Bearbeiter: RA Prof. Dieter Schmalz

Beschaffungsverwaltung der öffentlichen Hand: Hoheitliche Tätigkeit i. S. des Art. 19 IV GG ? Anwendbarkeit der Grundrechte ? Grundrecht auf effektiven Rechtsschutz, Art. 19 IV GG. Justizgewährungsanspruch, Art. 2 I, 20 III GG, Voraussetzungen und Rechtsfolge. Rechtsweg bei negativen Vergabeentscheidungen über Bauaufträge oberhalb des Schwellenwertes (§§ 100 I, 107 ff. GWB). Rechtsschutz gegenüber Vergabeentscheidungen unterhalb des Schwellenwertes: Rechtsweg; Anspruch auf rechtmäßige Vergabeentscheidung (vgl. § 97 VII GWB). Berufsfreiheit (Art. 12 I GG), Schutzbereich. Gleichheitsgrundsatz, Art. 3 I GG

BVerfG Beschluss vom 13. 6. 2006 (1 BvR 1160/03) NJW 2006, 3701

Besprechung von Niestedt/Hölzl NJW 2006, 3680

Fall (Schutzwandfertigteile für Autobahn)

Vorbemerkung: Sachverhalt und Lösung des Falles sind nur vor dem Hintergrund einer bestimmten Rechtslage verständlich, die deshalb zunächst darzustellen ist, zumal sie auch für sich genommen von großer praktischer Bedeutung ist. Anschließend folgt der eigentliche Fall, der die Problematik nochmals verdeutlicht.

Die öffentliche Hand (im folgenden Fall das Land L) vergibt jährlich Bauaufträge über viele Milliarden €. Zahlreiche Groß- und mittelständische Unternehmen verdanken ihre wirtschaftliche Existenz ganz oder teilweise solchen Aufträgen. In der Regel erfolgt eine Ausschreibung des Bauauftrags; auf diese geben mehrere Interessenten Angebote ab, von denen einer den Zuschlag erhält (= A). Für die Vergabe des Auftrags gelten bestimmte Regeln. Werden diese nach Auffassung eines der Abgewiesenen (B) nicht eingehalten, entsteht ein Bedarf nach Rechtsschutz. Dabei bestehen besondere Probleme: Welcher Rechtsweg ist gegeben ? Hat B ein Recht auf Akteneinsicht, um Rechtsfehler bei der Vergabe festzustellen oder sie nachweisen zu können ? Kann verhindert werden, dass der Auftrag an A - nach Privatrecht bindend - vergeben wird, bevor B Rechtsschutz erhält, und zwar primären Rechtsschutz, der ihm die Chance lässt, den Auftrag noch zu bekommen ?

Ein diesen Anforderungen entsprechendes Rechtsschutzverfahren ist in §§ 102 ff. des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) geregelt.

Die dieses Verfahren regelnden Vorschriften gelten nach § 100 I GWB nur „für Aufträge, welche die Auftragswerte erreichen oder überschreiten, die durch RechtsVO nach § 127 festgelegt sind (Schwellenwerte)“ = im „Überschwellenbereich“. Bei Bauaufträgen beläuft sich der Schwellenwert seit 1. 11. 2006 auf 5.278.000 €. Diese Regelung bewirkt, dass der Rechtsschutz gegen die Entscheidungen der Beschaffungsverwaltung nach deutschem Recht zweigeteilt ist.

Im vorliegenden Zusammenhang geht es um den Rechtsschutz bei Aufträgen, die den Schwellenwert nicht erreichen (= Aufträge im „Unterschwellenbereich“; nach Niestedt/Hölzl S. 3680 sind das 95 % aller Aufträge).

Zum Ausgangsfall für die Entscheidung des BVerfG:

 B betreibt ein Unternehmen, das sich auf Anlagen der Verkehrssicherung spezialisiert hat und ausschließlich von öffentlichen Aufträgen lebt. Deren Volumen liegt stets unter dem Schwellenwert für Bauaufträge. Das Landesamt für Straßenwesen (L) hat Maßnahmen der Verkehrssicherung für einen Autobahnabschnitt ausgeschrieben, und zwar sollten „Schutzwandfertigteile aus Beton oder Stahl z. B. System Spengler oder gleichwertig“ geliefert werden. B gab ein Angebot ab, das sich als das wirtschaftlichste erwies. Gleichwohl wurde B von der Auftragsvergabe ausgeschlossen und der Auftrag dem A erteilt. B hatte zusätzlich zum System Spengler eine seiner Auffassung nach bessere Alternative angeboten. Nach Auffassung des L müssten aber alternative Vorschläge laut VOB/A (Vergabe- und Vertragsordnung für Bauleistungen) „auf einer besonderen Anlage zum Angebot gemacht und deutlich gekennzeichnet werden“, was B nicht beachtet habe. B bestreitet, einen derartigen formellen Fehler gemacht zu haben, und beantragte eine Nachprüfung bei der Vergabekammer. Diese lehnte den Antrag - erwartungsgemäß - als unzulässig ab, weil der Auftragswert unter dem Schwellenwert lag. Die Beschwerde an das OLG blieb erfolglos.

Gegen die Entscheidung der Vergabekammer hat B in zulässiger Weise Verfassungsbeschwerde erhoben. Ist die VfB begründet ?

Die VfB ist begründet, wenn B durch die Verweigerung von Rechtsschutz, insbesondere durch Nichtanwendung der §§ 102 ff. GWB, in einem Grundrecht verletzt ist. Für die Grundrechtsprüfung ist zu beachten, dass B sich nicht gegen einen Eingriff wehrt, sondern dass er effektiven Rechtsschutz, also eine Art Leistung des Staates verlangt. Der Gedankengang kann sich deshalb nicht an dem bei Eingriffen üblichen Aufbauschema (Eingriff in Schutzbereich - Rechtfertigung) orientieren, sondern muss sich nach der Eigenart der zu prüfenden Grundrechte und dem Umstand richten, dass die Verweigerung des Rechtsschutzes zunächst durch die Entscheidung der Vergabekammer (dazu A. und B.) erfolgt, letztlich aber auf der Regelung durch den Gesetzgeber (dazu C.) beruht.

A. Verletzt sein kann das Grundrecht des B auf effektiven Rechtsschutz (Art. 19 IV GG).

I. Voraussetzung ist, dass B geltend macht, durch einen Hoheitsakt („durch die öffentliche Gewalt“) beeinträchtigt zu sein. Ein solcher Hoheitsakt könnte die Entscheidung der Verwaltung über die Vergabe öffentlicher Aufträge sein. Das ist deshalb zweifelhaft, weil die Vergabe öffentlicher Aufträge durch Abschluss privatrechtlicher Verträge erfolgt und auch die Weigerung gegenüber B, mit diesem einen solchen Vertrag zu schließen, grundsätzlich privatrechtlicher Natur ist.

1. BVerfG Rdnr. 51: Das Grundrecht [Art. 19 IV] soll Rechtsschutz dort gewährleisten, wo der Einzelne sich zu dem Träger staatlicher Gewalt in einem Verhältnis typischer Abhängigkeit und Unterordnung befindet. Insoweit bedingen die damit verbundenen Einwirkungsmöglichkeiten des Staates ein besonderes Bedürfnis des Einzelnen nach gerichtlichem Schutz, der die Abwehr einer Beeinträchtigung ermöglicht. Von diesem spezifischen Schutzzweck her ist der Begriff der öffentlichen Gewalt i. S. des Art. 19 IV GG zu bestimmen.

2. Rdnr. 52: Danach handelt die Vergabestelle vorliegend nicht als Träger öffentlicher Gewalt i. S. des Art. 19 IV GG. Der Staat wird als Nachfrager am Markt tätig, um seinen Bedarf an bestimmten Gütern oder Leistungen zu decken. In dieser Rolle als Nachfrager unterscheidet er sich nicht grundlegend von anderen Marktteilnehmern. Auf seine übergeordnete öffentliche Rechtsmacht greift er bei einer Vergabeentscheidung nicht zurück…

Folglich kann Art. 19 IV schon wegen Fehlens eines Hoheitsaktes nicht verletzt sein. - Kritisiert wird dieses Ergebnis von Niestedt/Hölzl S. 3682; danach folgt das BVerfG hier einem zu engen Begriff des Hoheitsaktes. Im Ergebnis kommt es auf die Anwendung des Art. 19 IV nicht an, weil das BVerfG grundrechtlichen Schutz auf dem Wege unten B. gewährt.

II. Mittelbar bestätigten diese Ausführungen, dass als Rechtsweg gegen die Nichtberücksichtigung bei öffentlichen Aufträgen unterhalb des Schwellenwertes nach wie vor der Zivilrechtsweg nach § 13 GVG gegeben ist. Denn wenn die Vergabestelle nicht hoheitlich handelt, kann keine öffentlich-rechtliche Streitigkeit i. S. des § 40 I VwGO vorliegen. Insbesondere greift mangels eines vorgeschalteten Hoheitsaktes auch nicht die Zwei-Stufen-Theorie ein. Vielmehr wird über die Vergabe öffentlicher Aufträge einstufig-privatrechtlich entschieden.

B. Verletztes Grundrecht könnte der sich aus Art. 2 Abs. 1 GG i. V. mit dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 III GG) ergebende allgemeine Justizgewährungsanspruch sein (zu dessen grundsätzlicher Anerkennung BVerfGE 107, 395, 401).

I. BVerfG Rdnr. 53: Dieser gewährleistet in den nicht von Art. 19 IV GG erfassten Fällen Rechtsschutz gegenüber der behaupteten Verletzung einer Rechtsposition. BVerfG Rdnr. 54: Das GG garantiert mit dem allgemeinen Justizgewährungsanspruch ebenso wie mit Art. 19 IV GG Rechtsschutz nur zu dem Zweck des Schutzes subjektiver Rechte, die von beiden Gewährleistungen vorausgesetzt und nicht selbst geschaffen werden. Sie müssen sich deshalb entweder aus dem einfachen Recht oder aus Grundrechten ergeben.

Im vorliegenden Fall ist somit entscheidende Voraussetzung für Art. 2 I, 20 III, dass der Bieter bei einem öffentlichen Auftragein subjektives Recht darauf hat, dass über sein Gebot nach bestimmten Regeln entschieden wird, entweder dass er grundsätzlich den Zuschlag erhält, wenn er das wirtschaftlichste Gebot abgegeben hat, oder zumindest dass über sein Gebot nicht willkürlich entschieden wird.

1. Für Aufträge oberhalb des Schwellenwertes normiert § 97 VII GWB ausdrücklich einen Anspruch der Unternehmen darauf, „dass der Auftraggeber die Bestimmungen über das Vergabeverfahren einhält.“ Diese Vorschrift ist aber - ebenso wie die anderen Vorschriften der §§ 97 ff. GWB - bewusst auf oberschwellige Aufträge begrenzt (§ 100 I GWB) und kann deshalb im vorliegenden Fall nicht angewendet werden (BVerfG Rdnr. 57).

2. Ein Recht auf eine rechtmäßige Vergabeentscheidung könnte sich für B aus dem Grundrecht der Berufsfreiheit (Art. 12 I GG) ergeben.

a) Dann müssten die Grundrechte im Rahmen der privatrechtlichen Beschaffungsverwaltung anwendbar sein. Das ist gemäß Art. 1 III GG, der keine Einschränkung unter dem Gesichtspunkt der öffentlich-rechtlichen oder privatrechtlichen Rechtsform des Handelns kennt, zu bejahen. Das BVerfG lässt diese Frage zwar an dieser Stelle offen (Rdnr. 59), prüft aber Art. 12 I ausführlich und bejaht die Grundrechtsgeltung später bei Art. 3 I (Rdnr. 64, dazu noch unten C. I). Hier wird von der unmittelbaren Geltung auch des Art. 12 I ausgegangen.

b) Ein Recht auf eine rechtmäßige Vergabeentscheidung kann sich nur dann aus Art. 12 I ergeben, wenn die Vergabeentscheidung unter den Schutzbereich des Art. 12 I fällt. B betreibt ein Unternehmen und übt einen Beruf aus. Erforderlich wäre aber auch, dass sich der Schutzbereich des Art. 12 I gerade auf Vergabeentscheidungen erstreckt.

aa) BVerfG Rdnr. 60: In der bestehenden Wirtschaftsordnung schützt das Freiheitsrecht des Art. 12 I GG das berufsbezogene Verhalten einzelner Personen oder Unternehmen am Markt (vgl. BVerfGE 105, 252 [265 ff.]; 106, 275 [298 f.]). Erfolgt die unternehmerische Berufstätigkeit am Markt nach den Grundsätzen des Wettbewerbs, wird die Reichweite des Freiheitsschutzes auch durch die rechtlichen Regeln mitbestimmt, die den Wettbewerb ermöglichen und begrenzen. Art. 12 I GG sichert in diesem Rahmen die Teilhabe am Wettbewerb… Dagegen umfasst das Grundrecht keinen Anspruch auf Erfolg im Wettbewerb und auf Sicherung künftiger Erwerbsmöglichkeiten (…). Vielmehr unterliegen die Wettbewerbsposition und damit auch der Umsatz und die Erträge dem Risiko laufender Veränderung je nach den Marktverhältnissen. - Diese Überlegungen erscheinen noch wenig geeignet, den Schutzbereich des Art. 12 I hier abzulehnen, denn B trägt, wenn er lediglich die Einhaltung der Vergabebestimmungen verlangt, den genannten Einschränkungen des Schutzbereichs des Art. 12 I durchaus Rechnung. Das vom BVerfG angestrebte Ergebnis dürfte sich erst aus den folgenden Überlegungen Rdnr. 61 herleiten lassen:

bb) Bei der Vergabe eines Auftrags steht der Staat auf der Nachfrageseite und ermöglicht den Anbietern den Wettbewerb. Anschließend darf er sich für das Angebot entscheiden, das ihm am günstigsten erscheint. Dabei ist es grundsätzlich Sache des Nachfragers [hier also des Staates], nach welchen Kriterien und in welchem Verfahren er das günstigste Angebot auswählt. Dementsprechend trägt ein Wettbewerber auf der Angebotsseite stets das Risiko, dass seinem Angebot ein anderes, für den Nachfrager günstigeres vorgezogen wird. Der wettbewerblichen Herausforderung durch konkurrierende Angebote hat der Anbieter sich durch sein eigenes wettbewerbliches Verhalten zu stellen.

Weiterhin ist von Bedeutung, dass sich die Beschränkungen des Staates bei der Auswahl des Angebots im wesentlichen aus Haushaltsrecht ergeben. Dieses dient aber (BVerfG Rdnr. 62) nicht der Sicherung des Wettbewerbs oder der Einrichtung einer besonderen Wettbewerbsordnung für das Nachfrageverhalten des Staates. Ziel der haushaltsrechtlichen Vorgaben ist vielmehr ein wirtschaftlicher und sparsamer Umgang mit Haushaltsmitteln, der im öffentlichen Interesse liegt [ferner ist Ziel des Haushaltsrechts die Verhinderung von Korruption].

Im Ergebnis schützt also Art. 12 I den ein Angebot abgebenden Unternehmer vor der Ablehnung dieses Angebots auch dann nicht, wenn der Staat als Adressat des Angebots seine eigenen Regeln nicht einhält. Somit kann sich ein Recht des B auf eine den Regeln entsprechende Vergabeentscheidung nicht aus Art. 12 I ergeben.

3. Ein Recht des B könnte auf Art. 3 I GG gestützt werden.

a) Dieser ist anwendbar, BVerfG Rdnr. 64: Jede staatliche Stelle hat bei ihrem Handeln, unabhängig von der Handlungsform und dem betroffenen Lebensbereich, die in dem Gleichheitssatz niedergelegte Gerechtigkeitsvorstellung zu beachten. Dieses Handeln ist - anders als die in freiheitlicher Selbstbestimmung erfolgende Tätigkeit eines Privaten - stets dem Gemeinwohl verpflichtet. Eine willkürliche Ungleichbehandlung kann dem Gemeinwohl nicht dienen.

 b) Rdnr. 65: Der staatlichen Stelle, die einen öffentlichen Auftrag vergibt, ist es daher verwehrt, das Verfahren oder die Kriterien der Vergabe willkürlich zu bestimmen. Darüber hinaus kann die tatsächliche Vergabepraxis zu einer Selbstbindung der Verwaltung führen. Auf Grund dieser Selbstbindung kann den Vergabeordnungen als den verwaltungsinternen Regelungen über Verfahren und Kriterien der Vergabe eine mittelbare Außenwirkung zukommen (folgen umfangreiche Nachw.)… Insofern verfügt jeder Mitbewerber über ein subjektives Recht, für das effektiver Rechtsschutz gewährleistet werden muss (vgl. BVerfG NJW 2006, 2613).

Ergebnis zu I: B hat ein Recht aus Art. 3 I auf eine sachgerechte Entscheidung über sein Angebot, für das der allgemeine Justizgewährungsanspruch ihm einen gerichtlichen Rechtsschutz garantiert.

II. Nunmehr ist entscheidende Frage, ob der dem B gewährte Rechtsschutz den Anforderungen des Justizgewährungsanspruchs genügt. Im Einklang mit §§ 100 I, 102 ff. GWB § 13 GVG hatte das OLG den B auf Rechtsschutz lediglich nach allgemeinem Zivilprozessrecht verwiesen. Dieser ist, wie bereits im Sachverhalt dieses Falles dargelegt, sehr wenig effektiv. Gleichwohl hält das BVerfG diesen für ausreichend und hat das wie folgt begründet:

1. Rdnr. 67: Es ist Aufgabe des Gesetzgebers, das Rechtsschutzsystem auszuformen und sicherzustellen, dass effektiver Rechtsschutz für den einzelnen Rechtsuchenden besteht (vgl. BVerfGE 107, 396 [408]; st. Rspr.).

2. Bei der hier gegebenen Situation besteht ein Konflikt zwischen

BVerfG Rdnr. 68, 69: Bei einem Widerstreit zwischen den Belangen des Einzelnen…und gegenläufigen Belangen muss der Gesetzgeber entscheiden, ob die allgemeinen in der Rechtsschutzordnung vorgesehenen Schutzmöglichkeiten ausreichen oder aber Sonderregeln geschaffen werden sollen. Der Justizgewährungsanspruch ermöglicht und verlangt in Lagen, in denen unterschiedliche Interessen Mehrer betroffen sind, keine schlichte Maximierung der Rechtsschutzmöglichkeiten des einzelnen Rechtsuchenden. Er zielt vielmehr auf eine sachgerechte Gewichtung und Zuordnung der betroffenen rechtlich geschützten Belange… Dabei kommt ihm ein Einschätzungs- und Beurteilungsspielraum zu… (vgl. BVerfG NVwZ 2006, 1041).

3. Rdnr. 73: Zwar soll - ebenso wie bei Art. 19 IV GG - auch der allgemeine Justizgewährungsanspruch den Rechtsuchenden soweit wie möglich davor bewahren, dass durch die sofortige Vollziehung einer Maßnahme Tatsachen geschaffen werden, die für den Fall, dass sich die Maßnahme als rechtswidrig erweist, nicht mehr rückgängig gemacht werden können (folgen Nachw.).

4. Rdnr. 74: Jedoch liegt es bei Vergabeentscheidungen im gesetzgeberischen Gestaltungsspielraum, das Interesse des Auftraggebers an einer zügigen Ausführung der Maßnahme und das des erfolgreichen Bewerbers an alsbaldiger Rechtssicherheit dem Interesse des erfolglosen Bieters an Primärrechtsschutz vorzuziehen und Letzteren regelmäßig auf Sekundärrechtsschutz zu beschränken. Bei der weiteren Begründung verweist das BVerfG (Rdnr. 79) auch darauf, dass das wirtschaftliche Interesse des B an einer Auftragsvergabe für sich genommen keinen verfassungsrechtlichen Schutz genießt (oben B I 2 b), sondern nur vor willkürlichen Entscheidungen geschützt wird; dann ist ein Ausgleich durch einen nachträglichen Schadensersatzanspruch ausreichend.

Somit genügt der bestehende Rechtsschutz durch die Zivilgerichte, der sich praktisch auf eine nachträgliche Schadensersatzklage beschränkt, den Anforderungen des allgemeinen Justizgewährungsanspruchs. Art. 2 I, 20 III GG sind nicht verletzt.

C. B wäre auch dann in seinem Grundrecht aus Art. 3 I GG verletzt, wenn die unterschiedliche Ausgestaltung des Rechtsschutzes für einen Auftrag oberhalb des Schwellenwertes und für einen unterschwelligen, um den es sich bei B handelt, gegen den allgemeinen Gleichheitssatz verstoßen würde.

I. Für eine Verletzung des Art. 3 I muss zunächst eine Ungleichbehandlung vorliegen. Diese liegt nach BVerfG Rdnr. 85 hier in zweifacher Hinsicht vor:

1. Zum einen gewährt § 97 VII GWB nur im Anwendungsbereich des GWB-Vergaberechts den Unternehmen ein subjektives Recht auf Einhaltung der Bestimmungen über das Vergabeverfahren. Unterhalb der Schwellenwerte besteht kein einfachrechtliches subjektives Recht.

 2. Zum anderen stellen die §§ 102 ff. GWB dem Bewerber um eine Auftragsvergabe ein besonderes Rechtsschutzverfahren zur Durchsetzung seines subjektiven Rechts hinsichtlich der einzelnen Vergabeentscheidung zur Verfügung. Dagegen bleibt ein Unternehmen, das gegen eine Vergabeentscheidung unterhalb der Schwellenwerte vorgehen will, auf die allgemeinen Rechtsschutzmöglichkeiten verwiesen. Diese bleiben hinter dem Verfahren nach §§ 102 ff. GWB hinsichtlich des Primärrechtsschutzes zurück. Regelmäßig wird ein Primärrechtsschutz faktisch ausscheiden, weil zwischenzeitlich der Zuschlag erteilt worden ist [und wegen der Verbindlichkeit des zivilrechtlichen Vertrages auch nicht rückgängig gemacht werden kann].

II. Die Ungleichbehandlungen, die zusammenhängen, könnten aber gerechtfertigt sein.

1. Zu dem Maßstab, der hierfür gilt, führt das BVerfG im Anschluss an seine st. Rspr. aus:

a) Rdnr. 87: Aus dem allgemeinen Gleichheitssatz ergeben sich je nach Regelungsgegenstand und Differenzierungsmerkmalen unterschiedliche Grenzen für den Gesetzgeber, die vom bloßen Willkürverbot bis zu einer strengen Bindung an Verhältnismäßigkeitserfordernisse reichen (folgen Nachw.). Ein strenger Prüfungsmaßstab ist insbesondere angezeigt, wenn eine gesetzliche Regelung zu einer Differenzierung zwischen Personengruppen und nicht lediglich zwischen Sachverhalten führt (…). Weiter ergeben sich aus dem Gleichheitssatz umso engere Grenzen für den Gesetzgeber, je stärker sich die Ungleichbehandlung von Personen oder Sachverhalten auf die Ausübung grundrechtlich geschützter Freiheiten nachteilig auswirken kann (…).

b) Rdnr. 88: Nach diesen Kriterien ist es hier nicht angezeigt, der Prüfung einen strengeren Maßstab als das Willkürverbot zu Grunde zu legen. Die Unterscheidung im Rechtsschutz gegen Vergabeentscheidungen knüpft nicht an die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Personengruppe an, sondern an die Höhe des finanziellen Betrages des zu vergebenden Auftrags. Dies ist ein rein sachverhaltsbezogenes Kriterium… Zudem wirkt sich die Ungleichbehandlung von öffentlichen Aufträgen oberhalb und unterhalb der Schwellenwerte nicht auf die Ausübung grundrechtlich geschützter Freiheiten aus,… insbesondere die Berufsfreiheit nach Art. 12 I GG wird durch eine Nichtberücksichtigung bei der Vergabe grundsätzlich nicht berührt [oben B I 2 b].

2. Die Rechtfertigung der Ungleichbehandlung richtet sich daher nach dem Willkürverbot.

a) BVerfG Rdnr. 89: In seiner Ausprägung als Willkürverbot verlangt Art. 3 I GG nicht, dass der Gesetzgeber unter mehreren möglichen Lösungen die zweckmäßigste oder vernünftigste wählt. Ein vom BVerfG zu beanstandender Verstoß gegen den allgemeinen Gleichheitssatz ist erst dann anzunehmen, wenn offenkundig ist, dass sich für die angegriffene gesetzliche Regelung und die durch sie bewirkte Ungleichbehandlung kein sachlicher Grund finden lässt.

b) Im vorliegenden Fall kann der unterschiedliche (Schwellen-)Wert eines Auftrags vom Gesetzgeber deshalb als Grund für die Ungleichbehandlung herangezogen werden, weil mit dem steigenden Auftragswert auch das Interesse an der Wirtschaftlichkeit der Auftragsvergabe und deren Überprüfung steigt. BVerfG Rdnr. 95: Es ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, wenn das Gesetz davon ausgeht, dass der mögliche Ertrag an Wirtschaftlichkeit, den ein solches Verfahren [d. h. Verfahren nach §§ 102 ff. GWB] mit sich bringen kann, mit dem Betrag der Beschaffung steigt, und dass der Vorteil bei Vergabeentscheidungen oberhalb der Schwellenwerte typischerweise nicht wegen der Kosten entfällt, die mit der Kontrolle nach §§ 102 ff. GWB verbunden sind. Bei unterschwelligen Auftragsvergaben würden dagegen die Kosten eines Nachprüfungsverfahrens sowie die damit möglicherweise verbundenen Erschwernisse und Verzögerungen nicht durch das Interesse an einer Nachprüfung aufgewogen.

c) Schließlich ist noch darauf hinzuweisen, dass der Gesetzgeber mit der Einführung des Verfahrens nach §§ 102 ff. GWB europarechtliche Vorgaben umgesetzt hat. Das BVerfG führt Rdnr. 96 hierzu aus, dass die vorgenommene Differenzierung auch ohne die europarechtlichen Vorgaben hätte vorgenommen werden dürfen, dass aber andererseits die Anknüpfung an die EU-Werte keinen Bedenken aus dem deutschen Verfassungsrecht begegnet.

Somit wird Art. 3 I durch die Regelung des Gesetzgebers in §§ 102 ff. GWB nicht verletzt.

Gesamtergebnis: Eine Verletzung von Grundrechten des B liegt nicht vor. Die VfB ist unbegründet.

Niestedt/Hölzl NJW 2006, 3681 ff. weisen darauf hin, dass der hier betroffene (unterschwellige) Vergabebereich zwar nicht durch sekundäres EU-Recht geregelt ist, dass aber auch in diesem Bereich durchaus grenzüberschreitende und damit dem EU-Primärrecht unterliegende Sachverhalte möglich sind. Deshalb ist zu erwarten, dass diese Frage noch vom EuGH entschieden wird. Dieser scheint strengere Anforderungen an die Notwendigkeit des Primärrechtsschutzes auch im Unterschwellenbereich zu stellen (S. 3681 unter V). Über den Rechtsschutz in Fällen wie denen des B ist deshalb das letzte Wort noch nicht gesprochen.

Zusammenfassung