Bearbeiter: RA Prof. Dieter Schmalz

BAG Beschluss vom 8. 11. 2006 (5 AZB 36/06) NJW 2007, 1227

Rechtsweg zu den Arbeitsgerichten, § 2 ArbGerG. Sozialrecht: Arbeitsgelegenheiten mit Mehraufwandsentschädigung nach § 16 SGB II (Ein-Euro-Jobs); zulässiger Rechtsweg für Streitigkeiten. Rechtscharakter der Eingliederungsvereinbarung zwischen Arbeitslosen und Arbeitsagentur; Rechtscharakter einer die Arbeit betreffenden Vereinbarung zwischen Arbeitslosen und privatem Träger. Öffentlich-rechtlicher Vertrag im Sozialrecht. Einschaltung eines Verwaltungshelfers

Fall (Ein-Euro-Job gekündigt)

K, die spätere Klägerin, ist arbeitslos und erhält Leistungen („ALLG II“) nach dem Sozialgesetzbuch II. Zwischen ihr und der zuständigen Arbeitsagentur A („Jobcenter“) wurde eine Eingliederungsvereinbarung geschlossen. In Ausführung dieser Vereinbarung erhielt K einen sog. Ein-Euro-Job, von § 16 III 2 SGB II als „Arbeitsgelegenheit mit Mehraufwandsentschädigung“ bezeichnet. Träger war B, ein privater Verein. Zwischen K und B wurde am 12. 9. 2005 eine Vereinbarung geschlossen, in der die Arbeitsinhalte, eine wöchentliche Beschäftigungszeit von 30 Stunden, Urlaubsansprüche sowie eine Vergütung von 1, 50 € pro Stunde festgelegt wurden. K führte diese Tätigkeit zunächst ohne Probleme aus. Mit Schreiben vom 31. 1. 2006 an K erklärte B die Tätigkeit der K für „mit sofortiger Wirkung für beendet“. K bestreitet, dass es dafür einen Grund gegeben habe, und beruft sich auf Kündigungsschutz. Sie hat vor dem Arbeitsgericht Klage erhoben und beantragt, 1. festzustellen, dass die fristlose Kündigung des Arbeitsverhältnisses unwirksam sei, 2., 3. (…); 4. die Bekl. B zur Leistung von Schadensersatz wegen entgangener Vergütung in Höhe von 387 € zu verurteilen. Wie wird das ArbGer entscheiden ?

A. Für die Zulässigkeit der vor dem Arbeitsgericht erhobenen Klage ist erforderlich, dass der Rechtsweg zu den Arbeitsgerichten gegeben ist.

I. BAG Rdnr. 10: Gemäß § 2 I Nr. 3 ArbGerG sind die Gerichte für Arbeitssachen ausschließlich zuständig für bürgerliche Rechtsstreitigkeiten zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern in bestimmten im einzelnen aufgeführten Fällen. Ob zwischen K und B ein Arbeitsverhältnis zustande gekommen ist und eine bürgerlich-rechtliche Streitigkeit daraus vorliegt, ist durchaus zweifelhaft.

1. Für den Antrag 1. kommt es darauf aber nicht an. Hier sind die den Rechtsweg begründenden Tatsachen, dass K Arbeitnehmerin des B ist, dieselben, die auch für den materiellen Anspruch erforderlich sind; denn ein Schutz gegenüber einer Kündigung eines auf Arbeit gerichteten Rechtsverhältnisses hat zur Voraussetzung, dass K Arbeitnehmerin des B ist. In solchem Fall wird die Richtigkeit der behaupteten Tatsachen erst innerhalb der Begründetheit geprüft und innerhalb der Zulässigkeit unterstellt. BAG Rdnr. 7: Insoweit genügt die bloße Behauptung der Kl., sie sei Arbeitnehmerin des Bekl.; denn dieser Antrag kann nur begründet sein, wenn die Kl. Arbeitnehmerin ist. Die den Rechtsweg begründenden Tatsachen sind dieselben, die auch den materiellen Anspruch begründen (vgl. BAGE 83, 40…). Für Kündigungsschutzklagen i. S. des § 4 KSchG sind die Gerichte für Arbeitssachen auch dann zuständig, wenn kein Arbeitsverhältnis vorliegt…

 Das gilt allerdings dann nicht, wenn nach der Klagebegründung ein Fall des § 5 I 3 KSchG vorliegt, insbesondere der Kläger Vertretungsorgan (Vorstandsmitglied) einer juristischen Person ist (BAG Rdnr. 7; BAGE 107, 165). Ein solcher Fall liegt hier aber nicht vor.

Somit ist für den Antrag 1. der Rechtsweg zu den Arbeitsgerichten gegeben. Insoweit ist eine Feststellungsklage zulässig.

2. Für den Antrag 4., einen Zahlungsantrag wegen Schadensersatzes, trifft die vorstehende Überlegung nicht zu. Hier ist zu prüfen, ob sich der Klageanspruch wirklich als bürgerlich-rechtliche Streitigkeit zwischen einem Arbeitnehmer und einem Arbeitgeber verstehen lässt.

a) Das BAG geht unter Rdnr. 12 auf die grundsätzliche Regelung der Ein-Euro-Jobs ein: Arbeitsgelegenheiten mit Mehraufwandsentschädigung gehören zu den Leistungen, die ein erwerbsfähiger Hilfebedürftiger nach den Regelungen des SGB II, insbesondere dessen § 16, als Leistungen zur Eingliederung in Arbeit erhalten kann. § 16 III SGB II bestimmt insoweit:

„Für erwerbsfähige Hilfebedürftige, die keine Arbeit finden können, sollen Arbeitsgelegenheiten geschaffen werden. Werden Gelegenheiten für im öffentlichen Interesse liegende, zusätzliche Arbeiten nicht nach Absatz 1 als Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen gefördert, ist den erwerbsfähigen Hilfebedürftigen zuzüglich zum Arbeitslosengeld II eine angemessene Entschädigung für Mehraufwendungen zu zahlen; diese Arbeiten begründen kein Arbeitsverhältnis im Sinne des Arbeitsrechts; die Vorschriften über den Arbeitsschutz und das Bundesurlaubsgesetz mit Ausnahme der Regelungen über das Urlaubsentgelt sind entsprechend anzuwenden; für Schäden bei der Ausübung ihrer Tätigkeit haften erwerbsfähige Hilfsbedürftige nur wie Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer.“

b) Somit liegt wegen § 16 III 2 SGB II kein Arbeitsverhältnis vor. Der Anspruch auf Schadensersatz ist kein Anspruch eines Arbeitnehmers gegen den Arbeitgeber. Der Rechtsweg zu den Arbeitsgerichten ist für den Antrag 4 nicht gegeben.

II. Nach § 17a II 1 GVG verweist das Gericht den Rechtsstreit von Amts wegen an das zuständige Gericht des richtigen Rechtswegs.

1. Um im vorliegenden Fall den richtigen Rechtsweg zu bestimmen, ist der Charakter der Streitigkeit als privatrechtliche (dann Verweisung in den Zivilrechtsweg, § 13 GVG) oder als öffentlich-rechtliche (dann Verwaltungs- oder Sozialrechtsweg) näher zu bestimmen.

a) BAG Rdnr. 14, 15: Regelmäßig wird der Hilfebedürftige durch den Abschluss einer Eingliederungsvereinbarung nach § 15 SGB II zu der Arbeitsgelegenheit mit Mehraufwandsentschädigung herangezogen… Die Eingliederungsvereinbarung hat eine öffentlich-rechtliche Grundlage und begründet ein öffentlich-rechtliches Rechtsverhältnis. Es handelt sich um einen öffentlich-rechtlichen Vertrag (folgen Nachweise). Dies ergibt sich auch daraus, dass die Vereinbarung durch Verwaltungsakt ersetzt werden kann, § 15 I 6 SGB II…Auch ist die Verletzung der Arbeitspflicht aus einer Arbeitsgelegenheit mit Mehraufwandsentschädigung durch sozialrechtliche Vorschriften geregelt. Nach § 31 I Nr. 1 d SGB II kann die Weigerung des Hilfebedürftigen, eine zumutbare Arbeit nach § 16 III 2 SGB II auszuführen, zu Absenkung oder Fortfall des Anspruchs auf Arbeitslosengeld II führen.

b) BAG Rdnr. 16: Die Einbeziehung eines privaten Dritten, wie sie nach § 17 I 1 SGB II bei der Erbringung von Leistungen zur Eingliederung in Arbeit die Regel sein soll, führt nicht dazu, dass das Rechtsverhältnis privatrechtlich gestaltet ist. Zwar unterstehen Rechtsbeziehungen zwischen Privaten grundsätzlich dem Zivilrecht. Ausnahmsweise können sie aber dem öffentlichen Recht zuzuordnen sein, wenn eines der Privatrechtssubjekte seinerseits als Teil der öffentlichen Verwaltung zu betrachten ist oder jedenfalls auf die Erfüllung öffentlich-rechtlicher Pflichten in Anspruch genommen wird (BAGE 93, 310 [313]…). Das ist vorliegend der Fall.

Anschließend geht das BAG auf die Rechtsstellung des privaten Dritten und dessen Rechtsverhältnis zu dem Ein-Euro-Jobber ein, lässt aber offen, welcher der beiden hierzu vertretenen Auffassungen zu folgen ist:

(1) Nach der einen Auffassung ist der Dritte bloß Verwaltungshelfer, so dass zwischen ihm und dem Arbeitslosen keine vertraglichen Beziehungen entstehen, diese also auch nicht privatrechtlicher Natur sein können. (Vgl. Rixen/Pananis NJW 2005, 2180, die für eine zwischen dem Dritten und dem Ein-Euro-Jobber tatsächlich geschlossene Vereinbarung - wie im vorliegenden Fall - phantasievolle Beschreibungen finden wie: „simuliert einen Vertragsschluss, der allen Beteiligten ein besseres, aber rechtlich folgenloses Gefühl verschaffen soll“ = „gefühlter Vertragsschluss“, „psychologisch entlastendes Vertragsplacebo“.)

(2) Würde man dagegen einen Vertrag zwischen Dritten und Arbeitslosen annehmen, wäre dieser als öffentlich-rechtlicher Vertrag einzuordnen (BAG Rdnr. 18), weil er den in § 16 SGB II, einer öffentlich-rechtlichen Vorschrift, vorgeprägten Inhalt hat. Insbesondere schuldet der Grundsicherungsträger - die Bundesagentur für Arbeit - die Vergütung, dies selbst dann, wenn der private Träger diese an den Ein-Euro-Jobber auszahlt (BAG Rdnr. 20). BAG: Der Sinn des Ausschlusses eines Arbeitsverhältnisses in § 16 II 2 Halbs. 2 SGB II besteht darin, ein zivilrechtliches Vertragsverhältnis überhaupt auszuschließen.

Folglich ist der Zivilrechtsweg (§ 13 GVG) ausgeschlossen.

2. Wie sich aus den bisherigen Ausführungen ergibt, sind die auch für das Rechtsverhältnis zwischen K und B maßgebenden Rechtsnormen solche des SGB II, also sozialrechtlicher Natur. Zwischen K und B besteht ein Sozialrechtsverhältnis (BAG Rdnr. 20 a. E.). Deshalb kommt das BAG zu dem Ergebnis, dass der Sozialrechtsweg gegeben ist. Rdnr. 25: Die Zuständigkeit der Sozialgerichte folgt aus § 51 I Nr. 4a SGG [Sozialgerichtsgesetz]. Danach sind die Sozialgerichte für öffentlich-rechtliche Streitigkeiten in Angelegenheiten der Grundsicherung für Arbeitssuchende zuständig. Das gilt auch für das Schadensersatzbegehren der Kl. Insoweit kann der Anspruch aus der Verletzung eines öffentlich-rechtlichen Vertrags folgen… (oder aus der Verletzung eines sonstigen, sozialrechtlichen Schuldverhältnisses).

Somit verweist das Arbeitsgericht Antrag 4. des Rechtsstreits an das örtlich zuständige Sozialgericht (das dann die Begründetheit der auf Schadensersatz gerichteten Klage der K prüfen muss).

B. Hinsichtlich des Antrags 1 (auf arbeitsrechtlichen Kündigungsschutz) war die Klage zulässig.

I. Für die Begründetheit ist erforderlich, dass K Arbeitnehmerin des B ist, weil ihr nur dann ein arbeitsrechtlicher Kündigungsschutz zustehen kann. Aus den Ausführungen oben A I 2 ergibt sich, dass das wegen § 16 III 2 SGB II nicht der Fall ist. Somit ist die Klage hinsichtlich des Antrags 1 als unbegründet abzuweisen. (Das BAG hat vorliegenden Fall nicht zur Begründetheit Stellung genommen, weil es sich um ein Vorabentscheidungsverfahren nach § 17a II, III GVG handelte, in dem nur über die Rechtswegfrage zu entscheiden war.)

II. Künftig werden also Ein-Euro-Jobber, wenn sie sich gegen die von dem privaten Träger ausgesprochene Beendigung der Arbeitstätigkeit wenden, ebenfalls im Sozialrechtsweg (§ 51 I Nr. 4a SGG) klagen müssen. Denn nur dort können sie eine Sachprüfung der sich aus ihrem Sozialrechtsverhältnis ergebenden Ansprüche und sonstigen Rechtsfragen erreichen. Letztlich ist also für eine Erfolg versprechende Rechtsverfolgung aller Ansprüche der Ein-Euro-Jobber der Sozialrechtsweg gegeben (so auch der in der nachfolgenden Zusammenfassung wiedergegebene Leitsatz des BAG).

Zusammenfassung