Bearbeiter: Prof. Dieter Schmalz
► Vorläufiger Rechtsschutz im Verwaltungsprozess; Vollzugsaussetzungsverfahren, § 80 V VwGO. ► Widerruf einer Spielhallenerlaubnis wegen nachträglicher Rechtswidrigkeit nach §§ 49 VwVfG, 33 c GewO. ► Unzuverlässigkeit eines Gewerbetreibenden, § 35 GewO. ► Untersagung eines Gewerbes nach § 15 II GewO, Verhältnis zu § 35 GewO. ► Erweiterte Gewerbeuntersagung, § 35 I 2 GewO
OVG Münster Beschluss vom 30.4.2020 (4 B 1730/19) BeckRS 2020, 9270
Fall (Glücksspielerlaubnis)
Das gewerbliche Veranstalten von Glücksspielen richtet sich nach dem von den Bundesländern vereinbarten und durch Gesetz in Kraft gesetzten Glücksspielstaatsvertrag (GlüStV). Nach § 4 GlüStV dürfen Glücksspiele nur mit behördlicher Erlaubnis veranstaltet werden; nach § 24 I GlüStV gilt das insbesondere für den Betrieb von Spielhallen. § 24 III GlüStV ermächtigt die Bundesländer zu näheren Regelungen. Im Bundesland L finden sich diese im Ausführungsgesetz zum Glücksspielstaatsvertrag (AG GlüStV, künftig „AG“). Innerhalb des die Erlaubnis für Spielhallen näheren regelnden § 16 AG bestimmt § 16 II Nr. 2, dass die die Erlaubnis zu versagen ist, „wenn die in § 33 c Abs. 2 Nr. 1 oder § 33 d Abs. 3 GewerbeO genannten Voraussetzungen vorliegen.“
Die G-GmbH betreibt in der im Land L gelegenen Stadt S mit einer von der zuständigen Gewerbebehörde der Stadt S (B-Behörde) erteilten Erlaubnis eine Spielhalle. Die Finanzabteilung der Stadtverwaltung S teilt der B-Behörde mit, dass G seit mehreren Jahren die von ihr geschuldete Vergnügungssteuer in der Form der Spielautomatensteuer nicht mehr bezahlt hat; inzwischen sind Steuerschulden in Höhe von mehr als 50.000 Euro aufgelaufen. Auch die Sozialversicherungsbeiträge für die Angestellten hat G mehrfach nicht oder nicht pünktlich abgeführt. B forderte G zur Stellungnahme auf und kündigte Maßnahmen an. G erklärte, die in den Vergnügungssteuerbescheiden zugrunde gelegten Umsätze seien weit überhöht. Soweit die Steuer auf zutreffenden Umsätzen beruhe, werde sie diese in Raten abzahlen. Mit formell fehlerfreiem Bescheid vom 23.8. widerrief B die erteilte Erlaubnis, ordnete die Schließung der Spielhalle an und untersagte der G jede weitere gewerbliche Betätigung. Begründet wurde das damit, dass die hartnäckige Nichterfüllung der steuerlichen Pflichten den Schluss auf ihre gewerberechtliche Unzuverlässigkeit zulasse. Für die erweiterte Gewerbeuntersagung berief sich B auf § 35 I 2 GewO und darauf, es müsse verhindert werden, dass G durch eine anderweitige gewerbliche Betätigung sich weiterhin ihren finanziellen Verpflichtungen entziehe. Nachdem G gegen diese Verfügung verwaltungsgerichtliche Klage erhoben hat, ordnete B am 23.9. die sofortige Vollziehung der Verfügung vom 23.8. an und begründete diese damit, es könne nicht hingenommen werden, dass G bis zur Entscheidung über die Klage, möglicherweise über Jahre hinweg die öffentlichen Finanzen durch Nichterfüllung ihrer steuerlichen Pflichten schädige. G hat beim Verwaltungsgericht einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung der Verfügung vom 23.8. gestellt und damit begründet, dass sie vor einer Entscheidung über die Klage die Vernichtung ihrer wirtschaftlichen Existenz nicht hinzunehmen brauche. Wie ist über den Antrag zu entscheiden? Im Land L braucht kein Widerspruchsverfahren durchgeführt zu werden.
Lösung
Dem Antrag ist stattzugeben, wenn er zulässig und begründet ist.
A. Zulässigkeit des Antrags
I. Der Verwaltungsrechtsweg ist nach § 40 I VwGO eröffnet. Es handelt sich um eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit. Wesentlicher Gegenstand der Streitigkeit ist der Widerruf der Spielhallenerlaubnis, die sich nach den Vorschriften des GlüStV, des AG und der GewO richtet. Diese Vorschriften betreffen das Verhältnis der G zur staatlichen Gewerbeaufsichtsbehörde und sind deshalb öffentlich-rechtlicher Natur. Die Streitigkeit ist auch nichtverfassungsrechtlicher Art und keinem anderen Gericht zugewiesen.
II. Es ist die statthafte Antragsart zu bestimmen.
1. Wie sich aus dem zusätzlich zur Klage in der Hauptsache gestellten Antrag der G ergibt, begehrt diese mit der „Aussetzung der Vollziehung“ vorläufigen Rechtsschutz (auch: einstweiliger Rechtsschutz, Eilrechtsschutz).
a) Es gibt ihn im Verwaltungsprozessrecht in zwei Formen: als Vollzugsaussetzungsverfahren (§ 80 V VwGO) und als einstweilige Anordnung (§ 123 VwGO, vergleichbar mit der einstweiligen Verfügung nach §§ 935, 940 ZPO). Der Antrag der G könnte als Antrag nach dem spezielleren § 80 V VwGO (vgl. § 123 V VwGO) statthaft sein. Dessen Anwendung erfordert, wie der Zusammenhang mit § 80 I VwGO zeigt, dass ein belastender Verwaltungsakt erlassen wurde, dass also in der Hauptsache eine Anfechtungsklage statthaft ist.
b) Der Bescheid vom 23.8. enthält drei Regelungen: den Widerruf, das Schließungsgebot und die erweiterte Untersagung. Sie entsprechen den Anforderungen des VA-Begriffs nach § 35, 1 VwVfG und sind deshalb drei belastende VAe, die in dem Bescheid vom 23.8. zusammengefasst wurden. Die von G in der Hauptsache erhobene Klage ist eine Anfechtungsklage. Im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes ist § 80 V VwGO anwendbar.
2. Voraussetzung für § 80 V VwGO ist die sofortige Vollziehbarkeit des VA, d. h. die von § 80 I VwGO grundsätzlich angeordnete aufschiebende Wirkung eines Rechtsbehelfs muss ausgeschlossen sein.
a) Nach § 80 II VwGO entfällt die aufschiebende Wirkung in den Fällen des § 80 II Nr. 1 - 3 VwGO kraft Gesetzes und im Fall der Nr. 4 durch die behördliche Anordnung des sofortigen Vollzuges. § 80 V 1 VwGO bestimmt, dass das zuständige Gericht die aufschiebende Wirkung in den Fällen des Absatzes 2 Nr. 1 bis 3 anordnen und im Falle des Absatzes 2 Nr. 4 wiederherstellen kann.
b) Im vorliegenden Fall hat B den sofortigen Vollzug angeordnet (§ 80 II Nr. 4 VwGO), so dass ein Antrag auf Wiederherstellung die statthafte Antragsform ist. Folglich ist der Antrag der G „auf Aussetzung der Vollziehung“ dahin auszulegen, dass G die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der von ihr erhobenen Anfechtungsklage beantragt.
III. Folgende Zulässigkeitsvoraussetzungen der Anfechtungsklage müssen vorliegen:
1. Der Antragsteller muss über eine Antragsbefugnis analog § 42 II VwGO verfügen. G kann geltend machen, durch die Maßnahmen in ihrer Berufsfreiheit (Art. 12 I GG) verletzt zu sein.
2. Es darf kein Fristablauf eingetreten sein. Ist wegen Fristablauf für die Hauptsacheklage der VA unanfechtbar, ist der Antrag nach § 80 V nicht mehr zulässig. Die von G erhobene Klage war fristgemäß. - Demgegenüber ist der Antrag aus § 80 V VwGO nicht fristgebunden.
3. Richtiger Antragsgegner ist analog § 78 I Nr. 1 VwGO die Stadt S als Trägerin der B-Behörde.
4. Beteiligungsfähig und Beteiligte sind analog §§ 61, 63 VwGO die G-GmbH als juristische Person und Antragstellerin und die Stadt S als öffentlich-rechtliche juristische Person und Antragsgegnerin.
Der Antrag ist zulässig.
B. Begründetheit des Antrags
I. Im Fall der Anordnung des Sofortvollzugs (§ 80 II Nr. 4 VwGO) bestehen formelle Anforderungen. Zuständig für die Anordnung ist die Behörde, die den zu vollziehenden VA erlassen hat; das ist im vorliegenden Falle die B-Behörde. Eine Anhörung des Adressaten vor der Vollzugsanordnung (§ 28 VwVfG) ist nicht erforderlich, weil die Anordnung selbst kein VA ist, sondern eine Maßnahme des Verwaltungsverfahrens. Formelle Voraussetzung nach § 80 III 1 VwGO ist eine Begründung des Vollzugsinteresses. Die Rechtmäßigkeit dieser Begründung hängt nicht davon ab, ob sie richtig ist, sondern Ziel der Begründung ist, die Behörde zu einer sorgfältigen Prüfung zu veranlassen. Fehlerhaft sind deshalb formelhafte, nicht am konkreten Fall orientierte Ausführungen oder die bloße Wiederholung der Begründung des VA. Die Begründung in der Anordnung vom 23.9., es könne nicht hingenommen werden, dass G möglicherweise über Jahre hinweg die öffentlichen Finanzen durch Nichterfüllung ihrer finanziellen Pflichten schädige, bezieht sich auf den konkreten Fall der G und geht über die auf die Nichterfüllung finanzieller Verpflichtungen in der Vergangenheit abstellende Begründung des VA vom 23.8. hinaus.
II. Materielle Voraussetzungen für die Anordnung des Sofortvollzugs enthält § 80 V VwGO nicht. Nach allgemeiner Auffassung (vgl. Kopp/Schenke, VwGO, 25. Aufl. 2019, § 80 Rdnrn. 152-165) ist zwischen dem von der Behörde vertretenen öffentlichen Vollzugsinteresse und dem Aufschubinteresse des Betroffenen abzuwägen. Dabei ist die Rechtmäßigkeit des für sofort vollziehbar erklärten VA (auch: die Erfolgsaussichten der Anfechtungsklage in der Hauptsache) von wesentlicher Bedeutung. Ist der VA rechtswidrig, besteht kein überwiegendes öffentliches Vollzugsinteresse, so dass dem Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung stattzugeben ist. Ist der VA rechtmäßig, spricht das für eine Abweisung des Antrags, reicht hierfür aber nicht aus, weil zusätzlich das von § 80 II Nr. 4 VwGO geforderte überwiegende Interesse am sofortigen Vollzug bestehen muss (das gilt selbst bei offensichtlicher Rechtmäßigkeit: BVerfG NJW 2010, 2268). Fehlt das überwiegende Interesse am sofortigen Vollzug, ist der Antrag begründet; liegt es vor, ist der Antrag unbegründet. Im Vordergrund steht aber die Rechtmäßigkeit der drei Teile des Bescheids vom 23.8.
III. Widerruf der Spielhallenerlaubnis
Laut Sachverhalt ist der Bescheid vom 23.8. formell fehlerfrei ergangen. Für die materielle Rechtmäßigkeit des Widerrufs ist erforderlich, dass er auf eine Ermächtigungsgrundlage gestützt werden kann.
1. Der Versagungsgrund des § 16 II AG GlüStV ist nur anwendbar, wenn über einen Erlaubnisantrag zu entscheiden ist, die Vorschrift ist kein Widerrufsgrund für eine erteilte Erlaubnis. Es gilt nicht etwa der Grundsatz, wonach ein Versagungsgrund für einen begünstigenden VA auch ein Widerrufsgrund ist.
2. § 33 d IV GewO enthält zwar einen Widerrufsgrund. Dieser gilt aber nur für eine nach § 33 d GewO erteilte Erlaubnis. Diese betrifft die „Veranstaltung eines anderen Spiels mit Gewinnmöglichkeit“ und nicht den Betrieb einer Spielhalle. Vielmehr sind insoweit die für Spielgeräte (§ 33 c GewO) und für Spielhallen (GlüStV und AG) geltenden Vorschriften vorrangig; diese enthalten keine Widerrufsvorschriften.
4. Anwendbar ist deshalb die allgemeine Widerrufsvorschrift des § 49 VwVfG. Nach § 49 II Nr. 3 VwVfG darf ein rechtmäßiger begünstigender VA widerrufen werden, wenn die Behörde auf Grund nachträglich eingetretener Tatsachen berechtigt wäre, den VA nicht zu erlassen, und wenn ohne den Widerruf das öffentliche Interesse gefährdet würde. Die der G erteilte Spielhallenerlaubnis war rechtmäßig. Sie könnte aber i. S. des § 49 II Nr. 3 VwVfG nachträglich rechtswidrig geworden sein. Eine Berechtigung dazu, den VA nicht zu erlassen, hat die Behörde, wenn ein Versagungsgrund eintritt. Versagungsgrund im vorliegenden Fall könnte § 16 II AG i. V. mit § 33 c II Nr. 1 GewO sein. Danach ist die Spielhallenerlaubnis zu versagen, wenn der Antragsteller die für den Betrieb von Spielgeräten und einer Spielhalle erforderliche Zuverlässigkeit nicht besitzt. Zuverlässigkeit bzw. Unzuverlässigkeit ist ein Zentralbegriff des Gewerberechts, insbesondere bei Anwendung der Generalklausel des § 35 I GewO.
a) Unzuverlässig ist ein Gewerbetreibender, der nach dem Gesamteindruck seines Verhaltens nicht die Gewähr dafür bietet, dass er sein Gewerbe künftig ordnungsgemäß betreiben wird (BVerwGE 65, 1; NJW 2010, 2901; NVwZ 2015, 1545 Rdnr. 14). Anwendungsfälle der Unzuverlässigkeit ergeben sich in erster Linie aus den konkreten Anforderungen an das jeweilige Gewerbe, insbesondere sind es mangelnde Sachkunde und die Begehung von Straftaten oder Ordnungswidrigkeiten bei Ausübung des Gewerbes. Zu den Fällen gewerbeübergreifender Unzuverlässigkeit gehört die mangelnde wirtschaftliche Leistungsfähigkeit, die sich insbesondere an Steuerschulden oder der Nichtabführung von Sozialversicherungsbeiträgen zeigen kann (BVerwG NVwZ 2015, 1545 Rdnr. 14). Wer am Wirtschaftsverkehr teilnimmt, muss die Abgaben zahlen, auf die der Staat für die Erfüllung seiner Aufgaben angewiesen ist. Werden diese Pflichten über einen längeren Zeitraum und in nicht nur geringfügiger Höhe nicht erfüllt, ist daraus auf Unzuverlässigkeit zu schließen.
b) Danach ist G unzuverlässig. Bereits die seit längerem nicht gezahlten Steuern, die inzwischen in beträchtlicher Höhe auf über 50.000 Euro angewachsen sind, reichen zur Annahme einer mangelnden wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit aus. Hinzukommt, dass auch Sozialversicherungsbeiträge nicht korrekt abgeführt wurden. Dabei handelt es sich um Tatsachen, die nach Erteilung der Erlaubnis, also nachträglich eingetreten sind.
Der Einwand der G, die zugrunde gelegten Umsätze seien überhöht, ist im gewerberechtlichen Verfahren unerheblich. Die Gewerbebehörde darf von den Festsetzungen in den Steuerbescheiden ausgehen und braucht diese nicht zu überprüfen. Auch die Ankündigung der G, sie werde einen Teil der Steuern zahlen, kann die Beurteilung nicht zu ihren Gunsten verbessern. Zwar kann von der Bejahung der Unzuverlässigkeit abgesehen werden, wenn der Gewerbetreibende zahlungswillig ist und ein erfolgversprechendes Sanierungskonzept vorlegt (BVerwGE 65, 1, 4). Dafür reicht aber die Ankündigung von Ratenzahlungen nicht aus. Somit ist der Versagungsgrund des § 16 II AG i. V. mit § 33 c II Nr. 1 GewO erfüllt.
c) O hne den Widerruf würde das öffentliche Interesse gefährdet. Indem ohne den Widerruf weitere Steuerausfälle drohen, wird das Allgemeininteresse an der Finanzierung des Staates und seiner Aufgaben verletzt. Bei der Nichtabführung von Sozialabgaben kommt hinzu, dass für die Arbeitnehmer die Gefahr besteht, dass sie nicht oder nicht in der richtigen Höhe versichert sind. Somit liegen die Voraussetzungen des § 49 II Nr. 3 VwVfG vor.
d) Da nach § 49 II VwVfG der Widerruf erklärt werden „darf“, steht er im Ermessen. Der Sachverhalt enthält keine Ausführungen über Ermessenserwägungen; die Berufung der B auf die Unzuverlässigkeit betrifft die Voraussetzungen und nicht das zur Rechtsfolgeseite gehörende Ermessen. Jedoch kann der Bezeichnung des Bescheids vom 23.8. als formell fehlerfrei entnommen werden, dass der VA eine Begründung (§ 39 I VwVfG) enthält, die nach § 39 I 3 VwVfG auch Ermessenserwägungen umfasst. Anhaltspunkte dafür, dass die Begründung Ermessensfehler (§ 114 VwGO) enthält, bestehen nicht. Auch von der Einhaltung der Jahresfirst nach §§ 49 II 2, 48 IV 1 VwVfG kann ausgegangen werden. Somit ist der Widerruf rechtmäßig.
5. Wie oben II. ausgeführt wurde, reicht die Rechtmäßigkeit des VA für einen Sofortvollzug nicht aus, sondern es muss ein überwiegendes Vollzugsinteresse (§ 80 II Nr. 4 VwGO) hinzukommen. Dieses ergibt sich aus den Überlegungen oben 4 c). Ohne den Sofortvollzug würde G wegen der aufschiebenden Wirkung ihrer Klage sich weiter als Spielhallenbetreiberin betätigen, und es würden weitere Ausfälle bei den Steuern und den Sozialabgaben drohen. Der Einwand der G, sie brauche vor einer Entscheidung über die Klage die Vernichtung ihrer wirtschaftlichen Existenz nicht hinzunehmen, ist unerheblich, da G aufgrund der Verletzung ihrer finanziellen Verpflichtungen selbst für die Gefahren für ihre Existenz verantwortlich ist.
Zwischenergebnis: Der Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen den Widerruf ist nicht begründet.
IV. Die Schließungsanordnung
1. Anwendbare Ermächtigungsgrundlage ist § 15 II 1 GewO. Danach kann der Betrieb eines Gewerbes von der zuständigen Behörde verhindert werden, wenn für ein Gewerbe eine Erlaubnis erforderlich ist und das Gewerbe ohne diese Erlaubnis betrieben wird.
Zur systematischen Einordnung: Besteht ein Anlass für ein Einschreiten gegenüber einem Gewerbetreibenden, hängt die anwendbare Ermächtigung davon ab, ob das Gewerbe erlaubnispflichtig ist. Ist das Gewerbe erlaubnispflichtig und wird es ohne Erlaubnis betrieben, greift § 15 II GewO ein. Wird es mit Erlaubnis betrieben, muss erst die Erlaubnis widerrufen oder zurückgenommen werden; nach Widerruf oder Rücknahme greift ebenfalls § 15 II GewO ein (Thiel/Epping JA 2020, 691, 698). Ist das Gewerbe erlaubnisfrei, ermöglicht § 35 I GewO ein Einschreiten gegenüber einem unzuverlässigen Gewerbetreibenden. Diese Abgrenzung ergibt sich auch aus § 35 VIII 1 GewO. Da der Betrieb einer Spielhalle nach §§ 4, 24 GlüStV, 16 AG erlaubnispflichtig ist, kommt nach dem Widerruf § 15 II GewO zur Anwendung und nicht § 35 I 1 GewO.
2. Nach dem Widerruf der Erlaubnis im ersten Teil des Bescheids vom 23.8. betreibt G die Spielhalle ohne Erlaubnis. Zwischenzeitlich hatte die erhobene Anfechtungsklage zwar aufschiebende Wirkung (§ 80 I VwGO). Diese ist aber aufgrund der Anordnung des Sofortvollzugs am 23.9. entfallen.
3. Auch § 15 II GewO ist eine Ermessensvorschrift. Insoweit sind aber dieselben Erwägungen anzustellen wie oben III 4 d), zumal es sich bei dem auf die Schließung gerichteten Ermessen nach einem Widerruf der Erlaubnis um intendiertes Ermessen handelt. Die Schließungsanordnung ist rechtmäßig.
4. Das Vollzugsinteresse ist ebenso zu begründen wie unter III 5. Würde die Spielhalle nicht geschlossen, würde G sie möglicherweise weiterbetreiben und damit finanzielle Ausfälle veranlassen.
Zwischenergebnis: Der Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die Schließungsanordnung ist nicht begründet.
V. Die erweiterte Untersagung
1. Nach § 35 I 2 GewO kann die Untersagung auch auf einzelne andere oder auf alle Gewerbe erstreckt werden, soweit die festgestellten Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass der Gewerbetreibende auch für diese Tätigkeiten oder Gewerbe unzuverlässig ist (vgl. Thiel/Epping JA 2020, 701/2).
a) Allerdings spricht die Formulierung in Satz 2, wonach die „Untersagung …erstreckt werden“ darf, dafür, dass eine Untersagung nach Satz 1, also nach § 35 I 1 GewO vorliegen muss und erstreckt wird. Eine Untersagung nach § 35 I 1 GewO hat B aber nicht ausgesprochen. Sie wäre auch nicht zulässig gewesen, weil G ein erlaubnispflichtiges Gewerbe betreibt, auf das § 35 I GewO nicht anwendbar ist (§ 35 VIII; oben IV 1).
b) Möglicherweise könnte § 35 I 2 GewO auch auf Untersagungen nach Widerruf einer Erlaubnis und anschließender Anwendung des § 15 II GewO ausgedehnt werden. In Betracht kommt eine Auslegung des § 35 I 2 GewO, falls die Ausdehnung noch mit dem Wortlaut vereinbar ist, oder eine Analogie, falls sich eine Gesetzeslücke feststellen lässt. Jedoch wird in Rspr. und Lit. eine solche Ausdehnung abgelehnt; die Verfahren nach § 35 GewO und nach Widerruf/Rücknahme i. V. mit § 15 II GewO bleiben getrennt.
OVG [4-7] In der Rspr. des BVerwG ist geklärt, dass eine erweiterte Gewerbeuntersagung nach § 35 Abs. 1 Satz 2 GewO nur in Verbindung mit einer Gewerbeuntersagung nach § 35 Abs. 1 Satz 1 GewO ausgesprochen werden darf. Eine erweiterte Gewerbeuntersagung nach § 35 Abs. 1 Satz 2 GewO ist danach nur zulässig, wenn…in demselben Verfahren zumindest ein tatsächlich betriebenes Gewerbe nach § 35 Abs. 1 Satz 1 GewO untersagt wird. Diese Abhängigkeit der erweiterten Gewerbeuntersagung von der Untersagung eines tatsächlich ausgeübten Gewerbes kommt sprachlich durch die zweimalige Verwendung des Wortes „auch“ in Satz 2 des § 35 Abs. 1 GewO zum Ausdruck und wird zudem durch den historisch gewachsenen Gesetzeszweck bestätigt, in erster Linie tatsächlich ausgeübte Gewerbe zu erfassen und nur in verfahrensmäßiger Verbindung mit einer solchen Untersagung zur Vermeidung des Ausweichens in andere Gewerbe das Verbot auf erst mögliche gewerbliche Betätigungen zu erstrecken. (Vgl. BVerwG, Urteil vom 2.2.1982 – 1 C 14.78 –, Buchholz 451.20 § 35 GewO Nr. 40.) Deshalb kommt eine erweiterte Gewerbeuntersagung nach § 35 Abs. 1 Satz 2 GewO in den Fällen nicht in Betracht, in denen - wie hier - ein erlaubnispflichtiges Gewerbe betrieben und…die erforderliche Erlaubnis wegen Unzuverlässigkeit widerrufen wurde. Auch wenn die spezialgesetzliche Regelung ermöglicht, die Fortführung des Betriebs aufgrund der Unzuverlässigkeit des Gewerbetreibenden zu unterbinden, aber (lediglich) nicht die Möglichkeit vorsieht, daran anknüpfend Maßnahmen in Bezug auf andere Gewerbe oder Tätigkeiten zu treffen, ist ein Rückgriff auf § 35 Abs. 1 Satz 2 GewO ausgeschlossen und eine erweiterte Gewerbeuntersagung nicht zulässig. (Vgl. bereits OVG NRW GewArch 2017, 113; ebenso Hamb. OVG GewArch 2005, 257; Marcks, in: Landmann/Rohmer, Gewerbeordnung, 82. EL Oktober 2019, GewO § 35 Rn. 196 ff.) [12] Der Gesetzgeber hat die Gewerbeuntersagung nach § 35 GewO als Korrelat zur Gewerbefreiheit bewusst auf das zulassungsfreie Gewerbe beschränkt und die Möglichkeit einer erweiterten Gewerbeuntersagung für andere Gewerbe…ebenfalls auf diesen Bereich beschränkt, um ein im zulassungsfreien Gewerbe besonders leichtes Unterlaufen der Regelung durch ein Ausweichen auf andere Gewerbe zu verhindern.
Eine Schutzlücke entsteht dadurch nicht. Falls die Gesellschafter oder Geschäftsführer der G eine andere erlaubnispflichtige gewerbliche Tätigkeit anstreben, kann deren Zuverlässigkeit im Erlaubnisverfahren geprüft (und verneint) werden. Im Falle eines nicht erlaubnispflichtigen Gewerbes erfolgt diese Überprüfung in Anwendung des § 35 GewO.
2. Somit fehlt es im Fall der G an der für eine Anwendung des § 35 I 2 GewO erforderlichen Untersagung nach § 35 I 1 GewO. § 35 I 2 GewO greift nicht ein. Eine andere Ermächtigungsgrundlage für die erweiterte Gewerbeuntersagung ist nicht ersichtlich. Die erweiterte Untersagung ist rechtswidrig. Für sie besteht kein öffentliches Vollzugsinteresse. Insoweit ist der Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage begründet.
Gesamtergebnis: Der Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Anfechtungsklage gegen den Widerruf der Spielhallenerlaubnis und gegen die Schließung der Spielhalle wird abgelehnt. Auf den Antrag gegen die erweiterte Gewerbeuntersagung hin wird die aufschiebende Wirkung der Anfechtungsklage wieder hergestellt.
Ergänzender Hinweis: Weitgehend gleich hat OVG Münster DVBl 2020, 1287 (derselbe Senat, derselbe Tag) einen eine Gaststättenerlaubnis betreffenden Fall entschieden.
Zusammenfassung