Bearbeiter: Prof. Dieter Schmalz
► Kostenbescheid eines Abschleppunternehmens; VA-Begriff, § 35 VwVfG; ScheinVA. ► Feststellungsklage (§ 43 VwGO), Leistungsklage. ► Abschleppen eines Kfz als Maßnahme der Verwaltungsvollstreckung. ► Ersatzvornahme; Kostentragung. ► Abschleppkosten als Auslagen. ► Verwaltungsgebühr; fehlender Gebührenbescheid. ► Erstattung gezahlter Kosten; § 813 II BGB analog
OVG Münster Urteil vom 17.12.2020 (5 A 2300/19) BeckRS 2020/48933
Fall (Abgeschleppt und abgerechnet)
Frau K parkte in der in NRW gelegenen Stadt S ihr Auto auf einem Straßenteil, der als Fußgänger- und Radweg gekennzeichnet war (§ 41 StVO Anlage 2 Zeichen Nr. 241). Die dadurch behinderten Anlieger meldeten den Vorgang beim Ordnungsamt der Stadt und fügten ein Foto bei, auf dem zu erkennen war, dass beiderseits des Autos weniger als 1 m Platz für Fußgänger und Radfahrer war. Das Ordnungsamt schickte zwei Mitarbeiterinnen M1 und 2, die das Abschleppunternehmen A, mit dem S ständig zusammenarbeitet, beauftragten und die Behinderung des Rad- und Fußverkehrs im Abschleppbericht dokumentierten. A brachte das Auto auf ihr Betriebsgelände. Als K zwei Tage später das Auto abholen wollte, übergab ihr MA, ein Mitarbeiter der A, einen „Kostenbescheid“ über 184 Euro, ausgewiesen auf einem amtlichen Briefbogen der Stadtverwaltung S („Der Oberbürgermeister“) mit den Kontaktdaten des Ordnungsamtes und mit einer vorgedruckten Begründung. Das Schriftstück enthielt den Firmenstempel der A und die Unterschrift des MA. Der Betrag von 184 Euro setzte sich aus folgenden Einzelposten zusammen: Abschleppkosten (80 Euro) und Verwahrkosten (Standgeld) für zwei Tage zuzüglich Umsatzsteuer; eine Verwaltungsgebühr über 75 Euro, die MA einer von S erhaltenen Tabelle entnommen hatte. Die Einzelbeträge und die Summe hatte MA handschriftlich eingetragen. K protestierte gegen dieses Verfahren, zahlte aber die 184 Euro, um wieder in den Besitz des Autos zu kommen.
K beabsichtigt eine verwaltungsgerichtliche Klage gegen die Stadt S, mit der sie die Aufhebung des Kostenbescheids und die Erstattung der 184 Euro verlangen will. Nach ihrer Auffassung sei die Firma A nicht dazu berechtigt gewesen sei, ihr gegenüber einen Bescheid zu erlassen und Geld zu verlangen, deshalb müsse der Vorgang rückabgewickelt werden. S beruft sich darauf, dass die StVO beim Zeichen 241 (Geh- und Radweg) ausdrücklich bestimmt: „Anderer Verkehr darf ihn nicht benutzen.“ Dieses Verbot sei verbindlich gewesen und habe durchgesetzt werden können. Dabei sei neben dem Abschleppen auch die Einziehung des von K zu zahlenden Betrages durch A als Verwaltungshelfer zulässig gewesen; den Gebührenbetrag habe A pflichtgemäß an die Stadt weitergeleitet. Letztlich scheitere eine Rückzahlungspflicht daran, dass K zur Zahlung der in Rechnung gestellten Beträge verpflichtet sei. Hat eine Klage Aussicht auf Erfolg?
Zu den Rechtsgrundlagen: Nach § 55 I des Verwaltungsvollstreckungsgesetzes NRW (VwVG) darf ein auf eine Handlung oder Duldung gerichteter, vollstreckbarer VA mit Zwangsmitteln durchgesetzt werden. Zu den Zwangsmitteln gehört die Ersatzvornahme (§ 59 VwVG). Für diese werden Kosten (Gebühren und Auslagen) erhoben (§ 77 I 1 VwVG); Näheres dazu regelt die Ausführungsverordnung (VO VwVG). Nach der VO VwVG beträgt die für das Abschleppen eines Kfz zu zahlende Gebühr zwischen 50 und 150 Euro (§ 15 I Nr. 7 VO VwVG) und wird mit der Bekanntgabe des Gebührenbescheids fällig. Zu den vom Pflichtigen zu erstattenden Auslagen gehören Beträge, die bei einer Ersatzvornahme an Beauftragte zu zahlen sind (§ 20 II Nr. 7 VO VwVG). Zu Unrecht erhobene Kosten sind zu erstatten, so § 21 I des Gebührengesetzes NRW (GebG), das für Gebühren und Auslagen gilt (§ 1 I GebG).
Lösung
A. Klage gegen den Kostenbescheid
I. Zulässigkeit
1. Für die Eröffnung des Verwaltungsrechtswegs müssen die Voraussetzungen des § 40 I VwGO erfüllt sein, insbesondere muss es sich um eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit handeln. Mit ihrer Klage wendet sich K gegen den Kostenbescheid, der mit Zustimmung der S auf einem amtlichen Briefbogen erstellt wurde und der von S als wirksam und rechtmäßig verteidigt wird. Ob er rechtswirksam ist, ist durch eine Anwendung des VwVfG, möglicherweis auch des VwVG und der StVO, zu entscheiden. Somit sind die streitentscheidenden Normen öffentlich-rechtlicher Natur, so dass eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit vorliegt. Als verwaltungsrechtliche Streitigkeit ist sie auch nichtverfassungsrechtlicher Art und keinem anderen Gericht zugewiesen. Der Verwaltungsrechtsweg ist eröffnet.
2. Es ist die statthafte Klageart zu bestimmen, von der auch der Klageantrag abhängt. Es könnte sich um eine Anfechtungsklage (§ 42 I VwGO) handeln. Dann müsste der Kostenbescheid ein VA i. S. des § 35 VwVfG sein.
a) Erforderlich ist die Maßnahme einer Behörde. Behörde ist eine Stelle, die Aufgaben öffentlicher Verwaltung wahrnimmt, insbesondere die über hoheitliche Befugnisse verfügt.
aa) Eine solche Stelle wäre das Ordnungsamt der S; dieses hat den Bescheid aber nicht erlassen. Vielmehr hat MA namens der A den Bogen ausgefüllt und unterschrieben. Weder A noch MA gehören zur Stadtverwaltung. Dass das Ordnungsamt die Briefbögen zur Verfügung gestellt und sich mit dem vorgenommenen Verfahren einverstanden erklärt hat, reicht nicht aus, um einen Erlass durch die Stadt zu bejahen.
bb) Als Behörde hätte MA gehandelt, wenn er oder die A Beliehener wäre. Beliehene sind Privatrechtssubjekte, denen aufgrund Gesetzes hoheitliche Verwaltungsaufgaben zur Wahrnehmung im eigenen Namen übertragen wurden (Hauptbeispiel ist der Notar, der hoheitliche Beurkundungen vornehmen darf). OVG [39] Das Abschleppunternehmen hat nicht als Beliehener und damit als Behörde gehandelt… Weder das Abschleppunternehmen noch die Stadt S gingen ersichtlich davon aus, dass dem Abschleppunternehmen hoheitliche Aufgaben zur selbstständigen Wahrnehmung übertragen waren. Eine solche Beleihung ist gesetzlich auch nicht vorgesehen und wäre damit unzulässig.
cc) Wären MA oder A als Verwaltungshelfer tätig geworden, würde ihr Handeln der S zuzurechnen sein, die dann als Behörde gehandelt hätte. Verwaltungshelfer sind Privatpersonen, die vorbereitend und unterstützend Teilaufgaben der Verwaltung übernehmen, aber keine eigene Entscheidungsbefugnis haben, sondern nach den Weisungen der Behörde handeln (als „verlängerter Arm der Verwaltung“, z. B. Tiefbauunternehmer, die öffentliche Straße n reparieren; Entsorgungsfirmen, die die Müllabfuhr durchführen). Soweit die Firma A das Abschleppen vorgenommen hat, hat sie als Verwaltungshelfer gehandelt (vgl. BGH NJW 2014, 2577). Bei der Festsetzung der Abschleppkosten und der Gebühr bedurfte es jedoch jeweils eigener Entscheidungen, die A bzw. MA nicht aufgrund einer Weisung des Ordnungsamtes, sondern aufgrund eigener Ermittlungen getroffen haben. Beispielsweise kannte das Ordnungsamt den als Abschleppkosten festgesetzten Betrag nicht, konnte also dafür auch nicht die Verantwortung tragen. Dass die finanzielle Abwicklung des Abschleppens richtigerweise von der Behörde und nicht vom Abschleppunternehmer vorzunehmen ist, liegt auch den §§ 20 II Nr. 7, § 15 I VO VwVG zugrunde und entspricht der Praxis. Somit lässt sich über die Rechtsfigur des Verwaltungshelfers kein Handeln einer Behörde begründen.
b) Ein VA kann aus formellen Gründen anzunehmen sein. Versendet die Behörde einen als VA bezeichneten „Bescheid“ mit Begründung und Rechtsbehelfsbelehrung („Gegen diesen Verwaltungsakt können Sie …“), ist das begrifflich ein VA, auch wenn auf ihn nicht alle Merkmale des § 35 VwVfG zutreffen (vgl. BVerwGE 78, 3, 5/6; 18, 1, 5). Denn einem Adressaten ist nicht zuzumuten, ein als VA bezeichnetes Schreiben daraufhin zu überprüfen, ob es die Merkmale des § 35 VwVfG erfüllt. Sind sie nicht erfüllt, etwa weil die Maßnahme nicht auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts ergeht oder keine Einzelfallregelung enthält, ist sie zwar ein VA, aber rechtswidrig.
Auf den Erlass der Maßnahme durch eine Behörde kann aber nicht verzichtet werden. Der Akt eines Abschleppunternehmens ist unter keinem Gesichtspunkt eine behördliche Maßnahme. Der von MA ausgehändigte „Kostenbescheid“ ist also kein VA.
c) Da der Briefbogen aber vortäuscht, dass der Bescheid von der Stadt S stammt, handelt es sich um einen Scheinverwaltungsakt (auch: Nichtakt, ähnlich wie die Befehle des „Hauptmanns von Köpenick“). OVG [50-56]:
aa) Maßgeblich für einen ScheinVA ist das Inerscheinungtreten des privaten Dritten nach außen als Entscheidungsträger… (vgl. Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 9. Aufl. 2018, § 35 Rn. 62; ausführlich Münkler, Nichtakt, 2015, S. 174 ff.). Nach der im öffentlichen Recht entsprechend anwendbaren Auslegungsregel der §§ 133, 157 BGB ist hierfür der objektive Erklärungswert, d.h. wie der Betroffene die Erklärung nach den ihm bekannten oder erkennbaren Umständen unter Berücksichtigung von Treu und Glauben verstehen durfte bzw. musste, maßgebend. (vgl. Kopp/Ramsauer, VwVfG, 21. Aufl. 2020, § 35 Rn. 54).
bb) Gemessen hieran handelt es sich vorliegend um einen ScheinVA. Zwar weist dieser im Kopf des Bescheids den Oberbürgermeister als erlassende Behörde aus. Zugleich befindet sich jedoch im Unterschriftsfeld des Bescheids der Stempel des handelnden Abschleppunternehmens und die Unterschrift eines Mitarbeiters. Die in den Bescheid eingefügten konkreten Beträge sind in einer anderen Schriftart als das übrige Schriftstück eingetragen. Damit wird nach außen deutlich erkennbar, dass die Letztverantwortung für den Inhalt des Bescheids nicht bei der Stadt, sondern bei dem Abschleppunternehmen lag.
3. Gleichwohl ist bei einem von der Behörde als wirksam behandelten ScheinVA ein Anfechtungsantrag nicht ausgeschlossen (Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 43 Rn. 67). Denn nach einer ähnlichen Überlegung wie oben bei 2b) ist es dem Adressaten nicht zuzumuten, zu entscheiden, ob ein ScheinVA vorliegt oder ein nichtiger VA, gegen den eine Anfechtungsklage zulässig wäre, wie sich aus § 43 II 2 VwGO ergibt. OVG [29] Schon aus Gründen des effektiven Rechtsschutzes ist es für den Bürger nicht zumutbar, die oftmals diffizilen Abgrenzungsfragen schon bei der Wahl der statthaften Klageart zu entscheiden.
Daneben ist auch eine Feststellungsklage möglich. Das OVG folgt unter [29] der ganz überwiegend vertretenen Auffassung, dass bei einem ScheinVA dem Adressaten sowohl die Anfechtungs- als auch die Feststellungsklage als zulässige Klageart zur Verfügung steht. Dabei gibt das OVG der Feststellungsklage den Vorzug. Dem ist zu folgen, weil damit der Eigenart des ScheinVA besser Rechnung getragen wird.
Für eine Feststellungsklage müssen die Zulässigkeitsvoraussetzungen des § 43 VwGO erfüllt sein.
a) Die Klage muss auf das Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses gerichtet sein. S beruft sich darauf, dass die in dem Bescheid festgesetzten Zahlungspflichten der K ihr gegenüber verbindlich sind, insbesondere dass sie die gezahlte Gebühr behalten kann. Damit beruft sie sich auf ein Rechtsverhältnis. Dieses wird von K bestritten, so dass ein Streit um ein Rechtsverhältnis vorliegt.
b) Weiterhin muss der Kläger ein berechtigtes Feststellungsinteresse haben. Erforderlich und ausreichend ist ein rechtliches, wirtschaftliches oder ideelles Interesse. OVG [36] Für den Feststellungsantrag liegt das erforderliche Feststellungsinteresse vor, da der streitgegenständliche Bescheid im Falle der Annahme einer Verwaltungsaktqualität ein dem Anspruch der K auf Rückzahlung des gezahlten Geldes entgegenstehender Rechtsgrund ist.
c) Nach § 43 II 1 VwGO ist die Feststellungsklage zwar subsidiär gegenüber der Anfechtungsklage. Das gilt aber nicht, wenn sie sich gegen einen ScheinVA richtet (vgl. oben 3.: beide Klagearten sind nebeneinander möglich).
Die Voraussetzungen des § 43 VwGO liegen vor. Danach geht der Klageantrag dahin, festzustellen, dass der Kostenbescheid kein rechtswirksamer VA ist.
4. Nach der Rspr. des BVerwG (E 100, 217; NVwZ 2018, 433 Rn.14) ist § 42 II VwGO auf die Feststellungsklage analog anwendbar, so dass es auch bei dieser Klageart einer Klagebefugnis bedarf. Die mögliche Rechtsverletzung der K folgt daraus, dass im Falle einer nicht erfolgenden Feststellung K ihr geltend gemachtes Recht auf Erstattung des gezahlten Betrages nicht wird durchsetzen können.
5. Bei der Feststellungsklage ist kein Vorverfahren erforderlich, und es läuft keine Klagefrist. Die Klage ist zulässig. Sie ist gegen die Stadt S zu richten, da diese sich auf die Wirksamkeit des Bescheids beruft.
II. Der Feststellungsantrag ist auch begründet. Wie ausgeführt, ist der Kostenbescheid ein ScheinVA und löst keine Verpflichtungen der K aus. Das ist unabhängig von den - noch unter B. zu behandelnden - Fragen, ob das Abschleppen rechtmäßig war und welche finanziellen Folgen das für K hat. Im Originalfall hat das OVG festgestellt, dass der Kostenbescheid vom …kein Verwaltungsakt ist.
B. Klage auf Erstattung der 184 Euro
I. Zulässigkeit
1. Die für die Eröffnung des Verwaltungsrechtswegs nach § 40 I VwGO erforderliche öffentlich-rechtliche Streitigkeit ergibt sich daraus, dass sich die Frage der Erstattung entscheidend danach richtet, ob K zur Zahlung des Betrags nach den öffentlich-rechtlichen Vorschriften des VwVG und der VO VwVG verpflichtet war.
2. Der Klageart nach könnte es sich um eine (allgemeine) Leistungsklage handeln (vgl. §§ 43 II, 111 VwGO).
a) K verlangt eine schlichte Zahlung, ohne dass dieser ein VA zugrunde liegt, so dass eine Verpflichtungsklage ausscheidet. Eine schlichte Zahlung ist ein Realakt, der grundsätzlich Gegenstand einer Leistungsklage sein kann.
b) Das OVG hat die Folgenbeseitigungsregelung des § 113 I 2 VwGO analog angewendet, [58] Gemäß § 113 Abs. 1 Satz 2 VwGO kann mit der Anfechtungsklage zugleich die Entscheidung über die Aufhebung der Vollzugsfolgen begehrt werden. Angesichts des oben A I 3 dargestellten Gleichlaufs von Anfechtungs- und Feststellungsklage bei Scheinverwaltungsakten ist die Vorschrift nach Auffassung des Senats analog auch auf die Feststellungsklage gegen einen ScheinVA anzuwenden.
Jedoch soll § 113 I 2 VwGO eine Rechtsfolge vermeiden, die ohne diese Vorschrift bestehen würde und dahin ginge, dass eine Folgenbeseitigung oder Erstattung erst verlangt werden kann, wenn die Aufhebung des VA rechtskräftig ist, was aber im Zeitpunkt des Urteils regelmäßig noch nicht der Fall ist. Bei einem ScheinVA besteht diese Lage jedoch nicht. Denn dieser hat keine Rechtswirkung und kann daher einem Leistungsanspruch nicht entgegenstehen. Weil somit kein Bedürfnis für eine dem § 113 I 2 VwGO entsprechende Regelung besteht, fehlt es an einer Gesetzeslücke. § 113 I 2 VwGO ist nicht analog anzuwenden. Die Klage ist eine normale Leistungsklage.
3. Weitere Zulässigkeitsbedenken bestehen nicht. Die Klage auf Rückzahlung der 184 Euro ist zulässig (OVG [58]).
II. Die Klage ist begründet, wenn K einen Anspruch auf Erstattung hat. Anspruchsgrundlage kann § 21 I GebG sein, der ein Anwendungsfall des öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruchs ist. Danach sind zu Unrecht erhobene Kosten (Gebühren und Auslagen) zu erstatten. Zu prüfen ist das zunächst im Hinblick auf die Abschlepp- und Verwahrkosten zuzüglich der Umsatzsteuer (zur Gebühr unter III).
1. Erhoben sind Kosten, wenn sie verlangt und gezahlt worden sind. Da sich der Anspruch der K gegen S richtet, müssten die Kosten von K an S gezahlt worden sein. Unmittelbar hat K sie an A und nicht an S gezahlt. Die Zahlung erfolgte jedoch innerhalb einer Drei-Personen-Beziehung („Dreiecksverhältnis“) zwischen S, A und K. S hat, vertreten durch M1 und M2, mit A einen Werkvertrag über das Abschleppen geschlossen und schuldete daraus Zahlung des Werklohns. Hätte S diesen an A gezahlt, hätte S dessen Erstattung von K verlangt, so dass es zu einem Geldfluss von K zu S und von S zu A gekommen wäre. Statt dieses Geldflusses „über Dreieck“ hat K direkt an A gezahlt und damit zugleich die Verpflichtung der S erfüllt. Darin liegt eine Leistung der K an S.
2. Zu Unrecht gezahlt wurde der Betrag, wenn K ihn nicht schuldete. Anspruchsgrundlage für S kann § 20 II Nr. 7 VO VwVG sein. Danach hat der Vollstreckungsbetroffene (Pflichtige) Beträge zu erstatten, die die Vollstreckungsbehörde bei einer Ersatzvornahme an Beauftragte gezahlt hat.
a) Das Abschleppen eines falsch geparkten Pkw ist eine Ersatzvornahme, weil der unerlaubt Parkende zum Wegfahren verpflichtet ist, dieser Pflicht aber nicht nachkommt und stattdessen Behörde und Unternehmer das Wegfahren als vertretbare Handlung durch Abschleppen vornehmen (OVG [63]: Abschleppen eines Kraftfahrzeugs in Form der Ersatzvornahme; BVerwGE 102, 316, 318; BGH MDR 2014, 589 Rn. 6; Waldhoff JuS 2010, 92; Hong JURA 2012, 474; Kugelmann/Alberts JA 2013, 908). Dagegen handelt es sich nicht um eine Sicherstellung (so aber Möstl JURA 2011, 908). Diese würde voraussetzen, dass die Behörde die Sache in ihren Besitz bringen will, weil von Beschaffenheit der Sache eine Gefahr ausgeht (z. B. Sicherstellung eines Lkw, dessen Bremsen nicht funktionieren). Beim Abschleppen eines Falschparkers ist aber das Auto als solches nicht gefährlich, es stört nur durch seine Lage an einer bestimmten Stelle, so dass es ausreicht, es wegzubringen, ohne es sicherzustellen. Die im Landesrecht anderer Länder und in § 19 BuPolG enthaltene „unmittelbare Ausführung“ gibt es im VwVG NRW nicht. Im Übrigen bestünde, wenn eine Sicherstellung oder eine unmittelbare Ausführung angenommen würde, ebenfalls ein Anspruch auf Erstattung der Auslagen.
b) Die Ersatzvornahme als kostenauslösende Maßnahme müsste rechtmäßig gewesen sein. Denn rechtswidrige Maßnahmen sind zu unterlassen bzw. rückgängig zu machen, Auslagen oder Gebühren dürfen für sie nicht verlangt werden (OVG [63]; Poscher/Rusteberg JuS 2012, 31; vgl. § 14 II GebG NRW und § 13 I 2, III GebG des Bundes, wonach Gebühren und Auslagen, die bei richtiger Behandlung der Sache durch die Behörde nicht entstanden wären, nicht erhoben werden dürfen).
aa) Grundsätzlich ist für die Ersatzvornahme als Maßnahme des Verwaltungszwanges ein auf ein Handeln, Dulden oder Unterlassen gerichteter VA, eine Grundverfügung, als Grundlage des Zwangseinsatzes erforderlich (§ 55 I VwVG, Vollstreckung im gestreckten Verfahren). Verkehrszeichen, die ein Gebot oder Verbot enthalten, sind VAe in der Form einer Allgemeinverfügung nach § 35 S. 2 VwVfG (3. Fall), weil sie die Benutzung der öffentlichen Straße durch die Allgemeinheit regeln. Bei einem Haltverbotsschild ist anerkannt, dass ihm im Falle der Zuwiderhandlung ein Wegfahrgebot zu entnehmen ist, das Grundlage einer Ersatzvornahme sein kann (BVerwG NJW 2018, 2910 Rn. 14). Auch beim Zeichen 241 ist dem Zusatz, dass anderer Verkehr den Weg nicht benutzen darf, zu entnehmen, dass damit ein Nutzungs- und Parkverbot für Kraftfahrzeuge verbunden ist, das sich bei einer Zuwiderhandlung in ein Wegfahrgebot verwandelt (OVG [66]: …stellte das Verkehrszeichen hinsichtlich des streitgegenständlichen Parkverstoßes durch K eine vollziehbare Anordnung dar). Somit war das Verkehrszeichen eine Grundverfügung für die Vollstreckung.
Auf die Rechtmäßigkeit des Verkehrszeichens kommt es nicht an, weil lediglich die Wirksamkeit und nicht die Rechtmäßigkeit der Grundverfügung Voraussetzung für die Rechtmäßigkeit nachfolgender Vollstreckungsakte ist (BVerwGE 122, 293, 296/7). Im Übrigen bestehen keine Bedenken gegen die Rechtmäßigkeit des Verkehrszeichens. Möglicherweise ist auch die Jahresfrist des mangels einer Rechtsbehelfsbelehrung anwendbaren § 58 II VwGO abgelaufen, so dass das Verkehrszeichen unanfechtbar war.
bb) Die Vollstreckbarkeit des Verkehrszeichens ergab sich entweder daraus, dass es unanfechtbar war, oder andernfalls daraus, dass Rechtsmittel gegen Verkehrszeichen analog § 80 II Nr. 2 VwGO keine aufschiebende Wirkung haben (BVerwG NJW 2018, 2910 Rn. 14; NJW 2014, 2889 Rn. 13).
cc) Der Zwangsmitteleinsatz muss verhältnismäßig sein (§ 58 VwVG). Die Notwendigkeit des Abschleppens ergab sich aus der Behinderung der Fußgänger (z. B. mit Kinderwagen) und Radfahrer (z. B. mit Lastenrad) durch den geringen Abstand von je 1 m (OVG [67] hat eine erhebliche Behinderung bereits bei Abständen von 1,30 m angenommen). Demgegenüber wäre der Versuch, K zu erreichen, um sie zu einem Wegfahren des Autos zu bewegen, kein geeignetes milderes Mittel (OVG Hamburg NJW 2005, 2247; Waldhoff JuS 2010, 279), weil ungewiss ist, ob dieses Vorgehen alsbald Erfolg hat, und weil das Abschleppen auch eine gewisse präventive Wirkung haben soll, die aber entfällt, wenn durch eine Benachrichtigungspflicht praktisch Schutz vor dem Abschleppen gewährt wird. Nach BVerwG NJW 2014, 2888 Rn. 16 ist der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit beim Abschleppen erst verletzt, „wenn der Führer des Fahrzeugs ohne Schwierigkeiten und ohne Verzögerung festgestellt und zur Beseitigung des verbotswidrigen Parkens veranlasst werden kann“, was hier nicht ersichtlich ist. Das Abschleppen ist auch nicht unangemessen, weil einerseits die Behinderung der Radfahrer und Fußgänger erheblich ist, andererseits das Abschleppen kein intensiver Eingriff ist.
dd) Nach §§ 55 I, 59 I VwVG steht die Ersatzvornahme im Ermessen, jedoch sind Ermessensfehler (§ 114 VwGO) der anordnenden M1 und 2 nicht festzustellen.
ee) Verfahrensvoraussetzungen im gestreckten Verfahren sind Androhung des Zwangsmittels und Festsetzung (§§ 13, 14 VwVG). Beides ist im vorliegenden Fall nicht erfolgt. Von der Androhung kann abgesehen werden, wenn die Umstände sie nicht zulassen (§ 63 I 5 VwVG), was im vorliegenden Fall zutrifft, weil K nicht anwesend war. Das lässt sich analog auch auf die Festsetzung anwenden, zumal der Fall weitgehend einem sofortigen Vollzug (§ 55 II VwVG) gleicht, bei dem ebenfalls die Festsetzung entfällt (§ 64, 2 VwVG). Somit liegen keine Verfahrensfehler vor. Im Übrigen hätte eine fehlende Festsetzung die nachfolgende Anwendung der Ersatzvornahme offensichtlich nicht beeinflusst und wäre deshalb ein nach § 46 VwVfG unbeachtlicher formeller Fehler.
c) Dass die von A in Rechnung gestellten Beträge unvertretbar hoch gewesen wären, kann nicht angenommen werden, zumal die Stadt S regelmäßig mit A zusammenarbeitet und K auch keine Einwände gegen die Höhe erhebt.
3. Somit sind die Voraussetzungen des § 20 II Nr. 7 VO VwVG erfüllt. K war zur Zahlung der Auslagen verpflichtet. OVG [71] Zwar ist grundsätzlich eine Geltendmachung der Kosten durch VA geboten. Abweichend hiervon gilt jedoch für die Pflicht zum Ersatz von Auslagen im Rahmen der Ersatzvornahme, dass sie bereits mit ihrer Entstehung fällig sind… Folglich ist die Fälligkeit dieser Forderung von der vorherigen Festsetzung durch Leistungsbescheid unabhängig.
Die Auslagenzahlung durch K ist nicht zu Unrecht erfolgt. Insoweit liegen die Voraussetzungen des § 21 GebG nicht vor. K kann keine Erstattung der Abschleppkosten einschließlich der Verwahrkosten und der Umsatzsteuer verlangen.
III. Für den Anspruch auf Erstattung der Verwaltungsgebühr über 75 Euro kann ebenfalls § 21 I GebG Anspruchsgrundlage sein.
1. Die Gebühr wurde erhoben, indem MA sie im Auftrag der S gefordert, als deren Empfangsbote entgegengenommen und an S weitergeleitet hat.
2. Zu Unrecht wurde sie erhoben, wenn S die Gebührenzahlung von K nicht verlangen durfte. Nach § 15 I Nr. 7 VO VwVG schuldet ein vom Abschleppen Betroffener eine Gebühr zwischen 50 und 150 Euro.
a) Im Fall der K war ein Abschleppen erfolgt, das auch rechtmäßig war (oben B II 2). Folglich konnte S von K eine Gebühr verlangen. Die Gebührenschuld entsteht grundsätzlich mit dem Erbringen der gebührenpflichtigen Amtshandlung (§ 11 I 2 GebG), im speziellen Fall des Abschleppens auf einen Verwahrplatz bereits mit dem Beginn der Verwahrung (§ 15 II VO VwVG).
b) Jedoch wird die Gebühr erst fällig mit dem Erlass eines VA in Form eines Gebührenbescheids (insoweit anders als bei den Auslagen, oben B II 3). Im vorliegenden Fall war ein Gebührenbescheid auch deshalb erforderlich, weil bei der hier gegebenen Rahmengebühr eine behördliche Festsetzung des konkret zu zahlenden Betrages durch eine Ermessensentscheidung erfolgen musste. Die Verwendung einer Tabelle durch MA reichte nicht aus. OVG [73] Die Gebührenforderung ist zwar entstanden…, ist jedoch bis heute nicht fällig geworden, weil der Gebührenbescheid ein ScheinVA ist und eine spätere Gebührenfestsetzung nicht erfolgt ist.
c) Gleichwohl braucht S das Geld nicht zurückzuzahlen, wenn sich das aus einer analogen Anwendung des § 813 II BGB ergibt. Danach ist eine Rückforderung ausgeschlossen, wenn eine betagte Verbindlichkeit erfüllt wird.
aa) Unter § 813 II BGB fällt der auch hier gegebene Fall, dass ein Anspruch bereits entstanden, aber noch nicht fällig (betagt) ist, gleichwohl auf ihn schon eine Zahlung erfolgt ist. OVG [74] Der Zweck dieser Regelung, ein sinnloses Hin- und Herbewegen der Leistung zu vermeiden, gilt auch im Verwaltungsrecht. Deshalb ist § 813 II BGB im öffentlichen Recht grundsätzlich analog anwendbar.
bb) Dem Bedenken, dass bei einer Rahmengebühr eine Ermessensentscheidung durch VA getroffen werden musss und noch nicht ergangen ist (oben b), wird in der Weise Rechnung getragen, dass die Einbehaltung der 75 Euro durch S nicht zwingend endgültig ist. K kann, wenn sie mit der Gebühr in Höhe des - in der Mitte des Gebührenrahmens liegenden - Betrages von 75 Euro nicht einverstanden ist, von S den Erlass eines Gebührenbescheids verlangen, nach dessen Bestandskraft dann endgültig abgerechnet wird (OVG [87]). Bis dahin wirkt die Zurückhaltung der 75 Euro durch S als Sicherheitsleistung (OVG [86]).
cc) OVG [83-85] verweist noch auf die Gesetzesbegründung zum VwVG, wonach „auch bereits vor dem Erlass eines Kostenbescheides die Herausgabe der Sache von einer Sicherheitsleistung bis zur voraussichtlichen Höhe der noch festzusetzenden Kosten abhängig gemacht werden kann. Dieser Kostenbetrag wird in der Regel die tatsächlich angefallenen Abschleppkosten und die Gebühr für die Verwaltungstätigkeit umfassen… Da insbesondere nach Einlegung eines Rechtsbehelfs gegen den Kostenbescheid ein längerer Zeitraum verstreicht und in vielen Fällen eine spätere Vollstreckung erfolglos bleibt, müsste andernfalls die öffentliche Hand für die Kosten oft über Jahre hinaus in Vorlage treten und in den Fällen der Vermögenlosigkeit des Schuldners sogar endgültig die Kosten tragen, obwohl der Pkw als Pfandobjekt zur Verfügung gestanden hätte."
3. Somit steht einer Verurteilung der S zur Zahlung der 75 Euro die analoge Anwendung des § 813 II BGB entgegen (OVG [74, 87]). K kann keine Rückzahlung der als Gebühr gezahlten 75 Euro verlangen. Die Klage auf Zahlung von 184 Euro ist unbegründet.
Gesamtergebnis: Die Klage hat Erfolg, soweit sie sich gegen den ScheinVA richtet; sie hat keinen Erfolg, soweit K Erstattung von 184 Euro verlangt.
Zusammenfassung