Bearbeiter: Prof. Dieter Schmalz

Verpflichtungsklage auf Auskunft nach Informationsfreiheitsgesetz (IFG). Voraussetzungen und Ausschlussgründe für Auskunftsanspruch, §§ 1, 3, 5 IFG. Beratungen der Bundesregierung, Art. 65 GG. Willensbildung der Regierung als exekutiver Kernbereich; Gefährdung durch Veröffentlichung eines Protokolls. Datenschutz, § 5 IFG

BVerwG
Urteil vom 13.12.2018 (7 C 19.17) NVwZ 2019, 807

Fall (Regierungsprotokoll)

K ist Journalist, der u. a. über Urheberschutz und Medienfreiheit berichtet und zu diesem Zweck den Zugang zu einem Protokoll der Bundesregierung erstrebt. Diese hatte auf der 114. Kabinettssitzung unter TOP 4 die Gesetzesvorlage zum Gesetz über das Leistungsschutzrecht für Verleger beschlossen. Das - zeitweilig stark umstrittene - Gesetz ist inzwischen verabschiedet und in Kraft getreten. Protokolle der Kabinettssitzungen enthalten die Tagesordnung, die Darstellung des Verlaufs der Kabinettssitzung zu den einzelnen TOPs (sog. Verlaufsprotokoll) und eine Liste der Teilnehmer mit Namen und Funktionsbezeichnungen. K hat beim Bundeskanzleramt beantragt, ihm das Verlaufsprotokoll der 114. Kabinettssitzung zu TOP 4 und die Teilnehmerliste zugänglich zu machen. Mit Bescheid vom 15.7. lehnte das Bundeskanzleramt den Antrag ab. Zur Begründung verwies es auf § 22 Abs. 3 der Geschäftsordnung der Bundesregierung (GOBReg), wonach die Sitzungen der Bundesregierung vertraulich sind und Mitteilungen über die Ausführungen einzelner Bundesminister, über die Abstimmungen und über den Inhalt der Niederschrift grundsätzlich nicht zulässig sind. Als weitere Begründung für die Ablehnung wurde ausgeführt, eine Offenlegung des Verlaufsprotokolls und der Teilnehmerliste könne die Funktionsfähigkeit der Regierung beeinträchtigen, weil die Regierungsmitglieder sich nicht mehr offen und unbefangen äußern, wenn sie damit rechnen müssen, dass das Protokoll während oder nach Abschluss des Gesetzgebungsverfahrens öffentlich zugänglich ist. Auch verstoße eine Übersendung der Unterlagen gegen den Datenschutz.

Dem hält K entgegen, nach Abschluss des Gesetzgebungsverfahrens hätten diese Bedenken an Gewicht verloren, zumal es sich bei TOP 4 um einen Beratungsgegenstand ohne besondere politische Brisanz gehandelt habe. Den Spitzenpolitikern, die an der Sitzung teilnahmen, sei die Offenlegung ihrer Redebeiträge im Interesse der Transparenz des Regierungshandelns zuzumuten. Ferner beanstandet K, dass die Begründung des Bescheids vom 15.7. keine Abwägung mit dem Informationsinteresse der Öffentlichkeit und der Presse enthält. Was den Datenschutz betrifft, könnten besonders vertrauliche Ausführungen im Protokoll geschwärzt werden. K beabsichtigt eine verwaltungsgerichtliche Klage. Hat diese Erfolg?

Hinweise für die Bearbeitung: Dem Bescheid vom 15.7. ist keine Rechtsbehelfsbelehrung beigefügt. – Die Vorschrift im Landespressegesetz (§ 4), wonach die Behörden zu Auskünften gegenüber der Presse verpflichtet sind, ist nicht anzuwenden. Insoweit wird der Auffassung des BVerwG gefolgt (NVwZ 2013, 1006, Fall: Auskunft zur NS-Vergangenheit des BND), dass die Gesetzgebungszuständigkeit der Länder für das Presserecht nicht die Befugnis umfasst, Dienststellen des Bundes zu Auskünften zu verpflichten.

Lösung

A. Zulässigkeit einer verwaltungsgerichtlichen Klage

I. Eine für die Eröffnung des Verwaltungsrechtswegs nach § 40 I VwGO erforderliche öffentlich-rechtliche Streitigkeit liegt vor, wenn die streitentscheidende Norm zum öffentlichen Recht gehört. Für den von K beanspruchten Zugang zu dem Protokoll braucht dieser eine Anspruchsgrundlage. Sie kann sich aus dem (Bundes-) Gesetz zur Regelung des Zugangs zu Informationen des Bundes (Informationsfreiheitsgesetz - IFG) ergeben, so dass sich der Rechtscharakter der Streitigkeit nach dem Rechtscharakter des IFG richtet. Rechtsvorschriften, aus denen ausschließlich der Staat berechtigt oder verpflichtet ist, gehören zum öffentlichen Recht. Das IFG verpflichtet ausschließlich Behörden des Bundes und gleichgestellte Organe (§ 1 IFG). Folglich ist es ein öffentlich-rechtliches Gesetz, und die nach diesem Gesetz zu entscheidende Streitigkeit ist eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit. Sie ist auch nichtverfassungsrechtlicher Art. Zwar ist das beklagte Bundeskanzleramt ein Verfassungsorgan. Für eine verfassungsrechtliche Streitigkeit müssen aber beide Parteien Verfassungsorgane sein (sog. doppelte Verfassungsunmittelbarkeit), was nicht der Fall ist. Ist ein Bürger beteiligt wie im vorliegenden Fall der K, liegt keine verfassungsrechtliche Streitigkeit vor. Die Streitigkeit ist auch keinem anderen Gericht zugewiesen, so dass der Verwaltungsrechtsweg eröffnet ist.

II. Es ist die statthafte Klageart und in diesem Zusammenhang das Klagebegehren des K näher zu bestimmen.

1. Nach § 9 IV 1 IFG ist gegen die ablehnende Entscheidung eine Verpflichtungsklage zulässig.

2. Die Verpflichtungsklage (§ 42 I VwGO) ist auf Erlass eines Verwaltungsakts gerichtet; dieser VA ist Gegenstand des Klagebegehrens (§ 88 VwGO) und Streitgegenstand des Verfahrens. Es ist daher zu bestimmen, in welcher Maßnahme der VA zu sehen ist.

a) K erstrebt Kenntnis vom Verlauf der Kabinettsitzung zu TOP 4 und von deren Teilnehmern. Sie wäre ihm durch Einsichtnahme in das Protokoll oder durch Übersenden einer Kopie oder einer E-Mail mit Anhang zu gewähren (vgl. § 1 II 1 IFG). Dieser Vorgang enthält keine Regelung, ist deshalb kein VA, sondern ein faktisches Verhalten. (Auf diesen Aspekt hat BVerwG NVwZ 2013, 1006 im Fall „NS-Vergangenheit des BND“ abgestellt und deshalb eine Leistungsklage angenommen, dort [15].)

b) Geht dem faktischen Verhalten aber eine Entscheidung darüber voraus, ob dem Antragsteller ein Anspruch zusteht oder ob dem Antrag kraft Ermessensentscheidung stattgegeben wird, liegt darin die Regelung, kraft derer dem Antragsteller ein Recht eingeräumt wird, ähnlich wie bei einer Genehmigung. § 7 IFG bestimmt, dass ein Antrag gestellt wird, über den die Behörde entscheidet. Diese Entscheidung enthält jedenfalls im Falle der Stattgabe des Antrags die Regelung, dass dem Antragsteller ein Recht auf die Informationsgewährung eingeräumt wird, und ist folglich ein Verwaltungsakt i. S. des § 35, 1 VwVfG (Schoch NVwZ 2019, 257 ff., Aufsatz über das IFG-Verwaltungsverfahren, S. 262; zur Verpflichtungsklage und zum VA in einem IFG-Fall auch BVerwG NVwZ 2019, 978). Folglich ist die von K zu erhebende Verpflichtungsklage auf den Erlass eines Bescheids gerichtet, nach dem dem Kläger K der Zugang zu dem Verlaufsprotokoll und der Teilnehmerliste zu gewähren ist. Eine Verpflichtungsklage liegt also nicht nur vor, wenn das Klagebegehren direkt auf eine Regelung (z. B. eine Genehmigung, das Bestehen einer Prüfung, eine Einstellung als Beamter) gerichtet ist, sondern auch, wenn zwar letztlich ein faktisches Verhalten (z. B. eine Auskunft, die Einsichtnahme in Unterlagen) begehrt wird, über dieses aber zuvor durch Bescheid zu entscheiden ist.

III. Die Klagebefugnis (§ 42 II VwGO) steht K zu, weil er geltend machen kann, durch den ablehnenden Bescheid in einem Anspruch auf Informationsgewährung verletzt zu sein.

IV. Vor Erhebung der Klage muss K Widerspruch nach § 68 II 1, I VwGO einlegen (Schoch NVwZ 2019, 263). Die in § 68 I 2 Nr. 1 VwGO vorgesehene Ausnahme macht den Widerspruch nicht entbehrlich, weil nach § 9 IV 2 IFG ein Widerspruchsverfahren auch dann durchzuführen ist, wenn die Entscheidung von einer obersten Bundesbehörde getroffen wird. (Im Originalfall hatte der Widerspruch des Klägers den Teilerfolg, dass ihm die Beratungsergebnisse übermittelt wurden, vgl. BVerwG [4].) Da der Bescheid vom 15.7. keine Rechtsbehelfsbelehrung enthält, braucht für den Widerspruch nur die Jahresfrist des § 58 II VwGO eingehalten zu werden. Nach Erlass eines ablehnenden Widerspruchsbescheids ist für die Klage die Monatsfrist des § 74 II, I VwGO einzuhalten.

V. Die Klage ist gegen den Bund - die Bundesrepublik Deutschland - zu richten, da das Bundeskanzleramt, das über den beantragten VA zu entscheiden hat, eine Bundesbehörde ist (§ 78 I Nr.1 VwGO).

Somit ist eine nach Erfolglosigkeit des Widerspruchs fristgemäß erhobene verwaltungsgerichtliche Klage zulässig.

B. Nach § 113 V VwGO ist die Verpflichtungsklage begründet, soweit die Ablehnung oder Unterlassung des Verwaltungsakts rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist. Die Ablehnung vom 15.7. ist rechtswidrig und verletzt K in einem Recht, wenn K einen Anspruch auf Zugang zu den begehrten Unterlagen hat.

I. Anspruchsgrundlage ist § 1 I 1 IFG, wonach jeder nach Maßgabe dieses Gesetzes gegenüber den Behörden des Bundes einen Anspruch auf Zugang zu amtlichen Informationen hat.

1. Für den Anspruch bestehen einige eher formale Voraussetzungen. Nach § 7 I IFG muss ein Antrag gestellt werden, in dem die begehrte Information bezeichnet wird; diesen Antrag hat K gestellt. Der Antrag muss sich an eine Behörde richten; das Bundeskanzleramt ist Behörde (Hofmann NVwZ 2019, 812; zum Behördenbegriff des IFG BVerwG NVwZ 2019, 978 [15-17], danach ist der Generalbundesanwalt keine Behörde, sondern Teil der zur 3. Gewalt gehörenden Justiz). Die Information muss bei der Behörde vorhanden sein; die Behörde braucht die Information nicht zu beschaffen (Schoch NVwZ 2019, 260 m. w. Nachw. Fn. 65, 67); auch das ist bei dem Protokoll und der Teilnehmerliste der Fall.

2. Materielle Voraussetzungen für den Anspruch bestehen nicht (vgl. § 1 I IFG). Der Antrag bedarf deshalb keiner Begründung (Schoch NVwZ 2019, 258; Rossi in: Ehlers/Fehling/Pünder, Bes. VerwR, 3. Aufl. 2013, § 63 Rdnr. 36: Voraussetzungslosigkeit des IFG-Anspruchs; Ausnahme nach § 7 I 3 IFG, wenn er Daten Dritter betrifft). Auch braucht der Antragsteller kein berechtigtes Interesse an der Information darzutun und sind seine Motive unerheblich (Schoch NVwZ 2019, 258 m. w. Nachw. Fn. 17). Selbst eine Missbrauchsklausel enthält das IFG nicht, insoweit anders als im Umweltinformationsgesetz (§ 8 II Nr. 1 UIG) und im Verbraucherinformationsgesetz (§ 4 IV 1 VIG).

Grundsätzlich besteht also ein Anspruch des K.

II. Es könnte aber ein Ausschlussgrund eingreifen. Ein solcher ist zunächst hinsichtlich des Verlaufsprotokolls zu prüfen, weil Verlaufsprotokoll und Teilnehmerliste sich inhaltlich unterscheiden.

1. Nach § 3 Nr. 4 IFG besteht ein Ausschlussgrund, wenn dieser durch Rechtsvorschrift angeordnet ist. Nach § 22 III GOBReg sind die Kabinettssitzungen vertraulich. Die Vorschrift ist jedoch keine Rechtsvorschrift. BVerwG [30] Nach der Rspr. des BVerwG erfasst dieser Begriff nur Normen mit Außenwirkung (…). Eine solche weist § 22 Abs. 3 GOBReg nicht auf. Die Geschäftsordnung der Bundesregierung enthält ungeachtet der umstrittenen Frage nach ihrer rechtlichen Qualifizierung als „Verfassungssatzung“, Norm „sui generis" oder „autonome Satzung" (offen gelassen in BVerwGE 89, 121, 125 Rn. 35) nur Regierungsinnenrecht und berechtigt und verpflichtet nur die Mitglieder der Bundesregierung; das rechtliche Verhältnis zu anderen Bundesorganen und zum Bürger betrifft sie nicht (folgen Nachw. u. a. auf Oldiges/Brinktrine, in: Sachs, GG, 8. Aufl. 2018, Art. 65 Rn. 38; Pieroth, in: Jarass/Pieroth, GG, 15. Aufl. 2018, Art. 65 Rn. 9). Dazu zwingt auch die Überlegung, dass es einer informationspflichtigen Behörde nicht gestattet sein kann, durch von ihr gesetztes Recht - die GOBReg wird von der Bundesregierung beschlossen, Art. 65, 4 GG - einen parlamentsgesetzlich gewährten Anspruch des Bürgers auszuschließen (Hofmann NVwZ 2019, 813). Deshalb kann § 22 III GOBReg auch als Allgemeine Verwaltungsvorschrift keinen Ausschlussgrund begründen. Somit steht § 3 Nr. 4 IFG i. V. mit § 22 III GOBReg einem Anspruch des K nicht entgegen. (Ein Anwendungsfall zu § 3 Nr. 4 IFG ist BVerwG NVwZ 2019, 1840.)

2. Nach § 3 Nr. 3 b) IFG besteht ein Anspruch auf Informationszugang nicht, wenn und solange die Beratungen von Behörden beeinträchtigt werden. Zwar ist die Bundesregierung keine Behörde, der Zweck des § 3 Nr. 3 b) IFG rechtfertigt aber dessen Ausdehnung auf die Bundesregierung. BVerwG [17,18]: Zweck dieser Regelung ist, die notwendige Vertraulichkeit behördlicher Beratungen zu wahren. Dem Schutz der Beratung unterfällt nur der eigentliche Vorgang der behördlichen Entscheidungsfindung; ausgenommen sind das Beratungsergebnis und der Beratungsgegenstand (…). Der Versagungsgrund des § 3 Nr. 3 Buchst. b IFG verwirklicht… den verfassungsrechtlich garantierten Schutz des Kernbereichs exekutiver Eigenverantwortung… Der aus dem Gewaltenteilungsprinzip folgende Schutz eines nicht ausforschbaren exekutiven Initiativ-, Beratungs- und Handlungsbereichs dient der Wahrung der Funktionsfähigkeit und Eigenverantwortung der Regierung. Zu diesem Bereich gehört die Willensbildung der Regierung selbst, sowohl hinsichtlich der Erörterungen im Kabinett als auch bei der Vorbereitung von Kabinetts- und Ressortentscheidungen, die sich vornehmlich in ressortübergreifenden und -internen Abstimmungsprozessen vollzieht (vgl. BVerfGE 137, 185 Rn. 136 f. m. w. N.).

(Der Begriff der Exekutive wird zunächst in einem weiten Sinn verstanden und umfasst die Zweite Gewalt in Abgrenzung zur Ersten (Gesetzgebung) und Dritten (Rechtsprechung). Untergliedern lässt sich die Exekutive i. w. S in den Bereich der Regierung, bezeichnet als Gubernative, und die Exekutive i. e. S., deren wesentliche Aufgabe der Gesetzesvollzug ist und die deshalb auch als vollziehende Gewalt bezeichnet wird. Die Regierung = Gubernative umfasst insbesondere die Entwicklung politischer Ziele und die Vorbereitung der Gesetze.)

a) Der vorstehend dargestellte Zweck bezieht sich in erster Linie auf laufende Verfahren, bei denen im Falle der Kenntnisnahme Dritter ein Einfluss auf die anstehende Entscheidung im Sinne eines Mitregierens Dritter möglich wäre, aber verhindert werden muss. Im vorliegenden Fall ist das Verfahren spätestens seit der Verabschiedung des Gesetzes abgeschlossen.

b) Der Zweck des § 3 Nr. 3 b) IFG ist nicht auf den Schutz eines konkreten laufenden Verfahrens beschränkt. BVerwG [18] Es sind auch Konstellationen möglich, in denen der Zugang zu Unterlagen über abgeschlossene Vorgänge zu versagen ist. Bei abgeschlossenen Vorgängen fällt als funktioneller Belang nicht mehr die Entscheidungsautonomie der Regierung ins Gewicht, sondern vor allem die Freiheit und Offenheit der Willensbildung innerhalb der Regierung, die durch „einengende Vorwirkungen" einer nachträglichen Publizität beeinträchtigt werden kann. Unter diesem Aspekt sind Informationen aus dem Bereich der Vorbereitung von Regierungsentscheidungen, die Aufschluss über den Prozess der Willensbildung geben, umso schutzwürdiger, je näher sie der gubernativen Entscheidung stehen (…).

aa) Der Beschluss über das Einbringen einer Gesetzesvorlage ist eine typische gubernative Entscheidung. BVerwG [24]: Bei dieser ist nachvollziehbar, dass bei einem Zugang des K zum Verlaufsprotokoll wegen einengender Vorwirkungen eine konkrete und ernsthafte Gefährdung des Beratungsprozesses im Kabinett und eine Beeinträchtigung der Funktionsfähigkeit der Bundesregierung wahrscheinlich sind… Die Kabinettssitzung ist der genuine Raum der Bundesregierung für Beratungen. Deren in § 22 Abs.3 GOBReg bestimmte Vertraulichkeit ist eine wesentliche Rahmenbedingung für die Funktionsfähigkeit der Regierung. Sie garantiert und schützt einen unbefangenen und freien Meinungsaustausch der Kabinettsmitglieder. Dazu gehört auch die Möglichkeit, vorläufige und noch nicht ausgereifte oder pointierte Argumente in die Entscheidungsfindung einzubringen, die wegen anderer Überzeugungen oder mit Rücksicht auf eine Konsensfindung wieder verworfen werden. Die im Verlaufsprotokoll vermerkten Wortbeiträge dokumentieren diesen Beratungsvorgang und Entscheidungsprozess im Kabinett. Vor diesem Hintergrund ist evident, dass eine Offenlegung des Verlaufsprotokolls die Funktionsfähigkeit der Regierung beeinträchtigen kann, weil die Kabinettsmitglieder sich nicht mehr offen und unbefangen äußern würden, wenn sie damit rechnen müssten, dass das Verlaufsprotokoll nach Abschluss des Gesetzgebungsverfahrens öffentlich zugänglich wäre.

bb) Da diese Überlegung künftige Beratungen absichern soll, ist das Argument des K, nach Abschluss des Gesetzgebungsverfahrens hätten die Bedenken an Gewicht verloren, nicht zutreffend. Auch ist unerheblich, ob der TOP eine besondere politische Brisanz aufweist und ob Spitzenpolitikern eine Offenlegung ihrer Redebeiträge zuzumuten ist. BVerwG [25] Die Bundesregierung als das kollegial gebildete Verfassungsorgan, das maßgeblich an der Aufgabe der Staatsleitung teil hat, kann nur dann gegenüber den gesetzgebenden Körperschaften bestehen, wenn es „mit einer Stimme spricht". Hat sich die Bundesregierung durch einen in der Regel in gemeinschaftlicher Sitzung gefassten Mehrheitsbeschluss eine Meinung gebildet, so müssen alle Bundesminister diese Auffassung gegenüber dem Parlament vertreten; für Minderheitenauffassungen innerhalb der Bundesregierung ist im Rahmen des Rechtsetzungsverfahrens kein Raum (…). Diese Einheitlichkeit der Politik der Bundesregierung würde in Frage gestellt, wenn sich das Kabinettsgeheimnis nicht wahren ließe und interne Meinungsverschiedenheiten oder unterschiedliche Auffassungen in der Kabinettssitzung öffentlich würden. Die fortdauernde Vertraulichkeit der Beratungsinterna dient damit dem präventiven Schutz der Funktionsfähigkeit der Regierung.

c) Die von K geforderte Abwägung mit dem Informationsinteresse der Öffentlichkeit und der Presse ist im Gesetz nicht vorgesehen. BVerwG [19] § 3 Nr. 3 Buchst. b IFG ist, wie der Verzicht auf eine Abwägungsklausel zeigt, als absoluter Ausschlussgrund ausgestaltet. Liegen die Tatbestandsvoraussetzungen vor, ist der Informationszugang zwingend ausgeschlossen; für eine Relativierung des öffentlichen Belangs durch eine Abwägung mit einem gegenläufigen Interesse an der Offenbarung der begehrten amtlichen Informationen ist kein Raum (vgl. Schoch, IFG, 2. Aufl. 2016, Vorb. §§ 3 bis 6 Rn. 53).

3. Somit steht § 3 Nr. 3 b) IFG einem Anspruch des K auf Einsicht in das Verlaufsprotokoll der 114. Kabinettssitzung entgegen, K hat keinen Anspruch auf das Verlaufsprotokoll. – Wegen dieses bereits feststehenden Ergebnisses wird ein möglicher zusätzlicher Ausschlussgrund wegen Datenschutzes nicht mehr beim Verlaufsprotokoll, sondern erst nachfolgend im Zusammenhang mit der Teilnehmerliste behandelt.

III. Ein Ausschlussgrund könnte auch für die Einsichtgewährung in die Teilnehmerliste eingreifen.

1. § 3 Nr. 4 IFG steht aus denselben Gründen wie oben B II 1 einem Informationszugang nicht entgegen, weil die die Vertraulichkeit anordnende Vorschrift des § 22 III GOBReg keine Rechtsvorschrift ist.

2. § 3 Nr. 3 b) IFG hat zwar den Anspruch auf Einsichtnahme in das Verlaufsprotokoll verhindert, steht aber der Übersendung der Teilnehmerliste nicht entgegen. Denn die Teilnehmerliste gibt den Beratungsvorgang nicht wieder und lässt auch keine Rückschlüsse auf Ausführungen der einzelnen Kabinettsmitglieder zu; deshalb kann eine Kenntnis Dritter von der bloßen Teilnahme weder laufende noch künftige Beratungen beeinträchtigen. (BVerwG [28])

3. Dem Anspruch des K könnte der Datenschutz nach § 5 IFG entgegenstehen.

a) Personenbezogene Daten sind alle Informationen, die sich auf eine identifizierte oder identifizierbare natürliche Person beziehen (so übereinstimmend § 46 Nr. 1 BDSG und Art. 4 Nr. 1 Datenschutzgrundverordnung - DS-GVO EU). Die Namen der Teilnehmer auf der Liste, die deren Anwesenheit bezeugen, und die Funktionsbezeichnungen sind derartige Informationen, sind also personenbezogene Daten. Nach § 5 I 1 IFG ist eine Zugangsgewährung durch Übermittlung oder Einsichtgewährung in die Teilnehmerliste nur zulässig , soweit das Informationsinteresse des Antragstellers das schutzwürdige Interesse des Dritten am Ausschluss des Informationszugangs überwiegt oder der Dritte eingewilligt hat. Da eine Einwilligung der Teilnehmer nicht vorliegt, ist grundsätzlich eine Abwägung zwischen dem Informationsinteresse des Antragstellers K und dem Interesse der Teilnehmer an der Kabinettssitzung vorzunehmen.

aa) Allerdings sind zunächst die nachfolgenden Vorschriften in den Blick zu nehmen. BVerwG [41] Für bestimmte Arten personenbezogener Daten wird die Abwägung in § 5 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 bis 4 IFG vorweggenommen bzw. ausgeschlossen. Dabei handelt es sich einerseits um Regelungen zugunsten der Interessen Dritter (§ 5 I 2; II), andererseits um solche zugunsten des Antragstellers (§ 5 III; IV). Im vorliegenden Fall greift keine davon unmittelbar ein: § 5 I 2 nicht, weil die Teilnehmerliste keine sensiblen Daten enthält; § 5 II nicht, weil es sich nicht um Unterlagen im Zusammenhang mit einem Dienst- oder Amtsverhältnis oder einem Mandat des Dritten handelt und die Daten auch nicht unter ein Berufs- oder Amtsgeheimnis fallen (anders im Fall BVerwG NVwZ 2019, 1050 [20-22], in dem es um die Personalakte des früheren Soldaten und späteren NSU-Täters Uwe Mundlos ging); § 5 III nicht, weil die Personen auf der Liste nicht als Gutachter oder Sachverständiger tätig waren, und § 5 IV nicht, weil es sich nicht um Daten von Bearbeitern handelt.

bb) Gleichwohl können diese Vorschriften bei der Abwägung von Bedeutung sein, denn deren Systematik (BVerwG [41, 42]) orientiert sich im Grundsatz an der vom BVerfG für Eingriffe in das allgemeine Persönlichkeitsrecht (Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG) entwickelten Sphärentheorie, die zwischen der Intim-, Privat- und der Sozialsphäre unterscheidet (ebenso BVerwG DÖV 2019, 661 LS 2 für den presserechtlichen Auskunftsanspruch). Aus der Zuordnung zu diesen Sphären folgt eine stärkere oder schwächere Schutzwürdigkeit der betroffenen Daten. Daneben ist wesentlich für die Abwägung, welche Funktion bzw. Stellung der Betroffene in der Behörde bzw. im öffentlichen Leben wahrnimmt und welche Schwere die Beeinträchtigung und ihre Folgen voraussichtlich haben werden; niedrigere Amts- und Funktionsträger verdienen größeren Schutz als höhere und als Personen der Zeitgeschichte (vgl. BVerwGE 121, 115, 136 Rn. 59).

b) BVerwG [45-47] Bei Anlegung dieser Maßstäbe

aa) erweist sich das Interesse der Kabinettsmitglieder, der Chefs des Bundeskanzleramtes, des Bundespräsidialamtes und des Bundespresseamtes…an einer Geheimhaltung ihrer Namen und Funktionsbezeichnungen in der Teilnehmerliste zur Kabinettssitzung als nicht schutzwürdig… Betroffen ist lediglich ihre Sozialsphäre. Zudem handelt es sich bei diesen Personen um hochrangige Amts- und Funktionsträger sowie - zum überwiegenden Teil - um Personen des öffentlichen Lebens. Wenn nach der gesetzlichen Wertung des § 5 Abs. 4 IFG schon jeder Sachbearbeiter kein schutzwürdiges Interesse daran hat, dass die personenbezogenen Daten, die mit seiner dienstlichen Tätigkeit zusammenhängen, vertraulich bleiben, muss dies erst recht für die ranghohen und exponierten Teilnehmer an einer Kabinettssitzung gelten. Überdies ist weder dargetan noch sonst ersichtlich, welche nachteiligen Folgen die Offenlegung der Teilnahme oder Nichtteilnahme dieser Personen an der Kabinettssitzung haben könnte. Auch bei den nicht dem Kreis der politischen Beamten zugehörigen Ministerialbeamten, die an Kabinettssitzungen teilnehmen, hat deren Interesse ein nur geringes Gewicht, weil auch bei diesen wegen des dienstlichen Zusammenhangs, in dem die Daten anfallen, nur die Sozialsphäre betroffen ist und nachteilige Folgen für den Fall der Offenlegung ihrer Teilnahme nicht ersichtlich sind…

bb) Demgegenüber beruft sich K auf das von der Presse wahrgenommene Interesse der Allgemeinheit an Transparenz und Aufklärung über die Aufgabenwahrnehmung öffentlicher Stellen (vgl. BVerwGE 154, 231 Rn. 25). Das gilt umso mehr, als es um ein besonders hervorgehobenes Gremium geht (vgl. BVerwGE 141, 122 Rn. 20). Erhält K Kenntnis von den Teilnehmern der Kabinettssitzung, kann er versuchen, über Kontakte mit ihnen trotz Vertraulichkeit einige für seine Arbeit nützliche Informationen zu erhalten. Dieses von K vertretene Interesse hat ein hohes Gewicht und überwiegt das unter aa) als nicht schutzwürdig beurteilte Interesse der Teilnehmer.

Folglich steht § 5 IFG der Übersendung der Teilnehmerliste nicht entgegen.

4. Auch Art. 6 I der Datenschutz-Grundverordnung EU (DS-GVO) enthält keine Einschränkung des Anspruchs des K aus dem IFG. Dabei kann das grundsätzliche Verhältnis zwischen der DS-GVO und dem IFG, speziell des § 5 IFG, offen bleiben (dazu BVerwG DÖV 2019, 661 [23-28]; Hofmann NVwZ 2019, 813; im vorliegenden Fall hat das BVerwG die DS-GVO nicht behandelt). Denn nach Art. 6 I c) DS-GVO ist eine Datenverarbeitung, zu der die Übermittlung von Informationen gehört (Art. 4 Nr. 2 DS-GVO), rechtmäßig, wenn sie zur Erfüllung einer rechtlichen Verpflichtung erforderlich ist. Eine solche rechtliche Verpflichtung ist die Informationspflicht aus § 1 I IFG. Durch sie wird der Anspruch der Bürger darauf erfüllt, diejenigen Informationen zu erhalten, die sie brauchen, um ihre demokratischen Rechte sachgemäß auszuüben. Also steht auch die DS-GVO einer Übersendung der Teilnehmerliste nicht entgegen.

5. Somit greift für die Einsichtgewährung in die Teilnehmerliste kein Ausschlussgrund ein. Insoweit besteht der Anspruch des K aus § 1 I 1 IFG.

IV. Im Fall der Klage eines Journalisten hat BVerwG NVwZ 2013, 1006 (Fall: Auskunft wegen der NS-Vergangenheit des BND) ausgeführt, ein Auskunftsanspruch könne sich auch unmittelbar aus der Garantie der Pressefreiheit in Art. 5 I 2 GG ergeben (kritisch dazu Schnabel DÖV 2019, 654 und Fn. 17). Dieser Anspruch greift aber nur subsidiär ein, d. h. wenn eine einfachgesetzliche Anspruchsgrundlage nicht vorhanden ist (vgl. LS 3: „Bleibt der zuständige Gesetzgeber untätig…“). Im vorliegenden Fall enthält das IFG sowohl im Hinblick auf die Anspruchsgewährung als auch hinsichtlich der Ausschlussgründe eine sachgemäße Regelung; folglich besteht kein Grund, wegen Untätigkeit des Gesetzgebers auf Art. 5 I 2 GG zurückzugreifen. Art. 5 I 2 GG wird somit nicht angewendet.

Ergebnis: Auf die Verpflichtungsklage hin wird die BRD verurteilt, K dahin zu bescheiden, dass ihm die Teilnehmerliste der 114. Kabinettssitzung übersandt wird. Hinsichtlich des Verlaufsprotokolls wird die Klage abgewiesen. Die von K beabsichtigte verwaltungsgerichtliche Klage hat also zu einem (kleineren) Teil Erfolg.


Zusammenfassung