Bearbeiter: Prof. Dieter Schmalz

Rücknahme von Verwaltungsakten nach § 48 VwVfG, speziell von VAen, die als sonstige VAe unter § 48 III VwVfG fallen. Anspruch auf Ausgleich eines Vermögensnachteils nach § 48 III. Ermessenserwägungen bei der Rücknahme, § 48 I 1, III. Bestehen und Bedeutung von Vertrauensschutz bei § 48 III; Abwägung mit dem öffentlichen Interesse. Verantwortung der zuständigen Behörde auch für Verwaltungshelfer. Mitverschulden

BVerwG
Urteil vom 28. 1. 2010 (3 C 17.09) DVBl 2010, 647

Fall
(Falsche BSE-Bescheinigungen)

Die bundesrechtliche BSE-Untersuchungsverordnung, die auf EU-Recht basiert, schreibt für Schlachtrinder einen Pflichttest und eine darüber ausgestellte behördliche Bescheinigung vor. Ohne diese „Genusstauglichkeitsbescheinigung“ darf das Fleisch eines Rindes nicht in den Verkehr gebracht werden. Der Test muss in einem hierfür amtlich zugelassenen Labor vorgenommen werden.

Die K-GmbH betreibt in der im Lande L gelegenen Stadt S einen Schlachthof. Nach landesrechtlicher Vorschrift liegt die Zuständigkeit für die Ausstellung der Genusstauglichkeitsbescheinigungen im Gebiet der Stadt S bei der Stadtverwaltung der Stadt S - Veterinäramt -. K hatte schon vor Einführung der Pflichttests freiwillige Tests bei der Firma M, die in S ein amtlich zugelassenes Labor betreibt, vornehmen lassen. Mit Zustimmung des Veterinäramtes der Stadt S wurde diese Praxis nach Einführung der Pflichttests fortgeführt. Inzwischen ließ M aber das Fleisch der K in einem Zweitlabor in W testen, für das keine amtliche Zulassung vorlag. K wusste von den Tests in W, hatte sich bei M erkundigt und die Auskunft erhalten, die nötigen Schritte für die amtliche Zulassung seien eingeleitet, die Tests in W seien unbedenklich. Das Veterinäramt der Stadt S hatte zunächst keine Kenntnis davon, dass das Labor in W nicht zugelassen war, und stellte auch für das in W getestete Fleisch wie bisher die geforderten Bescheinigungen aus. Als es davon erfuhr, dass die Tests in dem nicht zugelassenen Labor in W vorgenommen worden waren, nahm die Stadtverwaltung S - Veterinäramt - nach Anhörung der K sämtliche Genusstauglichkeitsbescheinigungen, die auf Tests in W beruhten, zurück, ordnete die sofortige Vollziehung an und wies K darauf hin, dass das Fleisch, weil dafür keine gültigen Bescheinigungen mehr vorliegen, nicht in den Verkehr gebracht werden darf. Die Rücknahme begründete das Veterinäramt mit den Gesundheitsrisiken, die durch nicht ordnungsgemäß getestetes Fleisch ausgelöst würden, und mit dem Recht der Verbraucher auf eine fehlerfreie Kontrolle; diese Gründe seien hinreichend gewichtig.

K hat vor dem Verwaltungsgericht formell ordnungsgemäß Klage erhoben und beantragt, den Rücknahmebescheid aufzuheben. Hilfsweise verlangt er Ersatz des Schadens, der ihm dadurch entstanden ist, dass er eine größere Menge Rindfleisch infolge der Rücknahme nicht habe vermarkten können. Die Stadt S hat den Antrag der K auf Entschädigung mit der Begründung abgelehnt, die Rücknahme sei rechtmäßig gewesen, auch liege die Verantwortlichkeit für die fehlerhaften Bescheinigungen bei K und M. Wie ist über die Klage zu entscheiden ?

Zusätzliche Hinweise: Im Lande L ist ein Widerspruchsverfahren durch Landesgesetz für nicht mehr erforderlich erklärt. - Das VwVfG des Landes L ist, soweit es für den Fall bedeutsam ist, gleichlautend mit dem VwVfG des Bundes. Da der Originalfall in Bayern spielte, wendet das BVerwG das BayVwVfG an, das die einzelnen Vorschriften als „Artikel“ bezeichnet; sie werden in der Falllösung durch „§§“ des BVwVfG ersetzt, auch in den Originalzitaten.

1. Teil. Entscheidung über den Hauptantrag auf Aufhebung des Rücknahmebescheids

A. Zulässigkeit dieses Klageantrags

I.
Die Zulässigkeit des Verwaltungsrechtswegs hat nach § 40 I VwGO zur Voraussetzung, dass eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit vorliegt. Die Streitigkeit im vorliegenden Fall wird dadurch geprägt, dass die Behörde der beklagten Stadt die Genusstauglichkeitsbescheinigungen mit der Begründung zurückgenommen hat, dass sie gegen die BSE-Untersuchungsverordnung verstoßen. Diese VO gehört zum öffentlich-rechtlich geregelten Lebensmittelrecht und begründet den öffentlich-rechtlichen Charakter der Streitigkeit. Der Verwaltungsrechtsweg ist zulässig.

II. Der Klageart nach handelt es sich um eine Anfechtungsklage (§ 42 I VwGO). Die Genusstauglichkeitsbescheinigung hat Genehmigungscharakter und regelt, dass eine bestimmte Charge Fleisch in den Verkehr gebracht werden darf, ist somit ein Verwaltungsakt i. S. des § 35, 1 VwVfG. Folglich ist auch dessen mit der Klage angegriffene Rücknahme - als actus contrarius - ein VA.

III. Die Klagebefugnis (§ 42 II VwGO) der K folgt daraus, dass K geltend macht, durch die Rücknahme in der Ausübung ihres Berufs und damit in Art. 12 I GG verletzt zu sein.

IV. Das nach § 68 I 1 VwGO grundsätzlich vorgeschriebene Widerspruchsverfahren ist im Lande L nicht mehr erforderlich.(§ 68 I 2 1. Alt. VwGO).

V. Da weitere Bedenken gegen die Zulässigkeit des Hauptantrags nicht ersichtlich sind, ist dieser zulässig.

B. Für die Begründetheit dieses Klageantrags ist erforderlich, dass der Rücknahmebescheid rechtswidrig ist (§ 113 I 1 VwGO).

I. Anwendbare Ermächtigungsgrundlage für den Rücknahmebescheid ist, da eine Spezialregelung nicht ersichtlich ist, § 48 I 1 VwVfG.

II. Formelle Fehler der Rücknahme liegen nicht vor: Es hat die Stadtverwaltung S als zuständige Behörde gehandelt. K wurde angehört (§ 28 I VwVfG). Offensichtlich wurde die Rücknahme auch gemäß § 39 I VwVfG begründet.

III. In materieller Hinsicht ist eine Rücknahme nur rechtmäßig, wenn die Voraussetzungen des § 48 I 1 VwVfG vorliegen. Voraussetzungen sind, dass ein VA erlassen wurde, der rechtswidrig ist.

1. VAe im vorliegenden Fall sind die Genusstauglichkeitsbescheinigungen.

2. Sie sind begünstigende VAe und durften bei ihrem Erlass nicht gegen Rechtsvorschriften verstoßen. Nach der BSE-UntersuchungsVO darf die für Schlachtrinder vorgeschriebene behördliche Bescheinigung nur erteilt werden, wenn das Fleisch in einem amtlich zugelassenen Labor getestet worden ist. Das war nicht mehr der Fall, seit die Firma M die Tests in ihrem Labor in W vorgenommen hat. Insofern verstießen die erteilten Bescheinigungen gegen die BSE-UntersuchungsVO und waren rechtswidrig. Für diese objektive Rechtswidrigkeit ist unerheblich, ob die Beteiligten die Umstände, aus denen sich die Rechtswidrigkeit ergibt (wie die Frage, ob das Labor in W amtlich zugelassen war), kannten oder ob sie insoweit gutgläubig waren. Die Voraussetzungen des § 48 I 1 VwVfG liegen vor.

IV. Die Rücknahme könnte ausgeschlossen sein. Ein Ausschlussgrund könnte sich aus § 48 I 2 VwVfG ergeben, da die Bescheinigungen begünstigende VAe waren.

1. Der den Vertrauensschutz berücksichtigende § 48 II VwVfG ist im vorliegenden Fall nicht anwendbar, weil die Bescheinigungen keine auf Geld oder Sachleistung gerichtete VAe waren. Vielmehr war ihr Inhalt darauf gerichtet, die Unbedenklichkeit von Fleisch als Lebensmittel zu bekunden.

2. Derartige VAe fallen unter § 48 III VwVfG. Diese Vorschrift enthält jedoch keine Einschränkungen der Rücknahme, sondern gewährt einen Anspruch auf Ausgleich von Vermögensnachteilen im Falle einer Rücknahme (vgl. dazu den Hilfsantrag).

V. Ausgeschlossen ist eine Rücknahme nach Ablauf der Jahresfrist des § 48 IV VwVfG. Im vorliegenden Fall ist aber davon auszugehen, dass diese Frist gewahrt wurde.

VI. Die Rücknahme steht im Ermessen (Rechtsfolge des § 48 I 1 VwVfG) und ist rechtswidrig, wenn ein Ermessensfehler i. S. des § 114, 1 VwGO vorliegt. Eine Ermessensüberschreitung scheidet aus, weil eine Rücknahme die in § 48 I VwVfG vorgesehene Rechtsfolge ist. Es könnte ein Ermessensfehlgebrauch vorliegen.

1. Die im Sachverhalt wiedergegebene Begründung mit Gesundheitsrisiken und dem Recht der Verbraucher auf eine fehlerfreie Kontrolle lässt keine sachfremden Erwägungen erkennen.

2. Fraglich ist, ob bereits bei der Rücknahme ein Vertrauensschutz der K zu berücksichtigen war und ggfs. berücksichtigt wurde.

a) Bei unter § 48 III fallenden VAen wird vereinzelt vertreten, der Vertrauensschutz sei ausschließlich im Rahmen des Vermögensausgleichs zu berücksichtigen (Erichsen/Weiß JURA 1987, 153). Demgegenüber verlangt die h. M. (Kopp/Ramsauer, VwVfG, 11. Aufl. 2010, § 48 Rdnr. 136; Fehling/Kastner, Verwaltungsrecht, 2. Aufl. 2010, VwVfG § 48 Rdnr. 52), dass auch bereits bei der Rücknahme selbst alle wesentlichen Aspekte in Betracht zu ziehen sind, wobei allerdings der Vertrauensschutz mit Rücksicht auf eine mögliche Ausgleichszahlung im Vergleich zum öffentlichen Rücknahmeinteresse ein geringeres Gewicht erhalten kann.

b) Indem die Behörde im vorliegenden Fall die genannten Gründen des öffentlichen Interesses für „hinreichend gewichtig“ erklärt hat, hat sie konkludent das Vertrauensschutzinteresse der K als nicht hinreichend gewichtig gewürdigt und damit eine noch ausreichende Ermessensentscheidung getroffen. Im übrigen könnte die Behörde im Verwaltungsprozess, um Risiken insoweit auszuräumen, ihre Ermessenserwägungen noch nach § 114, 2 VwGO ergänzen.

Somit führt auch ein Ermessensfehler nicht zur Rechtswidrigkeit der Rücknahme. Diese ist rechtmäßig erfolgt. Der Hauptantrag ist unbegründet.

2. Teil. Der Hilfsantrag auf Ausgleich eines Vermögensnachteils

Über diesen Hilfsantrag ist zu entscheiden, weil der Hauptantrag abgewiesen wurde. (In der Entscheidung des BVerwG wird nur dieser Antrag behandelt.)

A. Zulässigkeit des Antrags

I. Die Zulässigkeit des Verwaltungsrechtswegs ergibt sich gemäß § 40 I VwGO aus dem Vorliegen einer öffentlich-rechtlichen Streitigkeit. Streitentscheidende Norm ist § 48 III VwVfG, eine öffentlich-rechtliche Vorschrift.

II. Statthafte Klageart ist die Verpflichtungsklage (§ 42 I VwGO). K begehrt eine Geldleistung, über die durch VA zu entscheiden ist (§ 48 III 4 VwVfG).

III. Die Klagebefugnis der K (§ 42 II VwGO) folgt daraus, dass sie ein eigenes subjektives Recht aus § 48 III VwVfG geltend macht.

IV. Die Verbindung des Hilfsantrags mit dem Anfechtungsantrag ist als objektive Klagehäufung nach § 44 VwGO zulässig. Beide Anträge richten sich gegen die Stadt S - Veterinäramt -, stehen im Zusammenhang, und für beide ist dasselbe VG zuständig.

B. Begründet ist die Verpflichtungsklage (vgl. § 113 V 1 VwGO), wenn K einen Anspruch auf einen Vermögensausgleich nach § 48 III VwVfG hat. Hierfür müssten die Voraussetzungen des § 48 III vorliegen.

I. Die Genusstauglichkeitsbescheinigungen waren - wie im 1. Teil ausgeführt - begünstigende VAe, die rechtswidrig waren und nicht unter § 48 Abs. 2 fallen.

II. Die VAe wurden von der Stadt S zurückgenommen. Diese Rücknahme behält auch Bestand, weil sie rechtmäßig ist. Da § 48 III einen Ausgleich gerade bei einer rechtmäßigen Rücknahme gewährt, ist der von der Stadt S gegenüber dem Ausgleichsverlangen der K vorgebrachte Einwand, die Rücknahme sei rechtmäßig gewesen, verfehlt.

III. Die K-GmbH hat einen Vermögensnachteil erlitten, der darin besteht, dass sie einen Teil des Fleisches, das im Schlachthof verarbeitet worden ist, nicht vermarkten durfte. K hat einen Antrag auf Ausgleich dieses Vermögensnachteils gestellt.

IV. K hat den Vermögensnachteil erlitten, weil sie auf den Bestand der Genusstauglichkeitsbescheinigungen vertraut hat. Denn sie ist nach Erteilung der Bescheinigungen davon ausgegangen, dass sie das Fleisch vermarkten darf, und hat deshalb den Lieferanten der Rinder den Kaufpreis dafür gezahlt, hat die Rinder geschlachtet und daraus Rindfleisch hergestellt. In dieser Weise wäre K nicht vorgegangen, wenn bekannt gewesen wäre, dass die Tauglichkeitsbescheinigungen keinen Bestand behalten würden und von ihnen deshalb auch kein Gebrauch gemacht werden durfte.

V. Das Vertrauen der K müsste unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse schutzwürdig sein.

1. Wegen der Verweisung in § 48 III 2 auf Abs. 2 S. 3 fehlt es an der Schutzwürdigkeit, wenn einer der Fälle des Abs. 2 S. 3 vorliegt. In Betracht kommt allenfalls Nr. 3. Dass K wusste, dass die Tests in dem Labor der M in W durchgeführt wurden und dass auch für dieses Labor eine amtliche Zulassung erforderlich war, lässt noch nicht den Schluss zu, dass K die Rechtswidrigkeit der Bescheinigungen kannte. Auch grobe Fahrlässigkeit lässt sich nicht feststellen, weil K sich nach der Zulassung erkundigt und eine nicht offensichtlich unglaubwürdige Erklärung erhalten hat. Dass bei einem Labor, das laufend BSE-Tests durchführt, die Zulassung fehlt, ist kein naheliegender Umstand, so dass K keine weitergehenden Ermittlungen anzustellen brauchte.

2. Bei der Frage der Schutzwürdigkeit ist somit allein auf § 48 III 1 abzustellen.

a) Danach ist grundsätzlich von einer Schutzwürdigkeit des VA-Betroffenen auszugehen. BVerwG Tz. 14 - 16: Da das Berufungsgericht keine Ausschlussgründe nach § 48 Abs. 2 Satz 3 VwVfG festgestellt…hat, kommt es darauf an, ob die Schutzwürdigkeit des Vertrauens der Klägerin nach dem allgemeinen Abwägungsgebot des § 48 Abs. 3 Satz 1 VwVfG entfällt….

Bei der Abwägung ist zu berücksichtigen, dass die Klägerin im Vertrauen auf den Bestand der Tauglichkeitsbescheinigungen Vermögensdispositionen getroffen hat, die nicht mehr oder nur unter unzumutbaren Nachteilen rückgängig gemacht werden können. In einem solchen Fall ist das Vertrauen in der Regel schutzwürdig. Die in § 48 Abs. 2 Satz 2 VwVfG zum Ausdruck kommende Wertung gilt gleichermaßen für die nach § 48 Abs. 3 Satz 1 VwVfG erforderliche Abwägung; Letztere setzt gerade voraus, dass dem Betroffenen im Vertrauen auf den Bestand des Verwaltungsakts ein Vermögensnachteil entstanden ist. Die irreversible Vermögensdisposition bildet ein Kriterium für die Schutzwürdigkeit, das sich bei Geldleistungsverwaltungsakten und sonstigen begünstigenden Verwaltungsakten nur in der Rechtsfolge, nicht aber in seiner Bedeutung für die Abwägung unterscheidet. Es begründet eine Regel, die nur durch besondere Umstände erschüttert werden kann.

b) BVerwG Tz. 17, 18: Außerdem ist hier zu berücksichtigen, dass der Fehler, der zur Rechtswidrigkeit und Rücknahme der Verwaltungsakte geführt hat, in den alleinigen Verantwortungsbereich der Beklagten fällt. Weist das Gesetz einer bestimmten Behörde die amtliche Fleischuntersuchung und damit die Entscheidung darüber zu, ob das Fleisch für den menschlichen Verzehr geeignet ist, so hat diese Behörde für die Gesetzmäßigkeit der Untersuchung einzustehen; denn eine solche Aufgabenübertragung begründet nicht nur eine formale Zuständigkeit, sondern auch die Verantwortung des in die Pflicht genommenen Hoheitsträgers für die ordnungsgemäße Erfüllung dieser Aufgabe. Er kann sich nicht damit entlasten, lediglich „formalrechtlich" zuständig gewesen zu sein, tatsächlich diese Verantwortung aber nicht oder nicht ausreichend wahrgenommen zu haben… Als die für die Durchführung der BSE-Tests verantwortliche Stelle trägt die Beklagte auch die Verantwortung für Verwaltungshelfer, derer sie sich zur Aufgabenerfüllung bedient. Die Beklagte trägt deshalb die Verantwortung für Mängel, die das Labor betreffen (vgl. BGH NVwZ 2006, 966;…). Ob die Firma M. auf Antrag der Beklagten mit der Durchführung der BSE-Tests beauftragt worden ist, spielt dafür keine Rolle. Es reicht aus, dass die amtlichen Tierärzte sich dieses Labors bedient haben, indem sie die dort ermittelten Testergebnisse für die ihnen obliegende amtliche Fleischuntersuchung verwendet haben.

c) Die grundsätzliche Schutzwürdigkeit der K steht in § 48 III 1 noch unter dem Vorbehalt einer „Abwägung mit dem öffentlichen Interesse“. Somit ist zu bestimmen, ob ein öffentliches Interesse von hinreichendem Gewicht vorliegt, das den Schutz des Vertrauensinteresses der K ausschließt.

aa) BVerwG Tz. 25: Dem öffentlichen Interesse kommt nicht deshalb besonderes Gewicht zu, weil die Rücknahme der Tauglichkeitsbescheinigungen der Durchsetzung von Gemeinschaftsrecht und dem Schutz der Verbraucher vor Gesundheitsgefahren sowie der Aufrechterhaltung der Funktionsfähigkeit des Rindfleischmarktes dienen sollte. Das öffentliche Interesse im Sinne des § 48 Abs. 3 Satz 1 VwVfG unterscheidet sich von dem Rücknahmeinteresse; es bezieht sich nicht auf die Beseitigung des rechtswidrigen Verwaltungsakts als solche, sondern nur noch auf eine Vermeidung der Pflicht zum Nachteilsausgleich.Denn bei Geltendmachung eines Anspruchs aus § 48 III hat sich das Interesse an der Beseitigung des rechtswidrigen VA durch dessen Rücknahme bereits durchgesetzt; deshalb ist das Rücknahmeinteresse auf der Stufe des Nachteilsausgleichs nicht mehr relevant. Dem Interesse des Betroffenen an einer Kompensation des Vertrauensschadens kann nur das öffentliche Interesse entgegengehalten werden, die Wiederherstellung rechtmäßiger Zustände ohne Ausgleich des Vertrauensschadens herbeiführen zu können (zutreffend H. Maurer, in: FS Boorberg, 1977, S. 245 f.; Meyer, in: Knack/Henneke, VwVfG, 9. Aufl. 2010, § 48 Rn. 117; a.A. Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 7. Aufl. 2008, § 48 Rn. 192).

bb) Im vorliegenden Fall vermag dieses fiskalische Interesse das Vertrauen der Klägerin nicht zu überwiegen. Da die Verantwortung für die Rechtswidrigkeit der Verwaltungsakte allein in der Sphäre der Beklagten liegt und die Klägerin sich…auf die Schutzwürdigkeit ihres Vertrauens berufen kann, ist kein Grund ersichtlich, warum sie die Rücknahme der Tauglichkeitsbescheinigungen ohne Kompensation hinzunehmen hätte.

3. Somit ist das Vertrauensinteresse der K auch unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse schutzwürdig. Der Ausgleichsanspruch aus § 48 III 1 VwVfG ist dem Grunde nach gegeben.

VI. Er könnte sich aber mindern, wenn ein Mitverschulden der K im Hinblick auf die Rechtswidrigkeit der Bescheinigungen entsprechend dem Rechtsgedanken des § 254 BGB anzunehmen wäre. Jedoch ist der Rechtsgedanke des Mitverschuldens bei der hier gegebenen Konstellation nicht anwendbar.

BVerwG Tz. 28: Anwendbar ist der Rechtsgedanke des Mitverschuldens auf dem Grunde nach bestehende Ausgleichsansprüche, bei denen der Betroffene gebotene und zumutbare Schritte zur Schadensminderung unterlassen hat (…). Eine Mitverantwortung beider Seiten für die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts kann aber nicht dazu führen, dass ein Ausgleichsanspruch nur teilweise entsteht. Das folgt zwar nicht schon daraus, dass Vertrauen nicht teilbar ist; denn es geht nicht um das Vertrauen selbst, sondern um dessen Schutzwürdigkeit. Dafür kommt es auf eine Abwägung zwischen zwei widerstreitenden Interessen an, die nur zu einem eindeutigen Ergebnis führen kann. Entweder wiegt die eine oder die andere Seite schwerer; eine Zwischenlösung im Sinne eines teilweisen Überwiegens ist nicht denkbar. Die Abwägung muss begriffsnotwendig in eine Vorrangentscheidung münden. Davon ist der Senat bereits in seinem Urteil BVerwGE 74, 357, 364 ausgegangen. Dort hat er angenommen, dass auch dann kein Recht des Begünstigten auf Vertrauensschutz besteht, wenn die Ursache des Fehlers in seinen Verantwortungsbereich fällt und die Behörde eine Mitverantwortung trägt. Umgekehrt entfällt oder mindert sich der Vertrauensschutz nicht, wenn der Begünstigte eine lediglich untergeordnete Mitverantwortung trägt. Insoweit unterscheidet sich die Bestimmung des schutzwürdigen Vertrauens nach § 48 VwVfG von den Umständen, die bei einem Folgenbeseitigungsanspruch die Berücksichtigung eines Mitverschuldens des Anspruchsberechtigten ermöglichen (dazu BVerwGE 82, 24). Etwas anderes ergibt sich auch nicht daraus, dass § 48 Abs. 3 Satz 1 VwVfG einen Ausgleichsanspruch gewährt, „soweit" das Vertrauen schutzwürdig ist. Damit ist ebenso wie mit derselben Formulierung in Absatz 2 der Vorschrift gemeint, dass bei sachlich oder zeitlich teilbaren Leistungen Vertrauen nur teilweise entstehen oder nur teilweise schutzwürdig sein kann, etwa weil nur ein Teil der Leistung bereits verbraucht ist oder nur für einen bestimmten Leistungszeitraum keine Kenntnis von der Rechtswidrigkeit bestand (vgl. BTDrucks 7/910 S. 70). Für die hier in Rede stehenden Verwaltungsakte trifft das aber nicht zu.

Ergebnis: Der Entschädigungsanspruch der K gegen die Stadt S ist in vollem Umfang begründet. Das VG wird die Stadt S entsprechend dem Hilfsantrag zum Erlass eines die verlangte Entschädigung festsetzenden Bescheids verurteilen.


Zusammenfassung