Bearbeiter: Prof. Dieter Schmalz

Kommunalverfassungsbeschwerde, Art. 93 I Nr. 4b GG. Selbstverwaltungsgarantie für die (Land-) Kreise, Art. 28 II 2 GG. Verwaltungskompetenzen im Bundesstaat, Art. 83 ff. GG. Verbot der Mischverwaltung; Ausnahmen. Unvereinbarkeitserklärung einer verfassungswidrigen Norm

BVerfG Beschluss vom 20. 12. 2007 (2 BvR 2433/04) DVBl 2008, 173

Fall (Verfassungswidrigkeit der Hartz IV-Arbeitsgemeinschaften)

Zum 1. 1. 2004 wurden Teile des Sozialgesetzbuchs (SGB) durch die sog. Hartz IV-Gesetzgebung neu geregelt. Leistungen, die zuvor von der Bundesagentur für Arbeit und von kommunalen Trägern als Sozialhilfeleistungen erbracht worden waren, wurden im SGB II „Grundsicherung für Arbeitssuchende“ zusammen gefasst. Allerdings blieben die Aufgaben und die Finanzierungspflichten getrennt. So bleibt die Zahlung des Arbeitslosengeldes II (ALG II) Aufgabe der Bundesagentur, die Zahlung von Unterkunft und Heizung Aufgabe der kommunalen Träger auf Kreisebene (Kreise und kreisfreie Städte, im folgenden nur noch: Kreise). Damit die Arbeitssuchenden aber ihre Leistungen „aus einer Hand" erhalten, hatte der Regierungsentwurf die Zuständigkeit der Arbeitsagentur, der Entwurf des Bundesrates die Zuständigkeit der Kreise vorgesehen. Im Vermittlungsausschuss kam es zu einem Kompromiss, der zu folgender Fassung des § 44b SGB II führte:

(1) Zur einheitlichen Wahrnehmung ihrer Aufgaben nach diesem Buch errichten die Träger der Leistungen nach diesem Buch durch privatrechtliche oder öffentlich-rechtliche Verträge im Bezirk jeder Agentur für Arbeit eine Arbeitsgemeinschaft...

(2) Die Geschäfte der Arbeitsgemeinschaft führt ein Geschäftsführer. Er vertritt die Arbeitsgemeinschaft außergerichtlich und gerichtlich...

(3) Die Arbeitsgemeinschaft nimmt die Aufgaben der Agentur für Arbeit als Leistungsträger nach diesem Buch wahr. Die kommunalen Träger sollen der Arbeitsgemeinschaft die Wahrnehmung ihrer Aufgaben nach diesem Buch übertragen... Die Arbeitsgemeinschaft ist berechtigt, zur Erfüllung ihrer Aufgaben Verwaltungsakte und Widerspruchsbescheide zu erlassen.

Hiergegen hat eine Reihe von Kreisen (K) formell ordnungsgemäß Verfassungsbeschwerde beim BVerfG erhoben. Wie ist darüber zu entscheiden ?

A. Zulässigkeit der VfB

Die Zulässigkeit der Kommunal-VfB richtet sich zunächst nicht nach den Regeln der Individualbeschwerde (Art. 93 I Nr. 4a GG, § 90 BVerfGG), sondern nach Art. 93 I Nr. 4b GG, § 91 BVerfGG.

I. Gegenstand der Kommunal-VfB kann nur ein Gesetz sein. Im vorliegenden Fall ist das § 44b SGB II.

II. Die Beschwerdeführer müssen Gemeinden oder Gemeindeverbände sein und geltend machen, in ihrem Recht auf Selbstverwaltung (Art. 28 II GG) verletzt zu sein. Kreise sind Gemeindeverbände. Sie können geltend machen, durch den zwangsweisen Zusammenschluss zu der Arge gemäß § 44b in ihrer durch Art. 28 II 2 garantierten eigenverantwortlichen Aufgabenerfüllung beeinträchtigt zu sein.

BVerfG Rdnr. 110, 111: Soweit die Bundesregierung meint, die Beschwerdeführer könnten schon eine Beschwer durch die Errichtung der Arbeitsgemeinschaften nicht ausreichend darlegen, weil § 44b Abs. 3 Satz 2 SGB II nur einen Appell des Gesetzgebers enthalte und die kommunalen Träger nicht verpflichte, Aufgaben zu übertragen, kann dem nicht gefolgt werden.§ 44b Abs. 3 Satz 2 SGB II enthält für den Regelfall eine Verpflichtung der kommunalen Träger, ihre Aufgaben (§ 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB II) der Arbeitsgemeinschaft zu übertragen. Die Formulierung „sollen" bedeutet in der Gesetzessprache eine den Adressaten treffende Verbindlichkeit, die Ausnahmen nur für atypische Fälle zulässt. Ermessen soll durch eine solche Regelung nicht eröffnet werden.

III. Auch bei der Kommunal-VfB wird aus der Verweisung auf „die Verfassungsbeschwerde" (§ 91, 1 BVerfGG) geschlossen, ein möglicher Rechtsweg müsse zuvor erschöpft sein. Gegen ein formelles Gesetz gibt es aber keinen Rechtsweg.

IV. Die Subsidiarität der bundesrechtlichen Kommunal-VfB gegenüber einer VfB an ein Landesverfassungsgericht (§ 91, 2 BVerfGG) steht nicht entgegen, weil diese nur bei Landesgesetzen eingreift und es sich bei § 44b SGB II hier um ein Bundesgesetz handelt, über das ein Landesverfassungsgericht keine Entscheidungskompetenz hätte.

V. Da die VfB laut Sachverhalt formell ordnungsgemäß erhoben wurde, ist sie insgesamt zulässig.

B. Begründetheit der VfB

Die Kommunal-VfB der K-Kreise ist begründet, wenn die Beschwerdeführer in ihrem Recht auf Selbstverwaltung (Art. 28 II 2 GG) verletzt sind.

I. Eine Verletzung des Selbstverwaltungsrechts durch § 44b SGB II kann zunächst dann vorliegen, wenn in dieser Vorschrift eine Aufgabenzuweisung vorgenommen wird, die dem Art. 28 II 2 widerspricht.

1. Während den Gemeinden mit der in Art. 28 II 1 enthaltenen Garantie, grundsätzlich alle Aufgaben der örtlichen Gemeinschaft wahrnehmen zu dürfen, ein eigener Aufgabenbereich gewährleistet ist, trifft das für die Gemeindeverbände, zu denen die Kreise gehören, nicht zu. Hier verweist das GG auf den „gesetzlichen Aufgabenbereich“, d. h. auf die Zuweisung von Aufgaben durch die Gesetze (BVerfG Rdnr. 116 m. Nachw.).

2. Allerdings muss den Kreisen ein Mindestbestand an Aufgaben bleiben. BVerfG Rdnr. 116: Der Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers findet eine Grenze, wo verfassungsrechtliche Gewährleistungen des Selbstverwaltungsrechts der Kreise entwertet würden. Der Gesetzgeber darf diese Gewährleistung nicht unterlaufen, indem er keine Aufgaben zuweist, die in der von der Verfassung selbst gewährten Eigenverantwortlichkeit wahrgenommen werden könnten. Der Gesetzgeber muss deshalb einen Mindestbestand an Aufgaben zuweisen, die die Kreise unter vollkommener Ausschöpfung der auch ihnen gewährten Eigenverantwortlichkeit erledigen können. Dass die Regelung des § 44b in den Mindestbestand an Aufgaben eingreifen würde, ist nicht ersichtlich.

3. BVerfG Rdnr. 118: Nicht nur ein Entzug von Aufgaben, sondern auch eine Aufgabenzuweisung kann in das Recht auf Selbstverwaltung eingreifen, wenn dadurch die Möglichkeit eingeschränkt wird, Selbstverwaltungsaufgaben wahrzunehmen, die zum verfassungsrechtlich geschützten Aufgabenbestand gehören (folgen Nachw.). Rdnr. 119: Bei Gemeinden wird die gemeindliche Selbstverwaltung bereits dadurch berührt, dass eine Aufgabenzuweisung ihnen erschwert, neue Selbstverwaltungsaufgaben zu übernehmen…Demgegenüber können sich Kreise nur unter besonderen Umständen gegen eine Aufgabenzuweisung durch den Gesetzgeber wehren. Einen Abwehranspruch gegen Veränderungen des gesetzlichen Aufgabenbestands gewährt Art. 28 Abs. 2 Satz 2 GG den Gemeindeverbänden in der Regel nicht. Rdnr. 120: Ein Eingriff in das verfassungsrechtlich garantierte Selbstverwaltungsrecht der Gemeindeverbände kann erst angenommen werden, wenn die Übertragung einer neuen Aufgabe ihre Verwaltungskapazitäten so sehr in Anspruch nimmt, dass sie nicht mehr ausreichen, um einen Mindestbestand an zugewiesenen Selbstverwaltungsaufgaben des eigenen Wirkungskreises wahrzunehmen… Dieser Tatbestand liegt hier schon deshalb nicht vor, weil lediglich die Bediensteten der Kreise, die bisher in der Kreisverwaltung Aufgaben der Sozialverwaltung wahrgenommen haben, in den Bereich der Arbeitsgemeinschaften wechseln. Neue Aufgaben werden den Kreisen durch § 44b SGB II nicht übertragen.

Somit ist eine dem Art. 28 II 2 widersprechende Aufgabenzuweisung nicht festzustellen.

II. § 44b SGB II könnte Art. 28 II 2 GG insoweit verletzen, als diese Vorschrift den Kreisen die eigenverantwortliche Aufgabenerledigung gewährleistet.

1. Hierfür ist zunächst erforderlich, dass in den Bereich eigenverantwortlicher Aufgabenerledigung eingegriffen wird.

a) BVerfG Rdnr. 144 - 146: Die in § 44b SGB II geregelte Pflicht der Kreise zur Aufgabenübertragung auf die Arbeitsgemeinschaften und die gemeinsame Aufgabenwahrnehmung in den Arbeitsgemeinschaften betrifft die Garantie der eigenverantwortlichen Aufgabenerledigung, die den Gemeindeverbänden in gleichem Umfange gewährt ist wie den Gemeinden (Art. 28 Abs. 2 Sätze 1 und 2 GG).

Das Recht zur eigenverantwortlichen Führung der Geschäfte bedeutet allgemein die Freiheit von staatlicher Reglementierung in Bezug auf die Art und Weise der Aufgabenerledigung und die Organisation der Gemeindeverwaltung einschließlich der Entscheidungen über die Aufstellung des Haushalts und die Auswahl und Verwendung des Personals (vgl. BVerfGE 83, 363 [382]; 91, 228 [245]; 107, 1 [14])… Eine Ausprägung der kommunalen Selbstverwaltungsgarantie ist die Befugnis, darüber zu befinden, ob eine bestimmte Aufgabe eigenständig oder gemeinsam mit anderen Verwaltungsträgern wahrgenommen wird und ob zu diesem Zweck gemeinsame Institutionen gegründet werden (…).

b) BVerfG Rdnr. 162: § 44b SGB II ordnet an, dass die Agenturen für Arbeit und die kommunalen Träger zur einheitlichen Wahrnehmung ihrer Aufgaben Arbeitsgemeinschaften bilden. Die Arbeitsgemeinschaften nehmen kraft Gesetzes die Aufgaben der Agentur für Arbeit als Leistungsträger wahr; die kommunalen Träger sollen ihre Aufgaben den Arbeitsgemeinschaften übertragen. Ziel der Regelung ist es danach, die Aufgaben grundsätzlich gemeinsam in den und durch die Arbeitsgemeinschaften zu vollziehen. Damit wird die nach den Ausführungen a) gewährleistete Befugnis beschränkt, darüber zu entscheiden, ob eine bestimmte Aufgabe eigenständig oder gemeinsam mit anderen Verwaltungsträgern wahrgenommen wird. Ein Eingriff in die Befugnis zu eigenverantwortlicher Aufgabenerledigung liegt somit vor.

2. Dieser Eingriff könnte aber verfassungsrechtlich gerechtfertigt sein.

a) BVerfG Rdnr. 147: Die eigenverantwortliche Aufgabenwahrnehmung wird den Gemeinden und Gemeindeverbänden jedoch nur nach Maßgabe der Gesetze gewährleistet (vgl. BVerfGE 91, 228 [236 f., 240]). Sie unterliegt normativer Prägung durch den Gesetzgeber, der sie inhaltlich ausformen und begrenzen darf (vgl. BVerfGE 91, 228 [240]). Die Übertragung der verwaltungsmäßigen Besorgung gemeindlicher Aufgaben auf einen anderen Träger begründet demnach für sich genommen noch keine Verletzung des Kernbereichs eigenverantwortlicher Aufgabenerledigung.

b) Bei den danach grundsätzlich zulässigen gesetzlichen Beschränkungen der Selbstverwaltung unterliegt der Gesetzgeber Schranken (vergleichbar mit den Schranken-Schranken bei Eingriffen in Grundrechte).

(1) Auch insoweit muss ein Kernbereich an eigenverantwortlicher Tätigkeit bleiben. Gemeinden und Kreise dürfen nicht nahezu vollständig den Weisungsbefugnissen der unmittelbaren Staatsverwaltung unterworfen werden.

(2) BVerfG Rdnr. 148: Der Gesetzgeber muss bei der Bestimmung der Reichweite der Selbstverwaltungsgarantie aber nicht nur einen Kernbereich unangetastet lassen, um den Wesensgehalt der Selbstverwaltung vor Aushöhlung zu schützen. Vielmehr hat er den verfassungsgewollten prinzipiellen Vorrang einer dezentralen, also gemeindlichen, vor einer zentral und damit staatlich determinierten Aufgabenwahrnehmung zu berücksichtigen. Inhaltliche Vorgaben bedürfen damit eines gemeinwohlorientierten rechtfertigenden Grundes…. - Hierzu unten e) bb).

(3) Der Gesetzgeber darf dabei nicht gegen Grundsätze der grundsätzlichen Kompetenzverteilung zwischen Bund und Ländern im Bereich der Verwaltung verstoßen. BVerfG Rdnr. 150: Ordnet der Gesetzgeber - wie bei den Arbeitsgemeinschaften nach § 44b SGB II - an, dass die Aufgaben gemeinsam von Bund und Gemeinden oder Gemeindeverbänden wahrgenommen werden, ist für die verfassungsrechtliche Prüfung auch entscheidend, ob die Verwaltungszuständigkeiten von Bund und Ländern gemäß Art. 83 ff. GG eingehalten sind. Überschreitet der Gesetzgeber die ihm dort gesetzten Grenzen des zulässigen Zusammenwirkens von Bundes- und Landesbehörden, führt dies gleichzeitig zu einer Verletzung der kommunalen Selbstverwaltungsgarantie in ihrer Ausprägung als Garantie eigenverantwortlicher Aufgabenwahrnehmung im Sinne des Art. 28 Abs. 2 GG. Da unter diesem Gesichtspunkt am ehesten Bedenken gegen § 44b SGB II bestehen, wird nachfolgend zunächst dieser Aspekt behandelt.

c) Die grundsätzliche Kompetenzverteilung zwischen Bund und Ländern im Bereich der Verwaltung findet sich in Art. 83 ff. GG.

aa) BVerfG Rdnr. 151: Nach diesen Vorschriften sind die Verwaltungszuständigkeiten von Bund und Ländern grundsätzlich getrennt und können selbst mit Zustimmung der Beteiligten nur in den vom Grundgesetz vorgesehenen Fällen zusammengeführt werden. Zugewiesene Zuständigkeiten sind mit eigenem Personal, eigenen Sachmitteln und eigener Organisation wahrzunehmen. Ausnahmen hiervon sind nur in seltenen Fällen und unter engen Voraussetzungen zulässig. Diese Grundsätze gelten auch für das Verhältnis von Bund und Kommunen. Die Gemeinden und Gemeindeverbände sind staatsorganisationsrechtlich und finanzverfassungsrechtlich den Ländern zugeordnet (vgl. BVerfGE 39, 96 [109]). Sie können sich zwar auf die Selbstverwaltungsgarantie in Art. 28 Abs. 2 GG stützen, bleiben jedoch hinsichtlich der grundgesetzlichen Verteilung der Verwaltungskompetenzen stets Bestandteil der Länder (…).

bb) BVerfG Rdnr. 153: Aus dem Normgefüge der Art. 83 ff. GG folgt, dass Mitplanungs-, Mitverwaltungs- und Mitentscheidungsbefugnisse gleich welcher Art im Aufgabenbereich der Länder, wenn die Verfassung dem Bund entsprechende Sachkompetenzen nicht übertragen hat, durch das Grundgesetz ausgeschlossen sind (vgl. BVerfGE 32, 145 [156]; 108, 169 [182]). Das Grundgesetz schließt, von begrenzten Ausnahmen abgesehen, auch eine sogenannte Mischverwaltung aus (vgl. BVerfGE 63, 1 [38 ff.]; 108, 169 [182] m. w. Nachw.).

cc) Sinn und Zweck dieser Trennung sind vor allem die Gebote zum Schutz der Länderkompetenzen und gegenüber den Bürgern die Notwendigkeit einer transparenten Kompetenzordnung sowie das Demokratieprinzip (Art. 20 I, II GG). BVerfG Rdnr. 158: Eine hinreichend klare Zuordnung von Verwaltungszuständigkeiten ist vor allem im Hinblick auf das Demokratieprinzip erforderlich, das eine ununterbrochene Legitimationskette vom Volk zu den mit staatlichen Aufgaben betrauten Organen und Amtswaltern fordert und auf diese Weise demokratische Verantwortlichkeit ermöglicht (vgl. BVerfGE 47, 253 [275];…93, 37 [66 f.]). Demokratische Legitimation kann in einem föderal verfassten Staat grundsätzlich nur durch das Bundes- oder Landesvolk für seinen jeweiligen Bereich vermittelt werden (…). Aus verfassungsrechtlicher Sicht ist zwar nicht die Form der demokratischen Legitimation staatlichen Handelns entscheidend, sondern deren Effektivität; notwendig ist ein bestimmtes Legitimationsniveau (vgl. BVerfGE 83, 60 [72]; 93, 37 [66 f.]). Daran fehlt es aber, wenn die Aufgaben durch Organe oder Amtswalter unter Bedingungen wahrgenommen werden, die eine klare Verantwortungszuordnung nicht ermöglichen. Der Bürger muss wissen können, wen er wofür - auch durch Vergabe oder Entzug seiner Wählerstimme - verantwortlich machen kann.

dd) § 44b SGB II enthält eine danach grundsätzlich unzulässige Mischverwaltung. BVerfG Rdnr. 163 - 165: Aus der getroffenen Regelung ergibt sich, dass es sich bei den Arbeitsgemeinschaften um eine gemeinschaftliche Einrichtung einerseits der dem Bund zuzuordnenden Agenturen für Arbeit und andererseits der kommunalen Träger handelt… Die Arbeitsgemeinschaften sollen sich nicht auf eine bloße Zusammenfassung selbständiger Einheiten beschränken, sondern die gesamten operativen Aufgaben einer hoheitlichen Leistungsverwaltung wahrnehmen (…). § 44b SGB II sieht eine selbständige, sowohl von der Sozial- als auch von der Arbeitsverwaltung getrennte Organisationseinheit vor… Die Arbeitsgemeinschaft ist nach § 44b Abs. 3 Satz 3 SGB II berechtigt, zur Erfüllung ihrer Aufgaben Verwaltungsakte und Widerspruchsbescheide zu erlassen. Die Leistungen der Grundsicherung sollen trotz geteilter Leistungsträgerschaft „aus einer Hand“ gewährt werden…

d) BVerfG Rdnr. 167: Das Grundgesetz enthält keine Vorschrift, die eine Gemeinschaftseinrichtung von Bund und Ländern zur gemeinsamen Aufgabenwahrnehmung der Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch (Zweites Buch) vorsieht. Nach der Systematik des Grundgesetzes wird der Vollzug von Bundesgesetzen entweder von den Ländern oder vom Bund, nicht hingegen zugleich von Bund und Land oder einer von beiden geschaffenen dritten Institution wahrgenommen. (Keine „3. Ebene“ im Bundesstaat des GG.)

e) Ausnahmsweise hat das BVerfG ein Zusammenwirken von Bundes- und Länderbehörden außerhalb der vom GG geregelten Fälle zugelassen. BVerfG Rdnr. 169: Eine Ausnahme von den Kompetenz- und Organisationsnormen der Art. 83 ff. GG bedarf daher eines besonderen sachlichen Grundes und kann nur hinsichtlich einer eng umgrenzten Verwaltungsmaterie in Betracht kommen.

aa) Rdnr. 170: Bei den Regelungen über die Grundsicherung für Arbeitsuchende handelt es sich nicht um eine eng umgrenzte Verwaltungsmaterie…, sondern um einen der größten Sozialverwaltungsbereiche, der einen beträchtlichen Teil der Sozialleistungen des Staates umfasst… Dieser Bereich betrifft nach seriösen Schätzungen etwa 6 bis 7 Millionen Menschen (…).

bb) Außerdem fehlt es an einem besonderen sachlichen Grund. BVerfG Rdnr. 172: Das Anliegen, die Grundsicherung für Arbeitsuchende „aus einer Hand" zu gewähren, ist zwar ein sinnvolles Regelungsziel. Dieses kann aber sowohl dadurch erreicht werden, dass der Bund für die Ausführung den Weg des Art. 87 GG wählt, als auch dadurch, dass der Gesamtvollzug nach der Grundregel des Art. 83 GG insgesamt den Ländern als eigene Angelegenheit überlassen wird. Das wird auch heute schon dort praktiziert, wo, gestützt auf § 6a SGB II, sog. „Optionskommunen“ diese Aufgabe allein wahrnehmen. Der eigentliche Grund für die Regelung, dass sich Bundesregierung und Bundesrat nicht auf ein Modell verständigen konnten, ist kein sachlicher Grund für ein Abweichen vom GG (BVerfG Rdnr. 174).

Somit bleibt es bei dem Ergebnis, dass es sich um eine unzulässige Mischverwaltung handelt, die das Selbstverwaltungsrecht der K verletzt.

3. Zusätzlich misst das BVerfG unter Rdnr. 176 - 202 die Regelung des § 44b SGB II an einzelnen Ausprägungen der Selbstverwaltungsgarantie, soweit diese die eigenverantwortliche Aufgabenwahrnehmung umfasst. Danach obliegt jedem Aufgabenträger, die Aufgaben durch eigene Verwaltungseinrichtungen, also mit einer eigenen Organisation, mit eigenen Sachmitteln und eigenem Personal wahrzunehmen.

a) Weder Kreise noch Bundesagentur verfügen innerhalb der Arbeitsgemeinschaften über eine eigenständige Organisation und sind auch nicht zu unabhängigen und eigenständigen Entscheidungen in der Lage (Rdnr. 177).

b) Die Kreise können ihre Aufgaben nicht mit eigenen Sachmitteln wahrnehmen, weil sie an die Software der Bundesagentur gebunden sind (Rdnr. 180).

c) Die Personalhoheit ist zumindest insoweit eingeschränkt, als die Geschäfte der Arge von einem Geschäftsführer geführt werden (§ 44b II) und der Kreis nicht das alleinige Recht hat, den Geschäftsführer zu berufen (Rdnr. 181).

d) Bei einer Reihe von Leistungsgewährungen müssen Bundesagentur und Kreise zusammen entscheiden, so dass auch die Finanzhoheit der Kreise nicht gewährleistet ist (Rdnr. 202).

Ergebnis: § 44b SGB II verletzt Art. 28 II 2 i. V. mit Art. 83 GG.

(Diese Entscheidung ist mit 5:3 Stimmen ergangen. Drei Mitglieder des Gerichts haben ein abweichendes Votum beigefügt, in dem sie im wesentlichen für eine verfassungskonforme Auslegung und Anwendung des § 44b plädieren.)

III. Rechtsfolge:

1. BVerfG Rdnr. 203: Verstößt eine Norm gegen das Grundgesetz, führt dies in der Regel zur Nichtigkeit der angegriffenen Norm.

2. Davon weicht das BVerfG aber ab (Rdnr. 204), wenn es aus verfassungsrechtlichen Gründen unabdingbar ist, eine verfassungswidrige Vorschrift für eine Übergangszeit fortbestehen zu lassen, damit in dieser Zeit nicht ein Zustand besteht, der von der verfassungsmäßigen Ordnung noch weiter entfernt ist als der bisherige (vgl. BVerfGE 33, 303 [347]; 61, 319 [356]; 92, 53 [73]; 111, 191 [224]). Rdnr. 206: Die durch die Grundsicherung für Arbeitsuchende gewährten Leistungen decken weite Bereiche der Sozialleistungen des Staates ab. Bei einer Nichtigerklärung könnten die Aufgaben ab sofort nicht mehr einheitlich durch die nach § 44b SGB II gegründeten Arbeitsgemeinschaften wahrgenommen werden. Hiervon wären eine hohe Zahl von Leistungsempfängern und die Mitarbeiter in den Arbeitsgemeinschaften betroffen. Ohne eine hinreichende Übergangszeit ist es nicht möglich, eine geordnete Sozialverwaltung sicherzustellen.

In solchem Fall erklärt das BVerfG die verfassungswidrige lediglich für unvereinbar mit dem GG und verpflichtet den Gesetzgeber zu einer verfassungsmäßigen Neuregelung. Das BVerfG hat deshalb entschieden: § 44b SGB II ist mit Art. 28 II 2 i. V. mit Art. 83 GG unvereinbar. Die Vorschrift bleibt bis zum 31. Dezember 2010 anwendbar, wenn der Gesetzgeber nicht zuvor eine andere Regelung trifft.

Zusammenfassung