Schadensersatzanspruch wegen Amtspflichtverletzung, Art. 34 GG, § 839 BGB. Wohnungsdurchsuchung nach § 102 StPO. Ersatzanspruch wegen enteignungsgleichen Eingriffs. Ersatzanspruch wegen enteignenden Eingriffs; Sonderopfer. Rechtsweg, § 40 II 1 VwGO

BGH
Urteil vom 14. 3. 2013 (III ZR 253/12) NJW 2013, 1736

Fall
(Drogen in der Mietwohnung)

Gegen M, der bereits früher wegen Drogenhandels bestraft worden war, wurde erneut wegen Drogenhandels ermittelt. Das Amtsgericht erließ einen auf §§ 102, 105 StPO gestützten Durchsuchungsbeschluss gegen den „in der Wohnung Heroinstr. 2, Erdgeschoss, wohnenden M". Um das Überraschungsmoment zu nutzen und zu verhindern, dass M Beweismittel vernichtet, stiegen die Polizeibeamten eines Spezialeinsatzkommandos durch ein Fenster der Wohnung ein, indem sie es aufdrückten und dabei beschädigten.

Sachverhaltsvariante (1)

Es stellte sich heraus, dass die in der Wohnung Haus Nr. 2 wohnende Person nicht verdächtig war; der Verdächtige wohnte in Haus Nr. 1. Zu dem Ablauf war es trotz sorgfältiger Ermittlungen gekommen, weil die Eintragung im Melderegister nicht mehr richtig war, die beiden Personen zufällig denselben Nachnahmen hatten und die Angaben der Anwohner teilweise unzutreffend waren. Vermieter V ließ das Fenster für 802 Euro reparieren und fragt, ob er diesen Betrag vom Land ersetzt verlangen kann.

Sachverhaltsvariante (2)

Der Durchsuchungsbeschluss richtete sich gegen den in der Heroinstraße 1 wohnenden M. Die Polizei drang durch das Fenster ein und fand auch Beweismittel. M sitzt in Untersuchungshaft; V kann von ihm keinen Ersatz der Reparaturkosten in Höhe von 802 Euro erlangen. Kann V den Betrag vom Land ersetzt verlangen? V versichert glaubhaft, dass er keine Kenntnis davon hatte, dass M in Drogengeschäfte verwickelt war.

Sachverhaltsvariante (3)

Vermieter V wusste, dass M wegen Drogenhandels verurteilt worden war. Er sah auch öfters Junkies in der Wohnung des M ein- und ausgehen. Er sah aber darüber hinweg, weil er mit der Schwester des M in einer Beziehung zusammenlebte. Hat V einen Ersatzanspruch wegen der 802 Euro gegen das Land?

Zusatzfrage zu (1) bis (3): In welchem Rechtsweg ist der Anspruch, soweit er für berechtigt erklärt wurde, geltend zu machen?

SACHVERHALTSVARIANTE (1)

A. V könnte gegen das Land einen Schadensersatzanspruch wegen einer Amtspflichtverletzung aus Art. 34 GG, § 839 BGB haben.

I. Dann müssten Amtsträger des Landes hoheitlich gehandelt haben. Zu der konkret abgelaufenen, den Schaden des V verursachenden Durchsuchung ist es im Zusammenspiel von ermittelnden Polizeibeamten, einem Amtsrichter (§§ 102, 105 StPO) und den die Durchsuchung durchführenden Polizeibeamten (P) gekommen. Sämtliche dieser Personen haben hoheitlich, insbesondere auf Grund der StPO gehandelt.

II. Es müsste eine Amtspflicht schuldhaft verletzt worden sein.

1. Die Amtspflichtverletzung könnte darin zu sehen sein, dass die Durchsuchung gegen die falsche Person und die falsche Wohnung gerichtet wurde.

a) Nach § 102 StPO kann b ei dem, welcher als Täter einer Straftat verdächtig ist, eine Durchsuchung der Wohnung vorgenommen werden, wenn zu vermuten ist, dass die Durchsuchung zum Auffinden von Beweismitteln führen werde. Objektiv war die im Haus Nr. 2 wohnende Person nicht verdächtig. Andererseits hat die Polizei sorgfältig ermittelt. Das Amtsgericht hat sich auf diese Ermittlungen gestützt und darauf auch stützen dürfen. Für die die Durchsuchung durchführenden Polizeibeamten P war der Durchsuchungsbeschluss verbindlich, die diesem Beschluss entsprechende Durchsuchung somit amtspflichtgemäß.

b) Letztlich kann die Frage der Amtspflichtverletzung wegen der Durchsuchung in der falschen Wohnung offen bleiben. Denn die Beteiligten haben nicht schuldhaft gehandelt.

aa) Die Polizei hat sorgfältig ermittelt. Unter diesen Umständen ist ihr nicht vorzuwerfen, dass die Eintragung im Melderegister und die Angaben der Anwohner falsch waren und von ihr zugrunde gelegt wurden, zumal durch die Namensgleichheit ein weiterer unglücklicher Umstand zu dem im Ergebnis gesetzwidrigen Ablauf hinzugekommen ist.

bb) Das Amtsgericht konnte, wie bereits ausgeführt, sich nur auf die Ermittlungen der Polizei stützen, so dass der Durchsuchungsbeschluss nicht auf Verschulden beruhte. Das Richterprivileg des § 839 II BGB würde allerdings einer Haftung nicht entgegen stehen. Urteil in einer Rechtssache ist nur ein einen Rechtsstreit zumindest für die Instanz abschließend entscheidendes Urteil oder ein entsprechender Beschluss (Palandt/Sprau, BGB, 72. Aufl. 2013, § 839 Rdnr. 65); darunter fällt ein Durchsuchungsbeschluss nicht.

Somit ergab sich aus dem Umstand, dass die Durchsuchung gegen die falsche Person und die falsche Wohnung gerichtet wurde, keine schuldhafte Amtspflichtverletzung.

2. Eine Amtspflichtverletzung könnte darin zu sehen sein, dass die Polizeibeamten durch das Fenster eingestiegen sind und es beschädigt haben.

a) Wegen der vorangegangenen Ausführungen darf nicht nochmals darauf abgestellt werden, dass sich die Durchsuchung gegen die falsche Person gerichtet hat. Vielmehr ist - nach demselben Rechtsgedanken, wie er der Anscheinsgefahr im Polizei- und Ordnungsrecht zugrunde liegt - nunmehr davon auszugehen, dass sich die Durchsuchung gegen einen des Drogenhandels Verdächtigen gerichtet hat. Dann durfte die Durchsuchung stattfinden.

b) Der Durchsuchungsbeschluss ermächtigte die P aber nur zu Maßnahmen im Rahmen der Verhältnismäßigkeit. Zweck der Durchsuchung war, Beweismittel zu finden. Dieser Zweck war gefährdet, wenn P durch Klingeln an der Wohnungstür den oder die Wohnungsinhaber darauf aufmerksam gemacht hätten, dass die Polizei eine Durchsuchung beabsichtigt. Ein bereits durch Drogenhandel auffällig gewordener M musste ein großes Interesse daran haben, Beweismittel auch noch im letzten Augenblick beiseite zu schaffen, und es war auch nicht auszuschließen, dass ihm das hätte gelingen können. Somit erschien ein Vorgehen unter Ausnutzung des Überraschungselements noch als erforderlich, was auch das Eindrücken des Fensters mit der Folge seiner Beschädigung als erforderlich rechtfertigt. Da der Schaden sich noch in einem überschaubaren Maße hielt, andererseits an der erfolgreichen Aufdeckung einer Betäubungsmittel-Straftat ein großes öffentliches Interesse bestand, war das Vorgehen auch noch angemessen.

c) Auch ist der Polizei bei der kurzfristig zu treffenden Entscheidung, mit welchen Maßnahmen strafrechtliche Ermittlungen vorgenommen werden, ein Spielraum einzuräumen. Dieser wurde im vorliegenden Fall nicht überschritten.

Ein Anspruch wegen Amtspflichtverletzung besteht nicht.

B. Eine Anspruchsgrundlage aus Polizeirecht (§§ 67 PolG, 39 OBG) ist nur anwendbar bei einem präventiven, auf Gefahrenabwehr gerichteten Handeln der Polizei (Ossenbühl, Staatshaftungsrecht, 6. Aufl. 2012, S. 488). Im vorliegenden Fall war die Durchsuchung auf §§ 102, 105 StPO gestützt und sollte Beweise für ein Strafverfahren erbringen, sie war also repressiv ausgerichtet. §§ 67 PolG, 39 OBG sind nicht anwendbar.

C. Ansprüche aus dem Gesetz über die Entschädigung für Strafverfolgungsmaßnahmen (StrEG) stehen nur einem Beschuldigten zu, nicht einem unbeteiligten Dritten wie dem Vermieter V. BGH [6]: ist dem BerGer. darin zuzustimmen, dass der Kläger keine Entschädigung nach § 2 Abs. 1, 2 Nr. 4 StrEG verlangen kann, da es vorliegend um die Entschädigung eines Nichtbeschuldigten geht (vgl. BGH NJW 1990, 397 f).

D. V könnte einen Anspruch aus einem enteignungsgleichen Eingriff haben.

I. Zur Entwicklung dieser Anspruchsgrundlage:

1. Ausgangspunkt für die Entwicklung dieser Anspruchsgrundlage war die Erkenntnis, dass die für die Entschädigung von Staatsunrecht bestimmte Anspruchsgrundlage des § 839 BGB, Art 34 GG nicht ausreicht, weil sie einige typische Schwächen hat: die Notwendigkeit eines Verschuldens, der Ausschluss wegen anderweitiger Ersatzmöglichkeit, der Anspruchsverlust wegen eines versäumten Rechtsmittels, die dreijährige Verjährung.

2. Ursprünglich wurde der Anspruch - wie der Ausdruck „enteignungsgleich“ zeigt - dem Rechtsgedanken des Art 14 III GG entnommen und dabei an den Begriff der Enteignung angeknüpft. Allerdings geriet dieses Vorgehen mit dem Gebot des Art. 14 III, dass die Entschädigung im Gesetz geregelt sein musste (sog. Junktimklausel), in Widerspruch. Das veranlasste das BVerfG im Nassauskiesungsbeschluss BVerfGE 58,300, im Fall einer Enteignung die Notwendigkeit einer spezialgesetzlichen Entschädigungsregelung und bei rechtswidrigen Eingriffen den Vorrang des Primärrechtsschutzes zu betonen. Danach ließ sich der enteignungsgleiche Eingriff - ebenso wie der in Variante (2) zu behandelnde enteignende Eingriff - nicht mehr auf Art 14 III stützen.

3. Seitdem wird zwar die Bezeichnung „enteignungsgleicher Eingriff“, weil sie sich eingebürgert hat, beibehalten. Der Anspruch wird aber nicht mehr dem Art 14 III GG entnommen (also „von Art. 14 III abgekoppelt“), sondern als Anwendungsfall des gewohnheitsrechtlich geltenden Aufopferungsgrundsatzes behandelt (BGHZ 90, 17, 29 ff.; 91, 28; 102, 350, 357). Möglich ist aber auch, den enteignungsgleichen Eingriff als Anspruchsgrundlage direkt über Gewohnheitsrecht zu begründen (OLG Brandenburg NVwZ-RR 2000, 78: „gewohnheitsrechtliches Bundesrecht“).

II. Für einen Anspruch aus enteignungsgleichem Eingriff bestehen folgende Voraussetzungen.

1. Es muss eine hoheitliche Maßnahme - der mögliche Eingriffsakt - vorliegen. Im vorliegenden Fall ist das das Eindringen der P mit Hilfe des aufgedrückten Fensters.

2. Diese Maßnahme muss einen unmittelbaren Eingriff in Eigentum enthalten. Er liegt in dem Einwirken auf das Fenster mit der unmittelbaren Folge der Beschädigung.

3. Wegen der Herleitung des Anspruchs aus dem Aufopferungsanspruch muss eigentlich ein Sonderopfer verlangt werden. Es ist aber anerkannt, dass die Rechtswidrigkeit des Eingriffs ausreicht.. Denn darin liegt eine Beeinträchtigung, die normalerweise nicht geduldet zu werden braucht. BGH [8]: ..... Während beim enteignungsgleichen Eingriff das Sonderopfer durch die Rechtswidrigkeit konstituiert wird… Allerdings muss es sich um eine materielle Rechtswidrigkeit handeln, bloße Formfehler reichen nicht aus.

Im vorliegenden Fall konnte oben A II 1a) offen gelassen werden, ob die von Amtsgericht und Polizei angeordnete und durchgeführte Durchsuchung rechts- und amtspflichtwidrig war, weil es offenkundig an einem Verschulden fehlte. An dieser Stelle ist jedoch über die Frage der Rechtswidrigkeit zu entscheiden. Dabei ist davon auszugehen, dass die Maßnahme in erster Linie gegenüber dem Inhaber der Wohnung in Haus 2 gerechtfertigt werden muss. Dieser war aber nicht verdächtig, wie § 102 StPO verlangt, sondern unbeteiligt. Einen Eingriff in das Grundrecht auf Unverletzlichkeit der Wohnung (Art. 13 GG) gegenüber einem Unbeteiligten allein aufgrund eines, wenn auch entschuldbaren Irrtums von Polizei und Gericht zu rechtfertigen, erscheint nicht mehr vertretbar. Es ist auch zu bedenken, dass es an dieser Stelle um den Ersatz eines eingetretenen Schadens, also um die Abwicklung des Falles auf der Sekundärebene geht. Für diese Abwicklung kann allein die objektiv-rechtliche Lage maßgebend sein. Nach dieser war die Durchsuchung rechtswidrig.

III. Da die Voraussetzungen eines enteignungsgleichen Eingriffs vorliegen, hat V einen Anspruch auf Entschädigung. Der Schaden beträgt 802 Euro. Also hat V gegen das Land einen Anspruch auf Zahlung von 802 Euro.

SACHVERHALTSVARIANTE (2)

A. Bei dieser Variante hat V erst recht keinen Anspruch aus Amtshaftung (Art. 34 GG, § 839 BGB): Die Anordnung der Durchsuchung war nach § 102 StPO rechtmäßig, weil M einer Straftat nach §§ 29, 29 a BtMG (= Gesetz über den Verkehr mit Betäubungsmitteln) verdächtig war. Dementsprechend war auch die Durchsuchung durch die Polizei rechtmäßig. Was die Art und Weise des Eindringens in die Wohnung betrifft, gilt das Gleiche wie zu Variante (1) unter A II 2 b, c). Eine Amtspflichtverletzung lag somit nicht vor.

B. Die Vorschriften über die polizeirechtliche Haftung (§§ 67 PolG, 39 OBG) sind nicht anwendbar, weil die Polizei nicht zur Gefahrenabwehr (präventiv), sondern zur Strafverfolgung (repressiv) gehandelt hat.

C. Ein Anspruch a us dem StrEG steht V nicht zu, weil er nicht Beschuldigter, sondern ein unbeteiligte Dritter war.

D. Für einen Anspruch aus einem enteignungsgleichen Eingriff fehlt es an der Rechtswidrigkeit der Durchsuchung und des dabei verwendeten Mittels, in die Wohnung zu gelangen.


E. V könnte einen Anspruch aus einem enteignenden Eingriff haben.

I. Die Entwicklung dieser Anspruchsgrundlage ist ähnlich verlaufen wie die des enteignungsgleichen Eingriffs (oben Variante (1) D I). Allerdings war Ausgangsüberlegung nicht die Haftung für Staatsunrecht, sondern das Vorliegen eines Sonderopfers trotz Rechtmäßigkeit des hoheitlichen Handelns. BGH [7]: Nach der st. Rspr. des Senats kommen Ansprüche aus enteignendem Eingriff dann in Betracht, wenn an sich rechtmäßige hoheitliche Maßnahmen bei einem Betroffenen unmittelbar zu Nachteilen führen, die er aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen hinnehmen muss, die aber die Schwelle des enteignungsrechtlich Zumutbaren übersteigen (vgl. nur BGHZ 100, 335, 337; 158, 263, 267; NJW 2005, 1363, jeweils m. w. N.). Auch der enteignende Eingriff lässt sich auf den gewohnheitsrechtlich geltenden Aufopferungsanspruch stützen.

II. Zu den Voraussetzungen für einen Anspruch aus enteignendem Eingriff führt BGH [8] aus: Der enteignende Eingriff stellt einen zwangsweisen staatlichen Zugriff auf das Eigentum dar, der den Betroffenen im Vergleich zu anderen entgegen dem verfassungsrechtlichen Gleichheitssatz ungleich behandelt beziehungsweise trifft und ihn zu einem besonderen, den übrigen nicht zugemuteten Opfer für die Allgemeinheit zwingt (vgl.… Staudinger/Wöstmann, BGB, Neubearb. 2013, § 839 Rn. 477 m. w. N.). Während beim enteignungsgleichen Eingriff das Sonderopfer durch die Rechtswidrigkeit konstituiert wird, bedarf bei rechtmäßigen Eingriffen die Annahme eines entschädigungspflichtigen Sonderopfers einer besonderen Begründung. Hier ist ein Ersatzanspruch nur dann gegeben, wenn die Einwirkungen die Sozialbindungsschwelle überschreiten, also im Verhältnis zu anderen ebenfalls betroffenen Personen eine besondere Schwere aufweisen oder im Verhältnis zu anderen nicht betroffenen Personen einen Gleichheitsverstoß bewirken (vgl. nur Ossenbühl/Cornils, Staatshaftungsrecht, 6. Aufl., S. 344). Ob in diesem Sinn eine hoheitliche Maßnahme die Schwelle des enteignungsrechtlich Zumutbaren überschreitet oder sich noch als Ausdruck der Sozialbindung des Eigentums begreifen lässt, kann nur aufgrund einer umfassenden Beurteilung der Umstände des Einzelfalls entschieden werden (…). Maßgeblich ist letztlich, wo nach dem vernünftigen Urteil aller billig und gerecht Denkenden die Opfergrenze liegt (…) beziehungsweise wo die Grenze dessen liegt, was eine Gemeinschaft, die ihre verfassungsmäßige Ordnung in einem sozialen Rechtsstaat gefunden hat, dem Einzelnen entschädigungslos zumuten kann und will (… RGRK-Kreft, BGB, 12. Aufl., vor § 839, Rn. 154).

1. Es muss ein hoheitlicher Eingriff in das Eigentum vorliegen. Im vorliegenden Fall ist das das Eindringen der P in die dem V gehörende Wohnung mit Hilfe des aufgedrückten Fensters.

2. Der Eingriff war rechtmäßig, wie oben A. begründet wurde.

3. Er müsste dem betroffenen V ein Sonderopfer auferlegt haben.

a) BGH [7]: Im Normalfall geht es um atypische und unvorhergesehene Nachteile; dies ist für den Anspruch aus enteignendem Eingriff aber nicht Voraussetzung (…). Deshalb steht der Ersatzfähigkeit nicht entgegen, dass Beschädigungen der hier streitgegenständlichen Art bei Wohnungsdurchsuchungen weder atypisch noch unvorhersehbar sind, sondern sich vielmehr eine Gefahr verwirklicht hat, die in der hoheitlichen Maßnahme selbst angelegt war (…). [10]: Das Eigentum des Klägers wurde für Zwecke der Strafverfolgung und damit im öffentlichen Interesse in Anspruch genommen. Der Kläger wurde einem staatlichen Eingriff ausgesetzt, der ihn anders als andere Eigentümer zu einer Aufopferung im öffentlichen Interesse zwang.

b) Kein Sonderopfer sind allerdings Beeinträchtigungen, die Ausfluss des allgemeinen Lebensrisikos oder eines übernommenen Risikos sind. BGH [12]: Von einer freiwilligen Übernahme einer Gefahr kann nicht allein im Hinblick auf den Umstand gesprochen werden, dass sich ein Eigentümer durch die Vermietung der…Gefahr aussetzt, dass sein Mieter straffällig wird und es im Zuge strafprozessualer Maßnahmen gegen den Mieter zu Beschädigungen der Wohnung kommt. Die Vermietung einer Wohnung ist ein sozial adäquates, ja erwünschtes Verhalten, das im Normalfall die Gefahr strafbaren Verhaltens der Bewohner weder begünstigt noch gar hervorruft. Daher stehen die Vermietung und das den Polizeieinsatz auslösende strafbare Verhalten des Mieters grundsätzlich völlig unabhängig und selbständig nebeneinander. Der Vermieter verliert nicht im enteignungsrechtlichen Sinn durch die bloße Vermietung seine Stellung als unbeteiligter Dritter mit der Folge, dass strafprozessuale Maßnahmen gegen den Mieter seiner Sphäre zuzuordn en wären.

c) BGH [18]: § 839 I 2 BGB ist auf den Anspruch wegen eines enteignenden Eingriffs nicht anwendbar. Soweit der BGH…ein Sonderopfer unter Hinweis auf gegebene beziehungsweise realisierbare (anderweitige) Schadensersatzansprüche verneint hat, war der zu entscheidende Fall so gelagert, dass ohne die das Eigentum schädigende polizeiliche Maßnahme (gezieltes Rammen eines entwendeten Kraftfahrzeugs) der endgültige Verlust der Sache zu befürchten war und zudem auch nur durch dieses Eingreifen die Aussicht begründet wurde, deliktische Schadensersatzansprüche gegen den eigentlichen Schadensverursacher realisieren zu können (NJW 2011, 3157 Rn. 15 ff). Eine vergleichbare Konstellation liegt hier nicht vor.

d) Im Originalfall hatte das beklagte Land die Auffassung vertreten, ein Sonderopfer liege nur vor, wenn eine gewisse Schadenshöhe überschritten werde, und der Betrag von 802 Euro liege noch unter dieser Grenze. Dem folgt der BGH nicht. [16]: Zwar kann bei der im Enteignungsrecht wesentlichen wirtschaftlichen Betrachtungsweise regelmäßig nur eine fühlbare Beeinträchtigung einer vermögenswerten Rechtsposition als entschädigungspflichtiges Opfer angesehen werden; geringfügige Beeinträchtigungen scheiden aus (vgl. BGHZ 54, 293, 296 m. w. N.). Bei der hier streitgegenständlichen gezielten Beschädigung beziehungsweise Zerstörung von Eigentum durch strafprozessuale Zwangsmaßnahmen liegt aber bereits in der Substanzverletzung eine solche fühlbare Beeinträchtigung des betroffenen Eigentums, die - abgesehen von Bagatellfällen - für die Annahme eines nicht hinzunehmenden Sonderopfers ausreicht.

4. Somit liegen die Voraussetzungen für einen Anspruch des V aus enteignendem Eingriff vor. Der Anspruch richtet sich auf Ausgleich des ihm auferlegten Sonderopfers, mithin auf Ersatz der 802 Euro, die V für die Schadensbeseitigung aufwenden musste.

 

SACHVERHALTSVARIANTE (3)

Es ist zu prüfen, ob V auch bei dieser Variante einen Anspruch aus einem enteignenden Eingriff hat. Bei den Voraussetzungen hoheitlicher, rechtmäßiger Eingriff in Eigentum des V ändert sich nichts.

a) Auch hier könnte ein Sonderopfer darin liegen, dass V einen Schaden an dem Fenster hat hinnehmen müssen.

b) Ein Sonderopfer scheidet aber aus, wenn ein Grund dafür besteht, V das Risiko eines solchen Schadens aufzuerlegen.

aa) BGH [10, 11]: So kann nach der Rspr. des BGH von dem Abverlangen eines Sonderopfers im öffentlichen Interesse und damit einem gleichheitswidrigen, entschädigungspflichtigen staatlichen Verhalten regelmäßig keine Rede sein, wenn sich der nachteilig Betroffene freiwillig in eine gefährliche Situation begeben hat, deren Folgen dann letztlich von ihm herbeigeführt und grundsätzlich selbst zu tragen sind (vgl. BGHZ 31, 1, 4; 37, 44, 48 und NJW 1976, 1204, 1205). So hat der Senat demjenigen, der schuldhaft den Anschein einer polizeilichen Gefahr hervorgerufen hat, keinen Anspruch aus enteignendem Eingriff für die aus der polizeilichen Maßnahme resultierenden Folgen zugebilligt, weil nicht in die Rechtsphäre eines Unbeteiligten eingegriffen worden sei, sondern der Betroffene, wenn auch nicht für eine objektive Gefahr, aber doch für eine Sachlage verantwortlich sei, die eine Pflicht der Polizei zum Eingreifen begründet habe, so dass er nicht als unbeteiligter Dritter angesehen werden könne (vgl. BGHZ 5, 144, 152). Allgemein ging es in der Senatsrechtsprechung insoweit um Sachverhalte, in denen jedenfalls der Konflikt zwischen den privaten und öffentlichen Interessen infolge eines Verhaltens des Betroffenen eintrat, welches im Hinblick auf die nachteiligen Einwirkungen rechtlich nicht geschützt war. Der Eigentümer darf nicht durch eigenes Verhalten, auch wenn dieses rechtlich erlaubt ist, einen vorher noch nicht vorhandenen Interessenkonflikt aktiviert haben; in diesem Fall sind die Folgen regelmäßig seiner Sphäre zuzuordnen und stellen kein gleichheitswidriges Sonderopfer dar (vgl. BGHZ 129, 124, 129 f zur Errichtung eines Wohnhauses im Einflussbereich eines Militärflugplatzes).

bb) BGH [13, 14]: So liegt der Fall, wenn der Vermieter weiß beziehungsweise davon erfährt oder es sich ihm aufdrängen muss, dass die Wohnung für die Begehung von Straftaten, die Lagerung von Diebesgut oder - wie hier - von Drogen in nicht unerheblicher Menge benutzt wird oder werden soll, und er gleichwohl den Mietvertrag abschließt oder von einem Kündigungsrecht keinen Gebrauch macht. In einem solchen Fall kann gegebenenfalls, wenn sich das Risiko weiterer strafbarer Handlungen verwirklicht und es im Zuge strafprozessualer Maßnahmen gegen den Mieter zu Schäden an der Wohnung kommt, davon gesprochen werden, dass sich der Vermieter freiwillig der Gefahr ausgesetzt hat, sodass er den Schaden deshalb nicht als gleichheitswidriges Sonderopfer der Allgemeinheit in Rechnung stellen kann. V kannte die frühere Verstrickung des M in Drogendelikte und wusste, dass er auch jetzt noch Kontakte zur Drogenszene hat. Konsequenzen hat er offenbar wegen seiner Beziehung zur Schwester des M nicht gezogen. Dadurch ist er das Risiko von polizeilichen Maßnahmen gegen seine Mietwohnung eingegangen, was die Annahme eines Sonderopfers ausschließt.

Bei dieser Variante hat V keinen Anspruch.

Zusatzfrage: In welchem Rechtsweg ist der Anspruch, soweit er für berechtigt erklärt wurde, geltend zu machen?

Bei Variante (1) wurde ein Anspruch aus einem enteignungsgleichen, bei (2) aus einem enteignenden Eingriff bejaht. Beide Anspruchsgrundlagen werden aus dem Aufopferungsgrundsatz hergeleitet, s. oben Variante (1) unter D I 3, Variante (2) unter E I. Sie sind daher Anwendungsfälle der Aufopferung. Ansprüche aus Aufopferung werden, obwohl öffentlich-rechtlicher Natur, durch § 40 II 1 VwGO dem Zivilrechtsweg zugewiesen. Also ist für Ansprüche wegen enteignungsgleichen Eingriffs und wegen enteignenden Eingriffs der Zivilrechtswege gegeben ( Kopp/Schenke, VwGO, 17. Aufl. 2011, § 40 Rdnr. 62).


Zusammenfassung