Bearbeiter: Prof. Dieter Schmalz
► Kommunales Steuerrecht; Einführung einer neuartigen städtischen Steuer; Steuererfindungsrecht. ► Rechtmäßigkeit und Rechtswirksamkeit einer Abgabensatzung. ► Örtliche Aufwandsteuer i. S. des Art. 105 II a GG; keine Gleichartigkeit mit bundesrechtlich erhobener Steuer. ► Vereinbarkeit der Steuer mit Art. 12 I, 2 I und 3 I GG. ► Sachgemäße Bemessungsgrundlage
BVerwG Urteil vom 29. 6. 2017 (9 C 7.16) NVwZ 2017, 1871
Fall (Wettbürosteuer)
K betreibt im Gebiet der Großstadt S im Lande L ein 73 qm großes Wettbüro, in der er aufgrund einer Genehmigung für das Unternehmen Digibet (D) Sportwetten vermittelt und in geringem Umfang selbst Pferdewetten veranstaltet. In dem Lokal befinden sich Tische mit Sitzgelegenheiten und Bildschirme, auf denen Wettquoten angezeigt und Sportereignisse übertragen werden, teilweise als Aufzeichnungen, teilweise als Liveausstrahlungen. K erhält von D Provisionen.
Nach § 1 Kommunalabgabengesetz (KAG) des Landes L dürfen die Gemeinden „aufgrund einer Satzung Abgaben (Steuern, Gebühren und Beiträge) erheben, soweit nicht Bundes- oder Landesgesetze etwas anderes bestimmen.“ Darauf gestützt, hat die Stadt S (im Originalfall Dortmund) formell fehlerfrei eine „Vergnügungssteuersatzung für das Vermitteln oder Veranstalten von Pferde- und Sportwetten in Einrichtungen (Wettbüros)“ erlassen (künftig VS). Nach § 2 VS unterliegt der Besteuerung das Vermitteln oder Veranstalten von Pferde- und Sportwetten in Einrichtungen (Wettbüros), die neben der Annahme von Wettscheinen auch das Mitverfolgen der Wettereignisse ermöglichen. Nach § 3 ist Steuerschuldner der Betreiber des Wettbüros. Nach § 4 ist Bemessungsgrundlage für die Steuer die Veranstaltungsfläche der genutzten Räume. § 5: Der Steuersatz beträgt je Kalendermonat für je zwanzig Quadratmeter Veranstaltungsfläche 250 Euro. Nach der Begründung wird mit der Steuer der Zweck verfolgt, das Glücksspiel und die Spielsucht einzudämmen, insbesondere zum Schutz der Jugend, und um Einnahmen zu erzielen, die die Stadt dringend benötige. Es wird von 60 - 70 Steuerpflichtigen ausgegangen.
Gestützt auf die VS erließ das Stadtsteueramt am 18. 12. gegenüber K einen Bescheid, in dem die Wettbürosteuer für das laufende Jahr auf der Grundlage der Angaben des K festgesetzt wurde. Nach erfolgloser Durchführung eines Widerspruchsverfahrens hat K verwaltungsgerichtliche Klage erhoben. Er macht geltend, die Stadt könne nicht einfach eine neue Steuer erfinden, zumal er bereits eine Sportwettensteuer an das Finanzamt zahlen muss. Diese beruht auf § 17 Bundes-Rennwett- und Lotteriegesetz (RennwLottG). Besteuert werden Wetten aus Anlass von Sportereignissen. Ihre Höhe beläuft sich auf 5 % des Wetteinsatzes und ist damit mehr als doppelt so hoch wie die kommunale Wettbürosteuer. Steuerschuldner ist der Veranstalter der Sportwette.
K beruft sich auch auf die Verletzung von Grundrechten. Insbesondere sei ungerechtfertigt, dass normale Wettannahmestellen nicht in die Steuerpflicht einbezogen werden. Auch sei sachfremd, eine Steuer von der Größe der Geschäftsräume abhängig zu machen. Die Stadt S verweist darauf, dass das für Kommunales zuständige Ministerium keine Bedenken gegen die Steuer erhoben habe und dass die Betreiber der Wettbüros die Steuer auf ihre Kunden abwälzen könnten. Wie ist über die Klage des K zu entscheiden?
Lösung
A. Zulässigkeit der Klage
I. Es müsste der Verwaltungsrechtsweg nach § 40 I VwGO eröffnet sein. Bei der Klage gegen einen Abgabenbescheid handelt es sich um eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit nichtverfassungsrechtlicher Art. Sie könnte einem anderen Gericht, dem Finanzgericht zugewiesen sein. Wann der Finanzrechtsweg gegeben ist, bestimmt § 33 I Finanzgerichtsordnung (FGO), im wesentlichen in Nr. 1 und 2. Danach muss es sich um eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit handeln, die Abgaben betrifft, für die Bundesfinanzbehörden oder Landesfinanzbehörden zuständig sind. Die Wettbürosteuer wird von der Stadt S, einer Gemeinde erhoben. Deren Stadtsteueramt ist keine Bundes(finanz)behörde. Wer Landesfinanzbehörde ist , ergibt sich aus § 2 Finanzverwaltungsgesetz. Örtliche Landesfinanzbehörden sind die Finanzämter (§ 2 I Nr. 4 FinVerwG) und nicht die Gemeinden. Somit ist bei Streitigkeiten über kommunale Abgaben, auch über von den Gemeinden erhobene Steuern der Finanzrechtsweg nicht gegeben. Es bleibt beim Verwaltungsrechtsweg.
II. Der Klageart nach handelt es sich um eine Anfechtungsklage (§ 42 I VwGO). Der Bescheid vom 18. 12., durch den K zur Zahlung einer Wettbürosteuer herangezogen wird und dessen Aufhebung er begehrt, ist ein Verwaltungsakt.
III. Die Klagebefugnis (§ 42 II VwGO) steht K zu, weil er Adressat eines belastenden VA ist und geltend macht, in einem Grundrecht (Art. 12 I, Art. 2 I GG) verletzt zu sein.
IV. Das in § 68 I VwGO grundsätzlich vorgeschriebene Widerspruchsverfahren (zur Erforderlichkeit in NRW: § 110 II Nr. 6 JustizG) wurde durchgeführt und ist erfolglos geblieben.
V. Richtige Beklagte ist die Stadt S (§ 78 I Nr. 1 VwGO). Sie wird durch den Oberbürgermeister vertreten. Die Klage ist zulässig.
B. Begründetheit der Klage
In Anwendung des § 113 I 1 VwGO ist die Anfechtungsklage begründet, wenn der angefochtene Steuerbescheid rechtswidrig ist und K in einem subjektiven Recht verletzt. Ob der Steuerbescheid rechtmäßig oder rechtswidrig ist, hängt davon ab, ob die kommunale Satzung (VS), auf die das Stadtsteueramt den Beschied gestützt hat, rechtswirksam ist (dazu II), und ob der Bescheid durch die Satzung und weitere Anforderungen gerechtfertigt wird (dazu I).
I. Gegen eine Rechtfertigung des Bescheids sowohl in formeller Hinsicht als auch materiell durch die Satzung bestehen keine Bedenken.
a) Die Stadt S ist für die Erhebung kommunaler Abgaben zuständig. Von einem ordnungsgemäßen Verfahren bei Erlass des Bescheids ist auszugehen. Falls das KAG des Landes L auf die Abgabenordnung (AO) verweist (wie § 12 KAG NRW), ist zwar die Vorschrift des § 91 AO über die Anhörung Beteiligter anwendbar (vgl. § 12 I Nr. 3 a KAG NRW). Eine Anhörung des K war aber nicht erforderlich, weil der Bescheid auf der Grundlage der Angaben des K erging und nach § 91 II Nr. 3 AO eine Anhörung nicht zu erfolgen braucht, wenn von den tatsächlichen Angaben eines Beteiligten nicht zu seinen Ungunsten abgewichen wird.
b) Die Voraussetzungen des § 2 VS sind erfüllt. K betreibt ein Wettbüro, in dem er Sportwetten vermittelt und durch Aufstellen von Tischen mit Sitzgelegenheiten und durch Bildschirme das Mitverfolgen der Wettereignisse ermöglicht. Er ist Betreiber des Wettbüros und Steuerschuldner (§ 3 VS). Dass die Höhe der Steuer den §§ 4, 5 VS entspricht, ist der Angabe im Sachverhalt zu entnehmen, wonach das Stadtsteueramt den Bescheid gestützt auf die VS erlassen hat.
II. Die Satzung müsste rechtmäßig erlassen worden sein. Satzungen sind materielle Rechtsnormen, für die der Grundsatz gilt, dass ihre Rechtswidrigkeit zur Unwirksamkeit führt. Der - anderslautende - Grundsatz, wonach auch rechtswidrige Rechtsakte rechtswirksam sind, solange sie nicht aufgehoben werden, gilt nur für Einzelakte (Urteile, Beschlüsse, Verwaltungsakte). Über die Rechtswirksamkeit und Rechtmäßigkeit der VS kann und muss das VG selbst entscheiden; die Vorlagepflicht nach Art. 100 GG an das BVerfG gilt nur für formelle Gesetze und nicht für Satzungen.
Dass die Satzung formell fehlerfrei erlassen wurde, ergibt sich aus der dahingehenden Feststellung im Sachverhalt. Zu prüfen ist die materielle Rechtmäßigkeit der VS.
1. Als Rechtsnorm im Rang unter dem formellen Gesetz bedarf die Satzung einer Ermächtigungsgrundlage. Jede Gemeindeordnung enthält eine Vorschrift, wonach die Gemeinde in Ausübung ihres Selbstverwaltungsrechts Satzungen erlassen darf (z. B. § 7 GO NRW). Diese Generalklausel reicht aber nicht aus, wenn die Satzung in Grundrechte eingreift. Die VS verpflichtet zur Zahlung eines Geldbetrags und greift deshalb zumindest in Art. 2 I GG ein (dazu noch unten 2 a, b). In solchem Fall ist eine speziellere Ermächtigungsgrundlage erforderlich (BVerwG NVwZ 2014, 527; Ehlers JURA 2012, 696 m. w. N Fn. 59; vgl. auch Waldhoff JuS 2014, 959 Fn. 10, 11). Es gilt der Grundsatz: Besondere Belastungen bedürfen einer besonderen Ermächtigung. Als besondere Ermächtigung kommt im vorliegenden Fall § 1 KAG des Landes L in Betracht. Danach dürfen die Gemeinden durch Satzung Abgaben (Steuern, Gebühren und Beiträge) erheben, soweit nicht Bundes- oder Landesgesetze etwas anderes bestimmen.
a) Für die verschiedenen Abgabenarten gelten unterschiedliche Voraussetzungen. Deshalb ist zu entscheiden, ob es sich bei der als Wettbürosteuer bezeichneten Abgabe um eine Steuer handelt. Nach § 3 I AO sind Steuern Geldleistungen, die nicht eine Gegenleistung für eine besondere Leistung darstellen und die von einem öffentlich-rechtlichen Gemeinwesen zur Erzielung von Einnahmen allen auferlegt werden, bei denen der Tatbestand zutrifft, an den das Gesetz die Leistungspflicht knüpft. Ohne sachliche Änderung definiert BVerfG NJW 2017, 2249 (Kernbrennstoffsteuer) [100] den Steuerbegriff dahin: Steuern sind öffentliche Abgaben, die als Gemeinlast ohne individuelle Gegenleistung („voraussetzungslos“) zur Deckung des allgemeinen Finanzbedarfs eines öffentlichen Gemeinwesens erhoben werden.
aa) Nach der Begründung für die Einführung der Wettbürosteuer wird diese erhoben, um Einnahmen zu erzielen, dies ohne Gegenleistung und zur Deckung des Finanzbedarfs der Stadt S.
bb) Zweck der Steuer ist aber auch die Eindämmung des Glücksspiels und der Spielsucht. Die Erzielung von Einnahmen braucht nicht der einzige Zweck einer Steuer zu sein. Nach § 3 I AO letzter Satzteil kann die Erzielung von Einnahmen sogar Nebenzweck sein. Vor allem dürfen Steuern auch einen Lenkungszweck verfolgen, beispielsweise um umweltschädliches Verhalten zu verteuern oder um die Haltung von gefährlichen Hunden („Kampfhunden“) einzudämmen ( BVerwG NVwZ 2015, 992 unter Hinweis auf BVerfGE 84, 239, 274; 93, 121, 147). Somit ist die hier erhobene Abgabe eine Steuer.
b) Für die Erhebung einer Steuer enthält § 1 KAG keine eigentlichen Voraussetzungen. Da den Gemeinden aber nicht die Befugnis zuerkannt werden kann, frei von Voraussetzungen Steuern zu erheben, ergeben sich die notwendigen Beschränkungen aus dem zweiten, auf das Bundes- und Landesrecht verweisenden Satzteil des § 1 KAG.
aa) Das Bundesrecht enthält die grundlegenden Vorschriften für den Sachbereich Steuern in Art. 105 GG, der die Gesetzgebungsbefugnisse zuweist (Gesetzgebungshoheit), und Art. 106 GG, der die Erträge verteilt (Ertragshoheit). Art. 105, 106 GG bezeichnen die verschiedene Steuern mit Typusbegriffen (Einkommensteuer, Körperschaftsteuer, Umsatzsteuer, Verbrauchsteuer u. a.). Damit gibt das GG einen Rahmen für das Steuerrecht vor, der verbindlich ist. Ein über den Katalog der in Art. 105, 106 GG verwendeten Typusbegriffe hinaus gehendes Steuererfindungsrecht hat nicht einmal der Bund (BVerfG NJW 2017, 2249 LS 3 Satz 2, Verfassungswidrigkeit der Kernbrennstoffsteuer). Erst recht haben Länder und Gemeinden kein allgemeines Steuererfindungsrecht. Dieses besteht nur innerhalb dieser Steuertypen (BVerfG a. a. O. LS 2).
bb) Da die Gemeinden bundesstaatlich betrachtet zu den Ländern gehören (vgl. Art. 28 GG), müsste die Wettbürosteuer zu einem Steuertyp gehören, für den die Länder die Gesetzgebungsbefugnis haben. Nach Art. 105 II a 1 GG haben die Länder die Befugnis zur Gesetzgebung über die örtlichen Verbrauch- und Aufwandsteuern, solange und soweit sie nicht bundesgesetzlich geregelten Steuern gleichartig sind. Von dieser Befugnis können auch die Kommunen Gebrauch machen. Die Wettbürosteuer ist keine Verbrauchsteuer. Es könnte sich um eine örtliche Aufwandsteuer handeln.
(1) BVerwG [13-16] Aufwandsteuern sind Steuern auf die Einkommensverwendung für den persönlichen Lebensbedarf, in der die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Steuerpflichtigen zum Ausdruck kommt. Belastet werden soll der über die Befriedigung der allgemeinen Lebensführung hinausgehende Aufwand, der Teil des persönlichen Lebensbedarfs und der persönlichen Lebensführung ist, und nur die in diesem Konsum zum Ausdruck kommende besondere Leistungsfähigkeit (st. Rspr, vgl. nur BVerfGE 114, 316, 334; BVerwGE 143, 301 Rn. 13;…). Aufwandsteuern sind von Unternehmenssteuern abzugrenzen, die nicht die Einkommensverwendung, sondern die Einkommenserzielung zum Ausgangspunkt nehmen. Eine Steuer, die gezielt auf den unternehmerischen Gewinn oder einen typisierend vermuteten unternehmerischen Gewinn zugreift statt auf die Einkommensverwendung, ist als Unternehmenssteuer einzuordnen (…).
Hiervon ausgehend liegt bei der Wettbürosteuer der Typus einer Aufwandsteuer, nicht aber der einer Unternehmenssteuer vor. Zwar ist Steuergegenstand nach dem Wortlaut des § 2 VS das „Vermitteln und Veranstalten von Pferde- und Sportwetten" in Wettbüros, also die Tätigkeit des Wettbürobetreibers. Jedoch ergibt sich aus dem Gesamtzusammenhang der Wettbürosteuersatzung sowie dem Zweck, den sie nach der Begründung…hat, dass nicht der Gewinn des Wettbürobetreibers, sondern der Aufwand des Wettenden für das Wetten in einem Wettbüro besteuert werden soll. Danach entspricht die Wettbürosteuer dem herkömmlichen Bild der Vergnügungssteuer, nach dem die Steuer nicht bei dem Nutzer der Einrichtung oder Veranstaltung, dessen Aufwand besteuert werden soll, sondern beim Einrichtungsbetreiber oder Veranstalter als indirekte Steuer erhoben wird (vgl. etwa BVerfGE 123, 1, 16 sowie BVerwGE 135, 367 Rn. 22, jeweils zur Spielgerätesteuer). So wird die Wettbürosteuersatzung vom Satzungsgeber als Vergnügungssteuersatzung bezeichnet.
Demgegenüber kann ein steuerrelevanter Aufwand nicht mit dem Argument verneint werden, die Mitverfolgungsmöglichkeit an den Monitoren sei in einem Wettbüro stets unentgeltlich, da kein Eintrittspreis verlangt werde. § 2 VS gibt für eine Aufteilung in zwei Einzelleistungen - den Wettabschluss und die Mitverfolgungsmöglichkeit der Wettereignisse - nichts her. Vielmehr soll das Wetten in einem Wettbüro, das sich durch die Ausstattung mit Monitoren von anderen Wettorten unterscheidet, als eine Art Gesamtvergnügungsveranstaltung besteuert werden. Dass das Betreten von Wettbüros kostenlos ist, gehört als Werbemaßnahme zum Geschäftskonzept; dies ändert aber nichts daran, dass bei dem im Wettbüro vermittelten Wettvorgang finanzielle Mittel eingesetzt werden und dies gerade der Grund für die Besteuerung ist (zum Gesamtcharakter einer Vergnügungsveranstaltung vgl. BVerwGE 120, 175, 180, 183;…).
(2) BVerwG [18] Es handelt sich bei der Wettbürosteuer auch um eine örtliche Aufwandsteuer. Sie knüpft an die Belegenheit des Wettbüros im Gemeindegebiet an, so dass der erforderliche örtliche Bezug gegeben ist.
(Klassische örtliche Aufwandsteuern sind die Hundesteuern und die Vergnügungsteuer, später auch die Zweitwohnungsteuer. Neuartige Aufwandsteuer ist eine „ Kultur- und Tourismusförderabgabe“, auch Bettensteuer genannt, durch die der in einer privaten Hotelübernachtung liegende Aufwand besteuert wird ( BVerwGE 143, 301; OVG Münster DVBl 2014, 249; Thür. OVG DVBl 2017, 1572). Neuartiger Anwendungsfall einer Vergnügungsteuer ist eine Steuer auf die entgeltliche Gewährung sexueller Vergnügungen in Bordellen, Bars, Sauna- und Swingerclubs („Sexsteuer“, OVG Münster NVwZ-RR 2017, 746; vgl. auch BVerwG [23]). - Zu den örtlichen Aufwandsteuern als Luxussteuern instruktiv Thormann DVBl 2018, 840 ff., der auf S. 846 Fn. 72 Beispiele bringt, welcher Luxus teilweise im Ausland besteuert wird, und auf S. 845 aufführt, welcher in Deutschland noch besteuert werden könnte, z. B. Pferde, Yachten, Privatflugzeuge und Fernreisen.)
c) Nach Art. 105 II a 1 GG ist die Aufwandsteuer gleichwohl unzulässig, wenn sie einer bundesgesetzlich geregelten Steuer gleichartig ist.BVerwG [20, 21] Das Gleichartigkeitsverbot verbietet eine Doppelbelastung derselben Steuerquelle (BVerfGE 98, 106, 124 f.).…Insbesondere soll nicht eine Gemeindeumsatzsteuer oder Ähnliches geschaffen werden dürfen (BVerwGE 143, 301 Rn. 25 m. w. N.). Das bedeutet, dass die Merkmale der jeweiligen Aufwandsteuer mit der in Betracht kommenden Bundessteuer nach Steuergegenstand, Steuermaßstab, Art der Erhebungstechnik und den wirtschaftlichen Auswirkungen zu vergleichen sind. Erfüllt sie die Kriterien des herkömmlichen Gleichartigkeitsbegriffs, bedarf es einer umfassenden Bewertung aller Merkmale der jeweiligen Steuer. Dabei ist das kommunale Steuerfindungsrecht in den Blick zu nehmen, das nicht derart beschnitten werden darf, dass Gemeinden neue Steuern nicht erheben könnten.
aa) Die Wettbürosteuer könnte der im Sachverhalt näher beschriebenen Sportwettensteuer gleichartig sein. Dafür spricht, dass nach § 2 VS ebenfalls Sportwetten besteuert werden. Jedoch erfasst die bundesrechtlich geregelte Sportwettensteuer sämtliche Sportwetten, die in großem Umfang (u. a. neben Digibet von Lotto-Toto-ODDSET, Tipico), vor allem auch im Internet angeboten werden, und hohe Summen erreichen (geschätzte Wetteinsätze in Deutschland 4 Mia. Euro jährlich). BVerwG [28] Demgegenüber soll mit der Wettbürosteuer als kommunaler Vergnügungssteuer nur ein eng begrenzter, spezifischer Ausschnitt des Wettgeschehens besteuert werden. Von ihr werden nur solche Wetten erfasst, die gerade in Wettbüros abgegeben werden, also in solchen Einrichtungen, bei denen die Sportereignisse auf Monitoren mitverfolgt werden können. Nur diese Form des Wettens qualifiziert die Stadt S als steuerpflichtiges Vergnügen, das sie besteuern will. Dabei verfolgt sie mit der Besteuerung ausdrücklich nicht nur Einnahme-, sondern auch örtliche Lenkungszwecke. Sie geht offensichtlich davon aus, dass gerade in Wettbüros aufgrund deren typischer Ausstattung mit Sitzgelegenheiten und Monitoren eine erhöhte Suchtgefahr besteht, die sie bekämpfen will.… Auch sind von der Wettbürosteuer ausgenommen Onlinewetten, die sowohl nach der Einschätzung des Gesetzgebers im Zusammenhang mit der Sportwettenbesteuerung (…) als auch nach Auskunft des Sportwettenverbandes nach wie vor den größten Marktanteil aller Sportwetten darstellen, sowie Wetten in Wettannahmestellen, die über keine Monitore zum Mitverfolgen von Sportereignissen verfügen. Dies belegt, dass die Wettbürosteuer nur einen begrenzten Teil des von der Sportwettensteuer erfassten Steuergegenstandes betrifft und an deren Aufkommen bei Weitem nicht heran reicht. Somit ist die Wettbürosteuer mit der staatlichen Sportwettensteuer nicht gleichartig. (Zu dieser Auffassung waren auch bereits die Vorinstanzen im vorliegenden Fall gekommen, die vom BVerwG bestätigt wurden, ebenso das die Steuer genehmigende Ministerium.)
bb) Auch mit der Umsatzsteuer besteht keine Gleichartigkeit. Nach §§ 1, 12, 15 UStG sind Steuergegenstand der Umsatzsteuer Lieferungen und Leistungen eines Unternehmens. Sie beträgt grundsätzlich 19 % des Entgelts. Erhoben wird sie als Mehrwertsteuer, bei der ein Vorsteuerabzug erfolgt. Zu keinem dieser Merkmale gibt es eine entsprechende Regelung in der VS über die Wettbürosteuer.
Somit erfüllen §§ 2, 3 VS die Voraussetzungen des Art. 105 II a 1 GG. Für § 1 KAG als Ermächtigungsgrundlage für die Satzung bedeutet das, dass die Befugnis zur Erhebung der Steuer besteht, weil Bundesrecht nichts anderes bestimmt. Landesrecht, das etwas anderes bestimmt, ist nicht ersichtlich. Somit stimmen §§ 2, 3 VS mit den sich aus § 1 KAG ergebenden Voraussetzungen überein.
2. Die Wettbürosteuer darf nicht gegen Grundrechte verstoßen.
a) Für einen Verstoß gegen das Grundrecht der Berufsfreiheit (Art. 12 I GG) ist ein Eingriff in die berufliche Betätigung erforderlich. Die Auferlegung einer nicht übermäßig belastenden Steuer bedeutet aber noch keine Beschränkung der beruflichen Betätigung.
BVerwG [40, 41] Ein Eingriff in die Freiheit der Berufswahl liegt dann vor, wenn die Steuer ihrer objektiven Gestaltung und Höhe nach es in aller Regel unmöglich macht, den angestrebten Beruf ganz oder teilweise zur wirtschaftlichen Grundlage der Lebensführung zu machen (…). Einer kommunalen Steuer kommt danach eine erdrosselnde Wirkung zu, wenn mit der Ausübung des in Rede stehenden Berufs in der Gemeinde infolge dieser Steuer nach Abzug der notwendigen Aufwendungen kein angemessener Reingewinn erzielt werden kann (…). Für eine solche Annahme geben weder die Lebenswirklichkeit noch das Vorbringen des K einen Anlass. Vielmehr ist dem OVG in seiner Einschätzung beizupflichten, dass angesichts des derzeitigen Booms von Wettbüros keine Tendenz zum Absterben dieser Branche erkennbar ist.
Zur Frage eines Eingriffs in die Berufsausübung nimmt das BVerwG nicht Stellung. Würde man einen solchen Eingriff bejahen, wäre die Verhältnismäßigkeit im Sinne der nachfolgenden Ausführungen unter b) zu Art. 2 I GG zu prüfen. Im Zusammenhang mit Art. 12 I GG führt das BVerwG lediglich aus: Wirkt die Steuer nicht erdrosselnd, weil sie einem umsichtig handelnden durchschnittlichen Unternehmer die Möglichkeit belässt, einen angemessenen Gewinn zu erwirtschaften, ist sie in der Regel nicht unverhältnismäßig (BVerwGE 153, 116 Rn. 30).
b) Die Auferlegung einer Geldleistung durch §§ 2, 3 VS bedeutet einen Eingriff in die durch Art. 2 I GG geschützte allgemeine Handlungsfreiheit (vgl. BVerfG NVwZ 2016, 301). Dieser kann aber durch eine formell und materiell verfassungsmäßige Rechtsnorm gerechtfertigt sein. Rechtsnorm ist die VS, gegenüber der in der bisherigen Prüfung kein Grund für eine Rechtswidrigkeit gefunden worden ist. An dieser Stelle bleibt die Verhältnismäßigkeit der Wettbürosteuer zu prüfen. Einnahmeerzielung, Eindämmung des Glücksspiels und der Spielsucht sind legitime Zwecke, zu deren Förderung die Wettbürosteuer nicht ungeeignet ist. Die Erforderlichkeit ergibt sich daraus, dass mildere Mittel nicht ersichtlich sind; die Verteuerung eines unerwünschten Verhaltens ist bereits milder als etwa ein Verbot. Für die Angemessenheit spricht, dass ihre Höhe maßvoll ist (vgl. bereits oben vor b). Weiterhin wird das Gewicht des Eingriffs dadurch abgemildert, dass die Wettbürosteuer als indirekte Steuer konzipiert ist und auf die Kunden der Betreiber abgewälzt werden kann und soll; denn den zu besteuernden Aufwand betreibt der Kunde, so dass dieser auch letztlich belastet werden soll.
BVerwG [43-48] Die Wettbürosteuer ist kalkulatorisch abwälzbar. Für die Überwälzung der Steuerlast auf die Wettkunden genügt die Möglichkeit einer kalkulatorischen Überwälzung in dem Sinne, dass der Steuerschuldner den von ihm gezahlten Betrag in die Kalkulation seiner Selbstkosten einsetzen und hiernach die zur Aufrechterhaltung der Wirtschaftlichkeit seines Unternehmens geeigneten Maßnahmen - Preiserhöhung, Umsatzsteigerung oder Senkung der sonstigen Kosten - treffen kann. Es reicht aus, dass die Steuer auf eine Überwälzung der Steuerlast vom Steuerschuldner auf den Steuerträger angelegt ist, auch wenn die Überwälzung nicht in jedem Einzelfall gelingt (st. Rspr, vgl. BVerfGE 123, 1, 22 f. und NVwZ 2017, 1037 Rn. 124; BVerwGE 135, 367 Rn. 28; BVerwGE 153, 116 Rn. 33). Die Überwälzung der Steuerlast muss außerdem rechtlich und tatsächlich möglich sein… Derartige Maßnahmen zur Aufrechterhaltung der Wirtschaftlichkeit seines Unternehmens stehen dem Wettbürobetreiber zur Verfügung. Soweit er selbst Wetten abschließt…kann er die Kosten unmittelbar in das vom Wettenden geforderte Entgelt einfließen lassen. Genauso handhaben es derzeit die meisten Veranstalter von Sportwetten hinsichtlich der Sportwettensteuer…. Auch bei der - wirtschaftlich im Vordergrund stehenden - Vermittlungsvariante stehen hinreichende Abwälzungsmöglichkeiten zur Verfügung…. Dem Wettbürobetreiber stehen die vom Bundesverfassungsgericht genannten Möglichkeiten der Abwälzung - Umsatzsteigerung sowie Senkung der sonstigen Kosten - zur Verfügung… Im Übrigen ist für den Senat nicht ersichtlich, warum Wettbürobetreiber die kommunale Steuer nicht ganz oder teilweise auf den Wettkunden durch eine Art „Vermittlungsgebühr" überwälzen können, wie dies in Bezug auf die Sportwettensteuer üblich ist.
Somit ist die Wettbürosteuer verhältnismäßig und verletzt Art. 2 I GG nicht.
c) Wenn K geltend macht, es sei u ngerechtfertigt, dass normale Wettannahmestellen nicht in die Steuerpflicht einbezogen werden, macht er eine Verletzung des allgemeinen Gleichheitssatzes (Art. 3 I GG) geltend.
aa) Ungleich behandelt werden die unter § 2 VS fallenden Wettbüros im Vergleich mit den normalen Wettannahmestellen.
bb) Verletzt ist Art. 3 I GG aber nur, wenn für die Ungleichbehandlung (so BVerwG [50-52]) ein vernünftiger, einleuchtender Grund fehlt (st. Rspr, vgl. nur BVerfGE 123, 1, 19…)… Das OVG hat zutreffend angenommen, dass für die Ausklammerung der reinen Wettannahmestellen ein vernünftiger Grund besteht. Der Satzungsgeber sieht das Wetten in Wettbüros als abgrenzbares, im Vergleich zu anderen Wettstellen gesondert steuerbares Vergnügen an. Seine Entscheidung kann wegen der besonderen Gefahren, die gerade von Livewetten in Wettbüros ausgehen, nicht als willkürlich angesehen werden… Dem OVG ist auch darin zuzustimmen, dass der qualitative Unterschied zwischen Wettbüros einerseits, die durch Monitore gekennzeichnet sind und typischerweise durch Tische, Stühle und Getränke- sowie Snackautomaten über eine gewisse Aufenthaltsqualität verfügen, und reinen Wettannahmestellen auf der anderen Seite nicht dadurch verwischt wird, dass in letzteren auch auf anderen Wegen, etwa durch Smartphones oder Tablets, Wettereignisse mitverfolgt werden können. Denn der Satzungsgeber darf den typischen Fall als Leitbild wählen.
Für die unter aa) festgestellte Ungleichbehandlung besteht somit ein sachlicher Grund, so dass Art. 3 I GG insoweit nicht verletzt ist.
3. Für den als Steuer zu zahlenden Geldbetrag muss es eine Grundlage geben, von der aus der Betrag berechnet wird. Sie wird als Bemessungsgrundlage bezeichnet. Die Bemessungsgrundlage muss in einem sachlichen Zusammenhang mit dem Steuergegenstand stehen. So sind Bemessungsgrundlagen bei der Einkommensteuer das Einkommen, bei der Umsatzsteuer das Entgelt für die Lieferung oder Leistung, bei der Kraftfahrzeugsteuer Hubraum und Schadstoffausstoß. Nach § 4 VS ist Bemessungsgrundlage für die Wettbürosteuer die Veranstaltungsfläche der genutzten Räume.
a) BVerwG [54] Eine Aufwandsteuer muss eine Bemessungsgrundlage wählen, in der der Aufwand sachgerecht erfasst wird. Für eine Vergnügungssteuer ist der individuelle, wirkliche Vergnügungsaufwand der sachgerechteste Maßstab. Lässt sich dieser nicht oder kaum zuverlässig erfassen, kommen Ersatzmaßstäbe in Betracht, wobei diese allerdings einen bestimmten Vergnügungsaufwand wenigstens wahrscheinlich machen müssen, indem sie einen zumindest lockeren Bezug zu dem Vergnügungsaufwand aufweisen (st. Rspr, vgl. nur… BVerfGE 123, 1, 16 ff., 23; BVerwGE 135, 367 Rn. 22, jeweils zur Spielgerätesteuer). Die Fläche des Wettbüros ist kein Maßstab für den Vergnügungsaufwand des Wettkunden. Sein Interesse an einer Sportwette ist unabhängig davon, ob sich die Abgabe des Wettscheins und das Verfolgen des Wettereignisses am Bildschirm in einem mittleren oder großen Raum abspielt.
b) [55] Vielmehr bildet für eine Vergnügungssteuer in Gestalt einer Wettbürosteuer der Wetteinsatz den sachgerechtesten Maßstab. Die Höhe des Wetteinsatzes ist ein Abbild dafür, welcher Aufwand dem Kunden die Teilnahme an der Sportwette wert ist. Weil der Wetteinsatz bereits für die vom Staat erhobene Sportwettensteuer ermittelt werden muss, stehen Praktikabilitätserwägungen nicht entgegen, sondern sprechen für eine gleiche Bemessungsgrundlage. BVerwG [53] Mit dem Flächenmaßstab sind gravierende Abweichungen von dem wirklichen Vergnügungsaufwand der Wettkunden verbunden. Da mit dem Wetteinsatz ein praktikabler Wirklichkeitsmaßstab zur Verfügung steht, verletzt der in der Satzung gewählte Flächenmaßstab die Steuergerechtigkeit (Art. 3 Abs. 1 GG).
III. Folglich ist § 4 VS rechtswidrig, ebenso der damit in Zusammenhang stehende § 5 VS. Ohne rechtmäßige Bemessungsgrundlage ist die gesamte Steuersatzung nichtig. Der gegenüber K ergangene Steuerbescheid hat keine Rechtsgrundlage und ist deshalb rechtswidrig. Dass die Stadt S die Wettbürosteuer mit dem Wetteinsatz als richtiger Bemessungsgrundlage erheben könnte, ist derzeit unerheblich. (Die zum behandelten Urteil ergangene Pressemitteilung des BVerwG Nr. 51/2017 hat die Überschrift: „Dortmunder Wettbürosteuer derzeit unzulässig“.) Der rechtswidrige Steuerbescheid verletzt K in seinem Grundrecht aus Art. 2 I GG. Die Anfechtungsklage ist begründet und führt zur Aufhebung des Steuerbescheids und des Widerspruchsbescheids (§ 113 I 1 VwGO).
Zusammenfassung