Bearbeiter: Prof. Dieter Schmalz

Abfallrecht. Haushaltsabfälle; Überlassungspflicht an den öffentlichen Entsorgungsträger (§ 13 I 1 KrW-/AbfG); Benutzungszwang bei der kommunalen Müllabfuhr. Bereitstellen und Überlassen des Abfalls. Zusätzliches Sortieren des Hausmülls

 BVerwG Urteil vom 13. 12. 2007 (7 C 42.07) DVBl 2008, 317

Fall (Nachsortieren von Hausmüll)

Die in der Stadt S im Lande L ansässige W-GmbH ist ein Wohnungsunternehmen mit einem großen Mietwohnungsbestand. An den Eingängen der Wohnblocks hat sie Behälter für Biomüll, Glas, Papier, Verkaufsverpackungen und Restmüll aufgestellt. Die Bewohner sortieren den Abfall jedoch nicht durchweg richtig, so dass immer wieder nicht unerhebliche Mengen verwertbaren Abfalls in den Restmüll gelangen. Da in S die Höhe der Abfallgebühren von der Menge des Restmülls abhängt, sind durch die Fehlwürfe die auf W und ihre Mieter entfallenden Gebühren erheblich gestiegen. W hat deshalb mit der Firma K, der späteren Klägerin, einen Vertrag geschlossen, wonach K eine Sichtkontrolle des Restmülls vornehmen lässt, noch verwertbares Material entnimmt und in die für die Aufnahme von Wertstoffen bestimmten Behälter sortiert, wo sie der Verwertung zugeführt werden.

Die Stadt S unterhält eine Müllverbrennungsanlage (MVA) mit einer großen Kapazität und hohen Fixkosten und sieht durch die Verminderung des Restmülls die Auslastung ihrer Anlage als gefährdet an. Sie richtet als hierfür zuständige Abfallwirtschaftsbehörde eine Verfügung an K, wonach K das Nachsortieren des Restabfalls untersagt wird. Sie stützt sich auf Vorschriften des Landes-Abfallgesetzes, wonach bei Hausmüll eine Verpflichtung zur Nutzung der kommunalen Müllabfuhr besteht und dieser Benutzungszwang durch Verfügung durchgesetzt werden kann. Daraus folge, dass Abfall, der sich in einem Restmüllbehälter befindet, von der städtischen Müllabfuhr entsorgt werden müsse. Auch sei das Nachsortieren eine Abfallbehandlung, die nur in einer zugelassenen Anlage und nicht auf privaten Grundstücken vorgenommen werden dürfe. Die Abfallsatzung der Stadt S bestimme ausdrücklich, dass der in Sammelbehältern befindliche Abfall von Unbefugten nicht sortiert werden dürfe. Gegen diese Verfügung hat K in zulässiger Weise Anfechtungsklage erhoben. Ist die Klage begründet ?

I. Die Begründetheit der Anfechtungsklage hängt in erster Linie davon ab, ob die Verfügung der Stadt S rechtswidrig ist (§ 113 I 1 VwGO). Formelle Bedenken gegenüber der Verfügung bestehen nicht; insbesondere war die Stadt S zu ihrem Erlass zuständig. In materieller Hinsicht ist davon auszugehen, dass das LAbfG eine Vorschrift enthält, wonach der bei Hausmüll bestehende Benutzungszwang durch VA durchgesetzt werden kann. Entscheidende Frage ist deshalb, ob der Benutzungszwang sich auf den gesamten Abfall erstreckt, der einmal in den Restmüllbehälter gelangt ist, und auch den Teil erfasst, der von K aussortiert wird.

II. Die Grundlagen für die Abfallentsorgung ergeben sich aus dem Bundes-Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetz (KrW-/AbfG).

1. BVerwG Rdnr. 8: Erzeuger oder Besitzer von Abfällen aus privaten Haushaltungen sind verpflichtet, diese den öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträgern zu überlassen, soweit sie zu einer Verwertung nicht in der Lage sind oder diese nicht beabsichtigen (§ 13 Abs. 1 Satz 1 KrW-/AbfG). Erzeuger des Hausmülls sind die Haushalte, Besitzerin ist W. Weder die Haushalte noch W sind selbst in der Lage, den nicht getrennt gesammelten restlichen Hausmüll zu verwerten. Der „Soweit-Satz“ des § 13 I 1 KrW-/AbfG kommt hier also nicht zur Anwendung, es bleibt die grundsätzliche Überlassungspflicht. Diese wird vom BVerwG wie folgt beschrieben, Rdnr. 8: Abfälle werden dadurch überlassen, dass der bisherige Abfallbesitzer sie dem öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträger zur Übernahme des Abfallbesitzes tatsächlich zur Verfügung stellt (…). Dabei setzt „Überlassen“ voraus, dass der Abfallbesitzer die Abfälle zusammentragen und entsprechend den maßgebenden satzungsrechtlichen Bestimmungen so zur Verfügung stellen muss, dass der Entsorgungspflichtige sie ohne weiteren Aufwand einsammeln kann (…). Mit der Inbesitznahme der Abfälle durch den öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträger wird die Überlassung bewirkt (…).

2. Anschließend ordnet das BVerwG die hier streitige Tätigkeit der K in den Gesamtzusammenhang der Abfallentsorgung ein, um danach über deren Zulässigkeit zu entscheiden.

a) Rdnr. 9: Nach dem KrW-/AbfG ist der Vorgang des Überlassens von Abfällen eine von mehreren Entsorgungshandlungen, insbesondere ist er vom Bereitstellen, Einsammeln und Befördern zu unterscheiden (vgl. § 4 Abs. 5 und § 10 Abs. 2 Satz 1 KrW-/AbfG). Wie das BVerwG bereits für das Abfallbeseitigungsgesetz 1972 und das Abfallgesetz 1986 entschieden hatte, geht der Überlassungsvorgang dem Einsammeln und Befördern voraus (BVerwGE 67, 8 [11]…); daran hat das Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetz nichts geändert (…).

b) Also lassen sich sieben abfallrechtlich relevante Vorgänge unterscheiden: ● Entstehen des Abfalls = Anfall des Abfalls. ● Bereitstellen durch den Erzeuger oder Besitzer (gefüllte Mülltonnen rausstellen). ● Überlassen an den und ● Einsammeln durch den Entsorgungsträger (Müllabfuhr holt ab). ● Befördern des Abfalls. ● Behandeln (z. B. in einer mechanisch-biologischen Anlage). ● Verwerten oder beseitigen (z. B. in einer MVA, Schlacke auf die Deponie).

c) Das von K im Auftrag der W vorgenommene Nachsortieren ordnet das BVerwG der Phase des Bereitstellens zu. Rdnr. 9: Von einem Bereitstellen ist auszugehen, wenn der Abfallerzeuger oder Abfallbesitzer bewegliche Sachen in Entledigungsabsicht absondert, für eine Abholung kennzeichnet oder in zur Abholung bestimmte Behältnisse eingibt (Kunig, in:

Kunig/Paetow/Versteyl, KrW-/AbfG, 2. Aufl. 2003, § 4 Rdnr. 46 und § 10 dnr. 12). Rdnr. 10: Die Auffassung der Stadt S, dass die Überlassung bereits durch Eingeben der Abfälle in den Sammelbehälter bewirkt werde, missversteht den Begriff des Überlassens i.S.d. § 4 Abs. 5 und § 10 Abs. 2 Satz 1 KrW-/AbfG. Vielmehr fällt das Nachsortieren noch in die Phase des Bereitstellens.

d) Ordnet man das Nachsortieren dem Bereitstellen zu, so geht es dem Vorgang des Überlassens voran und ist selbst noch kein Überlassen. Durch das Nachsortieren vermindert sich der bereitgestellte Müll, so dass nur eine verminderte Müllmenge überlassen werden muss. Da das aussortierte Material im Zeitpunkt des Überlassens kein Restmüll mehr ist, braucht es auch nicht der kommunalen Müllabfuhr überlassen zu werden. W und K verstoßen folglich nicht gegen die Überlassungspflicht. BVerwG Rdnr. 14: Vor Abholung der Abfallbehälter zur Entleerung darf die Grundstückseigentümerin als Abfallbesitzerin in den Abfallbehälter gegebene…Abfälle…wieder entnehmen, um sie der ordnungsgemäßen Entsorgung zuzuführen. Wenn der Abfallbesitzer selbst oder ein von ihm beauftragter Dritter vor diesem Zeitpunkt werthaltige Abfälle aus dem Restabfallbehälter aussortiert und in den für werthaltige Abfälle bestimmten Behälter eingibt, verstößt das nicht gegen seine Überlassungspflicht… Das Nachsortieren findet noch im Rahmen der Phase des Bereitstellens statt, dessen Qualität durch die Sortiermaßnahmen verbessert werden kann. Das gilt auch für Verkaufsverpackungen oder sonstige nicht überlassungspflichtige Abfälle, die der Abfallbesitzer im Restabfallbehälter bereitgestellt hat. Da diese Abfälle nur einer Rücknahmepflicht des Systembetreibers, aber keiner Pflicht zur Rückgabe an diesen unterliegen, teilen sie das abfallrechtliche Schicksal der überlassungspflichtigen Abfälle, sobald sie in den Restabfallbehälter eingegeben worden sind.

3. BVerwG Rdnr. 15: Ein Nachsortieren der Abfälle zum Zweck ihrer verbesserten Bereitstellung ist auch keine unzulässige Abfallbehandlung. Sortiermaßnahmen vor Überlassung der Abfälle sind Vorbereitungshandlungen, die der Phase des Bereitstellens zuzuordnen sind. Mit dieser Funktion lösen sie regelmäßig nicht den Anlagenbenutzungszwang für die Beseitigung von Abfällen aus (§ 27 Abs. 1 Satz 1 KrW-/AbfG). Das gilt unabhängig davon, dass sich die Grundpflichten der Abfallerzeuger oder Abfallbesitzer (§§ 5 und 11 KrW-/AbfG), die eine Verwertung nicht beabsichtigen oder hierzu nicht in der Lage sind, bei Haushaltsabfällen in eine Überlassungspflicht verwandeln.

4. Die Bestimmung in der kommunalen Satzung, auf die S sich beruft, verbietet nur ein Sortieren durch Unbefugte. Wie sich aus den vorgehenden Überlegungen ergibt, handeln Abfallerzeuger und -besitzer nicht unbefugt, wenn sie in der Phase des Bereitstellens des Mülls diesen um die noch verwertbaren Materialien vermindern, sondern entsprechen einer Grundpflicht des Abfallrechts, Abfälle, die nicht vermieden werden können, zu verwerten und ihre Beseitigung zu verhindern (§ 4 I Nr. 2 KrW-/AbfG).

K und W verstoßen somit nicht gegen die abfallrechtliche Überlassungspflicht. Die Verfügung ist rechtswidrig.

III. Die Verfügung verletzt K auch in ihrem Recht auf ungestörte Berufstätigkeit (Art. 12 I GG), so dass die Anfechtungsklage gemäß § 113 I 1 VwGO begründet ist.

Zusammenfassung