Bearbeiter: RA Prof. Dieter Schmalz
► Verfassungsbeschwerde unmittelbar gegen Gesetz, §§ 90 ff. BVerfGG. ► Art. 14 GG, Eigentumsschutz. ► Art. 12 GG, Berufsfreiheit. ► Art. 2 I GG, Allgemeine Handlungsfreiheit. ► Rechtsstaatlicher Vertrauensschutz; unechte Rückwirkung eines Steuergesetzes, das Anreiz für Investitionen war
BVerfG Beschluss vom 25. 7. 2007 (1 BvR 1031/07) DVBl 2007, 1097
Fall (Biokraftstoffbesteuerung)
Nach dem früher geltenden Mineralölsteuergesetz wurden vor allem Benzin und Diesel besteuert. Biokraftstoffe (Biodiesel, Pflanzenöl) waren nicht steuerpflichtig. Zum 1. 1. 2004 wurde in das MinöStG ein § 2a eingefügt, nach dem auch Mineralöle in dem Umfang steuerbefreit waren, als sie Biokraftstoffe enthielten; somit waren Biokraftstoffe insgesamt steuerfrei. § 2a MinöStG war zunächst bis Ende 2008, auf Grund späterer Änderung bis Ende 2009 befristet. Vorgesehen war auch ein regelmäßiger Biokraftstoffbericht, der - in Einklang mit einer EU-Richtlinie aus dem Jahre 2003 - Vorschläge für eine Anpassung der gesetzlichen Regelungen unterbreiten und dabei darauf achten sollte, dass durch die steuerliche Begünstigung der Biokraftstoffe deren höhere Kosten bei der Produktion nicht überkompensiert würden. Die gesetzliche Begünstigung der Biotreibstoffe - verstärkt durch den allgemeinen Trend, aus Gründen des Klimaschutzes und wegen knapper werdender Ölreserven zunehmend auf nachwachsende Energieträger zu setzen - veranlasste zahlreiche, insbesondere auch mittelständische Unternehmen zu Investitionen in Anlagen zur Herstellung von Biokraftstoffen und zur Entwicklung von Umrüstsystemen bei Fahrzeugen. Auch wurden zusätzliche Arbeitsplätze geschaffen und Arbeitskräfte eingestellt. Zu diesen Unternehmen gehören die 29 Firmen, die später als Beschwerdeführer (B) der Verfassungsbeschwerde auftraten. Sie schlossen langfristige Verträge mit Landwirten über den Bezug der Rohstoffe und warben Kunden an, denen sie ihre Biotreibstoffe lieferten, u. a. Bus- und Speditionsunternehmen und die öffentliche Hand.
Der 2005 erstattete Biokraftstoffbericht stellte fest, die Begünstigung der Biotreibstoffe führe zu einer Überkompensation. Auch wollte die Regierung einen Systemwechsel bei der Förderung vornehmen. Mit Wirkung zum 1. 8. 2006 wurde das MinöStG durch das Energiesteuergesetz ersetzt. Nach § 50 EnergieStG wurde die bisherige steuerliche Begünstigung der Biokraftstoffe deutlich herabgesetzt und ein weiteres Abschmelzen in Jahresschritten bis 2012 vorgesehen; auch danach bleibt aber noch ein steuerliche Besserstellung der Biokraftstoffe im Vergleich zum Mineralöl bestehen. Im (Biokraftstoff-) Quotengesetz vom 18. 12. 2006 wurde für Benzin und Diesel eine Pflicht zur Beimischung von Biotreibstoffen vorgeschrieben. Für die beigemischten Biokraftstoffe wurde keine Steuerbegünstigung mehr vorgesehen.
Die zurückgehende steuerliche Förderung führte bei B zu einem Einbruch beim Umsatz und Gewinn, der einige Unternehmen an den Rand der Insolvenz brachte; andere mussten die Produktion von Biotreibstoffen einstellen und Anlagen demontieren. Für eine Reihe ihrer Kunden waren Biotreibstoffe nicht mehr lohnend. Von der Beimischungspflicht konnten B kaum profitieren, weil die Produktion herkömmlichen Benzins und Diesel einschließlich der Beimischung in den Händen internationaler Konzerne liegt und diese ihre Vorprodukte nicht in größerem Umfang von kleineren deutschen Unternehmen beziehen. B haben gegen § 50 EnergieStG fristgemäß Verfassungsbeschwerde erhoben. Sie machen geltend, der Staat dürfe nicht durch auf Dauer berechnete Vergünstigungen Anreize zu Investitionen geben und dann nach kurzer Zeit diese Vergünstigungen wieder zurücknehmen, wodurch die Investitionen weitgehend wertlos würden. Besonders unverständlich sei, dass Flugbenzin weiterhin steuerfrei sei, während die umweltfreundlichen Biokraftstoffe nun einer Steuer unterworfen würden.
Wie ist über die VfB zu entscheiden ? Es ist davon auszugehen, dass B nicht energiesteuerpflichtig sind, sondern dass diese Pflicht ihre Abnehmer trifft.
A. Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerde (§§ 90 ff. BVerfGE)
I. Die VfB richtet sich gegen eine gesetzliche Vorschrift (§ 50 EnergieSt). Ein Gesetz ist ein Hoheitsakt, der mit der VfB angegriffen werden kann.
II. Es kann davon ausgegangen werden, dass B geltend machen, durch das weitgehende Streichen der Steuervergünstigung für Biokraftstoffe in ihren Grundrechten aus Art. 14 I, 12 I GG, subsidiär auch aus Art. 2 I GG verletzt zu sein. Durch den Vergleich mit dem Flugbenzin behaupten sie auch eine Verletzung des Art. 3 I GG.
III. Weitere Voraussetzungen ergeben sich aus der Subsidiarität der VfB.
1. Grundsätzlich muss der Rechtsweg erschöpft sein, bevor VfB erhoben werden kann (§ 90 II BVerfG). Jedoch ist bei einer gegen ein Gesetz gerichteten VfB eine Rechtswegerschöpfung nicht erforderlich, weil es gegenüber einem formellen Gesetz keinen fachgerichtlichen Rechtsweg gibt (vgl. § 93 III BVerfGG).
2. Stattdessen hat eineunmittelbar gegen ein Gesetz gerichtete VfB zur Voraussetzung, dass der Beschwerdeführer durch die angegriffene Norm selbst, gegenwärtig und unmittelbar in seinen Grundrechten betroffen ist. Dass B selbst und auch gegenwärtig betroffen sind, ist nicht zweifelhaft. Problem ist - wie meist bei Verfassungsbeschwerden gegen Gesetze - ihre unmittelbare Betroffenheit.
a) BVerfG Rdnr. 20: Wenn ein angegriffenes Gesetz zu seiner Durchführung rechtsnotwendig oder auch nur nach der tatsächlichen staatlichen Praxis einen besonderen, vom Willen der vollziehenden Stelle beeinflussten Vollziehungsakt voraussetzt, fehlt die unmittelbare Betroffenheit durch das Gesetz. Der Beschwerdeführer muss grundsätzlich den Vollziehungsakt angreifen und den insofern eröffneten Rechtsweg erschöpfen, bevor er VfB erhebt (vgl. BVerfGE 109, 279 [306]).
b) Bei Steuergesetzen bedeutet das, dass grundsätzlich der das Steuergesetz vollziehende Verwaltungsakt (Steuerbescheid) abgewartet und im Finanzrechtsweg angegriffen werden muss, bevor eine VfB zulässig ist. Im vorliegenden Fall ist aber lt. Sachverhalt davon auszugehen, dass B nicht Steuerschuldner sind (vgl. auch BVerfG Rdnr. 29 a. E.) und deshalb keinen Steuerbescheid erhalten. Sie sind deshalb durch das Gesetz unmittelbar betroffen.
IV. Die Jahresfrist für die Erhebung einer VfB gegen ein Gesetz (§ 93 III BVerfGG) haben B eingehalten. Ihre VfB ist zulässig.
B. Begründet ist die VfB, wenn B in einem ihrer Grundrechte verletzt sind.
I. B könnten in ihrem Grundrecht auf Schutz des Eigentums (Art. 14 I GG) verletzt sein.
1. Dann müsste § 50 EnergieStG einen Eingriff in den Schutzbereich dieses Grundrechts enthalten.
a) Der Schutzbereich wird durch den Begriff des Eigentums bezeichnet. Dieser ist weit zu fassen und umfasst über das Eigentum des BGB hinaus jedes vermögenswerte Privatrecht, auch öffentlich-rechtliche Positionen, wenn sie eigentumsgleich sind.
aa) B haben Eigentum im Sinne des BGB an ihren Betriebsanlagen, Grundstücken, Maschinen und Geräten. In diese wird aber dadurch, dass andere Unternehmen mit einer erhöhten Energiesteuer belastet werden und sie durch zurückgehende Nachfrage Umsatzeinbußen erfahren, nicht eingriffen. Die Befugnisse, die B hinsichtlich dieses Eigentums zustehen, werden nicht verändert. Allerdings wird der Wert dieser Gegenstände gemindert, wenn für die damit zu produzierenden Biokraftstoffe kein ausreichender Absatz mehr vorhanden ist. Eine Wertminderung bedeutet jedoch noch keinen Eingriff in das Eigentum. Die Wertminderung schmälert das Vermögen. Das Vermögen als solches wird aber nicht als Eigentum geschützt (abgesehen vom noch unten cc behandelten Ausnahmefall). Genau so wie der Bürger, wenn infolge staatlicher Maßnahmen sein Vermögen an Wert gewinnt (z. B. wenn für Autos bestimmte Filter vorgeschrieben werden und deshalb Autos, die diesen Filter haben, wertvoller werden), dafür keinen Ausgleich an den Staat zu zahlen braucht, muss er auch Wertminderungen hinnehmen.
bb) Nach BVerfGE 115, 97 [111 f.] greift eine Steuer in das Eigentum ein, wenn sie daran anknüpft, dass jemand einen bestimmten Eigentumsgegenstand erworben hat (was z. B. bei der Einkommen- und der Gewerbesteuer der Fall sein kann). Nach BVerfG Rdnr. 29 ist im vorliegenden Fall aber der Schutzbereich des Eigentumsgrundrechts nicht betroffen, soweit man den Hinzuerwerb oder Bestand des Hinzuerwordenen als geschützt ansieht (vgl. BVerfGE 115, 97 [111 f.]). Denn die Energiesteuer gehört zu den Verbrauchsteuern und erfasst weder das Hinzuerworbene noch den Hinzuerwerb. Im übrigen sind B nicht Steuerschuldner, so dass auch deshalb die Steuer nicht auf den ihnen zustehenden erworbenen Gegenständen lastet, sondern an andere Vorgänge anknüpft.
cc) BVerfG Rdnr. 26, 27: Art. 14 Abs. 1 GG schützt ausnahmsweise dann gegen die Auferlegung von Geldleistungspflichten, wenn diese den Betroffenen übermäßig belasten und seine Vermögensverhältnisse so grundlegend beeinträchtigen, dass ihnen eine erdrosselnde Wirkung zukommt (vgl. BVerfGE 78, 232 [243]; 95, 267 [300]). Dass das hier der Fall ist, kann jedoch nicht festgestellt werden. Die Bf. tragen vor, die Änderung des Energiesteuerrechts…habe zu Umsatzeinbrüchen geführt, die nicht hätten kompensiert werden können. Damit beruht die sie treffende wirtschaftliche Belastung nicht in erster Linie auf der Energiesteuerlast als solcher, sondern auf der Änderung der Marktverhältnisse, die sie auf die Neuregelung der Energiebesteuerung zurückführen. Hervor schützt das Eigentumsrecht nicht. Diese Überlegung ist allerdings angesichts dessen, dass ein Teil der Unternehmen an den Rand der Insolvenz geraten ist, nicht auf Anhieb überzeugend. Zutreffend ist jedoch, dass die Beeinträchtigungen der B darauf beruhen, dass ihre Produkte (Biokraftstoffe) nicht mehr ausreichend nachgefragt werden, dass es sich dabei um eine Änderung der Marktverhältnisse handelt und dass die Unternehmen das Risiko dafür tragen, dass die erforderliche Anpassung an geänderte Marktverhältnisse gelingt.
b) Als durch Art. 14 I GG geschütztes Eigentum könnte man auch den eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb der B ansehen und einen Eingriff in diesen in Betracht ziehen. B werden aber nicht gehindert, diesen Betrieb fortzuführen, dieses wird ihnen nicht einmal erschwert. Die Beeinträchtigung besteht darin, dass der Betrieb nicht mehr hinreichend rentabel ist. Darin sieht das BVerfG aber keinen Eingriff in den Schutzbereich des Art. 14 I. Rdnr. 25: Vielmehr fällt die Erwartung, dass ein Unternehmen auch in Zukunft rentabel betrieben werden kann, nicht in den Schutzbereich des Art. 14 Abs. 1 GG (vgl. BVerfGE 110, 274 [290]).
2. Ein Eingriff in den Schutzbereich des Art. 14 I hat sich somit nicht feststellen lassen. Art. 14 I ist nicht verletzt.
II. B könnten in ihrem Grundrecht auf Berufsfreiheit (Art. 12 I GG) verletzt sein.
1. Dieses Grundrecht steht nur Deutschen zu. Es ist davon auszugehen, dass die Betriebe, die die VfB erhoben haben, Deutsche als Inhaber haben oder Handelsgesellschaften mit dem Sitz in Deutschland sind (Art. 19 III GG).
2. Es müsste ein Eingriff in den Schutzbereich der Berufsfreiheit vorliegen.
a) B gehen einer unternehmerischen Tätigkeit zum Zwecke der Gewinnerzielung nach und üben damit einen Beruf aus. Sie fallen unter den Schutzbereich des Art. 12 I.
b) Fraglich ist, ob ein Eingriff vorliegt.
aa) Dass sich die Marktchancen für B ungünstiger gestaltet haben, ist kein Eingriff. In der Marktwirtschaft kann ein Unternehmen nicht davor geschützt sein, dass sich die Umstände am Markt und die Rahmenbedingungen für unternehmerisches Handeln ändern, auch nicht, wenn das auf staatliches Handeln zurückzuführen ist.
bb) Das BVerfG verlangt für Eingriffe in Art. 12 I grundsätzlich, dass diese (so Rdnr. 32) in einem engen Zusammenhang mit der Ausübung eines Berufs stehen und eine objektiv berufsregelnde Tendenz entfalten (vgl. …BVerfGE 98, 218 [258]; 110, 274 [288]). Dazu Rdnr. 33: § 50 EnergieStG steht nicht in einem engen Zusammenhang mit der Ausübung eines bestimmten Berufs. Vielmehr trifft die mit der Energiesteuerpflicht für Biodiesel und Pflanzenöl verbundene wirtschaftliche Belastung sämtliche Verbraucher dieser Kraftstoffe gleichermaßen, nicht nur die Bf.… Der Gesetzgeber will mit der Besteuerung der Energieträger, die nunmehr auch die Biokraftstoffe erfasst und mit der Einführung der Beimischpflicht einhergeht, nicht bestimmte Berufe, sondern den Verbrauch an Biokraftstoff generell beeinflussen und lenkt so den Markt insgesamt. Eine berufsregelnde Tendenz hat § 50 EnergieStG somit nicht.
cc) Bei einer faktisch und mittelbar wirkenden Maßnahme (z. B. der staatliche Warnung vor einem Produkt) genügt, dass die Maßnahme „als funktionales Äquivalent“ für einen Eingriff eine hohe Belastungsintensität im Hinblick auf die Wahrnehmung der Berufsfreiheit aufweist (BVerfG Rdnr. 32). Das wird vom BVerfG im Zusammenhang mit der Verneinung der berufsregelnden Tendenz (Rdnr. 33) behandelt und verneint. Die Einbeziehung der Biokraftstoffe in die allgemeine Besteuerung der Kraftstoffe hat keine besondere Belastung zur Folge, zumal wenn sie nach wie vor niedriger ist als die Besteuerung der mineralischen Kraftstoffe. Eine stärkere Belastung der B entsteht erst durch die Auswirkungen des Marktes, die aber keinen Eingriff in Art. 12 I enthalten.
3. Somit liegt auch kein Eingriff in Art. 12 I vor. Dieses Grundrecht ist nicht verletzt.
III. Da § 50 EnergieStG weder in den Schutzbereich des Art. 14 I noch in den des Art. 12 I eingreift, ist das Auffanggrundrecht des Art. 2 I GG anwendbar. Es ist weit zu verstehen und schützt als hauptsächlicher Anwendungsfall der freien Entfaltung der Persönlichkeit die allgemeine Handlungsfreiheit.
1. Ein Eingriff in den Schutzbereich liegt grundsätzlich in einer den Bürger belastenden Regelung, insbesondere in einer Belastung des Vermögens durch eine Abgabe. § 50 EnergieStG führt zu höheren Vermögensbelastungen. Zwar enthält die Vorschrift keine direkte Belastung der B, weil diese nicht Steuerschuldner sind. B werden aber mittelbar und gezielt belastet, weil dem Gesetzgeber bekannt ist, dass die Einschränkung der Steuerbegünstigung für Biokraftstoffe bei den Herstellern solcher Produkte zu Umsatz- und Gewinneinbußen führen kann. Deshalb hat er auch das Abschmelzen über 6 Jahre verteilt. Es lässt sich somit feststellen, dass § 50 EnergieStG einen Eingriff in die allgemeine Handlungsfreiheit der B enthält.
2. Eine Rechtfertigung des Eingriffs ist über die Schranke der verfassungsmäßigen Ordnung möglich. Entsprechend der weiten Fassung des Schutzbereichs wird auch diese Schranke weit im Sinne eines Gesetzesvorbehalts verstanden. Die Handlungsfreiheit kann durch jedes formell und materiell verfassungsmäßige Gesetz beschränkt werden. Ein solches Gesetz kann § 50 EnergieStG sein.
a) Gegen die formelle Verfassungsmäßigkeit des § 50 EnergieStG bestehen keine Bedenken. Die Gesetzgebungskompetenz des Bundes ergibt sich aus Art. 105 II GG, weil ihm das Aufkommen dieser Steuer als Verbrauchsteuer (Art. 106 I Nr. 2 GG; vgl. oben I 1 a bb) zusteht.
b) In materieller Hinsicht könnte § 50 EnergieStG gegen das Gebot des Vertrauensschutzes als Ausprägung des Rechtsstaatsprinzips (Art. 20 III GG) verstoßen.
aa) Der Vertrauensschutz wird näher konkretisiert in den Regeln über die Rückwirkung von Gesetzen. Unterschieden wird zwischen der echten Rückwirkung (Rückerstreckung von Rechtsfolgen) und der unechten Rückwirkung (tatbestandliche Rückanknüpfung). Eine echte Rückwirkung hat § 50 EnergieStG nicht, weil seine Regelung nicht in die Vergangenheit erstreckt wird, sondern nur für die Zukunft gilt. Eine unechte Rückwirkung liegt vor, wenn ein Gesetz auf aus der Vergangenheit stammende, noch nicht abgeschlossene Sachverhalte einwirkt und eine entstandene Rechtsposition nachträglich entwertet. Durch die Rücknahme der Steuerbegünstigung für Biokraftstoffe wirkt § 50 EnergieStG auf die in der Vergangenheit von B getroffenen und wirtschaftlich für eine längere, auch in die Zukunft wirkende Investitionsmaßnahmen ein und entwertet diese teilweise.
bb) Die unechte Rückwirkung ist jedoch weder grundsätzlich noch auch nur in der Regel unzulässig, sondern bei der Regelung von Dauersachverhalten unvermeidbar und der Normalfall. Bei ihr ist aber zwischen einem begründeten Vertrauensschutz und dem vom Gesetzgeber verfolgten, im öffentlichen Interesse liegenden Zweck abzuwägen.
(1) BVerfG Rdnr. 35, 36: Für den mit der angegriffenen Norm in Rede stehenden Bereich der Rückführung steuerlicher Vergünstigungen, die dem Bürger einen Anreiz zu einem bestimmten Verhalten geben sollen, ist in der Rspr. des BVerfG geklärt, dass solche Normen grundsätzlich eine Vertrauensgrundlage für im Hinblich darauf getätigte Investitionen schaffen. Bietet ein Steuergesetz dem Steuerpflichtigen eine Verschonungssubvention an, …schafft dieses Angebot für diese Disposition in ihrer zeitlichen Bindung eine Vertrauensgrundlage, auf die der Steuerpflichtige seine Entscheidung über das subventionsbegünstigte Verhalten stützt. Diese Dispositionsbedingungen werden damit vom Tage der Entscheidung an zu einer schutzwürdigen Vertrauensgrundlage (vgl. BVerfGE 97, 67 [80] sowie 105, 17 [40]).
Der hiermit gewährte Schutz ist aber begrenzt. BVerfG Rdnr. 37: Die Gewährung vollständigen Schutzes zugunsten des Fortbestehens der bisherigen Rechtslage würde den dem Gemeinwesen verpflichteten demokratischen Gesetzgeber in wichtigen Bereichen lähmen und den Konflikt zwischen der Verlässlichkeit der Rechtsordnung und der Notwendigkeit ihrer Änderung im Hinblick auf einen Wandel der Lebensverhältnisse in nicht mehr vertretbarer Weise zu Lasten der Anpassungsfähigkeit der Rechtsordnung lösen (vgl. BVerfGE 76, 256 [348]; 105, 17 [40]).
In dem beschriebenen Umfang liegt also eine schützenswerte Vertrauensgrundlage der B vor.
(2) BVerfG Rdnr. 50, 51: Mit der Entscheidung, die vollständige Steuerbefreiung für Biokraftstoffe auslaufen zu lassen, verfolgt der Gesetzgeber legitime Gemeinwohlziele.Er versucht, einerseits den weiteren Ausbau der Biokraftstoffe auf eine tragfähige Grundlage zu stellen und so die mit der Förderung der Biokraftstoffe verfolgten energie- und umweltpolitischen Ziele Versorgungssicherheit und Klimaschutz zu sichern, andererseits aber auch…einen Beitrag zum Subventionsabbau und damit im Hinblick auf die zu erwartenden Steuermehreinnahmen zur Konsolidierung des Bundeshaushalts zu leisten. [wird in Rdnr. 51 - 53 näher begründet]
(3) Bei der entscheidenden Abwägung stellt das BVerfG auf folgende Aspekte ab:
(a) Es vermisst unter Rdnr. 41 genauere Ausführungen darüber, welche Bf. zu welchem Zeitpunkt welche konkreten Investitionen im Vertrauen auf die Gesetzeslage getätigt haben. Das wäre aber erforderlich gewesen, weil das Maß des berechtigten Vertrauens in erheblichem Umfange von den unterschiedlichen Rahmenbedingungen des jeweiligen Teilmarkts - je nachdem ob es sich etwa um eine Ölmühle, eine Tankzapfsäule für Biokraftstoff oder um Maschinen für Kfz.-Umrüstungsteile handelt - abhängt.
(b) Das Vertrauen auf den Fortbestand der früheren Regelung war nur beschränkt schutzwürdig, weil die Materie im Fluss war: Sie wurde immer wieder geändert, war befristet und stand durch die Bezugnahme auf den Biokraftstoffbericht unter Änderungsvorbehalt (Rdnr. 45).
(c) Der wirtschaftliche Erfolg der Investitionen der B hing von zahlreichen weiteren Umständen ab, auf deren Fortbestand sie sich nicht verlassen konnten: vom Preis für Erdöl, den Einkaufspreisen für Biokraftstoffe, der Besteuerung der konkurrierenden Treibstoffprodukte und ihrem Preis, dem Umfang der gesamten Nachfrage nach Treibstoffen (Rdnr. 46, 47). Dadurch wird das Gewicht des Vertrauensschutzes erheblich gemindert.
(4) Dem verbliebenen Vertrauensschutzinteresse der B hat der Gesetzgeber durch die den Absatz von Biotreibstoffen dauerhaft sichernde Beimischungspflicht für Biotreibstoffe, eine Übergangsregelung für sechs Jahre und die verbleibende Begünstigung der nicht beigemischten Biokraftstoffe in ausreichendem Umfang Rechnung getragen (Rdnr. 53, 55, 56).
Insgesamt ergibt sich somit kein überwiegendes und deshalb verletztes Vertrauensschutzinteresse der B. § 50 EnergieStG verstößt nicht gegen Art. 2 I i. V. mit dem Rechtsstaatsprinzip.
IV. Auch Art. 3 I GG ist nicht verletzt. Das BVerfG (Rdnr. 62) begründet das u. a. mit dem unterschiedlichen Förderkonzept für Biotreibstoffe im Vergleich zum Flugbenzin. Überzeugender dürfte sein, in der vollständigen Befreiung des Flugbenzins von der Energiesteuer zwar eine ungerechtfertigte und gegen Art. 3 I verstoßende Ungleichbehandlung zu sehen. Diese darf aber nicht zum Maßstab der steuerlichen Behandlung anderer Treibstoffe, auch nicht der Biokraftstoffe, gemacht werden. Art. 3 I gibt keinen Anspruch auf eine Gleichbehandlung im Unrecht.
Gesamtergebnis: § 50 EnergieStG verletzt kein Grundrecht. Die VfB der B ist unbegründet.
Zusammenfassung