Bearbeiter: Prof. Dieter Schmalz
► Vorläufiger Rechtsschutz durch einstweilige Anordnung (§ 123 VwGO). ► Sicherungsanordnung; Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund. ► Öffentlich-rechtlicher Unterlassungsanspruch. ► Verwaltungshelfer. ► Eigentumsschutz, Art. 14 GG. ► Schneeablagerungen beim Winterdienst; § 906 BGB analog
BayVGH Beschluss vom 5.8.2020 (8 CE 20.1374) NJW 2020, 3189
Fall (Schnee vor der Haustür)
E ist Eigentümer eines Wohngrundstücks in der im Land L gelegenen Stadt S. Das Grundstück liegt am W-Weg, einer öffentlichen Straße. Zwischen dem W-Weg und dem Eingang des Hauses des E liegt eine 8m breite Freifläche, über die der Zugang zum Haus verläuft. Auf der anderen Straßenseite befinden sich eine Bushaltestelle und ein Parkplatz. Die Stadt S liegt zwischen 800m und 900m hoch, so dass im Winter öfters Schnee fällt, der auch liegen bleibt. Nach dem Straßen- und Wegegesetz des Landes L ist die Stadt zur Schneeräumung verpflichtet; diese Aufgabe hat sie der Firma F übertragen. Seit mehreren Jahren schieben die Mitarbeiter der F den von der Straße, der Bushaltestelle und dem Parkplatz geräumten Schnee auf das Grundstück des E; bei einer größeren Schneemenge wird dadurch das Erreichen des Hauses beträchtlich erschwert. Mehrere Beschwerden des E bei der Stadt blieben erfolglos. Als im Februar erneut viel salzhaltiger Schnee auf das Grundstück des E geschoben wurde und dieser das Mauerwerk des Gebäudes zu schädigen drohte, verlangte E von der Stadt S die Abgabe einer Unterlassungserklärung. Die Stadt weigerte sich zunächst und erklärte, verantwortlich für das Schneeräumen sei die F. Auch müsse E den Schnee nach Ordnungsrecht und Nachbarrecht dulden, da der Winterdienst dem Schutz von Leben und Gesundheit der Verkehrsteilnehmer diene und ein Abtransport des Räumschnees ein unvertretbarer Aufwand sei. In einem Schreiben vom 1. März an E erklärte die Stadt S „mit der Wirkung des § 38 VwVfG“, bei Beginn einer jeden Räumsaison werde sie „ die beauftragte Firma schriftlich darauf hinweisen, private Grundstücke, insbesondere das des E, nicht zur Ablagerung von Räumschnee heranzuziehen, sofern die umliegenden gemeindeeigenen Grundstücke ausreichend und hinreichend schnell erreichbar für eine Ablagerung sind.“ Falls eine „Ablagerung auf dem Grundstück des E unvermeidbar ist“, müsse „der Eingangsbereich des Hauses des E frei gehalten werden, solange und soweit dies unter den gegebenen Umständen möglich ist.“
E hält das für nicht ausreichend und will das Verwaltungsgericht durch einen Antrag auf sofortigen Rechtsschutz anrufen. Hat der Antrag Aussicht auf Erfolg, wenn damit zu rechnen ist, dass das VG Mitte März darüber entscheidet?
Lösung
A. Zulässigkeit eines Antrags des E beim VG
I. Für den Antrag müsste der Verwaltungsrechtsweg nach § 40 I VwGO eröffnet sein.
1. Voraussetzung ist eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit. E beantragt, der Stadt S aufzugeben, es entweder selbst zu unterlassen oder für eine Unterlassung durch die beauftragte Firma zu sorgen, dass Räumschnee auf das Grundstück des E geschoben wird. Für den Erfolg dieses Antrags bedarf es für E eines Unterlassungsanspruchs. Dieser ist öffentlich-rechtlich, wenn die Verwaltungstätigkeit, gegen die er sich richtet, öffentlich-rechtlich zu beurteilen ist, insbesondere wenn sie eine öffentlich-rechtliche Rechtsgrundlage hat.
a) Das Straßen- und Wegegesetz des Landes L, nach dem die Stadt zur Schneeräumung verpflichtet ist, ist ein öffentlich-rechtliches Gesetz. Deshalb handelt die Stadt, wenn sie selbst - etwa durch den Baubetriebshof - die Schneeräumung vornimmt, öffentlich-rechtlich. VGH [25] Die von der Stadt S durchgeführten Schneeräummaßnahmen stellen eine schlicht-hoheitliche Verwaltungstätigkeit in Erfüllung ihrer hoheitlichen, gemäß StrWG bestehenden Winterdienstpflicht dar… Zwar zählt zu dieser sicherheitsrechtlichen Winterdienstpflicht in erster Linie die Pflicht, den Schnee zu räumen, ihn also vom öffentlichen Straßengrund zu beseitigen; sie ist nach ihrem sachlichen Gehalt und Umfang mit der aus der allgemeinen Verkehrssicherungspflicht begründeten Räumpflicht deckungsgleich (…). Als Nebenpflicht gehört hierzu aber auch die ordnungsgemäße Entsorgung und Ablagerung des im Zuge des Winterdienstes mit Räumwerkzeugen gesammelten Schnees.
b) Diese Rechtslage könnte sich durch die Übertragung auf die private Firma F geändert haben.
aa) F wird als Verwaltungshelferin tätig. Verwaltungshelfer sind Privatpersonen oder -unternehmen, die vorbereitend und unterstützend einzelne Teilaufgaben der Verwaltung übernehmen, aber keine eigene Entscheidungsbefugnis haben, sondern den Weisungen der Behörde unterliegen (als „verlängerter Arm der Verwaltung“; zum Verwaltungshelfer Kopp/Ramsauer, VwVfG, 20. Aufl. 2019, § 1 Rdnrn. 58-63). Anwendungsfälle sind - neben dem klassischen Beispiel des Schülerlotsen - Bauunternehmer, die öffentliche Straßen bauen; Abschleppunternehmer, die von der Behörde im Rahmen einer Verwaltungsvollstreckung herangezogen werden; Entsorgungsfirmen, die die Müllabfuhr durchführen. Einer gesetzlichen Grundlage für ihr Heranziehen bedarf es nicht. Eine Firma, die das Schneeräumen besorgt, steht einer privaten Firma, die die Müllabfuhr durchführt, gleich. Auch sie unterliegt den Weisungen der beauftragenden Stadt und hat bei der Durchführung keinen eigenen Entscheidungsspielraum von Bedeutung; meist wird ihr ein Streu- und Räumplan vorgegeben.
bb) Im Zusammenhang mit der Staatshaftung nach § 839 BGB, Art. 34 GG ist anerkannt, dass einer Körperschaft, die einem Verwaltungshelfer die Durchführung einer Aufgabe übertragen hat, die Pflichtverletzung des Verwaltungshelfers als eigenes hoheitliches Handeln zugerechnet wird und sie dafür haftet (BGHZ 121, 161/7; BGH BeckRS 2019, 12522 Rdnrn. 11, 19; vgl. auch Ossenbühl/ Cornils, StHR, 6. Aufl. 2013, S. 23 ff.). Dann ist es erst recht geboten, der Stadt S zuzurechnen, wie F mit dem Räumschnee verfährt. Das Handeln der F wird daher wie eigenes Handeln der S den Regeln des Straßen- und Wegegesetzes unterstellt, so dass es öffentlich-rechtlich zu beurteilen ist. Die auf Abwehr dieses Handelns gerichtete Streitigkeit ist öffentlich-rechtlicher Natur.
2. Die Streitigkeit ist auch nichtverfassungsrechtlicher Art und keinem anderen Gericht zugewiesen. Der Verwaltungsrechtsweg ist eröffnet.
II. Es ist die statthafte Verfahrensart zu bestimmen. Die davon abhängigen Zulässigkeitsvoraussetzungen müssen vorliegen.
1. Beim vorläufigen Rechtsschutz (auch: sofortiger Rechtsschutz, Eilrechtsschutz) gibt es zwei Verfahrensarten: das in §§ 80, 80 a VwGO eingebettete Vollzugsaussetzungsverfahren (§ 80 V VwGO), das sich gegen den Vollzug eines belastenden Verwaltungsakts richtet, und die einstweilige Anordnung nach § 123 VwGO (oder beim Normenkontrollverfahren nach § 47 VI VwGO). Die Statthaftigkeit einer einstweiligen Anordnung bestimmt sich durch die Abgrenzung zum - vorrangigen - Vollzugsaussetzungsverfahren. Denn nach § 123 V VwGO darf kein „Fall der §§ 80 V, 80 a“ vorliegen, d. h. der Antrag darf sich nicht gegen den Vollzug eines belastenden VA richten. Das Schneeräumen ist mangels eines Regelungscharakters kein VA, so dass die einstweilige Anordnung als Verfahrensart eingreift. Bestätigt wird das dadurch, dass im Hauptsacheverfahren keine Anfechtungsklage, sondern eine auf Unterlassung gerichtete Leistungsklage die richtige Klageart ist; bei dieser ist die einstweilige Anordnung die statthafte Antragsart für den Eilrechtsschutz.
2. Da auf die Leistungsklage § 42 II VwGO analog anzuwenden ist, muss der Antragsteller auch bei der einstweiligen Anordnung über eine Antragsbefugnis verfügen (VGH [15]) und eine Rechtsverletzung geltend machen. E kann geltend machen, das Verbringen des Schnees auf sein Grundstück verletze sein Eigentum und führe zu einem gegen künftige Verletzungen gerichteten Unterlassungsanspruch. Die Voraussetzung analog § 42 II VwGO ist erfüllt.
3. Bei einem Antrag auf eine einstweilige Anordnung gehört zur Zulässigkeit auch die Eilbedürftigkeit des mit dem Antrag verfolgten Begehrens (VGH [15]). An dieser könnte es deshalb fehlen, weil im Zeitpunkt der Entscheidung Mitte März möglicherweise nicht mehr mit baldigen Schneefällen zu rechnen ist. (Mit diese Begründung hatte im Originalfall das VG erster Instanz den Antrag abgewiesen.) Jedoch kann in 800m bis 900m Höhe nicht ausgeschlossen werden, dass auch im März noch ein größerer Schneefall einsetzt. VGH [15] Außerdem hat E seinen Antrag nicht allein auf den Winter 2019/2020 beschränkt, sondern macht den Anspruch auf Unterlassung der Schneeablagerung ohne zeitliche Begrenzung für die Zukunft geltend. Die Eilbedürftigkeit bleibt auch im Hinblick auf den nächsten Winter erhalten, weil mit einem rechtskräftigen Abschluss des Hauptsacheverfahrens, das sich gegebenenfalls durch mehrere Gerichtsinstanzen ziehen kann, vor dem nächsten Schneefall im kommenden Winter nicht zu rechnen ist. Der Antrag ist deshalb nicht wegen fehlender Eilbedürftigkeit unzulässig.
III. Wegen der im Schreiben vom 1. März abgegebenen Erklärung der S könnte es an einem Rechtsschutzbedürfnis für den Antrag fehlen.
1. VGH [17] Nach der Rechtsprechung fehlt es am Rechtsschutzinteresse, wenn der gerichtliche Rechtsschutz für den Antragsteller offensichtlich keinerlei rechtliche oder tatsächliche Vorteile bringen kann, wenn also die Nutzlosigkeit eindeutig ist (vgl. BayVGH, vom 11.5.2020 - 8 CS 19.1633 - juris Rn. 15 m. w. N.).
2. Der gerichtliche Antrag könnte deshalb nutzlos sein, weil bereits das Schreiben vom 1.3. eine verbindliche Unterlassungserklärung enthält. Das folgt allerdings nicht aus § 38 VwVfG. Eine Zusicherung im Sinne dieser Vorschrift muss sich auf den Erlass oder die Unterlassung eines VA beziehen. Weder das Unterlassen der Schneeablagerung noch der angekündigte Hinweis gegenüber der F ist ein VA der S.
3. Das Schreiben könnte auch außerhalb des Anwendungsbereichs des § 38 VwVfG verbindlich sein. Dem stehen jedoch die darin enthaltenen Vorbehalte entgegen. Sowohl die Einschränkung, dass „die umliegenden gemeindeeigenen Grundstücke ausreichend und hinreichend schnell erreichbar für die Ablagerung sind“, als auch dass der Eingangsbereich des Hauses des E frei gehalten wird „solange und soweit dies unter den gegebenen Umständen möglich ist“ gewähren E nicht die von ihm erstrebte Sicherheit, dass er von Schneeablagerungen verschont bleibt. VGH [19] Jedenfalls trägt diese Erklärung dem Begehren des Antragstellers nicht ausreichend Rechnung, weil sie unter Vorbehalten steht… Das Schreiben vom 1.3. lässt somit das Rechtsschutzbedürfnis nicht entfallen.
IV. Da im Verfahren nach § 123 VwGO nur ein vorläufiger Rechtsschutz gewährt werden kann, darf grundsätzlich keine Vorwegnahme der Hauptsache beantragt werden. VGH [15] Da im Rahmen des vorläufigen Rechtsschutzes nach § 123 VwGO eine Vorwegnahme der Hauptsache nicht zulässig wäre, vielmehr nur eine vorläufige Regelung getroffen werden kann (vgl. Kopp/Schenke, VwGO, 26. Aufl. 2020, § 123 Rn. 13 m. w. N.), ist der Antrag sachgerecht dahingehend auszulegen (§ 122 Abs. 1, § 88 VwGO), dass die gerichtliche Anordnung der Unterlassung der Schneeablagerungen bis zum rechtskräftigen Abschluss des Hauptsacheverfahrens erfolgen soll. E wird also nur einen in diesem Sinn eingeschränkten Antrag stellen.
V. Gegen das Vorliegen der allgemeinen Voraussetzungen wie Beteiligtenfähigkeit und Prozessfähigkeit bestehen keine Bedenken. Der Antragsgegner entspricht dem Klagegegner in der Hauptsache. Bei der Leistungsklage ist Klagegegner der Verwaltungsträger, von dem die Leistung verlangt wird. Im vorliegenden Fall ist es die Stadt S. Somit ist der Antrag nach § 123 I 1 VwGO zulässig.
B. Begründetheit des Antrags
Für den Einstieg in die Begründetheitsprüfung enthält § 123 I VwGO zwei Fälle: die Sicherungsanordnung (§ 123 I Satz 1) und die Regelungsanordnung (§ 123 I Satz 2). Die Sicherungsanordnung kommt zur Anwendung, „wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte.“ Wesentlich für sie ist, dass der Antragsteller eine Verschlechterung seiner Rechtsstellung verhindern will. Sie ist begründet, wenn ein Abwehranspruch besteht. In den anderen Fällen kommt eine Regelungsanordnung in Betracht. Ihre Begründetheit hat zur Voraussetzung, dass eine „Regelung, vor allem bei dauernden Rechtsverhältnissen, um wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gewalt zu verhindern oder aus anderen Gründen nötig erscheint“. Im vorliegenden Fall will E weitere Beeinträchtigungen seines Eigentums verhindern, erstrebt also eine Sicherungsanordnung i. S. des § 123 I 1 VwGO (VGH [14]).
Wegen der Verweisung in § 123 III VwGO auf die ZPO und dort vorwiegend auf § 920 ZPO ist es allgemein üblich, bei beiden Arten der einstweiligen Anordnung zu prüfen, ob ein Anordnungsanspruch und ein Anordnungsgrund vorliegen (so auch VGH [22] und [34]). Bei der Sicherungsanordnung ist Anordnungsanspruch das materielle Recht, von dessen Innehabung der Antragsteller ausgeht und das gesichert werden soll. Anordnungsgrund ist die Gefahr, dass das Recht vereitelt oder wesentlich erschwert, d. h. dass es verletzt wird.
I. Als Anordnungsanspruch, also als das zu schützende materielle Recht, könnte im vorliegenden Fall direkt auf das Grundstückseigentum des E abgestellt werden. Dem Begriff des Anordnungsanspruchs und dem Anliegen des E entspricht aber mehr, auf einen öffentlich-rechtlichen (verwaltungsrechtlichen) Unterlassungsanspruch abzustellen. VGH [23] Anspruchsgrundlage für das Begehren, Schneeablagerungen auf seinem Grundstück zu unterlassen, ist der öffentlich-rechtliche Unterlassungsanspruch. Dessen Herleitung aus den Grundrechten, dem Rechtsstaatsprinzip (Folgenbeseitigung) oder einer analogen Anwendung des § 1004 BGB ist zwar umstritten, seine Voraussetzungen sind in der Rechtsprechung jedoch seit langem geklärt (vgl. BVerwGE 79, 254). Der Anspruch richtet sich gegen hoheitliche Maßnahmen und setzt die begründete Besorgnis voraus, der Hoheitsträger werde künftig durch sein hoheitliches Handeln rechtswidrig in die geschützte Rechts- oder Freiheitssphäre des betroffenen Bürgers eingreifen (vgl. BVerwGE 82, 76; NVwZ 2015, 906.…).
1. VGH [24] Bei den Schneeablagerungen handelt es sich um hoheitliche Maßnahmen (vgl. bereits A I 1).
2. Sie könnten einen Eingriff in das Eigentum des E an seinem Grundstück enthalten. VGH [27] Die Nutzung des Eigentums nach den eigenen Vorstellungen des Eigentümers gehört zu den durch Art. 14 Abs. 1 GG geschützten Rechtspositionen (…). Zwar stellt nicht jede Einwirkung auf das Grundstückseigentum auch eine Beeinträchtigung des Art. 14 Abs. 1 GG dar. Eine solche Beeinträchtigung erfordert vielmehr einen dem Inhalt des Eigentums widersprechenden Eingriff in die rechtliche oder tatsächliche Herrschaftsmacht des Eigentümers (…). Diese Voraussetzung ist hier aber erfüllt, weil durch die Ablagerungen von Schnee auf dem Grundstück des E die Nutzung der betreffenden Fläche zumindest vorübergehend, bis der Schnee geschmolzen ist, eingeschränkt wird. Insbesondere wird durch den Räumschnee die Erreichbarkeit des Hauses zeitweilig beträchtlich erschwert. Zudem macht E eine Beeinträchtigung der Grundmauern seines Wohngebäudes durch das dem Schnee beigefügte Streusalz geltend, die von der Stadt S nicht in Abrede gestellt wird. [26] Folglich liegt in den Schneeablagerungen ein Eingriff in das durch Art. 14 Abs. 1 GG geschützte Grundeigentum des E.
3. Der Eingriff müsste auch rechtswidrig und deshalb von E nicht zu dulden sein. Er ist nicht rechtswidrig, wenn er auf eine Rechtsgrundlage gestützt werden kann.
a) Der Inhalt des StrWG des Landes L ist - abgesehen von der Verpflichtung der Gemeinden zur Schneeräumung - nicht bekannt. Dass dort aber eine Vorschrift enthalten ist, nach der geräumter Schnee auf Privatgrundstücken abgelagert werden darf, kann ausgeschlossen werden.
b) Ob der Schnee als Abfall unter das Kreislaufwirtschaftsgesetz (KrWG) fällt, ist zweifelhaft, weil § 3 I KrWG einen „Besitzer“ der Sache verlangt und das bloße Wegräumen des Schnees zur Besitzbegründung nicht ausreichen dürfte. Als gefrorenes Wasser könnte der Schnee unter § 2 II Nr. 9 KrWG fallen, wonach Stoffe erst dann vom KrWG ausgenommen werden, wenn sie in Gewässer oder Abwasseranlagen eingeleitet werden, was beim Räumschnee noch nicht der Fall ist. Letztlich kann das offen bleiben, denn sollte der Schnee Abfall sein, dürfte er erst recht nicht auf einem Privatgrundstück abgelagert werden, so dass auch das KrWG das Ablagern nicht rechtfertigt.
c) Die Stadt S beruft sich auf das Ordnungsrecht und darauf, dass der Winterdienst dem Schutz von Leben und Gesundheit der Verkehrsteilnehmer diene. Jedoch rechtfertigt das nicht die Inanspruchnahme des Eigentums des E, da dieser nicht Störer ist. Außerdem müsste eine solche Inanspruchnahme durch VA geschehen und nicht durch ein bloß faktisches Schieben des Schnees auf das Grundstück.
d) Weiterhin beruft S sich auf Nachbarrecht. Auf das öffentlich-rechtliche Verhältnis zwischen S und E ist § 906 BGB analog anwendbar (VGH [28] unter Hinweis auf BVerwGE 79, 254; 81, 197).
aa) VGH [29] Nach § 906 Abs. 1 Satz 1 BGB kann der Eigentümer eines Grundstücks die Zuführung von Gasen, Dämpfen, Gerüchen, Rauch, Ruß, Wärme, Geräusch, Erschütterungen und ähnlicher von einem anderen Grundstück ausgehender Einwirkungen insoweit nicht verbieten, als die Einwirkung die Benutzung seines Grundstücks nicht oder nur unwesentlich beeinträchtigt. Jedoch ist bereits fraglich, ob die Bestimmung hier ohne Weiteres entsprechend herangezogen werden kann, weil es sich bei Räumschnee, der von einem anderen Grundstück auf das Nachbargrundstück verbracht wird, nicht um einen unwägbaren Stoff und damit nicht um eine mit Imponderabilien vergleichbare „ähnliche Einwirkung“ im Sinn des § 906 Abs. 1 Satz 1 BGB handeln dürfte (vgl. Brückner in MüKo, BGB, 7. Aufl. 2017, § 906 Rn. 44 ff., 166 ff.; Thole in Staudinger, BGB, 17. Aufl. 2019, § 1004 Rn. 73; Hess VGH, NJW 1993, 3088). Wendet man dennoch den Rechtsgedanken dieser Regelung an, kann aber vorliegend jedenfalls nicht von einer nur unwesentlichen Beeinträchtigung gesprochen werden, weil…durch die Ablagerungen von zusammengedrücktem Schnee vor dem Eingang des Wohngebäudes die Zugänglichkeit des Wohnhauses - nicht nur für die Bewohner, sondern auch etwa für Rettungsdienste - beträchtlich erschwert wird. § 906 I 1 BGB analog rechtfertigt also die Schneeanhäufung auf dem Grundstück des E nicht.
bb) Nach § 906 II 1 BGB hat der Eigentümer auch zu dulden, wenn eine wesentliche Beeinträchtigung erfolgt, diese aber durch die ortsübliche Benutzung des anderen Grundstücks herbeigeführt wird und nicht durch Maßnahmen verhindert werden kann, die Benutzern dieser Art wirtschaftlich zumutbar sind. VGH [31] Ortsüblichkeit im Sinn dieser Bestimmung setzt voraus, dass im maßgeblichen Vergleichsbereich, der in der Regel das gesamte Gemeindegebiet umfasst, mehrere Grundstücke mit nach Art und Umfang annähernd gleich beeinträchtigender Wirkung auf anderen Grundstücken wiederholt benutzt werden, wofür die Stadt darlegungs- und beweispflichtig ist (Herrler in Palandt, BGB, 79. Aufl. 2020, § 906 Rn. 23, 26). Eine dahingehende Darlegung ergibt sich aus dem Sachverhalt nicht. Nach Auffassung des VGH ist es kaum wahrscheinlich, dass die Stadt in ihrem Gemeindegebiet oder Ortsteil den Räumschnee von den öffentlichen Straßen und Plätzen üblicherweise auf die Privatgrundstücke ihrer Gemeindebürger vor deren Hauseingänge verbringen lässt. Auch hat S nicht dargelegt, dass keine anderen Flächen für die Ablagerungen zur Verfügung stehen. Vielmehr hat sie zugegeben, dass ein Abtransport des Schnees möglich wäre. Die bloße Behauptung, der Abtransport verursache einen hohen Aufwand, reicht nicht aus. Der von VGH [33] angesprochene Fall, dass ganz außergewöhnlich hohe, nicht anders zu bewältigende Schneemengen anfallen, darf als seltene Ausnahme außer Betracht bleiben.
VGH [28] Somit ist E nicht nach der im öffentlichen Recht grundsätzlich entsprechend anwendbaren Bestimmung des § 906 BGB zur Duldung der Schneeanhäufungen auf seinem Grundstück verpflichtet.
Zwischenergebnis: Die Inanspruchnahme des Grundstücks des E ist rechtswidrig. Da das Schreiben der S vom 1.3. nicht ausreicht, um weitere Inanspruchnahmen zu verhindern (oben A III), hat E einen Unterlassungsanspruch und damit einen Anordnungsanspruch i. S des § 123 I 1 VwGO.
II. Weiterhin müsste ein Anordnungsgrund vorliegen. VGH [35] Dem Antragsteller E droht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit bei Schneefall im nächsten Winter ein rechtswidriger Eingriff in sein Eigentumsrecht (Art. 14 Abs. 1 GG) durch Schneeanhäufungen auf seinem Grundstück. Angesichts der wiederholt vorgenommenen Schneeablagerungen vor dem Hauseingang seines Gebäudes…sind unzulässige Schneeablagerungen auf dem Grundstück durch die Stadt S selbst bzw. durch die von ihr beauftragte Firma auch in dem kommenden Winter zu erwarten… Der Erlass der einstweiligen Anordnung ist daher zur Abwendung wesentlicher Nachteile des E erforderlich. VGH [34] Folglich liegt auch ein die einstweilige Anordnung nach § 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO rechtfertigender Anordnungsgrund vor.
Gesamtergebnis: Der Antrag nach § 123 I 1 VwGO ist zulässig und begründet und hat deshalb Aussicht auf Erfolg. Im Fall des VGH hat dieser der Stadt S bis zur Rechtskraft der Entscheidung in der Hauptsache untersagt, im Rahmen des Winterdienstes Schnee vor dem Zugang des Wohngebäudes auf dem Grundstück des E…abzuladen oder durch Dritte abladen zu lassen.
Ergänzender Hinweis: Erfüllt die Stadt S diese Unterlassungsverpflichtung nicht, d. h. wird dagegen verstoßen, kann E beim VG die Vollstreckung beantragen. Maßgebend ist § 172 VwGO, wo bestimmt ist: „Kommt die Behörde in den Fällen des…§ 123 der ihr auferlegten Verpflichtung nicht nach, so kann das Gericht des ersten Rechtszugs auf Antrag unter Fristsetzung gegen sie ein Zwangsgeld bis zehntausend Euro durch Beschluss androhen, nach fruchtlosem Fristablauf festsetzen und von Amts wegen vollstrecken. Das Zwangsgeld kann wiederholt angedroht, festgesetzt und vollstreckt werden.“
Zusammenfassung