Bearbeiter: Prof. Dieter Schmalz

Waffenrechtliche Erlaubnis, Kleiner Waffenschein. Anfechtbarkeit eines nichtigen VA. Widerruf einer wegen Erledigung nichtigen Erlaubnis. Verzicht auf Erlaubnis; Schranken und Rechtsfolge. Gutachten über Eignung; Nichtvorlage; Vermutung der Nichteignung. Gutachtensaufforderung als Verfahrenshandlung

BVerwG Urteil vom 17. 11. 2016 (6 C 36.15) BeckRS 2016, 113781

Fall (Mit Spielzeugwaffe in der Tankstelle)

K hatte von der zuständigen B-Behörde des Landes L einen Kleinen Waffenschein (§ 10 IV 4 WaffG) erhalten. Dieser betrifft Signal-, Reizstoff- und Schreckschusswaffen und enthält die Erlaubnis zum Führen einer Waffe außerhalb der Wohnung; Erwerb und Besitz einer solchen Waffe sind erlaubnisfrei. Am Nachmittag des 1. März betrat K eine Tankstelle und trug eine Spielzeugwaffe, die allerdings nicht als solche erkennbar war, sichtbar an seinem Gürtel. Gegenüber der Polizei gab er an, er sei wegen des Karnevals als „Agent“ verkleidet unterwegs. Dabei machte er einen psychisch stark auffälligen Eindruck. Die davon unterrichtete B-Behörde teilte K am 26. März mit, sie erwäge einen Widerruf des Waffenscheins, und forderte ihn auf, ein fachärztliches oder fachpsychologisches Zeugnis über seine persönliche Eignung zum Umgang mit Schusswaffen vorzulegen. Falls dieses nicht bis zum 29. April eingegangen sei, würden daraus für ihn nachteilige Schlüsse gezogen. Mit Schreiben seines Rechtsanwalts vom 29. April ließ K erklären, dass er auf den Waffenschein verzichte und künftig keine Waffe mehr führen werde.

Nach erneuter Anhörung des K widerrief B am 22. Mai den Waffenschein und forderte K auf, den Schein innerhalb eines Monats bei B abzuliefern; dem kam K fristgerecht nach. Der Bescheid vom 22. 5. wurde damit begründet, K habe den Verdacht, dass er zum Führen einer Waffe ungeeignet sei, nicht ausgeräumt, insbesondere habe er das geforderte Gutachten nicht beigebracht. Der Verzicht reiche nicht aus, weil - was zutrifft - lediglich ein Widerruf im Nationalen Waffenregister und im Bundeszentralregister eingetragen werden könne, nicht jedoch ein Verzicht.

K hat gegen den Bescheid vom 22. 5. verwaltungsgerichtliche Klage erhoben. Zur Begründung beruft er sich darauf, ein bloßer Verdacht reiche für einen Widerruf nicht aus. Aus der Nichtvorlage des Gutachtens lasse sich kein für ihn nachteiliger Schluss ziehen, weil nach seinem Verzicht kein Grund mehr dafür bestanden habe, von ihm ein - mit nicht unerheblichen Kosten verbundenes - Gutachten zu verlangen. Falls B trotz des Verzichts ein Interesse an einer weiteren Maßnahme habe, könne sie ihm gegenüber ein Waffenverbot aussprechen, das im Waffenregister eingetragen werde. Schließlich verweist K darauf, dass der Bescheid keine Ermessenserwägungen enthält. Wie ist über die verwaltungsgerichtliche Klage zu entscheiden? Ein Widerspruchsverfahren ist im Lande L nicht mehr vorgesehen.

Lösung

A. Zulässigkeit der Klage

I. Der Verwaltungsrechtsweg ist nach § 40 I VwGO eröffnet. Es handelt sich um eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit, weil die streitentscheidenden Vorschriften sich aus dem Waffengesetz ergeben, das zum öffentlichen Recht (besonderen Verwaltungsrecht) gehört. Die Streitigkeit ist nichtverfassungsrechtlicher Art und keinem anderen Gericht zugewiesen.

II. Der Klageart nach könnte es sich um eine Anfechtungsklage (§ 42 I VwGO) handeln. Dann müsste sich die Klage gegen einen Verwaltungsakt (§ 35 VwVfG) richten.

1. Der Widerruf vom 22. 5. ist die Maßnahme einer Verwaltungsbehörde auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts. Normalerweise enthält der Widerruf eines VA auch eine Regelung mit Außenwirkung. Diese könnte im vorliegenden Fall damit begründet werden, dass der dem K erteilte Kleine Waffenschein nach § 10 IV 4 WaffG eine Erlaubnis zum Führen der dort aufgeführten Waffen war und der Widerruf dem K diese Befugnis entzieht; darin ist die zur Bejahung einer Regelung erforderliche Rechtsfolge zu sehen.

2. Jedoch könnte der zwischenzeitlich von K erklärte Verzicht auf den Waffenschein zum Erlöschen der Befugnis aus dem Waffenschein geführt haben. Dann hätte der Verzicht und nicht der spätere Widerruf die Rechtsfolge des Erlöschens herbeigeführt. Der Widerruf wäre dann zwar nach der Absicht der B-Behörde auf eine Regelung gerichtet, würde die Regelung aber nicht herbeiführen, sondern wäre ein unwirksamer und nichtiger VA (§ 43 III VwVfG). Ob das zutreffend ist, kann an dieser Stelle noch offen bleiben. Denn auch ein nichtiger VA kann Gegenstand einer Anfechtungsklage sein (Kopp/Schenke, VwGO, 22. Aufl. 2016, § 42 Rdnr. 3; Kopp/Ramsauer, VwVfG, 17. Aufl. 2016, § 44 Rdnr. 48). Für den Normalfall des nichtigen VA, der an einem besonders schweren und offenkundigen Fehler leidet (§ 44 I VwVfG), ergibt sich das daraus, dass andernfalls die Anfechtungsklage gerade bei einem besonders schwer fehlerhaften VA ausscheiden würde, obwohl sie gerade dann erfolgreich sein müsste. Auch müsste der Kläger bereits bei der Zulässigkeit der Klage entscheiden, ob der VA nur normal rechtswidrig ist - dann Anfechtungsklage - oder besonders schwer und offenkundig rechtswidrig ist - dann Feststellungsklage -; das ist nicht zumutbar. Weiterhin ergibt sich das aus einem Umkehrschluss aus § 43 II VwGO: Satz 1 erklärt die Feststellungsklage für subsidiär gegenüber der Anfechtungsklage. Satz 2 macht für die Feststellungsklage gegen einen nichtigen VA (§ 43 I VwGO) eine Ausnahme. Diese das Verhältnis zwischen Feststellungsklage und Anfechtungsklage regelnde Vorschrift hat nur dann einen Sinn, wenn auch gegenüber einem nichtigen VA eine Anfechtungsklage zulässig ist. (Zur Klärung, ob ein VA nichtig ist, gibt es also drei Verfahren: Feststellung der Behörde nach § 44 V VwVfG; Feststellungsklage; Anfechtungsklage.) Somit handelt es sich der Klageart nach selbst dann, wenn der Widerruf nichtig wäre, um eine Anfechtungsklage.

III. K müsste die Klagebefugnis nach § 42 II VwGO haben. Das ergibt sich im Normalfall des Widerrufs eines begünstigenden VA daraus, dass der Widerruf das Recht aus dem begünstigenden VA entzieht und der Betroffene geltend machen kann, in diesem Recht verletzt zu sein. Im vorliegenden Fall hat K aber auf das Recht aus dem Waffenschein verzichtet, so dass allein der Verlust des Rechts aus dem Waffenschein für eine Klagebefugnis nicht ausreicht. Der Widerruf geht aber über den bloßen Verlust des Rechts aus dem Waffenschein hinaus. Er stellt fest, dass der Widerruf deshalb erfolgt ist, weil K der Nichteignung verdächtig ist und ein gefordertes Gutachten pflichtwidrig nicht vorgelegt hat. Ein Widerruf mit diesem Inhalt wird im Waffenregister eingetragen und kann sich für K als nachteilig erweisen, wenn er erneut einen Waffenschein oder eine vergleichbare Erlaubnis beantragt. Ein Betroffener, der sich nicht für ungeeignet hält, braucht nicht hinzunehmen, dass eine ihm früher zugestandene Befugnis mit der Begründung widerrufen wird, er sei ungeeignet. K verfügt somit über die Klagebefugnis.

IV. Ein Widerspruchsverfahren nach § 68 VwGO braucht im Lande L nicht mehr durchgeführt zu werden.

V. Klagegegner ist der Träger der B-Behörde (§ 78 I Nr. 1 VwGO, Rechtsträgerprinzip). Nach dem Sachverhalt ist B eine Behörde des Landes, so dass das Land L Klagegner ist. (Im Originalfall, der in Bayern spielte, war das Landratsamt zuständig; Klagegner war der Landkreis. In NRW wäre nach § 1 der VO zur Durchführung des Waffengesetzes die Polizei zuständig, so dass das Land NRW Klagegegner wäre.)

VI. Da von einer form- und fristgerechten Erhebung der Anfechtungsklage auszugehen ist, ist die Klage zulässig.

B. Die Begründetheit der Anfechtungsklage richtet sich nach § 113 I 1 VwGO. Danach bedarf es einer Prüfung der Rechtmäßigkeit des Widerrufs vom 22. 5.

I. Die anwendbare Ermächtigungsgrundlage kann sich aus § 45 WaffG ergeben. Nach dessen Absatz 1 ist e ine nach diesem Gesetz erteilte Erlaubnis zurückzunehmen, wenn nachträglich bekannt wird, dass die Erlaubnis hätte versagt werden müssen. Nach Absatz 2 ist eine Erlaubnis zu widerrufen, wenn nachträglich Tatsachen eintreten, die zur Versagung hätten führen müssen. Da nicht ersichtlich ist, dass der dem K erteilte Kleine Waffenschein rechtswidrig war, kommt nur Absatz 2 als anwendbare Ermächtigungsgrundlage in Betracht. Die Vorschriften des § 45 WaffG verdrängen als Spezialvorschriften die §§ 48, 49 VwVfG, die aber gleichwohl als Grundvorschriften für Rücknahme und Widerruf auch für diesen Fall Bedeutung behalten.

II. Bedenken gegen die formelle Rechtmäßigkeit des Widerrufs vom 22. 5. bestehen nicht. Es hat die zuständige Behörde gehandelt. K ist angehört worden (§ 28 VwVfG). Der Bescheid wurde begründet (§ 39 VwVfG).

III. Materiell hat § 45 II WaffG eine „Erlaubnis nach diesem Gesetz“ zur Voraussetzung. Ein Waffenschein, auch ein Kleiner, ist eine Erlaubnis nach diesem Gesetz (vgl. die Stellung des § 10 IV 4 innerhalb des Absatzes 4 des WaffG). Sie war dem K erteilt worden. Sie könnte aber durch den von K erklärten Verzicht vom 29. 4. erloschen sein mit der Folge, dass eine erloschene Erlaubnis nicht mehr widerrufen werden konnte und der gleichwohl erklärte Widerruf rechtswidrig ist.

1. Eine diesen Fall erfassende gesetzliche Regelung des Verzichts gibt es nicht. (Auch im BGB gibt es keine allgemeine Regelung des Verzichts auf eine Rechtsposition. §§ 928, 959 BGB ermöglichen den Verzicht auf Eigentum. Dagegen ist bei schuldrechtlichen Ansprüchen ein Erlassvertrag nach § 397 BGB erforderlich.) Spezialregelungen im Verwaltungsrecht sind der Verzicht auf Sozialleistungen nach § 46 SGB I und das Verbot des Verzichts auf das Beamtengehalt in § 2 III BBesG.

a) Auch ohne gesetzliche Regelung wird im Verwaltungsrecht die Möglichkeit eines Verzichts anerkannt ( Fehling/Kastner/Störmer, HK-VerwR, 4. Aufl. 2016, VwVfG § 53 Rdnr. 20/1) . Dabei kann in einem Verzicht ein eigenständiger Erlöschensgrund für eine Erlaubnis gesehen werden. Überwiegend wird er als Fall der Erledigung „auf andere Weise“ i. S. des § 43 II VwVfG behandelt; so von Kopp/Ramsauer, VwVfG, 17. Aufl. 2016, § 43 Rdnr. 45. BVerwG [13] Dass auch der einseitige Verzicht des Begünstigten auf eine ihm erteilte Erlaubnis zu deren Erledigung auf andere Weise führen kann, ist im Verwaltungsrecht allgemein anerkannt… Verzichtet werden kann beispielsweise auf eine immissionsschutzrechtliche Genehmigung (BVerwGE 84, 209). Eine größere praktische Bedeutung hat der Verzicht auf die Fahrerlaubnis (Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 44. Aufl. 2017, StVG § 2 Rdnr. 25; vgl. auch § 4 III 3 Nr. 3 StVG - der vorliegende Fall hat große Ähnlichkeit mit dem Fall der Entziehung der Fahrerlaubnis). Danach wäre es möglich, dass der Verzicht des K vom 29. 4. zum Erlöschen des Rechts aus dem Waffenschein geführt hat.

b) Jedoch können einem Verzicht, da er nicht auf einer gesetzlichen Regelung beruht, auch ungeschriebene Normen entgegenstehen. Nach HK-VerwR a. a. O. ist ein Verzicht nicht zulässig, wenn er gegen öffentliche oder private Interessen verstößt. BVerwG [14] Ein wirksamer Verzicht setzt auch bei begünstigenden Verwaltungsakten die Dispositionsbefugnis des Verzichtenden voraus. Die erforderliche Befugnis des Berechtigten, über den Bestand des Rechts zu verfügen, kann auch ohne ausdrückliche Regelung (vgl. z.B. § 2 Abs. 3 BBesG) ausgeschlossen sein, soweit dem Verzicht öffentliche Interessen entgegenstehen.

aa) Nach BVerwG [14-16] stehen öffentliche Interessen entgegen und entziehen den Waffenschein der Disposition des Inhabers, wenn die zuständige Behörde zum Zeitpunkt der Verzichtserklärung bereits ein Widerrufsverfahren auf der Grundlage des § 45 Abs. 2 Satz 1 WaffG eingeleitet hat, weil Zweifel am Fortbestand der erforderlichen Zuverlässigkeit oder persönlichen Eignung des Erlaubnisinhabers bestehen. In einem solchen Fall besteht grundsätzlich ein öffentliches Interesse daran, dass der Wegfall der Berechtigung zum Umgang mit erlaubnispflichtigen Waffen durch einen im Waffengesetz vorgesehenen VA verbindlich geregelt wird und auf dieser Grundlage durch eine Eintragung im Nationalen Waffenregister sowie im Bundeszentralregister dokumentiert werden kann. Dies folgt aus dem Sinn und Zweck des Waffengesetzes und der hieran anknüpfenden Regelungen des Gesetzes zur Errichtung eines Nationalen Waffenregisters (NWRG) sowie des Bundeszentralregistergesetzes (BZRG).

Könnte der Inhaber einer waffenrechtlichen Erlaubnis den bei Wegfall der erforderlichen Zuverlässigkeit oder persönlichen Eignung gesetzlich zwingend vorgesehenen Widerruf der Erlaubnis durch eine einseitige Verzichtserklärung ohne weiteres verhindern, würde dies zu einer erheblichen Beeinträchtigung der Erkenntnisgrundlage der in späteren waffenrechtlichen Verwaltungsverfahren zuständigen Behörden führen und damit dem Zweck des Waffengesetzes, die mit jedem Waffenbesitz verbundenen Risiken auf ein Mindestmaß zu beschränken, zuwiderlaufen.
Denn in den genannten Registern wird der Widerruf eingetragen, nicht jedoch der Verzicht. (Anders beim Verzicht auf die Fahrerlaubnis, der ins Zentrale Fahrerlaubnisregister eingetragen wird.)

bb) Die Möglichkeit eines - von K angesprochenen - Waffenverbots ändert daran nichts, weil dieses den Betroffenen ungleich stärker belastet. BVerwG [20] Die rechtlichen Wirkungen des Waffenverbots nach § 41 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 WaffG gehen über diejenigen des Widerrufs des Kleinen Waffenscheins nach § 45 Abs. 2 Satz 1 WaffG erheblich hinaus: Während der Widerruf des Kleinen Waffenscheins den Verlust der Erlaubnis zum Führen von Schreckschuss-, Reizstoff- und Signalwaffen zur Folge hat und damit nur das Recht zur Ausübung der tatsächlichen Gewalt über diese Waffen außerhalb der eigenen Wohnung beseitigt (vgl. Anlage 1 Abschnitt 2 Nr. 4 zum Waffengesetz), führt das Waffenverbot gemäß § 41 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 WaffG dazu, dass die betreffende Person auch das Recht zum Erwerb und Besitz solcher Waffen verliert, der…grundsätzlich erlaubnisfrei ist. Wegen des intensiveren Eingriffs in die Rechte des Betroffenen hat der Gesetzgeber der Waffenbehörde für die Entscheidung über ein Waffenverbot gemäß § 41 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 WaffG…ein Ermessen eingeräumt („kann"). Bei der Ausübung ihres Ermessens hat die Waffenbehörde insbesondere dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit Rechnung zu tragen.

cc) Für ein der Anerkennung des Verzichts entgegenstehendes öffentliches Interesse spricht auch, dass K bei der Erklärung des Verzichts am 29. 4. den Waffenschein nicht zurückgegeben hat und er in einem Bescheid - demensprechend in dem Bescheid vom 22. 5. - dazu aufgefordert werden musste.

dd) Im vorliegenden Fall hatte B das Widerrufsverfahren spätestens am 26. 3. eingeleitet. Der am 29. 4. erklärte Verzicht war somit nicht wirksam und hat nicht zum Wegfall der sich aus dem Waffenschein ergebenden Erlaubnis geführt. Die Voraussetzung für § 45 II WaffG, dass eine Erlaubnis vorliegt, ist erfüllt.

2. Möglicherweise lässt sich das Vorliegen des Tatbestandsmerkmals Erlaubnis in § 45 II WaffG selbst dann begründen, wenn der Verzicht des K vom 29. 4. als wirksam angesehen wird.

a) Bei Wirksamkeit des Verzichts ist die Waffenschein-Erlaubnis ein wegen Erledigung unwirksamer (nichtiger) VA. Es lässt sich vertreten, dass auch ein nichtiger VA nach § 48 VwVfG zurückgenommen und nach § 49 VwVfG - und dementsprechend nach § 45 II WaffG - widerrufen werden kann. Es würde sich dabei um eine Überlegung parallel zu oben A II 2 handeln: Ebenso wie ein nichtiger Widerruf mit der Anfechtungsklage angefochten werden kann, kann auch eine nichtige Erlaubnis durch die Behörde widerrufen werden. Allerdings passt die Begründung oben A II 2 hier nicht, insbesondere kann nach der VwGO ein erledigter VA nicht mehr auf eine Anfechtungsklage hin aufgehoben werden, sondern es ist nach § 113 I 4 VwGO nur noch eine Fortsetzungsfeststellungsklage möglich.

b) Die soeben aufgestellte These ist deshalb umstritten. Dazu BVerwG [12] Gegen die Möglichkeit des Widerrufs eines bereits erledigten VA spricht zwar, dass es sich bei dem Widerruf um eine gestaltende Regelung handelt, die auf die Aufhebung der in dem ursprünglichen VA gesetzten Rechtsfolge gerichtet ist (…). Andererseits ist jedoch überwiegend anerkannt, dass auch ein nichtiger VA in zumindest analoger Anwendung des § 48 VwVfG zurückgenommen werden kann, um den mit ihm verbundenen Rechtsschein zu beseitigen (vgl.…Ramsauer, in: Kopp/Ramsauer, VwVfG, 17. Aufl. 2016, § 49 Rn. 10; Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 8. Aufl. 2014, § 43 Rn. 198, § 48 Rn. 57; Ziekow, VwVfG, 3. Aufl. 2013, § 48 Rn. 7; J. Müller, in: Bader/Ronellenfitsch, VwVfG, 2. Aufl. 2016, § 48 Rn. 8; a. A. Suerbaum, in: Mann/Sennekamp/Uechtritz, VwVfG, 1. Aufl. 2014, § 48 Rn. 40; Kastner, in: Fehling/Kastner/Störmer, HK-VerwR, 4. Aufl. 2016, VwVfG § 48 Rn. 23). Aus dem gleichen Grund der Beseitigung des Rechtsscheins dürfte bei Vorliegen der weiteren Voraussetzungen auch die Möglichkeit eines Widerrufs eines erledigten oder sonst unwirksamen VA zumindest in Betracht zu ziehen sein(vgl. Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 8. Aufl. 2014, § 49 Rn. 14). Nach Kopp/Schenke, VwGO, 22. Aufl. 2016, § 42 Rdnr. 3 hält die h. M. die verwaltungsbehördliche Aufhebung eines nichtigen VA für möglich.

c) Das BVerwG hat die aufgeworfene Frage offen gelassen. Da aber eine Anwendung der Widerrufsregeln auf den wegen Erledigung nichtigen VA, wie unter b) gezeigt, der h. M. entspricht, lässt sich das Vorliegen einer Erlaubnis als Voraussetzung für § 45 II WaffG auch bei Wirksamkeit des Verzichts bejahen.

3. Somit ist die für § 45 II WaffG erforderliche Voraussetzung, dass eine Erlaubnis vorliegt, erfüllt, entweder wegen Unwirksamkeit des Verzichts - diese Lösung ist vorzugswürdig - oder weil eine wegen eines Verzichts erledigte Erlaubnis ausreicht.

IV. Weitere - und entscheidende - Voraussetzung des §45 II WaffG ist, dass nachträglich Tatsachen eintreten, die zur Versagung hätten führen müssen.

1. BVerwG [23] Nach den Voraussetzungen für die Erteilung einer Erlaubnis zum Führen von Schreckschuss-, Reizstoff- und Signalwaffen (Kleiner Waffenschein)…dürfen Schreckschuss-, Reizstoff- und Signalwaffen ohne Sachkunde-, Bedürfnis- und Haftpflichtversicherungsnachweis (§ 4 Abs. 1 Nr. 3 bis 5 WaffG) geführt werden. Hieraus folgt im Umkehrschluss, dass die übrigen Voraussetzungen für eine Erlaubnis auch bei der Erteilung eines Kleinen Waffenscheins erfüllt sein müssen. Der Antragsteller muss also nicht nur gemäß § 4 Abs. 1 Nr. 1, § 2 Abs. 1 WaffG das 18. Lebensjahr vollendet haben, sondern nach § 4 Abs. 1 Nr. 2 WaffG auch die erforderliche Zuverlässigkeit (§ 5 WaffG) und persönliche Eignung (§ 6 WaffG) besitzen. Ein Wegfall einer dieser Voraussetzungen führt zum Eingreifen des § 45 II WaffG.

2. Nach § 6 I Nr. 3 WaffG besitzen Personen nicht die persönliche Eignung, wenn Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sie auf Grund in der Person liegender Umstände mit Waffen oder Munition nicht vorsichtig oder sachgemäß umgehen oder diese Gegenstände nicht sorgfältig verwahren können.

a) Wegen des Vorfalls am 1. 3. und des psychisch stark auffälligen Verhaltens des K bestand der Verdacht, dass K wegen eines in seiner Person liegenden Umstands mit Waffen nicht immer sachgemäß umgeht. Diese Tatsachen sind nach Erteilung des Waffenscheins, also nachträglich eingetreten. Allerdings reicht ein bloßer Verdacht für die Anwendung des § 45 II WaffG nicht aus.

b) § 45 IV WaffG bestimmt: Verweigert ein Betroffener im Fall der Überprüfung des Vorliegens von in diesem Gesetz vorgeschriebenen Tatbestandsvoraussetzungen, bei deren Wegfall ein Grund zum Widerruf einer Erlaubnis gegeben wäre, seine Mitwirkung, so kann die Behörde deren Wegfall vermuten. (Eine derartige Vorschrift gibt es auch in § 11 VIII FahrerlaubnisVO = FeV für das Verfahren bei der Entziehung der Fahrerlaubnis; Beispielfall hierzu bei OVG Münster NJW 2017, 903.)

aa) Eine Mitwirkungsobliegenheit des K könnte sich aus § 6 II WaffG ergeben. Sind Tatsachen bekannt, die Bedenken gegen die persönliche Eignung nach Absatz 1 begründen, hat die zuständige Behörde dem Betroffenen auf seine Kosten die Vorlage eines fachärztlichen oder fachpsychologischen Zeugnisses über die geistige oder körperliche Eignung aufzugeben. (Vergleichbare Vorschriften in §§ 13, 14, 46 III FeV.) Eine dahingehende Aufforderung hat B gegenüber K am 26. 3. abgegeben und auch auf die Folgen hingewiesen.

bb) Fraglich ist, ob die Voraussetzungen des § 6 II WaffG im Widerrufsverfahren zu prüfen sind. K hat gegenüber der Aufforderung vom 26. 3. keinen Rechtsbehelf eingelegt. Wäre die Aufforderung ein VA, wäre dieser ohne Rücksicht auf seine Rechtmäßigkeit verbindlich (Bestandskraft, § 43 I, II VwVfG). Jedoch ist die Aufforderung zur Vorlage eines Gutachtens insbesondere im Fahrerlaubnisentziehungsverfahren und im Verfahren nach dem WaffG kein VA, sondern eine einen VA bloß vorbereitende Verfahrenshandlung (BVerwGE 34, 248/9; 99, 249, 251). Sie ist nicht verbindlich, nicht vollstreckbar, begründet aber eine Obliegenheit, deren Verletzung die Vermutung gemäß b) auslöst. Ihr gegenüber ist ein Rechtsbehelf weder erforderlich noch zulässig (§ 44 a VwGO). Deshalb kommt ihr keine Bestandskraft zu, sondern ihre Rechtmäßigkeit ist innerhalb des Widerrufsverfahrens (inzidenter) zu prüfen.

Erforderlich sind - als Begutachtungsanlass (OVG Münster NJW 2017, 903) - Tatsachen, die Bedenken gegen die persönliche Eignung begründen. Dazu BVerwG [24] Tatsachen waren, dass K beim Betreten einer Tankstelle eine Spielzeugwaffe sichtbar am Gürtel getragen und auf die ermittelnden Polizeibeamten einen psychisch auffälligen Eindruck gemacht hatte. Diese Tatsachen waren geeignet, Bedenken gegen die persönliche Eignung des K nach § 6 Abs. 1 WaffG zu begründen, da eine psychische Erkrankung nicht auszuschließen war. Die zuständige Behörde war daher nach § 6 Abs. 2 WaffG verpflichtet, K die Vorlage eines amts- oder fachärztlichen oder fachpsychologischen Zeugnisses über die geistige oder körperliche Eignung aufzugeben. Die Gutachtensanforderung war somit rechtmäßig.

cc) K hat das Gutachten nicht vorgelegt, seine Mitwirkung also verweigert. Sein Einwand, nach dem Verzicht habe kein Grund mehr für ein Gutachten bestanden, übersieht, dass ein Widerrufsverfahren lief (oben III 1, 2) und dass in diesem Verfahren zu klären war, ob die persönliche Geeignetheit des K noch gegeben war. BVerwG [24] Die Waffenbehörde durfte daher gemäß § 6 Abs. 2 WaffG i. V. m. § 45 Abs. 4 Satz 1 WaffG…auf die Nichteignung des K schließen.

3. Somit liegen die Voraussetzungen des § 45 II WaffG vor. Anders als § 49 VwVfG räumt das WaffG kein Ermessen ein, sondern enthält den Widerruf als zwingende Rechtsfolge (BVerwG [24]). Folglich ist der Widerruf rechtmäßig.

V. Auch die Aufforderung zur Rückgabe der über den Waffenschein ausgestellten Urkunde ist rechtmäßig. Nach § 46 I 2, 1 WaffG hat der Inhaber einer Erlaubnis, die u. a. wegen Widerrufs erloschen ist, die Erlaubnisurkunde unverzüglich zurückzugeben. B durfte das zum Gegenstand ihres Bescheids machen.

Der Bescheid vom 22. 5. ist somit insgesamt rechtmäßig. Die Anfechtungsklage ist als unbegründet abzuweisen.


Zusammenfassung