Bearbeiter: Prof. Dieter Schmalz

Nichtigkeitsklage, Art. 263 AEUV; Klagebefugnis, Art. 263 IV AEUV. Rechtswirksamkeit von Art. 14 AVMD-RiLi (Fernseh-RiLi). Dienstleistungsfreiheit; zulässige Beschränkungen nach Art. 62, 53 I AEUV. Grundrecht der Unternehmensfreiheit, Art. 16 GRCh. Öffentlich-rechtlicher Rundfunk als Dienstleistung von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse, Art. 106 II AEUV. Endrunde der Fußballeuropameisterschaft als Ereignisse von erheblicher Bedeutung i. S. des Art. 14 AVMD-RiLi

EuGH
Urteil vom 18. 7. 2013 - C-201/11 - EuZW 2013, 833, Klage der UEFA
(parallel dazu hat der EuGH ebenfalls am 18. 7. 2013 in der Sache C-205/11 über die Klage der FIFA entschieden)

Fall (UEFA gegen Free-TV)

Die UEFA ( Union des associations européennes de football) ist der europäische Fußball-Dachverband und richtet aller vier Jahre die Fußballeuropameisterschaft (vom EuGH als EURO bezeichnet) aus. Sie besteht aus den Qualifikationsspielen und der Endrunde. Zu den Haupteinnahmequellen der UEFA gehört der Verkauf der Rechte an der Fernsehübertragung der Spiele. Besonders ertragreich ist die Einräumung von ausschließlichen (exklusiven) Übertragungsrechten an Veranstalter des Bezahlfernsehens (Pay-TV). Dem gegenüber steht das Interesse weiter Kreise der Bevölkerung und auch der Veranstalter des kostenfrei empfangbaren Fernsehens (Free-TV) daran, dass die interessantesten Sportereignisse, insbesondere Fußballspiele, im Free-TV empfangen werden können. Dazu bestimmt die Richtlinie 2010/13/EU (Richtlinie über audiovisuelle Mediendienste = AVMD-RiLi, auch: Fernseh-RiLi) in Artikel 14:

(1) Jeder Mitgliedstaat kann im Einklang mit dem Unionsrecht Maßnahmen ergreifen, mit denen sichergestellt werden soll, dass die seiner Rechtshoheit unterworfenen Fernsehveranstalter nicht Ereignisse, denen der betreffende Mitgliedstaat eine erhebliche gesellschaftliche Bedeutung beimisst, auf Ausschließlichkeitsbasis in der Weise übertragen, dass einem bedeutenden Teil der Öffentlichkeit in dem Mitgliedstaat die Möglichkeit vorenthalten wird, das Ereignis…in einer frei zugänglichen Fernsehsendung zu verfolgen. Falls ein Mitgliedstaat entsprechende Maßnahmen ergreift, so erstellt er eine Liste der nationalen und nichtnationalen Ereignisse, denen er eine erhebliche gesellschaftliche Bedeutung beimisst….
(2) Die Mitgliedstaaten teilen der Kommission unverzüglich alle Maßnahmen mit, die sie gemäß Absatz 1 getroffen haben oder in Zukunft treffen werden. Die Kommission prüft binnen drei Monaten nach der Mitteilung, ob die Maßnahmen mit dem Unionsrecht vereinbar sind, und teilt sie den anderen Mitgliedstaaten mit… Sie veröffentlicht die getroffenen Maßnahmen unverzüglich im Amtsblatt der Europäischen Union…

Das zuständige Ministerium des Staates S, eines Mitgliedstaates der EU (im Originalfall: Großbritannien), erstellte im Rahmen eines breiten öffentlichen Konsultationsprozesses eine Liste, in der die Spiele der Endrunde der Europameisterschaft enthalten sind. Die Liste übersandte sie der EU-Kommission, die sie durch Beschluss für vereinbar mit dem EU-Recht erklärte. Gegen diesen Beschluss erhob die UEFA Klage vor dem EuGH. Sie macht geltend, Art. 14 AVMD-RiLi sei unwirksam, u. a. weil es dafür keine Rechtsgrundlage gebe. Zumindest ginge es zu weit, pauschal alle Spiele der Europameisterschaftsendrunde dem Free TV zu überlassen und dadurch die Vergabe von Exklusivrechten unmöglich zu machen. Die EU-Kommission hält die UEFA bereits für nicht klagebefugt. Auch sei der Beschluss rechtmäßig. Bei Anwendung des Art. 14 AVMD-RiLi komme es nicht auf die einzelnen Spiele an, sondern es reiche aus, dass die Europameisterschaft als Ganzes ein bedeutendes Ereignis sei. Für den am Verfahren beteiligten Staat S berief sich das zuständige Ministerium darauf, die in Art. 14 AVMD-RiLi eingeräumte Befugnis sei für die Erfüllung der Aufgaben des Rundfunks mit Gemeinwohlauftrag, zu dem die BBC, die ARD, das ZDF und der ORF gehörten, unverzichtbar. Wie ist über die Klage zu entscheiden?

Vorbemerkung: Für das Originalurteil galt noch eine frühere Fassung der Richtlinie. Bei der Lösung wird aber die im Sachverhalt wiedergegebene, derzeit geltende Fassung zugrunde gelegt, auch in den Urteilszitaten.

A. Zulässigkeit der Klage

I. Es kommt eine Nichtigkeitsklage nach Art. 263 IV AEUV in Betracht. Danach können natürliche und juristische Personen unter bestimmten Voraussetzungen Klage vor dem EuGH erheben. Primär dafür zuständig ist im ersten Rechtszug das zum EuGH gehörende (Art. 19 I EUV) „Gericht“ (Art. 256 I AEUV, Gericht erster Instanz). Dessen Entscheidungen können vom „Gerichtshof“ überprüft werden. Wenn der Sachverhalt davon spricht, die UEFA habe den EuGH angerufen, ist von der weiten Fassung dieses Begriffs i. S. des Art. 19 I EUV auszugehen, so dass darunter auch das instanziell zuständige Gericht fällt. Im Originalfall hatte die UEFA zunächst das Gericht erster Instanz und anschließend den Gerichtshof angerufen, der letztlich entschieden hat.

II. Bei Prüfung der Zulässigkeit der Nichtigkeitsklage ist von Art. 263 IV AEUV auszugehen.

1. Erforderlich ist die Handlung eines Organs der EU. Das ist im vorliegenden Fall der die Liste des Staates S billigende Beschluss der Kommission. Dagegen liegt kein von Art. 263 IV ebenfalls erfasster „Rechtsakt mit Verordnungscharakter“ vor (zu diesem Begriff EuGH DVBl 2013, 1593 und Anm. DVBl 2014, 98). Denn Art. 288 AEUV unterscheidet gerade zwischen der Verordnung (Art. 288 II) und dem Beschluss (Art. 288 IV); also hat ein Beschluss keinen Verordnungscharakter.

2. Die UEFA müsste klagebefugt sein. Zur Klage befugt können natürliche und juristische Personen sein. Die UEFA ist als Dachverband ein Verein (nach dem Recht der Schweiz), also eine juristische Person. Die weiteren Voraussetzungen ergeben sich daraus, dass Personen klagen können „gegen die an sie gerichteten oder sie unmittelbar und individuell betreffenden Handlungen…“ (Art. 263 IV AEUV).

a) Als Adressat ist die UEFA nicht klagebefugt, weil der Beschluss nicht an die UEFA, sondern an die Mitgliedstaaten der EU gerichtet ist.

b) Die UEFA könnte unmittelbar und individuell betroffen sein. Die Liste mit den Sportereignissen soll der UEFA die Befugnis nehmen, für bestimmte Spiele der von ihr ausgerichteten Fußballeuropameisterschaften Exklusivrechte zu vergeben. Dadurch ist die UEFA zunächst von der Liste unmittelbar und individuell betroffen. Nach Art. 14 II VMD-RiLi soll die Liste Rechtswirkungen erst haben, wenn sie von der Kommission gebilligt worden ist. Folglich hat der die Liste billigende Beschluss der Kommission die Wirkung, dass der UEFA die Vergabe von Exklusivrechten für die auf der Liste stehenden Sportereignisse untersagt wird. Dadurch hat auch der Beschluss gegenüber der UEFA eine unmittelbare Rechtswirkung und betrifft diese individuell. Daran ändert sich nichts dadurch, dass die Maßnahmen auf EU-Ebene noch in das nationale Recht übernommen werden, weil dieses nur nachvollzieht, was das EU-Recht bereits verbindlich entschieden hat.

c) Auf der Ebene der EU sind auch keine Durchführungsmaßnahmen - gegen die evtl. geklagt werden könnte - mehr vorgesehen oder erforderlich. Die UEFA ist also - entgegen der Auffassung der EU-Kommission - klagebefugt.

III. Da auch davon ausgegangen werden kann, dass die UEFA die Zwei-Monats-Frist des Art. 263 VI AEUV eingehalten hat, ist die Nichtigkeitsklage zulässig.

B. Begründetheit der Klage

Bei Prüfung der Begründetheit der Nichtigkeitsklage ist von Art. 263 IV AEUV auszugehen, der auf Art. 263 I und II AEUV verweist. Danach überwacht der EuGH die Rechtmäßigkeit der mit der Nichtigkeitsklage angreifbaren Maßnahmen. Nach Absatz 2 kann die Klage auf Unzuständigkeit, Verletzung wesentlicher Formvorschriften, Verletzung der Verträge oder einer bei seiner Durchführung anzuwendenden Rechtsnorm sowie auf Ermessensmissbrauch gestützt werden.

I. Als verletzte Vorschrift der Verträge kommt Art. 5 I 1, II 1 EUV in Betracht. Nach dem in dieser Regelung enthaltenen Grundsatz der begrenzten Einzelermächtigung bedarf die EU für den Erlass einer Maßnahme einer Ermächtigung in den Verträgen. Da die Kommission ihren Beschluss auf Art. 14 AVMD-RiLi gestützt hat und auch nur auf diese Vorschrift hat stützen können, bedarf zunächst Art. 14 AVMD-RiLi einer Ermächtigung und muss auch im übrigen mit dem Recht der EU-Verträge übereinstimmen. Der Grundsatz der begrenzten Einzelermächtigung (Art. 5 I 1, II 1 EUV) ist also verletzt, wenn es für Art. 14 AVMD-RiLi keine Ermächtigung gibt oder Art. 14 AVMD-RiLi gegen eine (andere) Vorschrift der Verträge verstößt und deshalb nicht rechtswirksam ist.

1. Zunächst ist zu klären, ob die Rechtswirksamkeit des Art. 14 AVMD-RiLi noch überprüft werden darf. Denn es ist davon auszugehen, dass die Zwei-Monats-Frist des Art. 263 VI AEUV längst abgelaufen ist, so dass Art. 14 AVMD-RiLi nicht mehr direkt mit einer Nichtigkeitsklage angegriffen werden könnte. Er kann aber innerhalb der gegen den Kommissionsbeschluss gerichteten Nichtigkeitsklage inzident überprüft werden. Das ergibt sich aus Art. 277 AEUV. Danach kann auch noch nach Ablauf der Frist in einer Nichtigkeitsklage gegen einen Rechtsakt mit allgemeiner Geltung die Unanwendbarkeit des Rechtsakts aus den Gründen des Art. 263 II geltend gemacht werden. Art. 14 I AVMD-RiLi steht zumindest einem Rechtsakt mit allgemeiner Geltung gleich, weil er an alle Mitgliedstaaten gerichtet ist und sämtliche Veranstalter der in der Liste enthaltenen Ereignisse betrifft.

2. Die erforderliche Ermächtigungsgrundlage für Art. 14 AVMD-RiLi könnte sich aus Art. 56, 62, 53 I AEUV ergeben. Letztlich enthält Art. 53 I eine Rechtsgrundlage für den Erlass von Richtlinien.

a) Die Veranstaltung und Verbreitung von Fernsehen ist eine Dienstleistung i. S. der Art. 56, 57 AEUV, so dass die in der AVMD-RiLi geregelte Materie in den Anwendungsbereich der Art. 56 ff. AEUV fällt. Speziell Art. 14 der RiLi regelt aber nicht nur das Fernsehen, sondern schränkt die Befugnisse der Veranstalter von (Sport-)Ereignissen ein. Auch diese Veranstaltungen sind Dienstleistungen, weil sie Tätigkeiten sind, die gegen Entgelt erbracht werden und nicht den Vorschriften über den Waren- oder Kapitalverkehr oder über die Freizügigkeit von Personen unterliegen (Art. 57 I AEUV).

b) Wie alle Grundfreiheiten des EU-Rechts erstreckt sich auch die Dienstleistungsfreiheit nur auf grenzüberschreitende Vorgänge (vgl. Art. 56 I AEUV). Die Ausstrahlung von bedeutenden Ereignissen wie beispielweise der Fußballeuropameisterschaften oder -Weltmeisterschaften beschränkt sich nicht auf das Land, in dem sie stattfinden, sondern kann zumindest bei einer Verbreitung über Satelliten auch in anderen Ländern empfangen werden, wirkt also grenzüberschreitend. Dadurch erhalten auch die Sportereignisse selbst eine grenzüberschreitenden Bedeutung.

c) Da es sich somit bei der Veranstaltung von Sportereignissen und deren Verbreitung über das Fernsehen um Dienstleistungen handelt, ist Art. 62 AEUV anwendbar, der auf Art. 51 - 54 AEUV verweist. Nach Art. 53 I AEUV können Richtlinien für die Koordinierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Ausübung selbstständiger Tätigkeiten erlassen werden. Es ist davon auszugehen, dass es Mitgliedstaaten gibt, die Vorschriften über die Ausstrahlung von Fernsehsendungen im Free-TV erlassen haben oder zu erlassen beabsichtigen. Dann ist gerechtfertigt, diese Vorschriften zu koordinieren (Teil-Harmonisierung). Das geschieht durch Art. 14 AVMD-RiLi. Somit ergibt sich die Ermächtigung der EU aus Art. 62, 53 I AEUV (vgl. dazu in der RiLi 2010/13/EU die Einleitung vor den Erwägungsgründen).

2. Gegen das Prinzip der Verhältnismäßigkeit (Art. 5 IV EUV) verstößt Art. 14 AVMD-RiLi nicht. Die dort getroffene Regelung verfolgt das wichtige Ziel, der breiten Bevölkerung den Fernsehempfang bedeutsamer Ereignisse zu ermöglichen, und ist für dessen Erreichung geeignet. Sie beschränkt sich auf Ereignisse mit erheblicher gesellschaftlicher Bedeutung und begrenzt dadurch ihre belastende Wirkung. Die Ermächtigung richtet sich an die Mitgliedstaaten, die ihrerseits bei der Aufstellung der Liste an das für sie als Rechtsstaaten geltende Prinzip der Verhältnismäßigkeit gebunden sind. Art. 14 schreibt auch nicht vor, dass die Übertragung im Free-TV gegenüber den Veranstaltern unentgeltlich erfolgen muss. Dadurch geht Art. 14 nicht über das hinaus, was zur Erreichung des verfolgten Ziels notwendig und angemessen ist.

3. Es könnten Grundrechte der UEFA aus der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (GRCh) verletzt sein. Bei dieser Prüfung kann an die Entscheidung des EuGH zur teilweise ähnlichen Regelung der Kurzberichterstattung durch Art. 15 der AVMD-RiLi angeknüpft werden (Urteil vom 22. 1. 2013 AZ. C-283/11, Sky Österreich). Vorweg ist festzustellen, dass die GRCh bei Erlass der RiLi durch die Organe der EU nach Art. 51 I GRCh anwendbar war.

a) Das Grundrecht auf Schutz des Eigentums (Art. 17 GRCh) ist nicht verletzt. Der UEFA stehen bei der Einräumung von Übertragungsrechten an Fußballspielen keine Eigentumsrechte zu. Hierfür fehlt es an einem Gegenstand, an dem Eigentum bestehen könnte.

b) Die UEFA könnte in dem Grundrecht auf Freiheit des selbständigen Unternehmers (Art. 16 GRCh) verletzt sein.

aa) Die UEFA ist, soweit sie Fußballspiele veranstaltet und vermarktet, Unternehmer. Insbesondere zielt ihr Handeln auf Einnahmen, auf die sie zur Finanzierung ihrer Tätigkeit bei der Veranstaltung der Europameisterschaft und auch bei ihrer sonstigen Tätigkeit im Interesse der ihr angeschlossenen nationalen Fußballverbände angewiesen ist. Die in Art. 14 AVMD-RiLi zugelassene Beschränkung der besonders ertragreichen Exklusivvermarktung ist ein Eingriff in die unternehmerische Freiheit.

bb) Der Eingriff könnte gerechtfertigt sein. Obwohl Art. 16 GRCh keinen ausdrücklichen Vorbehalt zugunsten von Eingriffsmöglichkeiten durch Rechtsakte des EU-Rechts enthält, müssen Beschränkungen der unternehmerischen Freiheit möglich sein und werden vom EuGH auch zugelassen. In der Sky-Österreich-Entscheidung führt EuGH [45, 46] aus: : „ Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs gilt die unternehmerische Freiheit nicht schrankenlos, sondern ist im Zusammenhang mit ihrer gesellschaftlichen Funktion zu sehen (…). Auf der Grundlage dieser Rechtsprechung und angesichts des Wortlauts von Art. 16 der Charta, der sich von dem der anderen grundrechtlich geschützten Freiheiten, die in ihrem Titel II verankert sind, unterscheidet und dabei dem Wortlaut einiger Bestimmungen ihres Titels IV ähnelt, kann die unternehmerische Freiheit einer Vielzahl von Eingriffen der öffentlichen Gewalt unterworfen werden, die im allgemeinen Interesse die Ausübung der wirtschaftlichen Tätigkeit beschränken können.

cc) Anforderungen an einen Eingriff ergeben sich aus Art. 52 I GRCh. Die Einschränkung muss gesetzlich vorgesehen sein. Solche gesetzlichen Regelungen sind Art. 14 AVMD-RiLi und das sie umsetzende nationale Recht. Der Wesensgehalt des Grundrechts darf nicht angetastet werden - das ist bei Art. 14 AVMD-RiLi nicht der Fall -, und die Regelung muss verhältnismäßig sein, was bereits oben 2. festgestellt wurde. Art. 14 AVDM-RiLi verletzt somit kein Grundrecht.

4. Eine Rechtfertigung der Eingriffe in die Dienstleistungsfreiheit der UEFA und in deren Grundrecht aus Art. 16 GRCh könnte sich außerdem aus dem Vorbringen der Regierung des Staates S ergeben, wonach die in Art. 14 der AVMD-RiLi eingeräumte Befugnis für die Erfüllung der Aufgaben des Rundfunks mit Gemeinwohlauftrag unverzichtbar sei. Nach Art. 106 II AEUV gelten die Vorschriften des EU-Rechts für Unternehmen, die mit Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse betraut sind, nur soweit die Anwendung dieser Vorschriften nicht die Erfüllung der ihnen übertragenen Aufgaben verhindert.

a) Die im Sachverhalt genannten Rundfunkunternehmen mit Gemeinwohlauftrag sind Unternehmen i. S. des Art. 106 II (Oppermann/Classen/Nettesheim, Europarecht, 5. Aufl. 2011, § 21 Rdnr. 44; § 34 Rdnr. 55). Sie sind zwar Unternehmen mit einem kulturellen Auftrag, jedoch sind die von ihnen zu erbringenden Dienstleistungen auch von wirtschaftlichem Interesse, schon wegen ihrer umfangreichen Einnahmen und Ausgaben zur Erfüllung ihres Gemeinwohlauftrags.

b) Zu den diesen Rundfunkunternehmen übertragenen Aufgaben gehört auch die Übertragung wichtiger Sportereignisse. Könnten diese nur im Pay-TV gezeigt werden, wäre dies eine Behinderung ihrer Aufgabenerfüllung.

5. Folglich wird Art. 14 AVDM-RiLi, soweit er Ausstrahlungen im Rundfunk mit Gemeinwohlauftrag gewährleistet, auch durch Art. 106 II AEUV gerechtfertigt. - Im Ergebnis wird die AVMD-RiLi (Fernseh.RiLi) als rechtmäßig angesehen: so - neben dem EuGH - Oppermann/Classen/Nettesheim § 34 Rdnr. 60; Schladebach JURA 2013, 1095/6.

Ergebnis zu I: Art. 14 AVMD-RiLi ist rechtmäßig und rechtswirksam. Durch dessen Anwendung wird Art. 5 EUV nicht verletzt.

II. Art. 14 AVMD-RiLi war eine bei Erlass des Beschlusses der Kommission zu beachtende Rechtsnorm, so dass die Nichtigkeitsklage nach Art. 263 II AEUV begründet ist, wenn der Beschluss mit Art. 14 AVMD-RiLi nicht übereinstimmt. Eine Übereinstimmung ist zunächst in formeller Hinsicht erforderlich. Die Zuständigkeit der Kommission ergibt sich aus Art. 14 II. Ein Verfahrensfehler (vgl. Art. 14 II) ist nicht ersichtlich. Es kann auch davon ausgegangen werden, dass der Beschluss die von Art. 296 II geforderte Begründung enthält (zu den Anforderungen an eine Begründung in solchem Fall vgl. EuGH [107 - 114]). Der Beschluss war somit formell rechtmäßig.

III. In materieller Hinsicht durfte die Kommission die Liste des Staates S nur billigen, soweit sie Ereignisse mit erheblicher gesellschaftlicher Bedeutung enthielt. Das müsste auf die Endrunde der Europameisterschaften zutreffen.

1. Wegen des von der EU-Kommission geltend gemachten Arguments, bei Anwendung des Art. 14 AVMD-RiLi komme es nicht auf die einzelnen Spiele an, sondern es reiche aus, dass die Europameisterschaft als Ganzes ein bedeutendes Ereignis sei, ist zu prüfen, ob das zutrifft oder ob auf die einzelnen Spiele abzustellen ist. Nach EuGH [37, 38] kann nicht ernsthaft bestritten werden, dass die „Topspiele“ im Allgemeinen eine größere Bedeutung haben, als sie den ihnen vorangehenden Spielen der EURO-Endrunde, also den Gruppenspielen, allgemein zugesprochen wird. Daher kann nicht von vornherein behauptet werden, dass die Bedeutung, die dieser letzten Kategorie von Spielen beigemessen wird, derjenigen der ersten Spielekategorie gleichzusetzen ist und dass daher alle Gruppenspiele genau wie die „Topspiele“ unterschiedslos als Teile eines Gesamtereignisses von erheblicher Bedeutung gelten. Die Bezeichnung jedes einzelnen Spiels als Ereignis von erheblicher Bedeutung kann somit von einem Mitgliedstaat zum anderen unterschiedlich sein. Demnach wollte der Unionsgesetzgeber nicht andeuten, dass die „Fußballeuropameisterschaft“ …ein unteilbares Gesamtereignis bildet. Die EURO ist im Gegenteil als Ereignis anzusehen, das im Grunde in verschiedene Spiele oder Phasen aufgeteilt werden kann, von denen nicht alle zwangsläufig als Ereignis von erheblicher Bedeutung eingestuft werden können.

2. Somit kann die EURO-Endrunde nicht insgesamt eingeordnet werden, sondern es ist auf die einzelnen Spiele abzustellen. Dabei räumt der EuGH den Mitgliedstaaten bei Erstellung der Liste einen erheblichen Beurteilungsspielraum ein. Nach EuGH [12 - 15] ist klarzustellen, dass nach Art. 14 der Richtlinie die Festlegung der Ereignisse von erheblicher Bedeutung allein Sache der Mitgliedstaaten ist, denen insoweit ein großer Beurteilungsspielraum zukommt.Die Richtlinie harmonisiert nämlich keine Liste derartiger Ereignisse, sondern geht von der Prämisse aus, dass es, was die Bedeutung dieser Ereignisse für die breite Öffentlichkeit betrifft, innerhalb der Union beträchtliche soziale und kulturelle Unterschiede gibt. Dass ein Beurteilungsspielraum besteht, ergibt sich auch daraus, dass seine Wahrnehmung durch die Richtlinie nicht in eine genaue Regelung eingefasst wird. Als einziges Kriterium dafür, dass der betroffene Mitgliedstaat einem Ereignis erhebliche Bedeutung beimessen kann, wird in den Erwägungsgründen genannt, dass es sich um ein herausragendes Ereignis handeln muss, das von Interesse für die breite Öffentlichkeit in der Union, in einem bestimmten Mitgliedstaat oder in einem bedeutenden Teil eines bestimmten Mitgliedstaats ist… In Anbetracht dessen, dass diese Kriterien relativ ungenau sind, ist es Sache des einzelnen Mitgliedstaats, sie zu konkretisieren und zu beurteilen, von welchem Interesse die betroffenen Ereignisse für die breite Öffentlichkeit in Ansehung der sozialen und kulturellen Besonderheiten seiner Gesellschaft sind.

a) Bei der Kontrolle, ob der Mitgliedstaat sich im Rahmen des Beurteilungsspielraums gehalten hat, muss die Kommission nach EuGH [17] die Erfüllung folgender Voraussetzungen prüfen:

(1) Das betreffende Ereignis wurde nach einem eindeutigen und transparenten Verfahren rechtzeitig und wirksam in die Liste… aufgenommen;

(2) es ist gerechtfertigt, dem Ereignis erhebliche Bedeutung beizumessen;

(3) die Bezeichnung als Ereignis von erheblicher Bedeutung ist…mit dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz und dem Diskriminierungsverbot, den Grundrechten, den Grundsätzen der Dienstleistungs- und der Niederlassungsfreiheit sowie den Regeln des freien Wettbewerbs vereinbar.

b) Zur Beachtung dieser Anforderungen im vorliegenden Fall ist auszuführen:

(1) Dass ein transparentes Verfahren durchgeführt wurde, ergibt sich aus dem Sachverhalt.

(2) Die zweite, entscheidende Voraussetzung wurde von der Kommission bejaht, und diese Bewertung wurde vom EuGH nicht beanstandet. Dabei ist, wie ausgeführt, zu differenzieren. Unzweifelhaft sind Top-Spiele wie die Viertel- und Halbfinalspiele und das Endspiel Ereignisse mit erheblicher gesellschaftlicher Bedeutung. Das Gleiche gilt für die Spiele der Nationalmannschaft von S, wenn diese die Endrunde erreicht. Allenfalls zweifelhaft könnte die Einordnung der anderen Endrundenspiele sein, der „Normalspiele“. Aber auch das sind Spiele der besten Fußballmannschaften Europas, und ein breites Publikum ist auch an deren Weiterkommen oder Nicht-Weiterkommen im Wettbewerb interessiert. Im Originalfall waren die Einschaltquoten der vorangegangenen Europameisterschaften mit herangezogen worden, aus denen sich das große Interesse ergab. Auch ohne dass insoweit Zahlen bekannt sind, kann davon ausgegangen werden, dass die Einschaltquoten es rechtfertigen, sämtliche Endrundenspiele als Ereignisse mit erheblicher gesellschaftlicher Bedeutung einzuordnen. Es wäre sogar gerechtfertigt gewesen, die Qualifikationsspiele der Nationalmannschaft von S mit in die Liste aufzunehmen. Dass die Regierung von S dies nicht getan hat, zeigt, dass sorgfältig geprüft wurde und Grenzen für die Aufnahme in die Liste anerkannt worden sind. Die Regierung von S und die Kommission haben somit zutreffend sämtliche Spiele der EURO als Ereignisse mit erheblicher gesellschaftlicher Bedeutung bewertet.

(3) Dass diese Bewertung die Dienstleistungs- und Niederlassungsfreiheit, den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz und Grundrechte nicht verletzt, ergibt sich aus den Ausführungen oben I 1 - 3, da der Beschluss lediglich das billigt, was bereits in der RiLi vorgesehen ist. Für eine Verletzung des Diskriminierungsverbots oder der Regeln des freien Wettbewerbs gibt es keine Anhaltspunkte.

IV. Folglich stimmen der mit der Nichtigkeitsklage angegriffene Beschluss der Kommission und auch die von der Regierung S eingereichte Liste mit Art. 14 AVMD-RiLi überein und enthalten deshalb keine Verletzung dieser Vorschrift. Die Nichtigkeitsklage ist als unbegründet abzuweisen.

(In diesem Sinne hat der EuGH - erst recht - über die Klage der FIFA wegen der Aufnahme der Fußballweltmeisterschaftsendrunde - C-205/11 - entschieden.)

Ergänzende Hinweise: Die Praxis bei den 8 Mitgliedstaaten, die Listen eingereicht haben, schildert Philipp EuZW 2013, 801. In Deutschland bestimmt § 4 Rundfunkstaatsvertrag, dass folgende Großereignisse für das Free-TV freigegeben sind: Olympische Sommer- und Winterspiele; bei Fußball-Europa- und -Weltmeisterschaften alle Spiele mit deutscher Beteiligung sowie unabhängig von einer deutschen Beteiligung das Eröffnungsspiel, die Halbfinalspiele und das Endspiel; die Halbfinalspiele und das Endspiel um den Vereinspokal des DFB; Heim- und Auswärtsspiele der deutschen Fußballnationalmannschaft.


Zusammenfassung