Bearbeiter: Prof. Dieter Schmalz
► Feststellungsklage, § 43 VwGO; Rechtsverhältnis. ► Informationelles Verwaltungshandeln; Befugnis und Schranken. ► Angelegenheit der örtlichen Gemeinschaft, Art. 28 II 1 GG. ► Faktischer Eingriff in Versammlungsfreiheit, Art. 8 GG. ► Sachlichkeitsgebot bei Äußerungen von Amtsträgern.
BVerwG Urteil vom 13. 9. 2017 (10 C 6/16) NVwZ 2018, 433
Fall (Licht aus)
In der im Lande L gelegenen Großstadt S hatte sich - analog zu der aus Dresden bekannten „Pegida“ - eine lose Gruppierung gebildet, genannt „Dügida - Düsseldorfer gegen die Islamisierung des Abendlandes“. Frau F, ein Mitglied der Gruppe, meldete Anfang Januar bei der für Versammlungen zuständigen Polizeibehörde eine öffentliche Veranstaltung der Dügida-Gruppe an. Sie sollte am 2. Februar zwischen 19:00 und 22:00 Uhr stattfinden und den Protest dagegen zum Ausdruck bringen, dass durch die Ausländer- und Migrationspolitik der Zuzug einer Vielzahl von Muslimen ermöglicht wird. Oberbürgermeister OB, frisch gewählter Kommunalbeamter, veröffentlichte einige Tage vor dem Versammlungstermin auf der offiziellen Internetseite der Stadt S einen Text mit der Überschrift „Licht aus! Stadt S setzt Zeichen gegen Intoleranz und Rassismus.“ In dem Text kündigte OB an, dass die Stadt aus Protest gegen Dügida am 2. 2. zwischen 19:00 und 22:00 Uhr die Lichter an markanten öffentlichen Gebäuden löschen werde, und forderte Bürger und Geschäftsleute auf, es der Stadt gleichzutun. Zugleich bat OB die Bürgerinnen und Bürger, sich an einer geplanten Gegendemonstration zu beteiligen.
Ein Antrag der F auf vorläufigen Rechtsschutz gegen die von OB angekündigten Maßnahmen hatte keinen Erfolg. Am 2. 2. begann die Demonstration als Umzug, während dessen wie angekündigt die Lichter gelöscht wurden; die Demonstranten liefen im Dunkeln. Die Abschlusskundgebung fand wie geplant statt, ebenso die Gegendemonstration.
F steht auf dem Standpunkt, Stadt und OB seien nicht dazu berechtigt gewesen, eine friedliche Versammlung besorgter Bürger zu kritisieren und zu behindern, und beabsichtigt eine Klage vor dem Verwaltungsgericht. OB und die Stadt S halten daran fest, dass die Maßnahmen zulässig gewesen seien. OB beruft sich darauf, dass S eine weltoffene Stadt sei, in der jeder erwarten könne, dass er willkommen sei und nicht ausgegrenzt werde. Das sei auch der Wille der Mehrheit der Bürger, den er als gewählter Oberbürgermeister habe artikulieren dürfen; insoweit habe er Hilfe zu einer freien Meinungsäußerung geleistet. Hat eine Klage der F vor dem Verwaltungsgericht Aussicht auf Erfolg?
Lösung
A. Zulässigkeit einer verwaltungsgerichtlichen Klage
I. Für die Eröffnung des Verwaltungsrechtswegs müssen die Voraussetzungen des § 40 I VwGO erfüllt sein, insbesondere muss es sich um eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit handeln. Mit ihrer Klage wendet sich F gegen Äußerungen und Handlungen des (Ober-) Bürgermeisters der Stadt S. Diese Maßnahmen hat OB als Oberbürgermeister und Organ der Stadt S vorgenommen damit auf die Befugnisse aus der Gemeindeordnung gestützt. Diese Aufgaben und Befugnisse sind grundsätzlich hoheitlicher Natur. Anders liegt es nur, wenn sie im Zusammenhang mit privatrechtlichen Rechtsbeziehungen stehen, was hier nicht der Fall ist. Somit wendet F sich gegen öffentlich-rechtliche Maßnahmen, was zur Annahme einer öffentlich-rechtlichen Streitigkeit führt. Als kommunalrechtliche Streitigkeit ist sie auch nichtverfassungsrechtlicher Art und keinem anderen Gericht zugewiesen. Der Verwaltungsrechtsweg ist eröffnet.
II. Bei der Bestimmung der Klageart scheidet eine Anfechtungsklage (§ 42 I VwGO) aus, weil die Äußerungen und Handlungen des OB mangels Regelungswirkung keine Verwaltungsakte sind und auch nicht auf einem VA beruhen. Vielmehr handelt es sich um ein zu Informationszwecken vorgenommenes Realhandeln, auch als schlichtes Verwaltungshandeln bezeichnet. Ihm gegenüber könnte eine Feststellungsklage (§ 43 VwGO) statthaft sein.
1. Dann müsste die Klage auf das Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses gerichtet sein. BVerwG [11] Ein Rechtsverhältnis liegt vor, wenn rechtliche Beziehungen streitig sind, die sich aus einem bestimmten Sachverhalt aufgrund einer öffentlich-rechtlichen Regelung für das Verhältnis mehrerer Personen zueinander oder das Verhältnis einer Person zu einer Sache ergeben. Auch der Inhalt eines vergangenen Rechtsverhältnisses kann zum Gegenstand einer Feststellungsklage gemacht werden, wenn es über seine Beendigung hinaus noch anhaltende Wirkungen entfaltet (st. Rspr., vgl. nur BVerwGE 152, 204 Rn. 18 f.). Sieht man von dem wenig bedeutsamen Rechtsverhältnis zwischen einer Person und einer Sache ab, ist wesentlich für ein Rechtsverhältnis, dass ein Sachverhalt vorliegt, der in Anwendung von Rechtsnormen Rechtsfolgen zwischen Personen begründet.
a) Beteiligte Personen (Parteien) eines möglichen Rechtsverhältnisses im vorliegenden Fall sind F und die Stadt S, für die OB als Organ gehandelt hat. Allerdings könnte auch Dügida als Vereinigung Klägerin sein (§ 61 Nr. 2 VwGO i. V. mit Art. 8 GG), für die F als Vertreterin gehandelt hat. Hier wird aber dem Sachverhalt gefolgt, nach dem F Klägerin ist. Auch im Originalfall hatte F als Einzelperson geklagt. Für das Vorliegen einer Versammlung ist aber auf Dügida und ihre Mitglieder abzustellen. (Vgl. BVerwG [1], wo zwischen der die Versammlung anmeldenden „Klägerin“ und der Dügida als „Veranstalterin“ unterschieden wird.)
b) Sachverhalt sind die Veröffentlichung des Textes des OB auf der Internetseite der Stadt und das Abschalten der Beleuchtung am 2. 2.
c) Rechtsnormen sind diejenigen Vorschriften, die die Frage beantworten, ob OB zu den Äußerungen und Handlungen, gegen die F sich wendet, befugt war (dazu B II).
d) Die für ein Rechtsverhältnis wesentliche Rechtsfolge muss im Rahmen der Zulässigkeitsprüfung nicht positiv festgestellt werden, sondern muss nur streitig sein, indem ihr Bestehen behauptet oder bestritten wird.
BVerwG [12] Die Beteiligten…streiten darüber, ob der Oberbürgermeister mit den in Rede stehenden Maßnahmen unzulässig in Grundrechte der F eingegriffen hat. Sein Aufruf richtet sich unmittelbar gegen die von F angemeldete Versammlung sowie die damit verbundene Meinungskundgabe und betrifft sie in den Grundrechten der Versammlungsfreiheit (Art. 8 Abs. 1 GG) und der Meinungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 GG). Wegen des konkludent erhobenen Vorwurfs, diese Versammlung propagiere Intoleranz und Rassismus („Zeichen gegen Intoleranz und Rassismus"), waren die Äußerungen des OB geeignet, interessierte Bürger von einer Teilnahme an der Versammlung abzuhalten und damit die Wirkung der Veranstaltung nachteilig zu beeinflussen (vgl. BVerfGE 113, 63 Rn. 52; 140, 225 Rn. 11).
Darüber hinaus bedarf es sowohl für den Klageantrag als auch für den Einstieg in die Begründetheitsprüfung einer genaueren Festlegung der streitigen Rechtsfolge. F hat sich darauf berufen, Stadt und OB seien nicht dazu berechtigt gewesen, eine friedliche Versammlung besorgter Bürger zu kritisieren und zu behindern. Danach könnte Rechtsfolge die (Nicht-) Berechtigung des OB zu den Äußerungen und Handlungen sein, was auch in der Form möglich ist, dass die Klage auf Feststellung eines rechtswidrigen Handelns des OB zielt. Da aber in den Ausführungen des BVerwG oben [12] auf Grundrechte Bezug genommen wird, könnte Rechtsfolge auch eine Grundrechtsverletzung sein; dann käme es zu einem ähnlichen Gedankengang wie bei einer Verfassungsbeschwerde.
Das BVerwG hat - ebenso wie das OVG Münster als Vorinstanz (NVwZ 2017, 1316) - als von F begehrte Rechtsfolge die Feststellung ausreichen lassen, dass das Handeln des OB rechtswidrig war (vgl. [4] und im Tenor des Urteils). Auf dieser Grundlage behauptet F die Rechtswidrigkeit der Handlungen des OB. Das ist der einfachste Gedankengang, ihm wird hier gefolgt.
III: Für die Zulässigkeit der Feststellungsklage müssen die hierfür geltenden Sachurteilsvoraussetzungen erfüllt sein.
1. Nach § 43 I VwGO muss der Kläger ein berechtigtes Feststellungsinteresse haben.
a) BVerwG [13] Ein solches Interesse kann rechtlicher, wirtschaftlicher oder ideeller Natur sein. Die gerichtliche Entscheidung muss geeignet sein, die Rechtsposition des Klägers zu verbessern (vgl. BVerwGE 81, 258, 262). Zur Konkretisierung kann man sich an den zu § 113 I 4 VwGO (Fortsetzungsfeststellungsklage) entwickelten Fallgruppen orientieren (zu diesen Bühler/Brönnecke JA 2017, 37; Lindner NVwZ 2014, 180; Deiseroth DVBl 2013, 1548/9). Liegt das feststellungsfähige Rechtsverhältnis in der Vergangenheit, ist ein berechtigtes Interesse nach Art. 19 Abs. 4 GG zu bejahen, wenn ohne die Möglichkeit einer Feststellungsklage kein wirksamer Rechtsschutz zu erlangen wäre. Effektiver Rechtsschutz verlangt, dass der Betroffene ihn belastende Eingriffsmaßnahmen in einem gerichtlichen Hauptsacheverfahren überprüfen lassen kann. Stehen hoheitliche Maßnahmen im Streit, die sich typischerweise so kurzfristig erledigen, dass sie ohne die Annahme eines Feststellungsinteresses keiner Überprüfung im gerichtlichen Hauptsacheverfahren zugeführt werden könnten, ist das Feststellungsinteresse auch für ein vergangenes Rechtsverhältnis zu bejahen (vgl. BVerwGE 146, 303 Rn. 32 m. w. N.).
b) Die in Rede stehenden Maßnahmen des OB stehen im engen Zusammenhang mit der Versammlung der F. Sie erledigen sich typischerweise so kurzfristig, dass gerichtlicher Rechtsschutz in der Hauptsache nicht rechtzeitig erlangt werden kann. Außerdem ist eine Wiederholungsgefahr nicht auszuschließen. Folglich hat F ein berechtigtes Feststellungsinteresse.
2. Nach § 43 II 1 VwGO ist die Feststellungsklage subsidiär gegenüber der Anfechtungs- und der Leistungsklage.Im vorliegenden Fall war eine Anfechtungsklage nicht zulässig (oben II). Einen (Leistungs-) Anspruch auf Unterlassen hat F mit dem Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz geltend gemacht, allerdings erfolglos. Für eine Leistungsklage auf Unterlassen im Hauptverfahren vor der Versammlung war die Zeit zu kurz. Nach Durchführung der Versammlung ist sie nicht mehr sinnvoll. Somit hatte und hat F keine Möglichkeit einer Gestaltungs- oder Leistungsklage.
3. Nach der Rspr. des BVerwG (E 100, 217) ist § 42 II VwGO auf die Feststellungsklage analog anwendbar. so dass es auch bei dieser Klageart einer Klagebefugnis bedarf. (Allerdings ist, da sich eine Regelungslücke wegen der Notwendigkeit eines Feststellungsinteresses nach § 43 I VwGO nur schwer begründen lässt, diese These umstritten; ablehnend Kopp/Schenke, VwGO, 23. Aufl. 2017, § 42 Rdnr. 63 m. Nachw. zum Streitstand in Fn. 136.) BVerwG [14] F ist entsprechend § 42 Abs. 2 VwGO klagebefugt. Die Möglichkeit einer Verletzung in ihren Grundrechten aus Art. 5 Abs. 1 und Art. 8 Abs. 1 GG durch die Äußerungen des OB erscheint nicht ausgeschlossen.
IV. Bei der Feststellungsklage ist kein Vorverfahren erforderlich, und es besteht keine Klagefrist. Die Klage ist zulässig. Sie ist gegen die Stadt S zu richten, für die OB gehandelt hat und als deren Vertreter er auch in dem Prozess tätig wird.
B. Begründetheit der Klage
Die Klage ist begründet, wenn die Äußerungen und Handlungen des OB gegenüber F rechtswidrig waren.
I. Im Streit sind drei Vorgänge: 1) die Ankündigung, an städtischen Gebäuden das Licht zu löschen, sowie die Aufforderung an Private, sich dem anzuschließen, dies als Ausdruck der Kritik an der von F und Dügida geplanten Veranstaltung; 2) das tatsächliche Abschalten der Beleuchtung; 3) die Bitte, sich der Gegendemonstration anzuschließen. Zwischen den drei Vorgängen besteht ein enger Zusammenhang, so dass sie zunächst zusammen behandelt werden können.
1. Die Vorgänge gehören zum staatlichen Informationshandeln, denn durch die Äußerungen des OB werden Vorstellungen und Ziele des OB an die Öffentlichkeit weiter gegeben (Transfer von Wissen und Wollen).Das trifft auch auf das tatsächliche Abschalten zu, denn auch dieses ist ein symbolisch gemeinter Ausdruck der Kritik an Dügida und F. Informationshandeln kann belastend sein, z. B. die Warnung vor einem Produkt im Verhältnis zum Hersteller, oder begünstigend, z. B. die Erteilung einer erbetenen Auskunft. Im vorliegenden Fall geht es um ein F belastendes Informationshandeln.
2. Die Beurteilung eines belastenden Informationshandelns als rechtmäßig oder rechtswidrig bereitet keine grundsätzlichen Probleme, wenn eine gesetzliche Regelung vorhanden ist wie beispielsweise im Produktsicherheitsgesetz (§ 31) und im Lebensmittel- und Futtermittelgesetzbuch (§ 40). Für die Äußerungen und das Handeln des OB gegenüber F und Dügida greift keine gesetzliche Regelung ein. Insbesondere kann OB sich nicht auf das Recht zur freien Meinungsäußerung (Art. 5 I GG) berufen. BVerwG [28] Während sich der Bürger auf die Wahrnehmung seines Grundrechts der Meinungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 GG) stützen kann, ist dem Staat die Berufung auf Art. 5 Abs. 1 GG gegenüber seinen Bürgern verwehrt… (Ebenso Stuttmann NVwZ 2018, 436 in einer Anmerkung zu diesem Fall.)
II. Die bei Fehlen einer gesetzlichen Regelung geltenden Grundsätze wurden vom BVerfG und BVerwG entwickelt (Überblick bei Voßkuhle/Kaiser JuS 2018, Heft 4, S. 343 m. Nachw.). Für den vorliegenden Fall ist es ausreichend, die Fälle zu betrachten, in denen ein Amtsträger in einer politisch determinierten Auseinandersetzung sich negativ über eine politische Partei, eine andere Gruppierung (Dügida) oder eine einzelne Person (F) äußert.
1. Die handelnde öffentliche Stelle (Regierung, Behörde) muss für die Erteilung der Information zuständig sein; im Zusammenhang mit den hier einschlägigen Fällen wird meist von Aufgabenzuweisung gesprochen (z. B. von Waldhoff JuS 2018, 407 in einer Besprechung dieses Falles) oder von Aufgabenbereich (so BVerwG [16]).
a) Zur Bestimmung des Aufgabenbereichs des OB ist davon auszugehen, dass OB ein Gemeindeorgan ist und nur im Rahmen des Aufgabenbereichs der Gemeinde tätig werden darf. BVerwG [17, 18] Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG gewährleistet der Gemeinde das Recht, alle Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft im Rahmen der Gesetze in eigener Verantwortung zu regeln. Daraus erwächst der Gemeinde die Befugnis, sich aller Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft, die nicht durch Gesetz bereits anderen Trägern öffentlicher Gewalt überantwortet sind, ohne besonderen Kompetenztitel anzunehmen. Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft im Sinne von Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG sind diejenigen Bedürfnisse und Interessen, die in der örtlichen Gemeinschaft wurzeln oder auf sie einen spezifischen Bezug haben, die also den Gemeindeeinwohnern gerade als solchen gemeinsam sind, indem sie das Zusammenleben und -wohnen der Menschen in der Gemeinde betreffen. Die Stellungnahme eines kommunalen Amtsträgers muss demnach in spezifischer Weise ortsbezogen sein (vgl. BVerwGE 87, 228, 229 f.)… Dem Amt des Bürgermeisters als gewähltes Stadtoberhaupt ist - vergleichbar mit Regierungsmitgliedern - eine kommunikative Äußerungsbefugnis inhärent. Zwar ist er kommunaler Wahlbeamter; als Leiter der gesamten Verwaltung der Gemeinde steht er an deren Spitze (…). Zugleich wird er aber von den Bürgern in allgemeiner, freier, gleicher, unmittelbarer und geheimer Wahl gewählt… Deshalb hat er neben der Leitung der Verwaltung auch eine originär politische Funktion wahrzunehmen. Aufgrund seiner politischen Funktion ist er befugt, sich am politischen Diskurs über spezifisch örtliche Angelegenheiten zu beteiligen.
b) [19] Im vorliegenden Fall hat OB den durch Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG und seine Organkompetenz zugewiesenen Rahmen eingehalten. Seine Erklärung steht im unmittelbaren Zusammenhang mit der von F angemeldeten Versammlung und der diese Veranstaltung tragenden politischen Gruppierung. Sie ist als Gegenposition zu dem von der F benannten Thema ihrer Versammlung…zu verstehen und befasst sich thematisch mit der Integration von Ausländern und dem Zusammenleben mit Muslimen in der örtlichen Gemeinschaft der Stadt S. Dabei wendet sich OB ausdrücklich an seine Mitbürger, an örtliche Unternehmen und Geschäftsleute und charakterisiert S als weltoffene Stadt. Darüber hinaus erhalten die Aussagen des OB durch die Wahl der Stadt S als Veranstaltungsort der Versammlung der F sowie der Gegendemonstration einen spezifisch örtlichen Bezug.
Die Zuständigkeit des OB ist somit zu bejahen. Weitere formelle Anforderungen bestehen nicht. Es kann zwar Fälle geben, in denen Betroffene zunächst angehört werden müssen, ehe die Behörde sich an die Öffentlichkeit wendet; im vorliegenden Fall besteht dazu aber kein Grund.
2. In materieller Hinsicht steht die Frage im Vordergrund, ob eine Ermächtigungsgrundlage erforderlich ist.
a) Das könnte der Fall sein, wenn ein Eingriff in das Grundrecht der Versammlungsfreiheit (Art. 8 GG) erfolgt ist. Die von F angemeldete und durchgeführte Versammlung fiel unter den Schutzbereich des Art. 8 I GG. Das Verhalten des OB war zwar kein finaler und regelnder („klassischer“) Eingriff in die Versammlungsfreiheit. Aber auch eine mittelbar-faktische Beeinträchtigung kann ein Eingriff in ein Grundrecht sein (Voßkuhle/Kaiser JuS 2018, 344; Stuttmann NVwZ 2018, 436). Der Aufruf und das Abschalten der Beleuchtung hatten den Zweck, die Durchführung des Aufzugs zu erschweren, und sollten vor der Teilnahme an der Versammlung warnen und davon abzuschrecken. Wer dennoch teilnahm, wurde moralisch aus dem Kreis der korrekt Handelnden ausgegrenzt. Es handelte sich deshalb um eine Beeinträchtigung der Versammlung, die als Eingriff zu bewerten ist (Stuttmann NVwZ 2018, 436: Eingriff, indem der OB die Demonstranten „symbolisch aus dem Kreis der Rechtschaffenen ausschloss“).
b) Grundsätzlich folgt daraus, dass eine Ermächtigung erforderlich und das Handeln ohne Ermächtigung als Verstoß gegen den Vorbehalt des Gesetzes rechtswidrig ist. Ausnahmsweise wird aber davon aber abgewichen, um ein Informationshandeln auch ohne förmliche Ermächtigung zu ermöglichen. BVerwG [18] Es ist anerkannt, dass staatliche Informations- und Öffentlichkeitsarbeit notwendig ist, um den Grundkonsens im demokratischen Gemeinwesen lebendig zu erhalten. Die Befugnis zum Informationshandeln wird deshalb ausnahmsweise bereits der Zuständigkeitszuweisung entnommen.
aa) So hat BVerfG NJW 2011, 511 in einem Fall, in dem die Bundeszentrale für politische Bildung eine Erklärung veröffentlicht hatte, diese Erklärung im Anschluss an BVerfGE 105, 252 (Glykol) und 105, 279 (Osho) auf „die kompetenzielle Rechtsgrundlage, auf der die Tätigkeit der Bundeszentrale überhaupt fußt“, gestützt. Dem folgt BVerwG [21] im vorliegenden Fall: Die Zuweisung einer Aufgabe berechtigt grundsätzlich zur Informationstätigkeit im Rahmen der Wahrnehmung dieser Aufgabe, auch wenn dadurch Grundrechte Dritter berührt werden. Der Vorbehalt des Gesetzes verlangt hierfür keine darüber hinausgehende besondere Ermächtigung… Vgl. auch Stuttmann NVwZ 2018, 436: Beschränkt sich der Eingriff auf bloßes Reden und ähnliche „weiche“ Maßnahmen, sinken die Rechtfertigungsanforderungen.
bb) Eine gesonderte Ermächtigungsgrundlage wird erst dann verlangt, wenn der Eingriff „sich in Zielsetzung und Wirkungen als Ersatz für eine staatliche Maßnahme darstellt, die als Grundrechtseingriff im herkömmlichen Sinne zu qualifizieren ist“, die also dessen funktionelles Äquivalent ist (BVerfGE 105, 279, 303; 140, 225 Rdnr. 11). Beispiel hierfür ist der Fall OVG Münster NWVBl 2014, 31, in dem die Erklärung eines Ministeriums, E-Zigaretten bedürften einer Zulassung als Arzneimittel, das Ziel hatte, den Vertrieb über Ladenlokale zu unterbinden.
BVerwG [22] Die Maßnahmen des OB beeinträchtigen F zwar faktisch in deren Versammlungsfreiheit. In ihrer Intensität stehen sie aber einem zielgerichteten regulativen Grundrechtseingriff nicht gleich. Der Aufruf, das Licht auszuschalten, das Abschalten der Beleuchtung an städtischen Gebäuden sowie der Aufruf, an einer Gegendemonstration teilzunehmen, greifen weder objektiv zielgerichtet in die Versammlungsfreiheit der F ein, noch wirken diese Maßnahmen wie ein regulativer Grundrechtseingriff. Vgl. auch Voßkuhle/Kaiser JuS 2018, 344: Nur ein echter Eingriff im Gegensatz zur bloßen Beeinträchtigung verlangt eine echte Befugnisnorm.
Somit ist im vorliegenden Fall eine über die Zuständigkeitszuweisung hinausgehende Ermächtigung nicht erforderlich.
3. Die Befugnis zu einer Informationstätigkeit kraft Kompetenz unterlegt Schranken. Dabei ist daran zu erinnern, dass es um Fälle geht, in denen eine politische Partei, eine andere Gruppierung (Dügida) oder eine einzelne Person (F) in einer politisch determinierten Auseinandersetzung negativ beurteilt wird.
a) Betrifft die Beurteilung eine politische Partei, gilt das Neutralitätsgebot. BVerwG [24, 25] Das Neutralitätsgebot folgt aus dem Recht der politischen Parteien auf Chancengleichheit (Art. 21 Abs. 1 Satz 1 GG). Deren Recht, gleichberechtigt am Prozess der Meinungs- und Willensbildung des Volkes teilzunehmen, wird verletzt, wenn Staatsorgane parteiergreifend zugunsten oder zulasten einer politischen Partei oder von Wahlbewerbern auf die politische Willensbildung des Volkes einwirken (vgl. BVerfGE 44, 125, 146; 136, 323 Rn. 28). Das gilt nicht nur im Wahlkampf, sondern darüber hinaus auch für den politischen Meinungskampf und Wettbewerb im Allgemeinen (vgl. BVerfGE 140, 225 Rn. 9). Auch auf der kommunalen Ebene greift das Neutralitätsgebot ein. So verstoßen Wahlempfehlungen zugunsten einer Partei oder eines Wahlbewerbers, die ein Bürgermeister im Kommunalwahlkampf in amtlicher Eigenschaft abgibt, gegen die Neutralitätspflicht (vgl. BVerwGE 104, 323, 326 f.;…). Gegenüber politischen Gruppierungen, die nicht als politische Partei organisiert sind, sich nicht an politischen Wahlen beteiligen und sich in der Regel durch einen vergleichsweise niedrigen Organisationsgrad auszeichnen, besteht hingegen keine vergleichbare Interessenlage. Für eine Anwendung des Neutralitätsgebots zugunsten einer solchen politischen Gruppierung besteht daher kein Anlass. Da weder F noch Dügida eine politische Partei sind, gilt ihnen gegenüber das Neutralitätsgebot ihnen nicht.
b) Bei Äußerungen von Amtsträgern gegenüber anderen Gruppierungen, gegenüber Versammlungen und ähnlichen Aktivitäten der Zivilgesellschaft gilt das Sachlichkeitsgebot.
aa) BVerwG [27] In der Rechtsprechung ist geklärt, dass amtliche Äußerungen sich an den allgemeinen Grundsätzen für rechtsstaatliches Verhalten in der Ausprägung des Willkürverbots und des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zu orientieren haben. Aus dem Willkürverbot ist abzuleiten, dass Werturteile nicht auf sachfremden Erwägungen beruhen dürfen, d.h. auf einem im Wesentlichen zutreffenden oder zumindest sachgerecht und vertretbar gewürdigten Tatsachenkern beruhen müssen, und zudem den sachlich gebotenen Rahmen nicht überschreiten dürfen (vgl. BVerwGE 82, 76, 83;…).
bb) [28] Staatliche Amtsträger unterstehen nicht allein dem Rechtsstaatsgebot, sondern auch dem Demokratieprinzip. Die freie Bildung der öffentlichen Meinung ist Ausdruck des demokratischen Staatswesens (Art. 20 Abs. 1 GG), in dem sich die Willensbildung des Volkes frei, offen, unreglementiert und grundsätzlich „staatsfrei" vollzieht. Der Willensbildungsprozess im demokratischen Gemeinwesen muss sich vom Volk zu den Staatsorganen, nicht umgekehrt von den Staatsorganen zum Volk hin, vollziehen (vgl. BVerfGE 20, 56, 98 f.; 132, 39, 50). Einem Amtsträger in Wahrnehmung seiner hoheitlichen Funktion ist deshalb eine lenkende oder steuernde Einflussnahme auf den politischen Meinungsbildungsprozess der Bevölkerung verwehrt.
cc) [29] Auch dies führt wieder auf das Sachlichkeitsgebot zurück, das damit auch eine spezifisch demokratische Komponente besitzt. Demokratie lebt vom Austausch sachlicher Argumente; sie zielt auf eine vernunftgeleitete Sorge um das gemeine Wohl. Ein Amtswalter, der am politischen Diskurs teilnimmt, hat deshalb seine Äußerungen an dem Gebot eines rationalen und sachlichen Diskurses auszurichten… (Vgl. Ferreau JZ 2018, 360, 361 in einer Besprechung des BVerwG-Urteils; er fügt noch ein Zurückhaltungsgebot hinzu.)
c) An diesen Maßstäben sind die Äußerungen und Handlungen des OB zu messen.
aa) OB hat die - später verwirklichte - Ankündigung, an städtischen Gebäuden das Licht zu löschen, und die Aufforderung an Private, sich dem anzuschließen, unter die Überschrift gestellt, dass die Stadt damit ein Zeichen gegen Intoleranz und Rassismus setzt. Darin liegt eine - negative - Bewertung der Bestrebungen von F und Dügida. Eine sachliche Begründung dafür hat er nicht gegeben. Sie hätte darin bestehen können, die Kritik von F und Dügida an der Ausländer- und Migrationspolitik und dem Zuzug einer Vielzahl von Muslimen aufzunehmen und darauf zu entgegnen. BVerwG [30] Das symbolische Verdunkeln der Stadt gibt für sich genommen keinen Aufschluss darüber, aus welchen inhaltlich-politischen Gründen die von F auf ihrer Versammlung vertretenen Positionen zu missbilligen sind, etwa weil sie verfassungsfeindliche Tendenzen zeigten oder den Grundwerten der öffentlichen Gemeinschaft widersprächen. Die mit beiden Maßnahmen verbundene negative Symbolik des öffentlichen Lichtlöschens bringt in drastischer Weise die Missbilligung der mit der Versammlung der F verfolgten politischen Ziele zum Ausdruck. Sie verlässt die Ebene eines rationalen und sachlichen Diskurses, ohne für eine weitere diskursive Auseinandersetzung mit den politischen Zielen der von F angemeldeten Versammlung offen zu sein. Die in den Maßnahmen zum Ausdruck gekommene, nicht näher begründete Missbilligung eines Willensbildungsprozesses in der Bevölkerung entspricht nicht den Anforderungen des Sachlichkeitsgebots und ist eine unzulässige Einflussnahme „von oben“. Das ist unabhängig davon, wie andere Kreise denken, selbst wenn diese die Mehrheit bilden. Sachlichkeit und Zurückhaltung kann auch von einer Minderheit verlangt werden. [30] Folglich hat das OVG den Aufruf des O, das Licht auszuschalten, sowie das Abschalten der Beleuchtung an mehreren städtischen Gebäuden zu Recht für rechtswidrig gehalten.
bb) Dagegen hatte das OVG den Aufruf, sich der Gegendemonstration anzuschließen, noch als rechtmäßig gebilligt, weil er auf der Ebene diskursiver politischer Kommunikation verblieben sei. Dem widerspricht aber BVerwG [31] Entgegen der Auffassung des OVG verletzt auch der Aufruf des OB, an einer friedlichen Gegendemonstration teilzunehmen, das Sachlichkeitsgebot. Der Aufruf verfolgte das Ziel, die Versammlung der F in ihrer Wirkung zu schwächen und die Gegendemonstration zu stärken. Er greift unzulässig in den Wettstreit der politischen Meinungen ein und nimmt lenkenden Einfluss auf die Grundrechtsausübung der Bürger. Der Wettbewerb zwischen gegenläufigen friedlichen Versammlungen ist im Rahmen staatsfreier Meinungsbildung der Bevölkerung auszutragen und darf nicht staatlich beeinflusst werden.
4. Sämtliche Maßnahmen des OB waren somit rechtswidrig. Mit dieser Feststellung ist die Klage der F begründet.
Ergänzende Hinweise:
Dem Urteil BVerfG NJW 2018, 928 (Wanka) lag folgender Fall zugrunde: Die AfD hatte eine Versammlung unter dem Motto „Rote Karte für Merkel - Asyl braucht Grenzen“ angemeldet. Dazu veröffentlichte die Ministerin für Bildung und Forschung eine Pressemitteilung mit dem Bundeswappen und der Aufschrift „Bundesministerium für Bildung und Forschung“, die folgenden Wortlaut hatte: „Die Rote Karte sollte der AfD und nicht der Bundeskanzlerin gezeigt werden. Björn Höcke und andere Sprecher der Partei leisten der Radikalisierung in der Gesellschaft Vorschub…“
Das hiergegen von der AfD eingeleitete Organstreitverfahren beim BVerfG hatte Erfolg. Abgesehen davon, dass die Ministerin nicht zuständig war, stellte BVerfG [78] fest, dass die Pressemitteilung die sich aus den Geboten der Neutralität und Sachlichkeit ergebenden Grenzen regierungsamtlicher Öffentlichkeitsarbeit überschreitet. Weder hat die Presseerklärung die Information über ein Regierungshandeln zum Gegenstand, noch wird die Kritik an der Regierung in sachlicher Form zurückgewiesen. - Vgl. zu diesem Fall auch Sachs JuS 2018, 404 (dort Fn. 5 wird die Verbindung zum Fall „Licht aus“ aufgezeigt) und Muckel JA 2018, 394. Vgl. auch die Fallbearbeitung in JA 2018, 815.
Beim Bundespräsidenten ist das BVerfG (E 136, 323) großzügiger und hat ihm gestattet, Mitglieder der NPD, die sich ausländerfeindlich geäußert hatten, als „Spinner“ zu bezeichnen.
Ausführlich zur „Unzulässigkeit staatlicher Einflussnahme auf Versammlungen“, auch wenn auf diesen politisch fragwürdige Ansichten vertreten werden, Lindner/Bast NVwZ 2018, 708, die auf S. 711 dem hier behandelten Urteil zustimmen.
Zusammenfassung
Leitsätze zum Urteil BVerfG NJW 2018, 928 (Fall Wanka)