Bearbeiter: Prof. Dieter Schmalz
► Vorläufiger Rechtsschutz im Verwaltungsprozess; Anträge auf Wiederherstellung und Anordnung der aufschiebenden Wirkung, § 80 V VwGO. ► Straßenrecht: Gemeingebrauch und Sondernutzung, §§ 7, 8 FStrG. ► Ordnungsverfügung wegen Sondernutzung ohne Erlaubnis. ► Freiheit der Kunst (Art. 5 III GG); Werk- und Wirkbereich. ► Verwaltungszwang, §§ 6 ff. VwVG
OVG Münster Beschluss vom 24. 8. 2017 (11 B 938/17) BeckRS 3017, 122747
Fall (Ausstellung auf der Straße)
F betätigt sich nach einem Kunststudium als Fotokünstler, vorwiegend im Bereich der Landschafts- und Dokumentarfotografie. Zu seinen Motiven gehören auch solche aus dem öffentlichen Raum. Die Fotos bearbeitet er, stellt sie in seinem Atelier aus und versucht, sie zu verkaufen. Als er damit wenig Erfolg hat, entschließt er sich dazu, die Fotos in der Öffentlichkeit zu zeigen. Dafür wählt er die viel begangene Königsallee seiner im Lande L gelegenen Heimatstadt S aus und stellt etwa ein Dutzend Fotobilder auf ein bis zwei Meter hohen Staffeleien auf den Gehweg der Königsallee. Sie stehen auf der Fahrbahnseite des Gehwegs und lassen einen etwa sechs Meter breiten Streifen, so dass die Fußgänger auf dem Gehweg nicht behindert werden. Es gelingt ihm jetzt öfters, ein Bild zu verkaufen. F nimmt die Bilder abends mit und stellt sie, falls das Wetter es zulässt, morgens wieder auf.
Die von Passanten darauf aufmerksam gemachte und für die Verwaltung der Straßen zuständige B-Behörde der Stadt S erlässt gegenüber F am 29. Juni eine Ordnungsverfügung, wonach die von F als „Kunstaktion“ verstandene Tätigkeit untersagt wird. Das Verbot erstreckt sich auf die „Lagerung/Deponierung/Ausstellung von Gegenständen, insbesondere von Fotos//Bildern, auf dem Gehweg der Königsallee.“ Der sofortige Vollzug wird angeordnet, und es wird ein Zwangsgeld angedroht, beides in formell fehlerfreier Weise. Die Ordnungsverfügung ist mit einer Begründung versehen, die auch Ermessenserwägungen enthält.
F hat beim Verwaltungsgericht Klage erhoben und zugleich beantragt, den Vollzug der Ordnungsverfügung auszusetzen. Er verweist darauf, dass er vor dem Erlass der Verfügung nicht angehört worden ist. Weiterhin beruft er sich auf die Kunstfreiheit. Durch die Ausstellung auf der Straße wolle er seine Kunst an die Passanten heranführen, verfolge also ein kulturpolitisches Ziel, das einem Verbot entgegenstehe. Auch zeigten einige seiner Bilder Straßenszenen in der Tradition der Street-Art-Fotografie und stünden in einem Wechselspiel zur Königsallee, so dass sie erst auf der Straße ihren künstlerischen Zweck erreichten. Er verlange denselben Schutz wie die - von den Städten vielfach geduldeten - Straßenmusiker.
Wie ist über den Antrag des F auf Aussetzung des Vollzugs der Ordnungsverfügung zu entscheiden?
Hinweise für die Bearbeitung: Im Land L hat das Straßengesetz denselben Inhalt wie das Bundesfernstraßengesetz (FStrG) und das Verwaltungsvollstreckungsgesetz denselben Inhalt wie das Bundesverwaltungsvollstreckungsgesetz (VwVG), d. h. es sind das FStrG und das VwVG anzuwenden. - Das Widerspruchsverfahren ist grundsätzlich abgeschafft. - Rechtsbehelfe gegen Vollstreckungsmaßnahmen haben keine aufschiebende Wirkung.
Lösung
A. Zulässigkeit des von F gestellten Antrags
I. Für den Antrag des F müsste der Verwaltungsrechtsweg eröffnet sein, was sich nach § 40 I VwGO richtet. Eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit liegt vor, wenn die streitentscheidenden Normen dem öffentlichen Recht angehören. Die Streitigkeit im vorliegenden Fall betrifft den Vollzug der Ordnungsverfügung vom 29. 6. und damit die Ordnungsverfügung selbst. Diese untersagt eine bestimmte Benutzung der Königsallee und richtet sich deshalb nach dem öffentlich-rechtlichen Straßenrecht. Somit sind die streitentscheidenden Normen solche des öffentlichen Rechts. Die Streitigkeit ist auch nichtverfassungsrechtlicher Art; dass F sich auf ein Grundrecht beruft, reicht für eine verfassungsrechtliche Streitigkeit nicht aus. Da die Streitigkeit auch keinem anderen Gericht zugewiesen ist, ist der Verwaltungsrechtsweg eröffnet.
II. Es ist die statthafte Antragsart zu bestimmen.
1. Wie die Antragstellung des F zusätzlich zur Anfechtungsklage und die Formulierung des Antrag, „ den Vollzug der Ordnungsverfügung auszusetzen“, zeigen, hat F einen Antrag im vorläufigen Rechtsschutz (auch: einstweiliger Rechtsschutz, Eilrechtsschutz) gestellt. Dieser kennt zwei gerichtliche Verfahrensarten: die Wiederherstellung oder Anordnung der aufschiebenden Wirkung nach § 80 V VwGO und die einstweilige Anordnung nach § 123 VwGO. Der Antrag des F könnte ein Antrag nach § 80 V VwGO sein.
2. Wie sich aus § 80 I VwGO ergibt, hat § 80 VwGO die Situation einer gegen einen Verwaltungsakt gerichteten Anfechtungsklage zur Voraussetzung. Die Ordnungsverfügung vom 29. 6. enthält mit ihrer gegen F gerichteten Untersagung eine Regelung im Einzelfall und ist deshalb ein den F belastender VA (§ 35, 1 VwVfG). Die von F erhobene Klage in der Hauptsache ist also eine Anfechtungsklage.
3. Der vorläufige Rechtsschutz gegenüber einem belastenden VA beginnt mit der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs und der Anfechtungsklage (§ 80 I VwGO). Diese entfällt aber in den Fällen des § 80 II VwGO, im vorliegenden Fall durch die Anordnung der sofortigen Vollziehung nach § 80 II Nr. 4 VwGO. Dann kann nach § 80 V 1 2. Satzteil VwGO das VG auf Antrag die aufschiebende Wirkung wieder herstellen; in diesem Sinne ist der Antrag des F auszulegen. Der Antrag des F ist also ein Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der von ihm erhobenen Anfechtungsklage.
4. Die Anordnung der sofortigen Vollziehung betraf die in der Verfügung vom 29. 6. enthaltene Untersagung. Außerdem hat die B-Behörde ein Zwangsgeld angedroht, gegen das sich F ebenfalls wendet. Gegenüber dieser Androhung hat die Anfechtungsklage laut Bearbeiterhinweis keine aufschiebende Wirkung, weshalb auch keine Wiederherstellung möglich ist. In diesem Fall kann das VG nach § 80 II Nr. 3 VwGO und § 80 V 1 1. Satzteil VwGO die aufschiebende Wirkung anordnen. Der Antrag des F ist daher auch als Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung seiner Anfechtungsklage gegen die Zwangsgeldandrohung auszulegen.
III. Die Anfechtungsklage hätte allerdings keine aufschiebende Wirkung, wenn sie offensichtlich unzulässig wäre (Kopp/Schenke VwGO, 23. Aufl. 2017, § 80 Rdnr. 50). Das ist aber nicht der Fall, vielmehr ist sie zulässig. Denn F ist klagebefugt (§ 42 II VwGO), weil er geltend macht, in seinem Grundrecht aus Art. 5 III GG verletzt zu sein, und weil die Verfügung ihn belastet. Von einer fristgemäßen Erhebung der Klage ist auszugehen. Ein Widerspruchsverfahren ist im Lande L nicht mehr vorgesehen.
IV. Aus der unter III begründeten Klagebefugnis des F bei der Anfechtungsklage folgt zugleich die Antragsbefugnis analog § 42 II VwGO für die Anträge auf Wiederherstellung und Anordnung der aufschiebenden Wirkung.
V. Richtige Antragsgegnerin ist analog § 78 I Nr. 1 VwGO die Stadt S. Sie wird durch den (Ober-) Bürgermeister vertreten. Der Antrag ist zulässig.
B. Begründetheit des Antrags
§ 80 V VwGO bestimmt nicht, unter welchen Voraussetzungen der Antrag begründet ist. § 80 II Nr. 4, III VwGO enthält aber formelle Anforderungen an die Anordnung der sofortigen Vollziehung: Es muss die zuständige Behörde gehandelt haben, und das Vollzugsinteresse ist nach § 80 III VwGO zu begründen. Diese Begründung ist - ebenso wie bei § 39 VwVfG - nicht daraufhin zu prüfen, ob sie richtig ist. Ihr Zweck ist, die Behörde zu einer sorgfältigen Prüfung zu veranlassen und dem Betroffenen die Abschätzung der Erfolgsaussichten eines Rechtsbehelfs zu erleichtern (OVG Hamburg NVwZ 2014, 1532). Fehler der Begründung sind Ausführungen, die nicht am konkreten Fall orientiert, sondern formelhaft sind, und solche, die sich lediglich auf die Rechtmäßigkeit des VA beziehen. Im vorliegenden Fall erfolgte die Anordnung der sofortigen Vollziehung formell fehlerfrei.
Im Falle der Anordnung der sofortigen Vollziehung ist der Antrag begründet und die aufschiebende Wirkung wieder herzustellen, wenn das Aufschubinteresse des vom VA Betroffenen das öffentliche Vollzugsinteresse überwiegt (zur Begründetheit des Antrags nach § 80 V, II Nr. 4 VwGO Kopp/Schenke VwGO, 23. Aufl. 2017, § 80 Rdnrn. 146, 148 ff., 152, 152 a). Für diese Interessenabwägung kommt es maßgeblich auf die Rechtmäßigkeit des VA an (gleichbedeutend: auf die Erfolgsaussichten der Anfechtungsklage in der Hauptsache, Hummel JuS 2011, 415, 418). Denn an der sofortigen Vollziehung eines rechtswidrigen VA besteht grundsätzlich kein öffentliches Vollzugsinteresse. Erweist sich der VA als rechtmäßig, muss zusätzlich das von § 80 II Nr. 4 VwGO geforderte öffentliche Interesse am sofortigen Vollzug vorliegen; das gilt selbst bei offensichtlicher Rechtmäßigkeit (BVerfG NJW 2010, 2268). In der Praxis kann die Rechtmäßigkeit des VA im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes vielfach nur summarisch geprüft werden. In Klausuren und Hausarbeiten ist aber eine Prüfung wie innerhalb einer Klage möglich und geboten, insbesondere bezüglich der Rechtsfragen (vgl. OVG Münster NVwZ 2012, 768).
Somit ist nachfolgend die Rechtmäßigkeit der Ordnungsverfügung vom 29. 6. zu prüfen.
I. Anwendbare Ermächtigungsgrundlage ist, da laut Bearbeiterhinweis das FStrG zu prüfen ist, § 8 Abs. 7 a Satz 1 FStrG, wo bestimmt ist: Wird eine Bundesfernstraße ohne die erforderliche Erlaubnis benutzt, kann die für die Erteilung der Erlaubnis zuständige Behörde die erforderlichen Maßnahmen zur Beendigung der Benutzung anordnen. (Entsprechende Vorschriften enthalten die landesrechtlichen Straßengesetze, z. B. § 22 StrWG NRW.) Der Gehweg ist Bestandteil der Straße (Kodal/Herber, Straßenrecht, 7. Aufl. 2010, Kapitel 7 Rdnr. 22), so dass F, indem er die Bilder auf dem Gehweg der Königsallee aufstellt, die Straße benutzt.
II. Die Verfügung müsste formell rechtmäßig erlassen worden sein.
1. Zuständig ist nach § 8 VII a FStrG die für die Erteilung einer Erlaubnis zuständige Behörde. Die für die Stadt S handelnde B-Behörde ist laut Sachverhalt f ür die Verwaltung der Straßen zuständig und somit auch für den Erlass einer Verfügung nach § 8 VII a FStrG.
2. Da die Verfügung F belastet und möglicherweise in dessen Grundrechte eingreift, war er nach § 28 I VwVfG anzuhören.
a) Dem Sachverhalt ist zu entnehmen, dass eine Anhörung nicht erfolgt ist. Ein Ausnahmefall (§ 28 II VwVfG) liegt im Hinblick auf die Untersagungsverfügung nicht vor, lediglich bei der Zwangsmittelandrohung kann von der Anhörung abgesehen werden (§ 28 II Nr. 5 VwVfG). Folglich ist die Verfügung derzeit formell rechtswidrig.
b) Der Anhörungsmangel ist heilbar, auch noch während des Verfahrens der Anfechtungsklage (§ 45 I Nr. 3, II VwVfG). Allerdings reicht allein die Möglichkeit für den Betroffenen, im Verfahren nach § 80 V VwGO und innerhalb der Anfechtungsklage Stellung zu nehmen, von der die Behörde Kenntnis erhält, als Heilung nicht aus (Kopp/Ramsauer, VwVfG; 18. Aufl. 2017, § 45 Rdnr. 26, 27). Jedoch hat F durch sein Vorbringen die B-Behörde auf die fehlende Anhörung aufmerksam gemacht. Es ist deshalb zu erwarten, dass B es nicht riskiert, die Anfechtungsklage wegen eines solchen Fehlers zu verlieren, sondern dass sie eine Anhörung noch nachträglich vornimmt. Es ist auch zu bedenken, dass dem Gericht bei der Entscheidung nach § 80 V VwGO eine „originäre Entscheidungsbefugnis“ zuerkannt wird, die, wenn der Behörde Ermessen zusteht, auch eine Ermessensbefugnis umfasst (Kopp/Schenke VwGO § 80 Rdnr. 146). Diese Befugnisse wird das VG voraussichtlich dazu nutzen, davon abzusehen, den Vollzug eines möglicherweise materiell rechtmäßigen VA allein wegen eines Anhörungsmangels auszusetzen. Folglich wird der Anhörungsfehler nicht dazu führen, dass dem Antrag stattgegeben wird.
3. Die Verfügung enthält auch die nach § 39 VwVfG erforderliche Begründung.
III. In materieller Hinsicht ist Voraussetzung für § 8 VII a FStrG, dass das Aufstellen der Fotobilder auf dem Gehweg der Königsallee eine Benutzung ohne erforderliche Erlaubnis ist. Eine Benutzung des Gehweges liegt in dem Aufstellen der Bilder. F verfügt über keine Erlaubnis. Also kommt es darauf an, ob eine Erlaubnis erforderlich ist.
1. Nach § 8 I 1, 2 FStrG ist eine Erlaubnis erforderlich, wenn eine Sondernutzung vorliegt. Sondernutzung ist die über den Gemeingebrauch hinausgehende Benutzung. Gemeingebrauch ist nach § 7 I FStrG eine Benutzung der Straße zum Verkehr, sofern sie im Rahmen der Widmung und der verkehrsbehördlichen Vorschriften erfolgt. Kein Gemeingebrauch liegt vor, wenn die Straße nicht vorwiegend zum Verkehr, sondern zu anderen Zwecken benutzt wird.
a) Im engeren Wortsinn ist Verkehr ein Verhalten zum Zweck der Ortsveränderung oder ein damit in Zusammenhang stehendes Verhalten (z. B. der ruhende Verkehr). Darunter fällt das Aufstellen der Bilder nicht. Vielmehr bezweckt F, die Bilder als Kunstobjekte dem Publikum näher zu bringen und sie zu verkaufen. Nach dem engeren Wortsinn des § 7 I FStrG liegt kein Verkehr vor.
b) Verkehr kann aber auch im gesellschaftlichen Sinne als Kontakt zwischen Menschen verstanden werden (Kodal/Stahlhut, Straßenrecht, 7. Aufl. 2010, Kapitel 25 Rdnr. 18.2 und 22), so in den Begriffen Rechtsverkehr, geschäftlicher Verkehr, Schriftverkehr. Der Gemeingebrauch umfasst deshalb auch einen kommunikativen Verkehr (i. V. mit Art. 5 I GG; BVerwGE 84, 71, 73); Gehwege und Fußgängerzonen können auch dazu benutzt werden, um sich dort mit anderen Menschen zu treffen und nichtkommerzielle Werbung zu treiben.
c) Im Fall des F könnte der Verkehrsbegriff durch Anwendung des Grundrechts der Kunstfreiheit (Art. 5 III GG) erweitert werden. Ebenso wie der kommunikative Verkehr durch eine Anwendung des Art. 5 I GG als Gemeingebrauch bewertet wird, könnte auch eine künstlerische Betätigung auf der Straße durch Anwendung des Art. 5 III GG noch zum Gemeingebrauch gerechnet werden (Kodal/Stahlhut, StraßenR, Kap. 25 Rdnr. 22.5).
aa) Dann müsste das Verhalten des F unter den Schutzbereich der Kunstfreiheit fallen. Dass die Bilder des F keine Gebrauchsfotografie, sondern Kunstwerke sind, ergibt sich aus den Umständen, dass F ein Kunststudium absolviert hat, sich als Fotokünstler betätigt, dass die von ihm geschaffenen Bilder Ergebnisse seiner künstlerischen Fähigkeiten sind und vom Publikum teilweise auch so bewertet werden.
Es müsste aber auch das Ausstellen der Bilder auf der Königsallee eine künstlerische Betätigung sein. Von der Kunstfreiheit geschützt wird zunächst die Schaffung des Kunstwerks durch den Künstler, der Werkbereich. Dazu gehört bei F das Aufsuchen von Motiven und ihr Ablichten. Dieses wird jedoch nicht beeinträchtigt, vielmehr konnte F seine Bilder unbeeinträchtigt herstellen. Geschützt ist auch der Wirkbereich, in dem der Öffentlichkeit Zugang zu dem Kunstwerk verschafft wird (zum Werk- und Wirkbereich Jarass/Pieroth GG, 14. Aufl. 2016, Art. 5 Rdnr. 120; BVerfGE 30, 173, 188, Mephisto; 67, 213, 224; BVerwGE 84, 74). Ein Eingriff in den Wirkbereich liegt beispielsweise in einem Werbeverbot für eine unter Art 5 III fallende Schrift (BVerfGE 77, 240, 251).
Zum Kunstbegriff und zu diesen Bereichen führt OVG [9] im Anschluss an BVerfGE 30, 173, 188 f. aus: Nach diesem Urteil ist das Wesentliche der künstlerischen Betätigung die freie schöpferische Gestaltung, in der Eindrücke, Erfahrungen, Erlebnisse des Künstlers durch das Medium einer bestimmten Formensprache zu unmittelbarer Anschauung gebracht werden… Die Kunstfreiheitsgarantie des Grundgesetzes betrifft in gleicher Weise den „Werkbereich“ und den „Wirkbereich“ künstlerischen Schaffens… Somit ist nicht nur die künstlerische Betätigung als „Werkbereich“ geschützt, sondern darüber hinaus auch die Darbietung und Verbreitung des Kunstwerks; denn dieser „Wirkbereich“ ist sachnotwendig für die Begegnung mit dem Werk als eines ebenfalls kunstspezifischen Vorgangs, indem der Öffentlichkeit Zugang zu dem Kunstwerk verschafft wird.
Das Ausstellen der Bilder auf der Straße fällt aber nicht mehr unter den Wirkbereich der künstlerischen Tätigkeit des F. OVG [13] denn es ist nicht ersichtlich, aus welchem Grunde die öffentliche Straße als Wirkbereich für die Begegnung mit den Werken des Antragstellers sachnotwendig wäre. Ein Künstler kann Bilder in seinem Atelier, in einer Galerie, im Internet und in Prospekten präsentieren. Ihm dafür auch noch die Straße über die Kunstfreiheit und den Gemeingebrauch rechtlich geschützt zur Verfügung zu stellen, wäre eine zu weitgehende Ausdehnung dieser Rechtsinstitute. Dagegen spricht auch, dass dadurch der Gemeingebrauch anderer verkürzt wird, selbst wenn wie im vorliegenden Fall eine Verkehrsbehinderung nicht feststellbar ist, und dass nicht abzusehen ist, wie viele Künstler von einer solchen verkaufsfördernden Möglichkeit Gebrauch machen würden.
bb) Ausnahmsweise könnte der Wirkbereich der Kunst auf die Straße erstreckt werden, wenn es sich um typische Straßenkunst handelt. Eine solche betraf das Urteil BVerwGE 84, 71, wo eine Frau in der Fußgängerzone Profilbilder (Silhouetten) durch Scherenschnitte von Passanten anfertigte und diese verkaufte. Solche Bilder konnten nur auf der Straße von vorübergehenden Passanten angefertigt werden. Jedoch reicht, um Gleiches bei F anzunehmen, dessen Vortrag, wonach einige seiner Bilder Straßenszenen in der Tradition der Street-Art-Fotografie zeigten und in einem Wechselspiel zur Königsallee stünden, nicht aus. OVG [13] Der Antragsteller behauptet, der Schwerpunkt seiner künstlerischen Betätigung sei der kulturpolitische Aspekt, seine Kunst an den Passanten heranzuführen… Daraus lässt sich aber nicht entnehmen, seine künstlerische Betätigung bestehe in einem untrennbaren Wechselspiel zwischen Wirk- und Werkbereich auf das Medium der öffentlichen Straße. Der Antragsteller macht nicht geltend, seine Werke würden auf der Straße hergestellt. Auch der Umstand, dass es sich um „Entwürfe aus der Tradition der Street-Art-Fotografie“ handelt, führt nicht dazu, dass seine Werke als Straßenkunst zu qualifizieren wären.
cc) Nach einer ähnlichen Überlegung des OVG - im Anschluss an BVerwGE 84, 71, 79 - könnte eine Erlaubnis nicht erforderlich sein, wenn [17] der Gang zur Erlaubnisbehörde nicht nur eine Lästigkeit wäre, sondern die Kunstausübung praktisch unmöglich machte. Zu denken ist hierbei vor allem an „Spontankunst“ in dem Sinn, dass das künstlerische Werk nur entweder spontan oder gar nicht vollbracht werden kann. In Anlehnung an das zu Art. 8 GG entwickelte Rechtsinstitut der „Spontanversammlung“ mag hier das formelle Erfordernis der Erlaubnis als unzulässig angesehen werden. [19] Anhaltspunkte, dass es sich bei der künstlerischen Betätigung des Antragstellers auf der Straße um sog. Spontankunst handelte, gibt es aber nicht.
2. Hilfsweise führt OVG Münster [14, 15] - wiederum in Anschluss an BVerwGE 84, 71, 75/6 - aus, selbst wenn die „Kunstaktion“ des Antragstellers als Straßenkunst den Schutz des Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG genießen sollte, folgt daraus nicht, dass der Antragsteller die Straße ohne Einholung einer Sondernutzungserlaubnis für seine künstlerische Betätigung nutzen dürfte. Denn das behördliche Kontrollverfahren der Sondernutzungserlaubnis ist ein mit Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG zu vereinbarendes Mittel, um die verschiedenen grundrechtlich geschützten Belange der Straßenbenutzer in Einklang zu bringen (Ausgleichs- und Verteilungsfunktion der Sondernutzungserlaubnis). Dies trägt der Erkenntnis Rechnung, dass die Inanspruchnahme öffentlichen Straßenraums durch künstlerische Betätigungen zu lösungsbedürftigen Konflikten mit anderen Straßenbenutzungen führen kann, insbesondere mit der gemeingebräuchlichen Verkehrsteilnahme, mit dem Anliegergebrauch des Grundeigentümers, aber auch im Verhältnis zu den um denselben Standort konkurrierenden anderen Straßenkünstlern. Während die Ausübung des Gemeingebrauchs durch Teilnahme am Straßenverkehr umfassend durch die straßenverkehrsrechtlichen Vorschriften geregelt ist, fehlt für andere Nutzungen wie die Darbietung von Straßenkunst ein generelles normatives Regelwerk, das den Rahmen für ein gemeinverträgliches Verhalten absteckt. Dies macht die Präventivsteuerung straßenkünstlerischer Aktivitäten durch ein Erlaubnisverfahren, in dem im Einzelfall widerstreitende Nutzungen ausgeglichen werden können, verfassungsrechtlich unbedenklich.
Folglich fällt das Aufstellen der Bilder auf der Königsallee nicht unter den Gemeingebrauch, sondern bedarf einer Sondernutzungserlaubnis. Auch im Fall BVerwGE 84, 71 hat das BVerwG auf S. 77/8 angenommen, dass eine Sondernutzungserlaubnis erforderlich war.
3. § 8 VI FStrG steht der Erlaubnisbedürftigkeit nicht entgegen. Danach bedarf es keiner straßenrechtlichen Erlaubnis, wenn eine Erlaubnis nach Straßenverkehrsrecht, beispielsweise nach § 29 StVO, erforderlich ist. Eine solche ist für das Aufstellen von Bildern auf dem Gehweg aber nicht vorgesehen. Der hier zu entscheidende Fall richtet sich daher ausschließlich nach Straßenrecht.
4. Eine öffentlich-rechtliche Sondernutzungserlaubnis nach § 8 I 1, 2 FStrG entfällt, wenn eine privatrechtliche Einräumung von Rechten nach § 8 X FStrG ausreicht, weil die Benutzung den Gemeingebrauch nicht beeinträchtigt. Damit ist die Verlegung von Leitungen unter der Straße für Zwecke der öffentlichen Versorgung gemeint. Das Aufstellen der Bilder auf dem Gehweg beeinträchtigt den Gemeingebrauch, weil an dieser Stelle andere Personen die Straße nicht benutzen können. Es bleibt somit dabei, dass F eine öffentlich-rechtliche Sondernutzungserlaubnis braucht.
Da F diese Erlaubnis nicht hat, liegen die Voraussetzungen für ein Einschreiten nach § 8 VII a FStrG vor.
IV. Somit durfte die B-Behörde nach § 8 VII a FStrG die erforderlichen und auch sonst verhältnismäßigen Maßnahmen ergreifen. Da F dem sich aus § 8 I 1, 2 FStrG ergebenden Verbot zuwiderhandelt, die Straße ohne Sondernutzungserlaubnis zu benutzen, war die Untersagung dieses Verhaltens erforderlich. Eine sonstige Unverhältnismäßigkeit könnte allenfalls dann anzunehmen sein, wenn sicher zu erwarten wäre, dass F eine Erlaubnis erhält. Jedoch hat F weder einen Antrag gestellt noch ihn angekündigt. Nach der Rechtsprechung (OVG [22]) reicht das Fehlen der erforderlichen Erlaubnis, also die formelle Illegalität, für eine Untersagungsverfügung aus. Somit hindert das Verhältnismäßigkeitsprinzip die Verfügung vom 29. 6. nicht.
V. Als Kann-Vorschrift räumt § 8 VII a FStrG der Behörde Ermessen ein. Die Verfügung ist deshalb rechtswidrig, wenn ein Ermessensfehler (§ 114 VwGO) vorliegt. Ermessensgrenzen, deren Verletzung zu einer Ermessensüberschreitung führen, können sich aus Grundrechten ergeben.
1. Die Verfügung könnte das Grundrecht der Kunstfreiheit (Art. 5 III GG) des F verletzen. Während dieses Grundrecht oben B III 1 c) herangezogen wurde, um den Anwendungsbereich des Gemeingebrauchs möglicherweise zu erweitern, könnte es an dieser Stelle eine Grenze für das Einschreiten der B bilden. In beiden Zusammenhängen geht es aber um dieselbe Frage, nämlich ob das Verhalten des F auf der Königsallee von der Kunstfreiheit geschützt wird. So wie das oben unter B III 1 c) verneint wurde, gilt auch im vorliegenden Zusammenhang, dass die Kunstfreiheit nicht das Aufstellen der Bilder auf der Straße schützt. Dann greift die Verfügung vom 29. 6. nicht in den Schutzbereich des Art. 5 III GG ein und verletzt dieses Grundrecht nicht.
2. Auch eine Verletzung der Berufsfreiheit (Art. 12 I GG) des F liegt nicht vor. Zwar wird F, soweit er Bilder verkauft und damit seinen Lebensunterhalt bestreitet, nicht nur künstlerisch, sondern auch beruflich tätig. Auch bedeutet das Verbot des Verkaufs auf der Straße eine Beschränkung dieser Tätigkeit und damit einen Eingriff. Dieser ist aber als bloße Berufsausübungsregelung nach Art. 12 I 2 GG gerechtfertigt. Dass die Regelung in §§ 7, 8 FStrG verhältnismäßig ist, ergibt sich aus den oben B III 2 wiedergegebenen Ausführungen des OVG, wobei „Straßenkunst“ durch „Berufsausübung auf der Straße“ zu ersetzen ist.
3. Soweit F sich mit den - von den Städten vielfach geduldeten - Straßenmusikern vergleicht, macht er gegenüber dem an ihn gerichteten Verbot eine Verletzung des Gleichheitssatzes (Art. 3 I GG) geltend.
a) Für eine Verletzung des Art. 3 I GG müsste zunächst eine Ungleichbehandlung vorliegen. Dabei dürfen nur Maßnahmen desselben Rechtsträgers verglichen werden; Art. 3 GG gilt nicht zwischen verschiedenen Rechtsträgern (BVerfGE 106, 225, 241; BVerwG NJW 2014, 331 [34]). Deshalb scheiden alle anderen Städte außer der Stadt S aus. Um eine Ungleichbehandlung einerseits der Straßenmusiker und andererseits des F durch die Stadt S annehmen zu können, müsste eine solche festgestellt werden. Diese hat F aber nicht einmal behauptet. Er spricht nur von den „ von den Städten vielfach geduldeten Straßenmusikern.“ Dass Straßenmusiker gerade in S geduldet werden, ergibt sich daraus nicht. Das ist auch nicht selbstverständlich, weil die Städte auf diesem Gebiet recht unterschiedlich handeln. So bedarf es in München in der Innenstadt einer Genehmigung. In Münster darf in der Zeit von 10 bis 21.30 Uhr, jeweils mit der vollen Stunde beginnend, eine halbe Stunde gespielt werden; danach ist der Standort zu wechseln; der neue Standort muss mindestens 200 m vom vorherigen Standort entfernt sein.
Somit kann die für eine Verletzung des Art. 3 I GG erforderliche Ungleichbehandlung nicht festgestellt werden.
b) Selbst wenn man davon ausgeht, dass in S Straßenmusikanten begrenzt geduldet werden, die Ausstellungen von Bildern aber nicht, dürfte dafür ein hinreichender Grund bestehen. Die Tätigkeit dieser Gruppen unterscheidet sich wesentlich. Bei Straßenmusikern ist bereits fraglich, ob sie sich künstlerisch betätigen (wohl bejahend Jarass/Pieroth GG Art. 5 Rdnr. 124). Sie gehen bei ihrem Spielen davon aus, dass dieses einer Reihe von Passanten Freude bereitet, wofür diese ihnen einen Geldbetrag zukommen lassen. Sie haben i. d. R. nur die Möglichkeit, auf der Straße zu spielen. Demgegenüber hat F ein Atelier, für ihn ist die Ausstellung auf der Straße nur eine zusätzliche Präsentationsmöglichkeit, er handelt aus einem künstlerischem Motiv heraus und verlangt für seine Bilder einen Kaufpreis. Deshalb dürfte die Stadt sie auch unterschiedlich behandeln.
Art. 3 I GG ist nicht verletzt.
4. Für einen Ermessensfehlgebrauch gibt es keinen Anhaltspunkt. Somit liegt kein Ermessensfehler vor.
Die Verfügung vom 29. 6. ist, abgesehen von dem heilbaren Anhörungsmangel, rechtmäßig.
VI. Wie oben nach B. ausgeführt wurde, verlangt § 80 II Nr. 4 VwGO ein öffentliches Interesse am sofortigen Vollzug, zusätzlich zur Rechtmäßigkeit des VA. Dieses lässt sich bereits damit begründen, dass das Verhalten des F eine fortdauernde Ordnungswidrigkeit ist (§ 23 I Nr. 1 FStrG), die die Behörde ohne hinreichenden Grund nicht dulden darf. Auch besteht die Gefahr eines Nachahmungseffekts durch eine negative Vorbildwirkung, d. h. dass andere Künstler sich ebenso verhalten und der Gemeingebrauch des Publikums weiter beschränkt wird.
Folglich kann F nicht verlangen, dass die aufschiebende Wirkung seiner Klage wieder hergestellt wird (womit zugleich feststeht, dass die Anfechtungsklage gegen die Untersagungsverfügung keinen Erfolg haben wird).
VII. Auch die Zwangsandrohung könnte rechtmäßig sein. Das richtet sich laut Bearbeiterhinweis nach dem Bundes-VwVG. Da ein Unterlassen erzwungen werden soll, gelten §§ 6 ff. VwVG.
1. Der nach § 6 I VwVG erforderliche GrundVA ist die Verfügung vom 29. 6. Sie ist vollstreckbar, weil ihr sofortiger Vollzug angeordnet worden ist.
2. Das richtige Zwangsmittel ist das Zwangsgeld (§ 11 VwVG), weil die Unterlassung eine nicht vertretbare Handlung ist. Eine Ersatzvornahme scheidet deshalb begrifflich aus. Für einen unmittelbaren Zwang besteht jedenfalls derzeit kein Grund.
3. Nach § 13 VwVG ist das Zwangsmittel anzudrohen. Da die Androhung in der Verfügung vom 29. 6. in formell fehlerfreier Weise erfolgte, ist davon auszugehen, dass B die dort aufgestellten Voraussetzungen beachtet hat, insbesondere einen Betrag in bestimmter Höhe angedroht (§ 13 V VwVG) und die Verfügung zugestellt hat (§ 13 VII VwVG).
4. Ein öffentliches Vollzugsinteresse ist bei der Zwangsandrohung nicht zu prüfen, weil es sich bereits aus der gesetzlichen Regelung ergibt, wonach die Klage keine aufschiebende Wirkung hat. Ein Grund dafür, ausnahmsweise gleichwohl die aufschiebende Wirkung anzuordnen, ist nicht ersichtlich.
Gesamtergebnis: Die Anträge auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die Untersagungsverfügung und auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die Zwangsgeldandrohung sind unbegründet und abzuweisen.
Zusammenfassung