Bearbeiter: Prof. Dieter Schmalz
►Verwaltungsgerichtliche Leistungsklage. ► Öffentlich-rechtlicher Erstattungsanspruch. ► Verwaltungsvollstreckung, Verwaltungszwang, Ersatzvornahme durch Abschleppen eines Kfz. ► Gestrecktes Verfahren und Sofortvollzug. ►Verkehrszeichen (Haltverbot) als Allgemeinverfügung; wirksame Bekanntgabe. ► Pflicht zur Kostentragung; Erforderlichkeit einer Vorlauffrist; Dauer der Frist
BVerwG Urteil vom 24. 5. 2018 (3 C 25/16) NJW 2018, 2910
Fall (Abschleppen nach mobilem Parkverbot)
Frau F, die in der im Lande L gelegenen Großstadt S wohnt, parkte vor der Abreise in den Urlaub am Montag, den 19. August, ihren Pkw auf der Straße vor dem Nachbarhaus, wo keine Parkbeschränkung bestand. Die im Nachbarhaus wohnenden Mieter wollten umziehen und beauftragten die U-GmbH mit dem Umzug. Deren Mitarbeiter besorgten sich beim zuständigen Amt der Stadt S eine „Anordnung über die Einrichtung einer Haltverbotszone“ und stellten am Dienstag, den 20. August, mittags vor dem Nachbarhaus zwei mobile Haltverbotsschilder auf ( § 41 StVO Anlage 2 Zeichen 283, absolutes Haltverbot); sie enthielten den Zusatz „23. und 24. August von 7:00 bis 18:00 Uhr“. Als U am Freitag, den 23. August erschien, stand der Pkw der F noch dort und verhinderte zunächst, dass der Umzugswagen vor dem Nachbarhaus aufgestellt und der Umzug durchgeführt werden konnte. Ein von U eingeschalteter Mitarbeiter M der Stadt S versuchte mehrfach, F zu erreichen, und beauftragte schließlich das Abschleppunternehmen A, das den Pkw der F gegen 14:00 Uhr abschleppte und auf dem Betriebshof abstellte. Als F am 5. September aus dem Urlaub zurückkam, wollte sie den Pkw bei A abholen, erhielt die Autoschlüssel aber nur gegen Zahlung von Abschlepp- und Verwahrkosten in Höhe von 176 Euro ausgehändigt.
F verlangt von der Stadt S Erstattung der 176 Euro mit der Begründung, das Aufstellen von Verkehrszeichen durch Private und im Interesse Privater sei kein zulässiger Grund für die Abschleppanordnung des M gewesen. Auch habe sie rechtmäßig geparkt; deshalb seien die Abschleppkosten nicht durch ihr Verhalten, sondern durch den Umzug entstanden. Die Stadt S entgegnet, sie sei schon deshalb nicht zur Rückzahlung verpflichtet, weil sie das Geld gar nicht erhalten habe. Auch sei das Abschleppen drei Tage nach dem von der Stadt genehmigten Aufstellen der Schilder erfolgt, womit eine genügend lange Frist eingehalten worden sei. Hat eine auf Erstattung der 176 Euro gerichtete Klage der F gegen S vor dem Verwaltungsgericht Aussicht auf Erfolg?
Vermerk für die Bearbeitung: Im Land L gilt ein Verwaltungsvollstreckungsgesetz (VwVG) mit demselben Inhalt wie das VwVG des Bundes (BVwVG).
Lösung
Vorbemerkung: Der Originalfall spielte in Düsseldorf, so dass Vorinstanz für das BVerwG das OVG Münster war (Urteil vom 13. 9. 2016, AZ 5 A 470/14), das nach NRW-Recht zu entscheiden hatte. Damit die Falllösung länderübergreifend verwendbar ist, wurde der Fall in das anonyme Land L verlegt. Problematik und Lösung bleiben im Wesentlichen gleich.
A. Die verwaltungsgerichtliche Klage müsste zulässig sein.
I. Die Eröffnung des Verwaltungsrechtsweges hat nach § 40 I VwGO zur Voraussetzung, dass eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit vorliegt.
1. Die Streitigkeit besteht darin, dass F Rückzahlung eines Geldbetrags verlangt. Ein Rückzahlungs- bzw. Erstattungsanspruch ist ein umgekehrter Leistungsanspruch und hat denselben Rechtscharakter, den die Leistung hatte, also die Zahlung der 176 Euro. Da eine Zahlung zunächst neutral ist, ergibt sich ihre Zuordnung zum öffentlich en oder zum privaten Recht aus dem Rechtsverhältnis, innerhalb dessen die Zahlung erfolgt ist. Im vorliegenden Fall ist dieses Rechtsverhältnis die finanzielle Abwicklung des Abschleppens und Verwahrens des Pkw der F.
2. Dieses Rechtsverhältnis ist öffentlich-rechtlich, wenn das Abschleppen des Pkw aufgrund eines zwischen der Stadt S und F bestehenden Rechtsverhältnisses erfolgte und deshalb öffentlich-rechtlich zu beurteilen ist. Das ist abzugrenzen von einem privatrechtlichen Abschleppen, bei dem das Abschleppen einem privatrechtlichen Rechtsverhältnis zwischen F und dem Umzugsunternehmen U oder deren Auftraggebern zuzuordnen wäre (zum privatrechtlichen Abschleppen z. B. von einem unberechtigt benutzten Kundenparkplatz BGH NJW 2016, 2407; 2009, 2530). Dafür, dass das Abschleppen im vorliegenden öffentlich-rechtlich zu beurteilen ist, spricht bereits, dass der Pkw der F nicht auf einem privaten Grundstück stand, sondern auf einer öffentliche n Straße und kraft Gemeingebrauchs geparkt war. Entscheidend ist, dass das Abschleppen der Durchsetzung des durch Verkehrsschilder angeordneten Haltverbots diente und von dem Mitarbeiter M der Stadt angeordnet wurde. Dagegen spricht nicht, dass es durch das private Unternehmen A vorgenommen wurde. Denn ein von der Polizei oder Ordnungsbehörde eingeschaltetes Abschleppunternehmen hat eine Stellung, „die der des Verwaltungshelfers angenähert ist“ (BGH NVwZ 2006, 964 [14]), und wird im Verhältnis zum Bürger nicht als Privatrechtssubjekt, sondern als Beauftragter der Behörde tätig. Somit erfolgte das Abschleppen innerhalb eines öffentlich-rechtlichen Rechtsverhältnisses zwischen der Stadt S als Ordnungsbehörde, unter Zuhilfenahme der A, und F.
Folglich hat F die 176 Euro innerhalb eines öffentlich-rechtlichen Verhältnisses gezahlt, so dass auch das Erstattungsverlangen öffentlich-rechtlich zu beurteilen ist und zu einer öffentlich-rechtlichen Streitigkeit führt. Die Streitigkeit ist auch nichtverfassungsrechtlicher Art und keinem anderen Gericht zugewiesen. Der Verwaltungsrechtsweg ist zulässig.
II. Die statthafte Klageart richtet sich nach dem Klagebegehren der F (§ 88 VwGO). Dieses ist auf eine schlichte Zahlung gerichtet, so dass die Klage eine (allgemeine) Leistungsklage ist. Diese Klageart ist zwar in der VwGO nicht ausdrücklich geregelt, wird aber als zulässig vorausgesetzt (so in §§ 43 II, 111 VwGO) und ist als Grundform einer gerichtlichen Klage auch gewohnheitsrechtlich anerkannt.
III. Um Popularklagen zu verhindern, muss auch bei einer Leistungsklage analog § 42 II VwGO eine Klagebefugnis bestehen (BVerwGE 101, 159). F kann geltend machen, dass die S für die Zahlung einzustehen hat, dass die Zahlung zu Unrecht erfolgt ist und ihr deshalb ein Rückzahlungsanspruch zusteht.
IV. Ein Widerspruchsverfahren als Vorverfahren ist bei einer allgemeinen Leistungsklage ebenso wenig vorgeschrieben wie die Einhaltung einer Frist. Weitere Zulässigkeitsbedenken bestehen nicht. Eine Klage der F gegen S auf Erstattung der 176 Euro ist zulässig.
B. Begründet ist die Leistungsklage, wenn F gegen S einen Anspruch auf Erstattung der 176 Euro hat.
I. Eine spezielle Anspruchsgrundlage greift nicht ein, insbesondere enthält das VwVG keine Vorschrift, nach der zu Unrecht gezahlte Abschleppkosten zu erstatten sind.
II. Anspruchsgrundlage könnte ein öffentlich-rechtlicher Erstattungsanspruch sein. Dieser ist gewohnheitsrechtlich anerkannt, ist gegenüber dem zivilrechtlichen Bereicherungsanspruch selbstständig, hat aber dieselben Voraussetzungen wie § 812 BGB . BVerwGE 71, 85, 87 und NJW 2006, 3226: Der öffentlich-rechtliche Erstattungsanspruch setzt ebenso wie der zivilrechtliche Bereicherungsanspruch voraus, dass entweder eine „Leistung ohne Rechtsgrund“ erbracht worden ist oder dass eine „sonstige rechtsgrundlose Vermögensverschiebung“ stattgefunden hat. Auch die in § 818 BGB getroffene Regelung gilt prinzipiell sinngemäß, allerdings mit Ausnahme des § 818 III, weil der Staat sich nicht zu Lasten des Bürgers auf einen Wegfall der Bereicherung berufen darf.
Anwendbar ist der Erstattungsanspruch - in Abgrenzung zu § 812 BGB -, wenn die Leistung oder sonstige Vermögensverschiebung innerhalb eines öffentlich-rechtlichen Rechtsverhältnisses stattgefunden ha t . Im vorliegenden Fall ergibt sich das aus den Ausführungen oben A I 2.
1. Erste Voraussetzung für einen Erstattungsanspruch der F gegen S ist, dass S etwas, d. h. einen Vermögenswert, erlangt hat. Zwar wurden die 176 Euro von F nicht an S, sondern an A gezahlt. Sie dienten aber der Begleichung der Abschleppkosten. Schuldner der Abschleppkosten war S, weil ihr Mitarbeiter M als ihr Vertreter mit A einen Werkvertrag geschlossen hat. Aus diesem war S zur Zahlung von Werklohn verpflichtet (§ 631 I BGB). Durch die Zahlung der F ist S von ihrer Zahlungsverbindlichkeit frei geworden. Darin liegt ein Vermögenswert, den S erlangt hat.
2. S könnte die 176 Euro durch Leistung der F erlangt haben. Leistung im Sinne des § 812 I 1 BGB ist die bewusste und zweckgerichtete Vermehrung fremden Vermögens (BGH NJW 2018, 1079 [17]). Zweck der Zahlung von 176 Euro war die Begleichung der aus dem Werkvertrag geschuldeten Vergütung. Eine eigene Verpflichtung dazu wollte F nicht erfüllen, weil sie den Abschleppauftrag nicht erteilt hat. Deshalb konnte sie nur die auch für A und S erkennbare Vorstellung haben, dass ihre Zahlung der S als Auftraggeberin des Abschleppauftrags zugute kam. Im Verhältnis der F zu S war A - vergleichbar mit dessen Einordnung als Verwaltungshelfer oben A I 2 - bloß Leistungsmittler und vermittelte durch die Entgegennahme des Betrages, dass der Betrag zum Erlöschen der Verpflichtung der S führte und somit eine Leistung an diese bewirkt wurde. Nach Art eines Dreiecksverhältnisses lag in der Zahlung der 176 Euro von F an A rechtlich eine Leistung der F an S und die weitere Leistung der S an A. Folglich hat F die 176 Euro an S geleistet. (Vgl. OVG Münster als Vorinstanz [61]: Die 176 Euro sind eine „tatsächlich an das Abschleppunternehmen, rechtlich aber an die Stadt erbrachte Leistung“.)
III. Die Leistung müsste ohne Rechtsgrund erbracht worden sein. Ein Rechtsgrund zwischen S und F kann sich daraus ergeben, dass der S gegen F ein Anspruch auf Zahlung der Abschleppkosten wegen einer Verwaltungsvollstreckung im Wege der Ersatzvornahme zustand. Diese gehört zu den drei Zwangsmitteln des Verwaltungszwangs: Ersatzvornahme, Zwangsgeld und unmittelbarer Zwang.
Für die Ersatzvornahme (§ 10 VwVG; in NRW: § 59 LVwVG) ist wesentlich, dass sie „auf Kosten des Pflichtigen“ durchgeführt wird. Der Vollstreckungsschuldner als Pflichtiger hat also die Kosten der Ersatzvornahme zu zahlen, die vollstreckende Behörde hat einen dahingehenden Anspruch. Dementsprechend verweist § 19 VwVG auf §§ 337 I, 34 4 I Nr. 8 Abgabenordnung (AO), wonach als Auslagen erhoben werden: „Beträge, die bei der Ersatzvornahme…an Beauftragte und an Hilfspersonen gezahlt werden…“. (In NRW: § 20 II Nr. 7 VO VwVG.) Von den Voraussetzungen für den Kostenersatzanspruch ergeben sich zwei aus den genannten Vorschriften, es sind dies: 1. Vorliegen einer Ersatzvornahme und 3. rechtmäßige Bestimmung der Kosten. Voraussetzung 2. ist ungeschrieben und verlangt eine rechtmäßige Verwaltungsvollstreckung (BVerwG [11]; Poscher/Rusteberg JuS 2012, 31).
Was die Bedeutung dieser Vorschriften im Rahmen einer Fallbearbeitung betrifft, ist zu unterscheiden:
(a) Hat der Betroffene die Kosten noch nicht gezahlt, wird gegen ihn ein Kostenbescheid erlassen. Dieser muss zunächst die formellen Voraussetzungen für den Erlass eines belastenden VA erfüllen. Die vorstehend genannten Vorschriften sind die Ermächtigungsgrundlage für den Kostenbescheid, ihre unter 1. bis 3. genannten Voraussetzungen sind die materiellen Voraussetzungen für die Rechtmäßigkeit des Kostenbescheids und enthalten auch eine VA-Befugnis (Poscher/Rusteberg JuS 2012, 30). Als Fall nach Erlass eines Kostenbescheids wird der Fall behandelt von Hebeler JA 2019, 398.
(b) Sind - wie in dem dem Originalfall nachgebildeten vorliegenden Fall - die Kosten bereits gezahlt, entfällt der Kostenbescheid; es sind lediglich die materiellen Anspruchsvoraussetzungen 1. bis 3. zu prüfen.
1. Eine Ersatzvornahme liegt vor, wenn eine Verwaltungsvollstreckung in der Form des Verwaltungszwanges vorgenommen wird und eine vertretbare Handlung dadurch durchgesetzt wird, dass ein Dritter (Fremdvornahme) oder die Behörde selbst (Selbstvornahme) die Handlung vornimmt.
a) Die zuständige Behörde der Stadt S wollte durchsetzen, dass die Haltverbotsschilder beachtet wurden, wozu erforderlich war, dass der Pkw weggefahren wurde. Das Wegfahren war Aufgabe der F, war aber keine höchstpersönliche, sondern eine vertretbare Handlung. Durch das - von A als Dritten durchgeführte - Abschleppen wurde das Entfernen des Pkw erzwungen.
b) Teilweise wird allerdings, wenn das Fahrzeug auf einen Abstellplatz gebracht wird, eine Sicherstellung angenommen (Möstl JURA 2011, 851). Jedoch liegt eine Sicherstellung nur vor, wenn die Behörde die Sache vorläufig in ihren Besitz bringen will, etwa weil von ihrer Beschaffenheit eine Gefahr ausgeht (z. B. bei Sicherstellung eines Fahrzeugs, dessen Bremsen nicht funktionieren). Beim Abschleppen ist aber das betroffene Auto als solches nicht gefährlich, es stört nur durch seine Lage an einer bestimmten Stelle, „im Raum“. Während bei der Sicherstellung die Behörde sinngemäß sagt „Gib her“, sagt sie beim Abschleppen nur „Fahr weg“. Ein Wegfahrgebot führt aber nicht zu einer Sicherstellung. Auch eine „unmittelbare Ausführung“ (z. B. geregelt in § 19 BuPolG) scheidet aus, weil sie im VwVG des Bundes nicht vorgesehen ist (ebenso nicht im VwVG NRW). Sie bringt auch nicht genügend zum Ausdruck, dass durch das Abschleppen das Haltverbot aus den Verkehrsschildern durchgesetzt werden soll.
c) Somit ist der herrschenden Meinung zu folgen, wonach das Abschleppen als Verwaltungszwang durch Ersatzvornahme einzuordnen ist (BGH MDR 2014, 589 [6]; VGH Mannheim NJW 2010, 1898/9; Waldhoff JuS 2010, 92; Hong JURA 2012, 474; Muckel NWVBl 2004, 286; Kugelmann/Alberts JA 2013, 908).
2. Die f ür die Rechtmäßigkeit der Verwaltungsvollstreckung erforderliche Ermächtigungsgrundlage ergibt sich aus § 6 VwVG (in NRW: § 55 VwVG). Dabei ist zwischen den beiden Absätzen zu unterscheiden: Nach Absatz 1 wird ein - in diesem Zusammenhang als Grundverfügung bezeichneter - VA im gestreckten Verfahren (dazu noch nachfolgend a) vollstreckt. Absatz 2 ermöglicht eine Vollstreckung durch Sofortvollzug (dazu b).
a) Das Abschleppen des Pkw der F könnte als Vollstreckung im gestreckten Verfahren rechtmäßig sein.
aa) Hierfür müssen die Vollstreckungsvoraussetzungen vorliegen.
(1) Erforderlich ist ein auf ein Handeln, Dulden oder Unterlassen gerichteter VA („HDU-Verfügung“ als Grundverfügung).
BVerwG [14] Nach der Rspr. des BVerwG ist das mobile Haltverbotsschild nach Zeichen 283 (Anlage 2 zu § 41 Abs. 1 StVO) wie jedes andere Verkehrszeichen ein VA in der Form der Allgemeinverfügung im Sinne des § 35 Satz 2 VwVfG. Es enthält nicht nur das Verbot, an der gekennzeichneten Stelle zu halten, sondern zugleich ein…Wegfahrgebot für unerlaubt haltende Fahrzeuge (….). Von den drei Fällen der Allgemeinverfügung nach § 35 S. 2 VwVfG fällt ein Verkehrszeichen, das ein Verbot oder Gebot enthält, unter den 3. Fall: Es regelt die Benutzung der öffentlichen Straße durch die Allgemeinheit.
Ein VA liegt aber nur vor, wenn die Maßnahme von einer Behörde erlassen wurde. Wäre die Auffassung der F richtig, die Verkehrsschilder seien von einer Privatperson aufgestellt worden, läge nur ein Schein-VA vor. Jedoch kommt es nicht darauf an, wer ein Schild tatsächlich aufstellt, sondern ob eine behördliche Anordnung getroffen wurde (BVerwGE 35, 334; NJW 2016, 2353). Diese liegt in der von der Stadt S erlassenen „Anordnung über die Einrichtung einer Haltverbotszone“. Sie führt dazu, dass es sich um die Maßnahme der anordnenden Behörde handelt und somit ein VA vorliegt.
Dass das Haltverbot im Interesse Privater eingerichtet wurde, ist unbedenklich. Die Stadt S hat den Mietern vorübergehend eine Sondernutzung an der Straßenfläche eingeräumt (BVerwG [26]), was durchaus in deren Interesse möglich war.
(2) Das Verkehrsschild muss rechtswirksam sein, wozu eine rechtswirksame Bekanntgabe gehört. Bei Verkehrszeichen gilt ein straßenverkehrsrechtlicher Bekanntgabebegriff, nach dem es ausreicht, dass ein durchschnittlicher Verkehrsteilnehmer die Möglichkeit der Kenntnisnahme hatte (BVerwGE 102, 316, 318). BVerwG [15, 16] Die Bekanntgabe erfolgt nach den bundesrechtlichen Vorschriften der StVO durch Aufstellen des Verkehrszeichens (vgl. § 39 Abs. 1, § 45 Abs. 4 StVO); dies ist eine besondere Form der öffentlichen Bekanntgabe (BVerwGE 154, 365 Rn. 16). Sind Verkehrszeichen so aufgestellt oder angebracht, dass sie ein durchschnittlicher Kraftfahrer…schon „mit einem raschen und beiläufigen Blick" erfassen kann, so äußern sie ihre Rechtswirkung gegenüber jedem von der Regelung betroffenen Verkehrsteilnehmer, gleichgültig, ob er das Verkehrszeichen tatsächlich wahrnimmt oder nicht. Sie entfalten ihre Rechtswirkungen für den Halter deshalb auch dann, wenn die Verkehrsregelung in dem Zeitpunkt noch nicht bestand, als das Fahrzeug abgestellt wurde (BVerwGE 102, 316, 318 f.)… Daraus folgt, dass das Haltverbot im vorliegenden Fall mit der ordnungsgemäßen Aufstellung der Verkehrszeichen auch gegenüber der im Urlaub befindlichen F wirksam bekanntgegeben worden ist. Denn es kann davon ausgegangen werden, dass die Haltverbotsschilder so aufgestellt waren, dass sie in beiden Fahrtrichtungen auf den ersten Blick erkennbar waren. Die Verkehrszeichen waren somit wirksam.
Auf die Rechtmäßigkeit der Grundverfügung kommt es dann nicht an, wenn diese bereits unanfechtbar ist. Die Verkehrszeichen im vorliegenden Fall waren allerdings noch nicht unanfechtbar, weil bei Verkehrszeichen eine Anfechtungsfrist von einem Jahr läuft ( § 58 II VwGO) und in dem Zeitpunkt beginnt, in dem der Verkehrsteilnehmer erstmals auf das Verkehrszeichen trifft (BVerwG NJW 2011, 246). Sie waren aber rechtswirksam erlassen, waren zu beachten und konnten deshalb - sofern die Vollstreckungsvoraussetzungen vorliegen - ohne Rechtmäßigkeitsprüfung vollstreckt werden. BVerwGE 122, 293, 296/7: „Die Wirksamkeit und nicht die Rechtmäßigkeit vorausgegangener Akte ist Bedingung für die Rechtmäßigkeit nachfolgender Vollstreckungsakte.“ Im Übrigen waren die Haltverbotsschilder auch rechtmäßig nach § 45 I 2 Nr. 1 StVO, denn Arbeiten im Straßenraum sind nicht nur Bauarbeiten, sondern „alle Arbeiten, die sich auf den Straßenverkehr auswirken“ (MüKoStrVR/Steiner, 2016, § 45 StVO Rdnr. 28), also auch Umzugsarbeiten.
(3) Vollstreckbar ist eine Grundverfügung, wenn sie unanfechtbar ist, wenn ihre sofortige Vollziehung angeordnet ist oder aus anderen Gründen ein Rechtsmittel keine aufschiebende Wirkung hat (§ 6 I VwVG) . Bei Verkehrszeichen haben Rechtsmittel keine aufschiebende Wirkung, weil § 80 II Nr. 2 VwGO analog angewendet wird (BVerwG NJW 2014, 2889 [13]; im vorliegenden Fall [14]; Weidemann/Barthel JA 2014, 118; Hong JURA 2012, 476). Die Haltverbotszeichen waren somit vollstreckbar.
bb) Verfahrensvoraussetzungen im gestreckten Verfahren sind Androhung des Zwangsmittels und Festsetzung (§§ 13, 14 VwVG). Beides ist im vorliegenden Fall nicht erfolgt. Ausnahmen sieht das VwVG beim gestreckten Verfahren, für das diese Schritte wesentlich sind, nicht vor (anders § 63 I 5 VwVG NRW : von der Androhung kann abgesehen werden, wenn die Umstände sie nicht zulassen, was im vorliegenden Fall zu bejahen wäre; eine Festsetzung bleibt aber erforderlich). Da Androhung und Festsetzung beim sofortigen Vollzug entfallen (§§ 13 I 1,14, 2 VwVG) , ist zu prüfen, ob die Vorschriften über den Sofortvollzug zu einem Wegfall von Androhung und Festsetzung führen.
b) Geregelt ist der sofortige Vollzug in § 6 II VwVG (in NRW: § 55 II VwVG). Er kommt nach dem Gesetz und im Normalfall „ohne vorausgehenden VA“ zur Anwendung. Diese - negative - Voraussetzung lässt sich im vorliegenden Fall nicht bejahen, weil mit den Verkehrszeichen eine Grundverfügung zur Verfügung stand und es sich ursprünglich um ein gestrecktes Verfahren handelte. Es ist aber anerkannt, dass auch nach Erlass eines VA zu dem Verfahren nach § 6 II (analog) übergegangen werden kann, sofern dessen Voraussetzungen vorliegen (Engelhardt/App, VwVG und VwZG, § 6 VwVG Rdnr. 22; Muckel JA 2012, 357/8). Denn wenn sogar ohne VA gehandelt werden dürfte, muss erst recht ein Handeln zur Durchsetzung eines erlassenen VA möglich sein. Folglich sind die Voraussetzungen des § 6 II analog zu prüfen, wobei bei der analogen Anwendung die Voraussetzung „ohne vorausgehenden VA“ entfällt.
(1) Es muss Verwaltungszwang angewendet worden sein. Gegenüber F ist eine Ersatzvornahme durchgeführt worden.
(2) Bei der Voraussetzung, dass die Behörde innerhalb ihrer Befugnisse handelt, ist normalerweise die Rechtmäßigkeit einer fiktiven Grundverfügung zu prüfen (Poscher/Rusteberg JuS 2012, 32). Diese Prüfung entfällt im vorliegenden Fall aber, weil ein wirklicher VA (das Verkehrsschild) Grundlage des Verwaltungszwangs ist und auch beim Sofortvollzug Vollstreckungsgrundlage bleibt. Auch braucht dessen Rechtmäßigkeit nicht geprüft zu werden, weil eine erlassene Grundverfügung nur wirksam zu sein braucht (oben aa (2)).
(3) Es bleibt die Voraussetzung, dass das Abschleppen zur Abwehr einer drohenden Gefahr (nach § 55 II VwVG NRW: gegenwärtigen Gefahr) notwendig war. Der Pkw stand im Haltverbot und verstieß gegen die Verkehrsschilder, deren Verbot und Gebot zur Rechtsordnung gehörten. Ein Verstoß gegen Recht bedeutet eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit. Diese Gefahr war nicht nur drohend, sondern gegenwärtig. Allerdings wäre das Abschleppen nicht notwendig gewesen, wenn F erreichbar gewesen wäre - das war sie nicht - oder wenn das Auto nur auf einen Parkplatz in der Nähe hätte umgesetzt werden können (zu einem solchen Fall OVG Berlin-Brdbg. NJW 2018, 3470), wovon aber nicht ausgegangen werden kann. Das Abschleppen war deshalb zur Durchsetzung des Haltverbots notwendig (BVerwG [18]). Würde man das verneinen, hätte es praktisch keine Möglichkeit gegeben, den Mietern am Freitag und Samstag einen ungestörten Umzug zu ermöglichen, was kein hinnehmbares Ergebnis wäre.
Das allgemeine Verhältnismäßigkeitsprinzip gebietet noch eine Prüfung der Angemessenheit. Für die Mieter war es wichtig, dass der Umzug stattfinden konnte und der Pkw als Hindernis hierfür beseitigt wurde. Für F bedeutete das bloße Dulden des Abschleppens - über die Kostentragung ist an dieser Stelle noch nicht endgültig zu entscheiden - keine große Belastung (OVG im Berufungsurteil [57]: „keine schweren Nachteile“) und war ihr im Interesse der umzugswilligen Mieter zuzumuten. Das Abschleppen war somit notwendig und auch nicht unverhältnismäßig.
c) Die Voraussetzungen für einen sofortigen Vollzug der Haltverbotsschilder sind erfüllt. Androhung und Festsetzung des Abschleppens entfielen. Das Abschleppen war rechtmäßig und von F zu dulden.
3. Der Anspruch der S müsste sich auch auf die von A verlangten und von F gezahlten Kosten in Höhe von 176 Euro richten.
a) BVerwG [20] Aus der Rechtmäßigkeit der Abschleppmaßnahme folgt grundsätzlich die Möglichkeit einer kostenrechtlichen Inpflichtnahme des Verantwortlichen. Nach den unter III zitierten Vorschriften schuldet der pflichtige Vollstreckungsschuldner die Beträge, die bei der Ersatzvornahme an Beauftragte und an Hilfspersonen gezahlt werden. Vollstreckungsgegner ist, falls ein VA vollzogen wird, der Adressat des VA. Beim Sofortvollzug ist der Adressat des fiktiven VA - i. d. R. der Störer - der Kostenschuldner. Im vorliegenden Fall richtet sich das Haltverbot an F; also war F Kostenschuldnerin. Der von A in Rechnung gestellte Betrag von 176 Euro für Abschleppen und Verwahrung hält sich im üblichen Rahmen und ist nicht unangemessen (vgl. BVerwG NJW 2014, 2891 [31]). Allerdings liegt der hierbei zugrunde gelegten Rechtslage der Normalfall des Abschleppens zugrunde, in dem das Fahrzeug von vornherein rechtswidrig abgestellt wurde und das Abschleppen vom Betroffenen hätte verhindert werden können.
b) Wurde dagegen das Fahrzeug zunächst rechtmäßig geparkt und erst durch später aufgestellte mobile Verkehrsschilder von dem Haltverbot erfasst, kann dem Betroffenen nicht vorgehalten werden, dass er die Abschleppsituation hätte abwenden können. In dieser Situation befand sich F, die ihren Pkw am Montag, den 19. August, rechtmäßig geparkt hatte und erst durch das Aufstellen der mobilen Verkehrsschilder am Dienstag in das für Freitag/Samstag verkündete Haltverbot geraten war.
aa) BVerwG [21, 22] Ausnahmen sind geboten, wenn ein Fahrzeug ursprünglich ordnungsgemäß und erlaubt geparkt wurde und sich die Verkehrslage durch das Aufstellen neuer Verkehrszeichen erst nachträglich ändert…. Knüpfen künftige Rechtsfolgen an zurückliegende Sachverhalte an, muss das Vertrauen des Einzelnen auf die Fortgeltung der Rechtslage unter Wahrung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes [durch Abwägung] berücksichtigt werden (st. Rspr., vgl. BVerfGE 132, 302 Rn. 46 m. w. N.). Diese Abwägung hat einerseits die berechtigten Interessen des Fahrzeugverantwortlichen in den Blick zu nehmen. Grundsätzlich ist das Parken von zugelassenen und betriebsbereiten Fahrzeugen auch dauerhaft und auf öffentlichem Straßengrund erlaubt (BVerfGE 67, 299, 326). Hierauf sind insbesondere diejenigen Fahrzeughalter angewiesen, die nicht über eine eigene Garage oder einen privaten Stellplatz verfügen (…). Auch der ruhende Verkehr ist vom Gemeingebrauch erfasst und straßenverkehrsrechtlich zugelassen (BVerwGE 102, 316, 320). Andererseits muss ein Verkehrsteilnehmer stets mit Situationen rechnen, die eine kurzfristige Änderung der bestehenden Verkehrsregelungen erforderlich machen…. Der Fahrzeugverantwortliche ist als Inhaber der Sachherrschaft über das an der betreffenden Stelle geparkte Fahrzeug verpflichtet, angemessene Vorsorge für den Fall einer Änderung der Verkehrslage zu treffen.
bb) Diese angemessene Vorsorge braucht der Fahrzeugverantwortliche aber erst nach einiger Zeit zu treffen. Deshalb wird ihm eine Vorlauffrist zugebilligt, die abgelaufen sein muss, damit ihm die Kosten für das Abschleppen auferlegt werden dürfen. Vor Ablauf dieser Frist ist das Auferlegen der Kosten unverhältnismäßig. Bis zu diesem Zeitpunkt hat er zwar - auf der Primärebene - das Abschleppen zu dulden, es besteht aber - auf der Sekundärebene - keine Pflicht zur Kostentragung.
cc) Fraglich ist die Länge dieser Vorlauffrist. Das OVG Münster als Vorinstanz im Originalfall hatte 48 Stunden ausreichen lassen (OVG-Urteil [36]; Kugelmann/Alberts JA 2013, 909: zwei Tage). Nach der ganz überwiegenden Verwaltungsgerichts-Rspr. beträgt die Frist aber drei volle Tage, so dass das Abschleppen erst am vierten Tag nach Aufstellen der Schilder kostenpflichtig ist. BVerwG [23-30] Das BVerwG hat eine Vorlaufzeit von drei vollen Tagen gebilligt und eine Kostenbelastung für Abschleppmaßnahmen erst am vierten Tag nach der Aufstellung des Verkehrszeichens als verhältnismäßig erachtet (BVerwGE 102, 316, 320). Im Anschluss hieran ist in der obergerichtlichen Rechtsprechung für die Auferlegung einer Kostentragungspflicht überwiegend eine Mindestvorlaufzeit von drei vollen Tagen verlangt worden (folgen Nachw.) Daran hat das BVerwG im hier behandelten Urteil festgehalten. Es ist nicht erkennbar, dass die Verkürzung der Vorlauffrist auf 48 Stunden zur Gewährleistung einer hinreichend flexiblen Handlungsmöglichkeit der Straßenverkehrsbehörden erforderlich ist. Zum Einen ist die Möglichkeit, erforderliche Gefahrenabwehrmaßnahmen (auf der Primärebene) tatsächlich durchführen zu können, nicht von der Frage abhängig, von wem (auf der Sekundärebene) die Kosten hierfür getragen werden müssen. Zum Anderen ist nicht ersichtlich, dass die seit vielen Jahren in den meisten Bundesländern praktizierte Vorlauffrist von drei vollen Tagen zu Funktionsdefiziten geführt hätte. Die Erforderlichkeit von Haltverbotsregelungen - etwa aus Anlass von Bauarbeiten, Straßenfesten oder Umzügen - ist regelmäßig auch im großstädtischen Raum deutlich vorher bekannt… Ausreichende Gründe, den Fahrzeugverantwortlichen mit einer Obliegenheit zu belasten, alle 48 Stunden nach dem abgestellten Fahrzeug zu sehen und ggf. Vorsorge durch die Beauftragung anderer Personen zu treffen, bestehen damit nicht. Angemessen ist vielmehr ein Mindestvorlauf von drei vollen Tagen. Nur ein solcher Vorlauf deckt auch eine typische Wochenendabwesenheit ab.
Bei der Berechnung der Vorlaufzeit hat im Interesse der Rechtsklarheit und einer praktikablen Handhabung eine Differenzierung nach Wochentagen oder Ferienzeiten grundsätzlich zu unterbleiben… Aus denselben Gründen findet auch eine stundenscharfe Berechnung…nicht statt. Ein derart kleinteiliger Maßstab erscheint für die Bewältigung solcher Vorgänge des täglichen Lebens nicht angemessen.
Im Fall der F war der erste volle Tag nach der Aufstellung der Schilder der Mittwoch; Donnerstag und Freitag waren der zweite und der dritte Tag. Erst Samstag war der vierte Tag. Das Abschleppen erfolgte jedoch bereits am Freitag, also noch innerhalb der Vorlauffrist und nicht nach ihrem Ablauf. In diesem Fall ist das Kostentragungsverlangen der Stadt S unverhältnismäßig und führt nicht zu einem Anspruch. Anspruch. (Anders wäre es gewesen, wenn die Schilder bereits am Montag aufgestellt worden wären. Dann hätte F sie möglicherweise noch vor ihrer Abreise gesehen und sich eine andere Parkmöglichkeit suchen können.)
IV. Somit hatte S keinen Anspruch auf einen Kostenersatz. Für die durch die Zahlung der 176 Euro bewirkte Leistung der F an S bestand kein Rechtsgrund. Die Voraussetzungen für einen öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch sind erfüllt. Die Leistungsklage der F gegen S ist begründet.
Zusammenfassung