung des selbstständig betriebenen Gewerbes „Handel und Montage von Bauteilen“ sowie die Erstreckung auf weitere Tätigkeiten enthält das Verbot gegenüber K, sich in der von der Verfügung erfassten Art zu betätigen. Damit ist der Bescheid vom 17. 9. eine hoheitliche Regelung mit Außenwirkung im Einzelfall und ist ein VA i. S. des § 35 VwVfG.

2. Die Zwangsgeldandrohung begründet die Verpflichtung des K, die Festsetzung des Zwangsgeldes und dessen Beitreibung zu dulden, und enthält damit ebenfalls eine Regelung im Einzelfall, mithin einen VA. Es handelt sich dabei um einen Annex-VA zu der Gewerbeuntersagung.

III. Die Klagebefugnis gemäß § 42 II VwGO steht K zu, weil er geltend machen kann, im Falle der Rechtswidrigkeit der Gewerbeuntersagung und der Zwangsgeldandrohung in seinem Grundrecht auf freie Berufswahl (Art. 12 I GG) verletzt zu sein.

IV. Folglich war die - gegen die Stadt S als Trägerin des Gewerbeamtes gerichtete (§ 78 I Nr. 1 VwGO) - Klage im Zeitpunkt der Erhebung am 28. 9. zulässig.

V. Die Klage könnte durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens am 10. 10. unterbrochen worden sein. Dadurch würde die Weiterführung des Verfahrens vorerst unzulässig

1. Welchen Einfluss ein Insolvenzverfahren auf einen Rechtsstreit hat, ist in der VwGO nicht geregelt. Über die Generalverweisung des § 173 VwGO sind grundsätzlich die Vorschriften der ZPO anwendbar. Nach § 240 ZPO wird ein Rechtsstreit durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens unterbrochen, wenn er die Insolvenzmasse betrifft. Ein Rechtsstreit betrifft die Insolvenzmasse, wenn er sich auf das Vermögen des Schuldners bezieht. Eine Gewerbeuntersagung bezieht sich aber auch dann, wenn ihr Grund die fehlende finanzielle Leistungsfähigkeit ist, nicht auf das Vermögen, sondern auf die persönlichen Befugnisse des Betroffenen. BVerwG [12] Die angefochtene Gewerbeuntersagung knüpft an in der Person des K liegende Unzuverlässigkeitstatbestände an und entzieht ihm als Person die Befugnis, bestimmten beruflichen Tätigkeiten nachzugehen. Sie betrifft das berufliche Betätigungsrecht des Gewerbetreibenden. Dieses personenbezogene Recht gehört nicht zur Insolvenzmasse. Diese umfasst gemäß § 35 Abs. 1 InsO allein das dem Gemeinschuldner zur Zeit der Eröffnung des Verfahrens gehörende und das während des Verfahrens erlangte Vermögen (…). Das personenbezogene Recht zur Gewerbeausübung, das aus § 1 GewO folgt, zählt dazu nicht. Dementsprechend unterliegt es auch nicht der Verwaltungsbefugnis des Insolvenzverwalters. Der Rechtsstreit wird daher nicht unterbrochen.

2. Die ebenfalls an ein Insolvenzverfahren anknüpfende Regelung des § 12 GewO hat auf die Zulässigkeit der Klage keinen Einfluss, sondern ist ausschließlich materiell-rechtlicher Natur und innerhalb der Begründetheit zu prüfen (OVG Münster NVwZ-RR 2011, 553). Die Anfechtungsklage ist zulässig.

B. Die Begründetheit der Klage ist zunächst im Hinblick auf die Gewerbeuntersagung zu prüfen. Insoweit ist die Klage begründet (§ 113 I 1 VwGO), wenn dieser VA rechtswidrig ist (und K in seinen Rechten verletzt).

I. Mögliche Ermächtigungsgrundlage ist § 35 I GewO. Sie ist anwendbar (vgl. § 35 VIII GewO), weil K ein Gewerbe betreibt und es für das Gewerbe „Handel und Montage von Bauteilen“ keiner speziellen Zulassung bedarf, die zurückgenommen werden könnte.

II. In formeller Hinsicht bestehen keine Bedenken: Von der Zuständigkeit des Gewerbeamtes ist laut Sachverhalt auszugehen. Dem Anhörungsgebot des § 28 I VwVfG wurde durch die Anhörung des K Rechnung getragen. Die Verfügung wurde entsprechend § 39 I VwVfG in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht begründet. Ermessenserwägungen brauchte die Begründung nicht zu enthalten, weil die Behörde davon ausgegangen ist, dass der Erlass der Verfügung zwingend habe erfolgen müssen und dass Ermessen deshalb nicht auszuüben war. (Dass die erweiterte Gewerbeuntersagung nach § 35 I 2 GewO eine Ermessensentscheidung ist, wirkt sich erst auf der materiellen Seite der VA-Prüfung aus, unten III 4 b.)

III. In materieller Hinsicht müssen die Voraussetzungen des § 35 I GewO vorliegen, und die dort vorgesehene Rechtsfolge muss die Verfügung rechtfertigen. Voraussetzungen des § 35 I Satz 1 GewO sind, dass Tatsachen vorliegen, welche die Unzuverlässigkeit des Gewerbetreibenden in Bezug auf dieses Gewerbe dartun, und dass die Untersagung zum Schutze der Allgemeinheit oder der im Betrieb Beschäftigten erforderlich ist.

1. BVerwG [14] Unzuverlässig ist ein Gewerbetreibender, der nach dem Gesamteindruck seines Verhaltens nicht die Gewähr dafür bietet, dass er sein Gewerbe künftig ordnungsgemäß betreiben wird.

a) Anwendungsfälle der Unzuverlässigkeit können sich aus den konkreten Anforderungen an das jeweilige Gewerbe ergeben, insbesondere durch mangelnde Sachkunde und die Begehung von Straftaten und Ordnungswidrigkeiten bei Ausübung des Gewerbes.

b) Zu den Fällen gewerbeübergreifender Unzuverlässigkeit gehört die mangelnde wirtschaftliche Leistungsfähigkeit, die sich insbesondere aus Steuerschulden und der Nichtabführung von Sozialversicherungsbeiträgen ergeben kann.

aa) BVerwG [14] Tatsächliche Anhaltspunkte für eine Unzuverlässigkeit bestehen bei einem Gewerbetreibenden mit erheblichen Steuerrückständen sowie Zahlungsrückständen bei den Trägern der Sozialversicherung oder bei Straftaten im Zusammenhang mit der gewerblichen Betätigung. Überschuldung und wirtschaftliche Leistungsunfähigkeit begründen grundsätzlich die Unzuverlässigkeit des Gewerbetreibenden (st. Rspr, vgl. u.a. BVerwGE 22, 16). Im Interesse eines ordnungsgemäßen und redlichen Wirtschaftsverkehrs muss von einem Gewerbetreibenden erwartet werden, dass er bei anhaltender wirtschaftlicher Leistungsunfähigkeit ohne Rücksicht auf die Ursachen der wirtschaftlichen Schwierigkeiten seinen Gewerbebetrieb aufgibt. Dieser Grund entfällt nur dann, wenn der Gewerbetreibende zahlungswillig ist und trotz seiner Schulden nach einem sinnvollen und erfolgversprechenden Sanierungskonzept arbeitet (BVerwGE 65, 1, 4).

bb) [16] In diesem Sinne war K im Zeitpunkt des Wirksamwerdens (§ 43 Abs. 1 Satz 1 VwVfG) des angefochtenen Bescheides…unzuverlässig. Nach den Feststellungen des BerGer..…hatte K damals Steuerrückstände von 5 013 Euro und schuldete der AOK seit über einem Jahr Sozialversicherungsbeiträge in Höhe von 845 Euro… Die Verletzung seiner Pflichten zur Zahlung der Steuern und Sozialversicherungsbeiträge beruhte angesichts seiner Vermögensverhältnisse maßgeblich auf fehlender wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit, nicht auf einer in der Person begründeten Unzuverlässigkeit. Gegenüber der B hatte er sich selbst als mittellos bezeichnet. Irgendein Konzept zum Abbau seiner Schulden hatte K nicht entwickelt.

2. Die Untersagung muss zum Schutze der Allgemeinheit oder der im Betrieb Beschäftigten erforderlich sein. Bei der Nichtzahlung von Steuern wird das gewichtige Allgemeininteresse an der Finanzierung des Staates und seiner Aufgaben verletzt; ohne Untersagung drohen weitere Steuerausfälle zum Nachteil der Allgemeinheit. Bei der Nichtabführung von Sozialabgaben kommt hinzu, dass den Arbeitnehmern erhebliche Nachteile dadurch drohen, dass sie nicht oder nicht in der richtigen Höhe versichert sind. Somit liegen die Voraussetzungen des § 35 I 1 GewO vor.

3. Im Falle des § 35 I 1 GewO „ist“ zu untersagen; also handelt es sich um einen gebundenen VA, bei dem Ermessenserwägungen nicht anzustellen waren und auch ein Ermessensfehler nicht möglich ist. Somit war die Untersagung des selbstständigen Betriebs des von K ausgeübten Gewerbes zum Zeitpunkt ihres Erlasses durch § 35 I 1 GewO gedeckt.

4. In dem weiteren Teil der Verfügung hat die B-Behörde die Untersagung auch auf die Tätigkeit als Vertretungsberechtigter eines Gewerbetreibenden und auf die Tätigkeit als Leiter ausgedehnt. Es handelt sich um eine erweiterte Gewerbeuntersagung gemäß § 35 I Satz 2 GewO.

a) Voraussetzung ist, dass die Annahme gerechtfertigt ist, dass der Gewerbetreibende auch für diese weiteren Tätigkeiten unzuverlässig ist. Daran stellt das BVerwG keine hohen Anforderungen, [17] In der Rechtsprechung des BVerwG ist geklärt, dass insoweit Tatsachen vorliegen müssen, welche die Unzuverlässigkeit des Gewerbetreibenden in Bezug auf die „Ausweichtätigkeit" dartun („bei gewerbeübergreifender Unzuverlässigkeit"). Diese sind bei steuerlichen Pflichtverletzungen und bei ungeordneten Vermögensverhältnissen gegeben. Außerdem muss die erweiterte Gewerbeuntersagung erforderlich sein, weil eine hinreichende Wahrscheinlichkeit für ein Ausweichen des Gewerbetreibenden vorliegt. Dabei folgt die Wahrscheinlichkeit der anderweitigen Gewerbeausübung schon daraus, dass der Gewerbetreibende trotz Unzuverlässigkeit an seiner gewerblichen Tätigkeit festgehalten hat, wodurch er regelmäßig seinen Willen bekundet hat, sich auf jeden Fall gewerblich zu betätigen. Die erweiterte Gewerbeuntersagung ist unter dem Gesichtspunkt wahrscheinlicher anderweitiger Gewerbeausübung schon dann zulässig, wenn keine besonderen Umstände vorliegen, die es ausschließen, dass der Gewerbetreibende das andere Gewerbe in Zukunft ausübt, eine anderweitige Gewerbeausübung nach Lage der Dinge also ausscheidet (BVerwGE 65, 9, 11; GewArch 1995, 116).

b) Nach § 35 I Satz 2 GewO „kann“ die Ausdehnung erfolgen; also handelt es sich auf Rechtsfolgeseite um eine Ermessensvorschrift. Insoweit könnte der VA nach Maßgabe des § 114 VwGO auf Ermessensfehler hin zu überprüfen sein.

aa) Eine Anwendung des § 114 VwGO ist aber nur möglich, wenn überhaupt Ermessen ausgeübt wurde. Das ist bei dem hier zu prüfenden Teil der Verfügung nicht der Fall, weil die B die Untersagung insgesamt als „zwingend“ bezeichnet und keine Ermessenserwägungen angestellt hat (anders im Originalfall, vgl. BVerwG [18]). Es handelt sich daher um den Fall des Nichtgebrauchs des Ermessens, auch als Ermessensunterschreitung bezeichnet, der zur Rechtswidrigkeit des Ermessens-VA führt.

bb) Möglicherweise wird dieser Aspekt im Verfahren, etwa in der mündlichen Verhandlung vor dem VG, noch angesprochen, so dass sich die B-Behörde veranlasst sehen könnte, nachträglich Ermessenserwägungen anzustellen. Nach § 114, 2 VwGO kann die Verwaltungsbehörde ihre Ermessenserwägungen noch ergänzen (sog. Nachschieben von Gründen). Allerdings bietet der Sachverhalt keinen Anhaltspunkt dafür, dass nachträgliche Ausführungen der B zu berücksichtigen wären. Überdies gestattet § 114, 2 VwGO nur eine „Ergänzung“ von bereits angestellten Ermessenserwägungen und kein erstmaliges Ausüben von Ermessen, durch das ein rechtswidriger VA geheilt werden könnte (BVerwG DVBl 2014, 582 [39]; Schenke DVBl 2014, 584). § 114, 2 VwGO führt also nicht zum Wegfall des Ermessensnichtgebrauchs.

c) Folglich ist die erweiterte Gewerbeuntersagung rechtswidrig und verletzt K in seinem Recht auf freie Berufswahl (Art. 12 I GG). Insoweit ist die Anfechtungsklage begründet.

IV. Soweit die Verfügung bei Erlass durch § 35 I 1 GewO gedeckt war (oben III 1 - 3), könnte seit Eröffnung des Insolvenzverfahrens § 12 GewO ihrer Rechtmäßigkeit entgegenstehen. Danach finden während des Insolvenzverfahrens Vorschriften keine Anwendung, die die Untersagung eines Gewerbes wegen Unzuverlässigkeit des Gewerbetreibenden ermöglichen, wenn die Unzuverlässigkeit auf ungeordnete Vermögensverhältnisse zurückzuführen ist. Zu den damit ausgeschlossenen Vorschriften gehört auch § 35 GewO. Es müsste aber auch die Voraussetzung „während des Insolvenzverfahrens“ erfüllt sein. Diese Voraussetzung lag zum Zeitpunkt des Erlasses der Verfügung am 17./21.9. nicht vor, weil das Insolvenzverfahren erst am 10. 10. eröffnet wurde. Seitdem und somit im Zeitpunkt der Entscheidung über die Klage ist diese Voraussetzung aber erfüllt.

1. Somit ist zu entscheiden, welcher Zeitpunkt für die Entscheidung über eine verwaltungsgerichtliche Klage maßgebend ist. Bei der Verpflichtungs-, Leistungs- und Feststellungsklage ist maßgebend der Zeitpunkt der Urteilsfällung, genauer: die letzte mündliche Verhandlung der Tatsacheninstanz ist (so für die Verpflichtungsklage BVerwG NVwZ 2012, 976; für die auf Erfüllung eines Folgenbeseitigungsanspruchs gerichtete Leistungsklage BVerwG NJW 2015, 2358, 2360). Bei der Anfechtungsklage lässt sich das nicht einheitlich entscheiden. Praktische Bedeutung hat die Zeitpunktfrage, wenn sich die Verhältnisse zwischen Erlass des VA und der gerichtlichen Entscheidung wirklich oder möglicherweise geändert haben. Ob eine solche Änderung für die Rechtmäßigkeit eines VA von Bedeutung ist, kann sich nur aus dem materiellen (Fach-) Recht ergeben (Kopp/Schenke, VwGO, 19. Aufl. 2013, § 113 Rdnr. 41 m. w. N.; BGH NJW 2013, 2364; Muckel JA 2014, 557).

(1) Grundsätzlich ist im materiellen Recht nicht vorgesehen, dass spätere Änderungen des Sachverhalts oder der Rechtslage Auswirkungen auf einen rechtmäßig erlassenen belastenden VA haben (Gärditz/Orth JURA 2013, 1104; anders beim begünstigenden VA: § 49 II Nr. 3 und 4 VwVfG). Deshalb kann von dem Grundsatz ausgegangen werden, dass die Rechtmäßigkeit des VA zum Zeitpunkt seines Erlasses erforderlich und ausreichend ist (BVerwG NVwZ 2013, 278 [12]; OVG Münster NWVBl 2015, 148; Schröder JuS 2015, 238; Gärditz/Orth JURA 2013, 1106; Muckel JA 2014, 557). Im Falle eines Vorverfahrens ist der Erlass des Widerspruchsbescheids maßgeblich, was durch die Formulierung „letzte Verwaltungsentscheidung“ mit erfasst wird.

(2) Dieser Grundsatz gilt insbesondere, wenn das Gesetz zwischen der Entziehung einer Rechtsposition und ihrer Wiedererteilung unterscheidet. So unterscheidet die Fahrerlaubnis-Verordnung zwischen der Entziehung der Fahrerlaubnis (§ 46) und ihrer Wiedererteilung (§ 20). Deshalb wird ein Wohlverhalten zwischen Entziehung und Entscheidung über die Anfechtungsklage im Anfechtungsurteil nicht berücksichtigt, sondern ins Wiedererteilungsverfahren verwiesen. Gleiches gilt nach § 35 I und VI GewO für die Untersagung der Gewerbeausübung wegen Unzuverlässigkeit (dazu noch unten 2).

(3) Das materielle Recht kann aber auf den Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung abstellen. So müssen belastende VAe mit Dauerwirkung während ihrer gesamten Geltungszeit rechtmäßig sein, so dass Änderungen der Sach- oder Rechtslage während der Zeit zwischen Erlass des VA und Urteilsfällung zu berücksichtigen sind (BVerwGE 122, 301). Im Ausländerrecht ist bei allen für Ausländer belastenden VAen die sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der Urteilsfällung maßgebend. So sind bei Ausweisung, Erteilung oder Verlängerung einer Aufenthaltserlaubnis, Abschiebung; Rücknahme oder Widerruf einer Aufenthaltserlaubnis Veränderungen bis zur gerichtlichen Entscheidung zu berücksichtigen (BVerwG NVwZ 2013, 361 [16] und 365 [12]; NVwZ 2014, 973; Brühl JuS 2016, 23, 29 m. N. Fn. 36; Rechtsänderungen sogar bis zur Revisionsentscheidung: BVerwGE 138, 371). Dadurch kann ein ursprünglich rechtmäßiger VA nachträglich rechtswidrig (BVerwG NVwZ 2013, 363 [20, 21]) und ein rechtswidriger VA nachträglich rechtmäßig, d. h. geheilt werden.

2. Im vorliegenden Fall handelt es sich wegen § 35 I, VI GewO um einen VA der Fallgruppe (2), aber auch um einen unter (3) fallenden VA mit Dauerwirkung. Da es sich bei der Regelung in § 35 I, VI GewO um eine spezielle gesetzliche Regelung handelt, haben die Regeln zu (2) Vorrang. BVerwG [15] In der Rechtsprechung des BVerwG ist geklärt, dass seit der Neufassung des § 35 Abs. 6 GewO eine deutliche Trennung zwischen dem Untersagungsverfahren einerseits und dem Wiedergestattungsverfahren andererseits besteht. Ist ein Gewerbe rechtmäßig untersagt worden, hat die Behörde nicht mehr zu prüfen, ob die Untersagungsgründe die ergangene Gewerbeuntersagung weiterhin tragen. Haben sich die tatsächlichen Umstände geändert, muss die Initiative zur Wiederzulassung nach § 35 Abs. 6 GewO vom Gewerbetreibenden ausgehen (vgl. BVerwGE 65, 1, 2 ff.; GewArch 1995, 200…). [23] Eine Berücksichtigung nach Abschluss des behördlichen Untersagungsverfahrens eingetretener neuer Umstände würde die in § 35 Abs. 1 und 6 GewO normierte Systematik von Untersagungs- und Wiedergestattungsverfahren durchbrechen.

3. Diese zur Nichtanwendung des § 12 GewO führende Maßgeblichkeit des Erlass-Zeitpunkts könnte aber gegen Sinn und Zweck des § 12 GewO verstoßen.

a) BVerwG [24] Die Vorschrift verfolgt den Zweck, einen Konflikt mit den Zielen des Insolvenzverfahrens zu vermeiden und insbesondere die Möglichkeit einer Sanierung des insolventen Unternehmens nicht durch eine Gewerbeuntersagung zu vereiteln (…). Ohne die Regelung in § 12 Satz 1 GewO könnte zum Beispiel einem Beschluss der Gläubigerversammlung gemäß § 157 InsO, das Unternehmen vorläufig fortzuführen, durch eine Untersagungsverfügung und ihre Vollziehung die Grundlage entzogen werden. Ebenso könnten ohne die von § 12 Satz 1 GewO ausgelöste Sperrwirkung die Aufstellung und Durchführung eines Insolvenzplanes nach §§ 217 ff. InsO gefährdet oder gar verhindert werden… Auch im Hinblick auf die Interessen am Schutz des Geschäftsverkehrs vor den Gefahren, die von einem insolventen und deshalb gewerberechtlich unzuverlässigen Gewerbetreibenden ausgehen, erschien dies dem Gesetzgeber vertretbar. Denn der Übergang der Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis auf den Insolvenzverwalter kompensiert das Gefährdungspotential, das von der weiteren Ausübung des Gewerbes des insolventen Gemeinschuldners ausgeht.Ab Eröffnung des Insolvenzverfahrens obliegt also dem Insolvenzverwalter die Entscheidung darüber, ob trotz Überschuldung oder Zahlungsunfähigkeit das Unternehmen fortgeführt wird. Diese Überlegungen sprechen dafür, § 12 GewO anzuwenden und die behördliche Gewerbeuntersagung für nachträglich rechtswidrig zu erklären. Davon ausgehend könnte der Anfechtungsklage gegen die Verfügung vom 10. 10. insgesamt stattgegeben werden. Eine ähnliche Lösung wäre, die Untersagungsverfügung zwar aufrecht zu erhalten, sie aber während des Insolvenzverfahrens für nicht vollstreckbar zu erklären (vgl. OVG Münster NVwZ-RR 2011, 553, 555).

b) Demgegenüber verweist das BVerwG die Anwendung des § 12 GewO in das Wiedergestattungsverfahren des § 35 VI GewO. Wenn sich eine Lösung der finanziellen Probleme des Betroffenen im Insolvenzverfahren abzeichnet, etwa durch einen Insolvenzplan, kann ein Antrag auf Wiedergestattung gestellt werden. Das ist auch schon vor Ablauf der Jahresfrist des § 35 VI GewO möglich, weil dann besondere Gründe i. S. des § 35 IV 2 GewO bestehen. So BVerwG [26, 27]

Dem Ziel des § 12 Satz 1 GewO, dem Gewerbetreibenden die mit der Durchführung eines Insolvenzverfahrens eröffnete Chance zu einem Neuanfang zu sichern, kann auch unter Wahrung der im Gesetz angelegten Trennung von Gewerbeuntersagungs- und Wiedergestattungsverfahren Rechnung getragen werden… Soweit die Untersagung wegen Unzuverlässigkeit des Gewerbetreibenden auf dessen ungeordneten Vermögensverhältnissen beruht, kann ein nach Abschluss des Gewerbeuntersagungsverfahrens eröffnetes Insolvenzverfahren die Grundlage für eine Wiedergestattung der Gewerbeausübung bieten. Das setzt die Prognose voraus, dass der Gewerbetreibende künftig wirtschaftlich hinreichend leistungsfähig sein wird… Ist allerdings der Sanierungserfolg - insbesondere zu Beginn des Insolvenzverfahrens - noch offen, fehlt zwar zunächst die Grundlage für die Feststellung, dass der Gewerbetreibende die Gewähr dafür bietet, das Gewerbe in Zukunft ordnungsgemäß auszuüben. Insoweit kann dem in § 12 GewO zum Ausdruck kommenden öffentlichen Interesse, eine Sanierung des insolventen Gewerbes im Rahmen des Insolvenzverfahrens nicht durch eine fortdauernde Untersagung der Gewerbeausübung von vornherein zu vereiteln, dadurch Rechnung getragen werden, dass die nach § 35 Abs. 6 Satz 1 GewO vorausgesetzte Gewähr dauerhafter Zuverlässigkeit des Gewerbetreibenden - hier nach seiner wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit - durch geeignete Nebenbestimmungen gesichert wird, die den weiteren Bestand der Wiedergestattung vom Ergebnis des Insolvenzverfahrens abhängig machen (§ 36 Abs. 1 Alt. 2 VwVfG). Zur raschen vorläufigen Klärung der Befugnis zur Fortführung des Gewerbes nach § 35 Abs. 6 GewO steht dem Gewerbetreibenden die Möglichkeit des einstweiligen Rechtsschutzes nach § 123 VwGO zur Verfügung. Das Wiedergestattungsverfahren ist auch nicht deshalb ungeeignet, weil im Regelfall für die Wiedergestattung eine Wartefrist von einem Jahr nach Durchführung der Untersagungsverfügung einzuhalten ist (§ 35 Abs. 6 Satz 2 GewO). Denn für den Fall, dass Aussicht auf eine Sanierung der Vermögensverhältnisse des Gewerbetreibenden im Wege insolvenzrechtlicher Maßnahmen besteht oder ein Sanierungserfolg jedenfalls möglich erscheint, wird vom Vorliegen „besonderer Gründe" im Sinne des § 35 Abs. 6 Satz 2 GewO auszugehen sein…

c) Folgt man dem BVerwG (ebenso Wiemers NVwZ 2015, 1548 in einer zustimmenden Anmerkung), kommt § 12 GewO in der Anfechtungsklage gegen die Untersagungsverfügung nicht zur Anwendung und kann nicht zur Rechtswidrigkeit der Untersagungsverfügung führen. BVerwG [22] Ein Insolvenzverfahren, das - wie hier - erst nach Abschluss des Gewerbeuntersagungsverfahrens eröffnet wurde, ist ohne Einfluss auf die Rechtmäßigkeit der Untersagung des Gewerbes wegen einer auf ungeordnete Vermögensverhältnisse zurückzuführenden Unzuverlässigkeit des Gewerbetreibenden. Die Gewerbeuntersagung gemäß § 35 I 1 GewO ist folglich rechtmäßig.

V. Es ist weiterhin die Rechtmäßigkeit der Zwangsgeldandrohung zu prüfen. Anwendbar sind die Vorschriften des (Landes-) Verwaltungsvollstreckungsrechts (vgl. §§ 55 I, 62, 63 VwVG NRW).

1. Grundverfügung ist der VA vom 17. 9., soweit er nach § 35 I 1 GewO rechtmäßig ist und Bestand behält. Eine Vollstreckbarkeit braucht bei der Androhung noch nicht vorzuliegen, sondern ist Voraussetzung erst bei der Festsetzung, zumal wenn - wie üblich und auch im vorliegenden Fall - die Androhung bereits mit der Grundverfügung verbunden wird.

2. Grundsätzlich ist, wenn eine unvertretbare, nur persönlich vorzunehmende Handlung erzwungen werden soll, die Androhung von Zwangsgeld das geeignete Zwangsmittel. 1.500 Euro sind auch nicht unverhältnismäßig hoch. Bedenken bestehen, weil K möglicherweise nicht über einen solchen Betrag verfügt, so dass er ihn im Falle der Zuwiderhandlung nicht zahlen könnte und auch eine Betreibung keinen Erfolg hat. Andererseits steht die Wirkungslosigkeit eines Zwangsgeldes nicht fest. Es ist der Behörde gestattet, die Durchsetzung der Verfügung durch ein Zwangsgeld zunächst zu versuchen, ehe sie zum schärferen Mittel eines unmittelbaren Zwanges greift.

3. Allerdings könnten wiederum Sinn und Zweck des § 12 GewO entgegenstehen, weil die auf tatsächliche Einstellung des Betriebs gerichtete Vollstreckung die Sanierung des Unternehmens im Insolvenzverfahren erheblich erschweren, wenn nicht unmöglich machen würde. Andererseits wäre es inkonsequent, die Untersagungsverfügung für rechtmäßig zu erklären, aber deren Durchsetzung nicht zu ermöglichen. Auch insoweit bleibt dem Betroffenen die Möglichkeit, sich durch ernsthafte Sanierungsbemühen und einen damit verbundenen Antrag auf Wiedergestattung der Gewerbeausübung die Möglichkeit der Sanierung zu erhalten. Zeichnet sich eine solche Entwicklung ab, wäre die Anwendung des Zwangsmittels ermessensfehlerhaft und könnte durch K verhindert werden (so OVG Münster NVwZ-RR 2011, 553, 555). Die Androhung des Zwangsgeldes bleibt aber rechtmäßig. BVerwG [28] hat hierzu nur ausgeführt: Revisionsrechtlich nicht zu beanstanden ist auch die vom BerGer. bejahte Rechtmäßigkeit der Zwangsgeldandrohung…. Und in LS 3: § 12 Satz 1 GewO normiert kein Verbot der Vollstreckung von Gewerbeuntersagungen für die Dauer des Insolvenzverfahrens.


C. Über die Anfechtungsklage ist also wie folgt zu entscheiden: Soweit der VA vom 17. 9. die Gewerbeuntersagung auf eine Tätigkeit als Vertretungsberechtigter eines Gewerbetreibenden und auf die Tätigkeit als Leiter eines Gewerbebetriebes erstreckt, wird er aufgehoben. Soweit der VA dem K die selbstständige Ausübung des von ihm betriebenen Gewerbes untersagt und ein Zwangsgeld androht, wird die Klage abgewiesen.


Zusammenfassung