Weihnachtsmarkt als öffentliche Einrichtung einer Kommune; Benutzungsanspruch des Bürgers. Garantie der kommunalen Selbstverwaltung, Art. 28 II 1 GG. Privatisierung im Bereich der freien Selbstverwaltungsaufgaben. Feststellungsklage, § 43 VwGO


BVerwG Urteil vom 27. 5. 2009 (8 C 10.08) DVBl 2009, 1382

Fall
(Offenbacher Weihnachtsmarkt)

In der Stadt S findet seit Jahrzehnten jeweils im Dezember ein Weihnachtsmarkt in der Fußgängerzone statt. Zu diesem gehört auch ein Rahmenprogramm, bei dem an verschiedenen Tagen der Nikolaus, eine Puppenbühne, Musikanten sowie ein Zauberer und Gaukler auftreten. Über lange Zeit hatte die Stadt den Weihnachtsmarkt selbst veranstaltet. Später beschloss der Rat der Stadt, den Weihnachtsmarkt künftig von einem Privaten veranstalten zu lassen. Nach einem Auswahlverfahren schloss die Stadt mit dem V-Verein, dessen Mitglieder schwerpunktmäßig aus Kreisen des örtlichen Einzelhandels bestanden, einen Vertrag. Dieser, vom Rat der Stadt gebilligte Vertrag bestimmt in § 1, dass der Weihnachtsmarkt von dem privaten Betreiber auf eigene Rechnung und eigenes Risiko veranstaltet wird. Der Betreiber übernimmt auch die Werbung für den Markt und erlässt eine Marktordnung. Nach § 2 erfolgt die Auswahl der Beschicker des Weihnachtsmarktes durch den Betreiber in eigener Verantwortung auf der Grundlage eines öffentlichen Bewerbungsverfahrens nach privatrechtlichen Grundsätzen und unter Ausschluss von Weisungen der Stadt. Nach § 3 bleibt die Bereitstellung der erforderlichen Erschließungs- und Versorgungseinrichtungen in der Zuständigkeit der Stadt S. Nach Vertragsschluss übertrug V, was ihm durch den Vertrag gestattet war, die Veranstaltung des Weihnachtsmarktes auf die G-GmbH. Anschließend vereinbarten die Beteiligten das Ausscheiden des V aus den Vertragsbeziehungen. Die Stadt S erteilte der G-GmbH eine Sondernutzungserlaubnis zur Durchführung des Weihnachtsmarktes auf der näher bezeichneten Fläche und innerhalb eines bestimmten Zeitraumes.

Der in S ansässige K ist Inhaber eines Standes, von dem aus er Pizza, Salat, Bratwurst und Pommes frites verkauft. Er hat mehrfach bei der Geschäftsführung der G-GmbH beantragt, zum Weihnachtsmarkt zugelassen zu werden, was die Geschäftsführung, zu der auch Personen gehören, die Imbissstände auf dem Weihnachtsmarkt betreiben, aber stets abgelehnt hat. Im ersten Jahr konnte er seine Teilnahme mit Hilfe einer gegen die G-GmbH gerichteten einstweiligen Verfügung des Landgerichts durchsetzen. Später blieben derartige Anträge ohne Erfolg. Das Verwaltungsgericht lehnte eine einstweilige Anordnung gegen die Stadt S mit der Begründung ab, der Stadt stehe die Befugnis, Standplätze zu vergeben, nicht mehr zu. K steht auf dem Standpunkt, die Stadt entziehe sich in unzulässiger Weise ihrer Verantwortung, und will diese Auffassung mit Hilfe einer verwaltungsgerichtlichen Klage durchsetzen. Er bittet um eine gutachtliche Stellungnahme zu den Erfolgsaussichten.

Die Gemeindeordnung (GO) des Landes L bestimmt in § 19: Die Gemeinde hat die Aufgabe, in den Grenzen ihrer Leistungsfähigkeit die für ihre Einwohner erforderlichen wirtschaftlichen, sozialen, sportlichen und kulturellen Einrichtungen bereit zu stellen.

§ 20: Die Einwohner der Gemeinde sind im Rahmen der bestehenden Vorschriften berechtigt, die öffentlichen Einrichtungen der Gemeinde zu benutzen, und verpflichtet, die Gemeindelasten zu tragen.

Es handelt sich entsprechend dem Originalfall um die Vorschriften der Hess. GO. Gleiches gilt aber auch in den anderen Bundesländern: Art. 21 GO Bay; § 10 GO BaWü; § 12 KVerf Bbg; § 14 KVerf MV; §§ 2, 22 GO Nds; § 8 GO NRW; § 14 GO Rh-Pf; § 19 KSVG Saarl; § 18 GO SH; §§ 2, 10 GO Sachs; §§ 2, 22 GO LSA; § 14 GO Thü.


A. Es könnte eine verwaltungsgerichtliche Klage des K gegen die Stadt S zulässig sein.

I. Hierfür müsste der Verwaltungsrechtsweg gemäß § 40 I VwGO gegeben sein.

1. Für den öffentlich-rechtlichen Charakter der Streitigkeit ist erforderlich, dass die streitentscheidende Norm zum öffentlichen Recht gehört.

a) Die Streitigkeit besteht darin, dass K gegenüber der Stadt S durchsetzen will, dass diese über seine Zulassungsanträge entscheidet. Dabei hat er noch keinen bestimmten Zulassungsantrag gestellt, sondern will diese Frage grundsätzlich und für alle zukünftigen Fälle geklärt haben.

b) Einen Anspruch auf Zulassung zu einem Markt enthält § 70 I GewO. Er hat zur Voraussetzung, dass ein Marktverkehr i. S. der §§ 64 ff. GewO stattfindet und der Markt nach § 69 GewO von der zuständigen Behörde festgesetzt worden ist (§ 69 GewO). Letzteres kann im vorliegenden Fall nicht festgestellt werden. Unabhängig davon scheidet § 70 GewO im vorliegenden Fall deshalb von vornherein aus, weil dieser Anspruch sich nur gegen den Veranstalter richtet, K aber gegen die Stadt vorgeht. Wird der Markt vom Veranstalter - wie im vorliegenden Fall - privatrechtlich durchgeführt, ist auch der Zulassungsanspruch privatrechtlicher Natur und führt nicht zum Verwaltungsrechtsweg.

c) Für den generellen Anspruch auf Zulassung zu den Weihnachtsmärkten in S durch die Stadt S kann § 20 GO Grundlage sein. K kann geltend machen, der Weihnachtsmarkt in S sei nach wie vor eine öffentliche Einrichtung, und er habe nach dieser Vorschrift einen grundsätzlichen Zulassungsanspruch, über den die Stadt S als die aus dieser Vorschrift Verpflichtete zu entscheiden habe. § 20 GO ist eine, nur die Gemeinde als öffentlich-rechtlichen Hoheitsträger verpflichtende und damit öffentlich-rechtliche Vorschrift.

2. Es handelt es sich um eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit nichtverfassungsrechtlicher Art, die auch keinem anderen Gericht zugewiesen ist. Der Verwaltungsrechtsweg ist gegeben.

II. Es ist die zulässige Klageart zu bestimmen.

1. Nach dem oben I 1a) beschriebenen Klagebegehren des K geht es diesem um eine grundsätzliche Feststellung, so dass eine Feststellungsklage gemäß § 43 VwGO in Betracht kommt. Dass die Stadt S gegenüber K zur Entscheidung über seine Zulassungsanträge zum Weihnachtsmarkt verpflichtet ist, ist ein Rechtsverhältnis, dessen Bestehen K behauptet. Im Originalfall (vgl. BVerwG Rdnr. 19) hat K beantragt festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, Entscheidungen über Zulassungsanträge von Bewerbern um einen Standplatz auf dem Offenbacher Weihnachtsmarkt selbst zu treffen.

2. Wegen der Subsidiarität der Feststellungsklage ist zu prüfen, ob eine andere, rechtsschutzintensivere Klageart eingreift.

a) Eine Anfechtungsklage könnte eingreifen, wenn die Stadt den öffentlichen Weihnachtsmarkt durch Entwidmung in einen privaten Weihnachtsmarkt verwandelt hätte; eine Entwidmung könnte ebenso wie die Widmung (§ 35, 2 Fall 2 VwVfG) als Verwaltungsakt angesehen werden. Von einer solchen Entwidmung war jedoch nicht die Rede. Einer schlüssigen Entwidmung steht entgegen, dass der Weihnachtsmarkt bestehen bleiben und weiter betrieben werden soll. Auch für eine regelnde Umwandlung eines städtischen Weihnachtsmarktes in einen privat betriebenen bestehen keine Anhaltspunkte. Ein Anfechtungsklage scheidet somit aus.

b) Eine Verpflichtungsklage wäre die richtige Klageart, wenn K eine Zulassung durch Verwaltungsakt für einen bestimmten Weihnachtsmarkt verlangen würde, was aber nicht der Fall ist. Allerdings könnte K einen solchen Antrag stellen. Dabei würde die Frage, ob die Stadt nach wie vor für den Weihnachtsmarkt zuständig ist, aber nur inzidenter geprüft. Das trägt dem Begehren des K, der in dieser Frage die Hauptfrage des Prozesses sieht, nicht genügend Rechnung.

c) Durch Leistungsklage könnte K verlangen, dass die Stadt S auf G einwirkt, damit G ihm eine Zulassung erteilt, und ihm damit eine Zulassung verschafft (Geltendmachen eines Verschaffungsanspruchs). K verlangt aber keine bloße Verschaffung, sondern will eine eigene Entscheidungsbefugnis der Stadt festgestellt haben. Somit steht die Subsidiarität der Feststellungsklage ihrer Zulässigkeit im vorliegenden Fall nicht entgegen.

3. K muss ein Feststellungsinteresse haben.

a) BVerwG Rdnr. 23: Hierzu genügt jedes nach Sachlage anzuerkennende schutzwürdige Interesse rechtlicher, wirtschaftlicher oder auch ideeller Art (st. Rspr.; vgl. nur BVerwGE 53, 134 [137]).

b) K hat ein wirtschaftliches Interesse daran, dass die Stadt über Zulassungsanträge entscheidet. Auf diese Weise kann er vermeiden, dass bei der G Personen mit über seinen Antrag befinden, die Konkurrenten von ihm und deshalb an seiner Nichtzulassung interessiert sind. In einem bei der Stadt geführten Verwaltungsverfahren könnten solche Personen wegen Befangenheit ausgeschlossen werden (§ 21 VwVfG).

Die Voraussetzungen für eine Feststellungsklage nach § 43 VwGO liegen somit vor.

III. Das BVerwG verlangt auch bei der Feststellungsklage eine Klagebefugnis analog § 42 II VwGO.

1. Rdnr. 24: Über das in § 43 Abs. 1 VwGO geforderte berechtigte Interesse an der begehrten Feststellung hinaus ist nach ständiger Rechtsprechung § 42 Abs. 2 VwGO entsprechend anzuwenden (BVerfGE 74, 1 [4]; BVerwGE 100, 262 [264]). Eine Feststellungsklage ist damit nur zulässig, wenn der Kläger geltend machen kann, in seinen Rechten verletzt zu sein, entweder weil er an dem feststellenden Rechtsverhältnis selbst beteiligt ist oder weil von dem Rechtsverhältnis eigene Rechte abhängen.

2. Im vorliegenden Fall erscheint es aber nicht offensichtlich und eindeutig nach jeder Betrachtungsweise als unmöglich, dass dem Kläger…ein Anspruch gegen die Beklagte auf Zulassung zu dem genannten Weihnachtsmarkt zustehen könnte. Bei Rechtswidrigkeit der von ihm gerügten Privatisierung kann ihm ein Anspruch auf Zulassung zur Nutzung öffentlicher Einrichtungen der Gemeinde eröffnet sein. Somit steht K die Klagebefugnis zu.

IV. Die Feststellungsklage ist gegen die Stadt S als an dem streitigen Rechtsverhältnis beteiligte Rechtsträgerin zu richten. Weitere Zulässigkeitsbedenken bestehen nicht. Eine Feststellungsklage wäre zulässig.

B. Begründet ist die Feststellungsklage, wenn die Stadt verpflichtet ist, über Zulassungsbegehren zum Weihnachtsmarkt selbst zu entscheiden. Das ist der Fall, wenn der Weihnachtsmarkt eine öffentliche Einrichtung der Gemeinde i. S. der §§ 19, 20 GO ist. Denn dann haben Bewerber wie K gegen die Stadt S einen grundsätzlichen Zulassungsanspruch aus § 20, über den die Stadt im Falle eines Antrags auf Zulassung auch entscheiden muss.

I. Ursprünglich wurde der Weihnachtsmarkt in S von der Stadt selbst betrieben und war eine öffentliche Einrichtung. Es kann davon ausgegangen werden, dass die Stadt damals auch selbst über die Zulassungen entschieden hat.

II. Daran könnte sich aber durch den mit dem V-Verein geschlossenen Vertrag, in den später die G-GmbH eingetreten ist, etwas geändert haben. Wird zunächst auf den Inhalt des Vertrages abgestellt, so ist der Weihnachtsmarkt praktisch vollständig privatisiert. Insbesondere die Möglichkeit der Stadt, auf die Zulassungen zum Markt Einfluss zu nehmen, ist ausdrücklich ausgeschlossen worden. In solchem Fall liegt keine öffentliche Einrichtung mehr vor. Im Originalfall hatte der VGH Kassel als Vorinstanz in diesem Sinne entschieden und die Klage des K abgewiesen.

III. Die Privatisierung könnte jedoch rechtswidrig und, weil sie kein Verwaltungsakt ist, deshalb unwirksam sein. Die Rechtswidrigkeit könnte sich aus einem Verstoß gegen die Garantie der kommunalen Selbstverwaltung (Art. 28 II 1 GG) ergeben.

1. Das BVerwG geht zunächst von dem herkömmlichen Gehalt dieses Rechtsinstituts aus:

a) Rdnrn. 25, 28: Gemäß Art. 28 Abs. 2 Satz 2 GG haben die Gemeinden das Recht, alle Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft im Rahmen der Gesetze in eigener Verantwortung zu regeln.

(1) Den Gemeinden ist damit durch Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG ein grundsätzlich alle Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft umfassender Aufgabenbereich zugesichert und damit auch die Befugnis zu einer eigenverantwortlichen Führung der Geschäfte in diesem Bereich (BVerfGE 79, 127 [142]; auch BVerwGE 125, 68 [72]). Die Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft sind nach ständiger Rechtsprechung diejenigen Bedürfnisse und Interessen, die in der örtlichen Gemeinschaft wurzeln oder zu ihr einen spezifischen Bezug haben.

(2) Auf die gemeindliche Aufgabenwahrnehmung bezogene inhaltliche Vorgaben des Gesetzgebers bedürfen eines rechtfertigenden Grundes, etwa um eine ordnungsgemäße Erledigung sicherzustellen. Diese Vorgaben müssen beschränkt bleiben „auf dasjenige, was der Gesetzgeber zur Wahrung des jeweiligen Gemeinwohlbelangs für erforderlich halten kann, wobei er angesichts der unterschiedlichen Ausdehnung, Einwohnerzahl und Struktur der Gemeinden typisieren darf und auch im Übrigen einen weiten Einschätzungs- und Beurteilungsspielraum hat“ (BVerfGE 83, 363 [382 f.]). Dementsprechend hat der Gesetzgeber in § 19 HGO festgelegt, dass die Gemeinde die Aufgabe hat, in den Grenzen ihrer Leistungsfähigkeit die für ihre Einwohner erforderlichen wirtschaftlichen, sozialen, sportlichen und kulturellen Einrichtungen bereitzustellen. Die Einwohner der Gemeinden sind im Rahmen der bestehenden Vorschriften berechtigt, die öffentlichen Einrichtungen der Gemeinde zu benutzen, und verpflichtet, die Gemeindelasten zu tragen, § 20 HGO. Die gesetzliche Regelung in Hessen trägt somit den Anforderungen, die sich aus Art. 28 Abs. 2 Satz 2 GG ergeben, Rechnung.

b) Mit diesem Inhalt schützt die Selbstverwaltungsgarantie zunächst die Gemeinden vor Eingriffen des Gesetzgebers und anderer staatlicher Organe, hat also Abwehrfunktion. Im vorliegenden Fall liegt ein solcher Eingriff aber nicht vor. Vielmehr haben die Organe der Stadt S freiwillig, aus eigener Entscheidung die Privatisierung des Weihnachtsmarkts beschlossen. Bisher wurde in einer solchen Privatisierung einer Aufgabe der freien Selbstverwaltung ein Gebrauchmachen vom Recht der Selbstverwaltung gesehen und kein Eingriff, der gegen die Selbstverwaltungsgarantie verstoßen könnte.

2. Die Garantie der kommunalen Selbstverwaltung könnte eine weitergehende Bedeutung haben und die Gemeinde verpflichten, eine öffentliche Einrichtung selbst weiter zu betreiben.

a) Ehlers DVBl 2009, 1456, in einer Anmerkung zu dem Urteil des BVerwG, bejaht zwar grundsätzlich, dass Kompetenznormen auch Bindungswirkung im Sinne eines Untermaßverbotes haben können. So wäre ein genereller Verzicht der Kommunen auf Schaffung öffentlicher Einrichtungen mit der Selbstverwaltungsgarantie unvereinbar. Im Übrigen gehöre es aber zum Selbstverwaltungsrecht, darüber zu entscheiden, in welchem Umfang eine Gemeinde eine freie Selbstverwaltungsaufgabe wahrnehmen wolle. Eine Privatisierung sei deshalb nicht ausgeschlossen. Auch in der Besprechung des Urteils durch Schoch DVBl 2009, 1533 ff. lehnt dieser es ab, die Selbstverwaltungsgarantie als Schranke für eine Privatisierung im Bereich freiwilliger gemeindlicher Aufgaben heranzuziehen. Durch eine andere Auffassung würde „der normative Gehalt des Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG geradezu auf den Kopf gestellt.“

b) Das BVerwG statuiert nunmehr im Grundsatz eine strengere Bindung der Kommune. Rdnr. 27: Die Gemeinden sind infolge der Selbstverwaltungsgarantie nicht nur vor Eingriffen durch den Bund und die Länder in dem Kernbestand ihres Aufgabenbereichs geschützt, sondern aus Art. 28 Abs. 1 Satz 2 GG ergibt sich auch eine Bindung der Gemeinden hinsichtlich der Aufrechterhaltung dieses Bestandes und damit die grundsätzliche Pflicht der gemeindlichen Wahrung und Sicherung ihres eigenen Aufgabenbestandes, wenn dieser in den Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft wurzelt.

c) Rdnr. 29: Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts steht es nicht im freien Ermessen einer Gemeinde, „freie Selbstverwaltungsangelegenheiten“ zu übernehmen oder sich auch zu jeder Zeit wieder dieser Aufgaben zu entledigen. Gehören Aufgaben zu den Angelegenheiten des örtlichen Wirkungskreises, darf sich die Gemeinde im Interesse einer wirksamen Wahrnehmung dieses örtlichen Wirkungskreises, der ausschließlich der Gemeinde, letztlich zum Wohle der Gemeindeangehörigen, anvertraut ist, nicht ihrer gemeinwohlorientierten Handlungsspielräume begeben. Der Gemeinde steht es damit nicht grundsätzlich zu, sich ohne Weiteres der Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft zu entledigen. Anderenfalls hätten es die Gemeinden selbst in der Hand, den Inhalt der kommunalen Selbstverwaltung durch Abstoßen oder Nichtwahrnehmung ihrer ureigenen Aufgaben auszuhöhlen. Um ein Unterlaufen des ihr anvertrauten Aufgabenbereichs zu verhindern, muss sich die Gemeinde grundsätzlich zumindest Einwirkungs- und Steuerungsmöglichkeiten vorbehalten, wenn sie die Angelegenheiten des örtlichen Wirkungskreises anderen übertragen will. Sie kann sich damit nicht ihres genuinen Verantwortungsbereichs für die Wahrnehmung ihrer Angelegenheiten des örtlichen Wirkungskreises entziehen. Will sie Dritte bei der Verwaltung bestimmter Bereiche ihres eigenen Aufgabenbereichs einschalten, die gerade das Zusammenleben und das Zusammenwohnen der Menschen in der politischen Gemeinschaft betreffen, so muss sie ihren Einflussbereich über die Entscheidung etwa über die Zulassung im Grundsatz behalten. Der Gemeinde ist es verwehrt, gewissermaßen den Inhalt der Selbstverwaltungsaufgaben selbst zu beschneiden oder an Dritte abzugeben.

3. Damit wird aber eine Privatisierung von Aufgaben der freien Selbstverwaltung nicht ausgeschlossen.

a) Das BVerwG beschreibt zunächst zwei Formen der Privatisierung, die prinzipiell nicht problematisch sind, Rdnrn. 32, 33:

(1) Die Gemeinde hat die Möglichkeit, durch die sog. „formelle Privatisierung“ bei der Veranstaltung etwa von Märkten, Messen, aber auch von Weihnachtsmärkten, die unmittelbare Veranstaltungszuständigkeit der Gemeinde einer kommunalen Eigengesellschaft zu übertragen. Die Verantwortlichkeit der Gemeinde für die Angelegenheit des örtlichen Wirkungskreises bleibt damit vollständig erhalten.

(2) Weiterhin ist der Gemeinde die Möglichkeit einer sog. „funktionellen Privatisierung“ eröffnet [auch als public private partnership bezeichnet}. Dabei kommt es zu einem Zusammenwirken von Privatrechtsträgern und der Gemeinde, etwa in Form von Betreiber- und Betriebsführungsmodellen. Die Gemeinde kann etwa einen privaten Unternehmer als Erfüllungsgehilfen im sog. Submissionsmodell mit der Durchführung der Veranstaltung in ihrem Namen betrauen. Damit bleibt die Gemeinde aber in rechtlicher Hinsicht der Veranstalter des Marktes. Ebenso kann das sog. Konzessionsmodell zugrunde gelegt werden, wonach eine öffentliche Einrichtung verpachtet werden und die Wahrnehmung an private Unternehmer weitergegeben werden kann. Hierbei ist allerdings zu beachten, dass die Rechtspflichten der Gemeinden gegenüber Beschickern, Besuchern und Dritten fortbestehen müssen. Die Gemeinde muss sich in diesem Fall jedenfalls Kontroll- und Einwirkungsrechte vorbehalten.

b) Im vorliegenden Fall ist eine (3) materielle Privatisierung erfolgt. Die Stadt S hat die Durchführung eines Weihnachtsmarkts als kommunale Aufgabe ganz aufgegeben und der Privatwirtschaft überlassen. Da es sich um keine Pflichtaufgabe handelt, kann sie dabei nicht gegen eine Pflicht zur Wahrnehmung dieser Aufgabe verstoßen haben. Es können sich aber Schranken aus Art. 28 II 1 GG ergeben.

4. Welche Schranken für die Privatisierung bestehen, macht das BVerwG von einer weiteren Unterscheidung abhängig.

a) Rdnr. 30: Geht es allein um eine wirtschaftliche Betätigung der Gemeinde, bei der von vornherein zweifelhaft sein kann, ob es sich um eine Angelegenheit der örtlichen Gemeinschaft handelt, die das Zusammenleben und Zusammenwohnen der Menschen in der politischen Gemeinschaft betrifft, so wird die Frage einer Pflicht der gemeindlichen Wahrung und Sicherung ihres eigenen Aufgabenbestandes anders zu beantworten sein, als wenn es sich um öffentliche Einrichtungen mit kulturellem, sozialen und traditionsbildenden Hintergrund handelt, die schon lange Zeit in der bisherigen kommunalen Alleinverantwortung lagen. Je länger die kommunale Verantwortung für derart geprägte öffentliche Einrichtungen dauerte, umso mehr ist die Gemeinde zu einer wirksamen Wahrnehmung dieser Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft verpflichtet. Eine Gemeinde kann sich damit nicht der Aufgabenverantwortung für die so geprägten eigenen Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft entziehen. Vielmehr obliegt ihr auch die Sicherung ihres Aufgabenbereichs, um eine wirkungsvolle Selbstverwaltung und die effektive Wahrnehmung der ureigenen Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft sicherzustellen.

b) Im vorliegenden Fall wendet sich das BVerwG gegen die Annahme des VGH, dass der Weihnachtsmarkt eine vornehmlich wirtschaftliche Aufgabe sei. Rdnrn. 34 - 36: Der Verwaltungsgerichtshof hat in diesem Zusammenhang übersehen, dass bei der Veranstaltung eines solchen Marktes keine vorrangige wirtschaftliche Betätigung einer Gemeinde vorliegt und deshalb auch die Subsidiaritätsbestimmung des Landesrechts zur Bevorzugung privater Wahrnehmung von wirtschaftlicher Tätigkeit nicht eingreift. Denn bei einem Weihnachtsmarkt mit dem umschriebenen Charakter treten die wirtschaftlichen Belange eindeutig zurück. Seine Würdigung allein aus wirtschaftlichen Gesichtspunkten verkennt das Vorliegen der sozialen, kulturellen und traditionellen, gemeinschaftsbezogenen Gemeinwohlbelange, das örtliche Zusammengehörigkeitsgefühl unter den Gemeindebürgern, die Wahrung von Tradition und religiösen und historischen ortsbezogenen Gebräuchen. Eine Reduzierung dieser gemeinwohlorientierten Belange auf eine wirtschaftliche Betätigung im Zusammenhang mit der Veranstaltung eines Weihnachtsmarktes verkennt den Begriff der Angelegenheiten des örtlichen Wirkungskreises.

Es wird zudem übersehen, dass die Gerichte seit jeher bei der Ausrichtung von traditionellen und traditionsbildenden Volksfesten und Weihnachtsmärkten den Charakter der freien Selbstverwaltungsaufgabe und der Daseinsvorsorge hervorgehoben haben (BayVGH GewArch 1988, 245). Die sozialen Gesichtspunkte wie Veranstaltung von Altennachmittagen, das Auftreten von Musikkapellen und das Bestehen von Kindernachmittagen spielen bei derartigen Veranstaltungen eine erhebliche Rolle (vgl. BayVGH, a.a.O. S. 246). Es ist auch seit langem anerkannt, dass für einen traditionsbildenden und traditionellen Weihnachtsmarkt mit kommunalpolitischer Relevanz das Besucherinteresse, vertraute und beliebte Darbietungen aus früheren Veranstaltungen wieder zu finden und den Kontakt mit den Bürgern untereinander sicherzustellen, eine wesentliche Rolle spielt (vgl. BayVGH GewArch 1980, 299).

5. In solchem Fall ergibt sich aus der Garantie der kommunalen Selbstverwaltung eine Schranke für die materielle Privatisierung, die im vorliegenden Fall zu deren Unzulässigkeit führt.

BVerwG Rdnrn. 31: Aus dem Gebot der Sicherung und Wahrung des Aufgabenbestandes der Gemeinden ergibt sich, dass eine vollständige Übertragung von Aufgaben besonderer sozialer, kultureller und traditioneller Prägung, wie ein Weihnachtsmarkt, an Dritte nicht zulässig ist. In welcher Weise die Gemeinde ihren Einflussbereich auf die Wahrnehmung für derartige Angelegenheiten des örtlichen Wirkungskreises sich vorbehält, etwa durch eine funktionale oder formelle Privatisierung ist dabei eine Frage ihres Ermessens.

Rdnr. 37: Die Entledigung von Aufgaben wie traditionsreichen, kulturellen und sozialen Weihnachtsmärkten, die zu den Angelegenheiten des örtlichen Wirkungskreises gehören, führt inhaltlich zu einer unzulässigen Selbstbeschränkung der kommunalen Selbstverwaltung. Zu Recht wird in der Literatur (vgl. Gröpl, Privatisierung von Messen, Märkten und Volksfesten, GewArch 1995, 367 [370 f.]) darauf hingewiesen, dass bei einer privaten Veranstaltung von sozial, kulturell und traditionsgeprägten Weihnachtsmärkten mit einer erhöhten Gewinnerzielung der privaten Veranstalter zu rechnen ist und deshalb die Standvergütungen von den Beschickern erhöht und auf die Besucher umgelegt werden. Ein erhöhtes Preisniveau schließt aber gerade sozial schwächere Gemeindeeinwohner vom Marktgeschehen aus, erschwert die gesellschaftliche Kommunikation im örtlichen Bereich und trägt darüber hinaus zur Kommerzialisierung des gesamten kommunalen Lebens mit bei.

Rdnr. 38: Zusammenfassend folgt somit aus Art. 28 Abs.2 Satz 2 GG auch eine Pflicht der Gemeinde zur grundsätzlichen Sicherung und Wahrung des Aufgabenbestandes, der zu den Angelegenheiten des örtlichen Wirkungskreises gehört. Zu diesem Bestand gehört auch die Veranstaltung eines traditionsbildenden und traditionellen Weihnachtsmarktes mit kommunalpolitischer Relevanz, der zugleich das Besucherinteresse an vertrauten und beliebten Darbietungen aus früheren Veranstaltungen beachtet und zur Förderung der Kontakte der Gemeindebürger untereinander beiträgt, bei dem damit soziale und kulturelle Gesichtspunkte prägend sind. Der Gemeinde ist es bei einem derartigen Aufgabenbereich verwehrt, sich der Verantwortung für die Durchführung von Veranstaltungen dieser Art endgültig zu entledigen…Wie wichtig ein derartiger neutraler, „unbefangener“, auch einen fairen Wettbewerb sichernder Einfluss des Hoheitsträgers ist, zeigt gerade der vorliegende Fall, bei dem die „Befangenheit“ der Marktveranstalter im Verhältnis zu den Marktbeschickern offensichtlich ist…

Ergebnis: Die materielle Privatisierung war wegen Verstoßes gegen Art. 28 II 1 GG rechtswidrig und unwirksam. Der Weihnachtsmarkt in S ist eine öffentliche Einrichtung der Stadt S geblieben. Die Stadt S muss deshalb über Zulassungsanträge selbst entscheiden. Die Feststellungsklage ist begründet.


Zusammenfassung