Bearbeiter: Prof. Dieter Schmalz
► Abstrakte Normenkontrolle, Art. 93 I Nr. 2 GG, §§ 76 ff. BVerfGG. ► Verteilung der Gesetzgebungskompetenzen auf Bund und Länder, Art. 70 ff. GG. ► Konkurrierende Gesetzgebungskompetenz nach Art. 74 I Nr. 1 GG für das bürgerliche Recht; Miethöhenbegrenzung als bürgerliches Recht. ► Gebrauchmachen des Bundes (Art. 72 I GG) durch abschließende Regelung im BGB. ► Eigentumsschutz (Art. 14 GG) gegenüber Miethöhenbegrenzung
BVerfG Beschluss vom 25.3.2021 (2 BvF 1/20) NJW 2021, 1377
Fall (Berliner Mietendeckel)
Seit mehreren Jahren steigen die Mieten in Teilen Deutschlands, insbesondere in einigen Großstädten, stark an. Folge ist, dass selbst Bevölkerungsgruppen mit mittlerem Einkommen sich die Mieten nur noch knapp oder gar nicht mehr leisten können. Der Bundesgesetzgeber hat deshalb im Jahre 2015 die §§ 556d ff. in das BGB als sog. Mietpreisbremse eingefügt, wonach bei Vermietungen in einem Gebiet „mit einem angespannten Wohnungsmarkt“ die zulässige Miete die ortsübliche Vergleichsmiete um höchstens 10 Prozent übersteigen darf. Die Gebiete mit angespanntem Wohnungsmarkt werden durch RechtsVO der Landesregierung festgelegt; die Geltung der RechtsVO ist auf fünf Jahre begrenzt. Die einer Begrenzung der Miethöhe dienenden Vorschriften des BGB wurden seitdem mehrfach fortgeschrieben.
In Berlin sind Senat und Abgeordnetenhaus nach gründlicher Prüfung zu dem Ergebnis gekommen, dass trotz der Regelungen im BGB die Mieten in Berlin weiterhin stark steigen und die Belastungen der Mieter weiter zunehmen. Im Jahre 2020 wurde deshalb das „Gesetz zur Mietenbegrenzung im Wohnungswesen in Berlin“ (MieWoG Bln) erlassen. Anwendungsbereich ist nach § 1 die Vermietung frei finanzierter Wohnungen, so dass es bei öffentlich geförderten Wohnungen (Sozialwohnungen) bei den für diese geltenden Regelungen bleibt. Das MieWoG Bln enthält in § 3 für bestehende Mietverhältnisse einen Mietenstopp, der Mieterhöhungen grundsätzlich ausschließt. Bei Wiedervermietungen und Neuvermietungen gilt nach § 4 eine Mietobergrenze. Bei besonderer Ausstattung der Wohnung und bei Modernisierung sind Zuschläge möglich. Eine Anpassung der zulässigen Miethöhe an die Inflation ist vorgesehen. Nach § 8 kann in Härtefällen eine höhere Miete genehmigt werden, insbesondere wenn die Erträge aus der nach den §§ 3 ff. zulässigen Miete so niedrig sind, dass es zu dauernden Verlusten oder zur Substanzgefährdung des Mietobjekts kommt. Die Beachtung der wichtigsten Regelungen des MieWoG wird durch die für das Wohnungswesen zuständige Behörde überwacht. Das Fordern einer nach diesen Regelungen nicht zulässigen Miete ist verboten und kann als Ordnungswidrigkeit verfolgt werden. Die Geltung des Gesetzes ist auf fünf Jahre begrenzt.
Eine Gruppe von Bundestagsabgeordneten aus der CDU/CSU- und FDP-Fraktion, die mehr als ein Viertel der Mitglieder des Bundestages bilden, hat beim Bundesverfassungsgericht beantragt, das Gesetz für nichtig zu erklären. Der Berliner Gesetzgeber sei für Regelungen des Mietrechts nicht zuständig. Auch greife das MieWoG unverhältnismäßig in Grundrechte der Vermieter ein. Der Berliner Senat beruft sich darauf, das Gesetz sei sozialstaatlich geboten, um die Vertreibung ganzer Bevölkerungsgruppen aus ihren bisherigen Wohnbezirken zu vermeiden, und enthalte deshalb eine sozialverwaltungsrechtliche und keine mietrechtliche Regelung. Wie wird das BVerfG über den Antrag entscheiden?
Lösung
A. Der Antrag könnte im Verfahren der abstrakten Normenkontrolle (Art. 93 I Nr. 2 GG, §§ 76 ff. BVerfGG) zulässig sein. Danach obliegt dem BVerfG die Streitentscheidung im Falle von Meinungsverschiedenheiten oder Zweifeln über die förmliche oder sachliche Vereinbarkeit von Bundesrecht oder Landesrecht mit diesem Grundgesetz auf Antrag der Bundesregierung, einer Landesregierung oder eines Viertels der Mitglieder des Bundestages.
I. Mögliche Antragsteller (beteiligtenfähig) sind u. a. ein Viertel der Mitglieder des Bundestages; sie haben den hier zu prüfenden Antrag gestellt. Einen Antragsgegner kennt das Verfahren der abstrakten Normenkontrolle nicht; es handelt sich um ein nicht kontradiktorisches, objektives Beanstandungsverfahren. Die Stellungnahme des Berliner Senats beruht auf seiner Äußerungsbefugnis nach § 77 I BVerfGG.
II. Streitgegenstand (Antragsgegenstand) ist die Vereinbarkeit einer Rechtsnorm mit höherrangigem Recht. Im vorliegenden Fall ist es die (Un-) Vereinbarkeit des MieWoG mit der Zuständigkeitsregelung des GG und mit Grundrechten. BVerfG [65] Der Antrag ist auf einen tauglichen Gegenstand gerichtet, da die angegriffenen Regelungen…zum Zeitpunkt der Antragstellung noch Rechtswirkungen entfaltet haben und weiterhin entfalten.
III. Die Antragsteller müssen über die Antragsbefugnis verfügen.
1. Nach Art. 93 I Nr. 2 GG reichen hierfür „Meinungsverschiedenheiten oder Zweifel“ über die Vereinbarkeit der angegriffenen Norm mit dem höherrangigen Recht aus. Demgegenüber verlangt § 76 BVerfGG, dass der Antragsteller die Rechtsnorm für nichtig hält oder für gültig, nachdem ein Organ des Bundes oder des Landes die Norm als unvereinbar mit dem GG oder sonstigem Bundesrecht nicht angewendet hat. Die (etwas strengeren) Voraussetzungen des § 76 BVerfGG sind hier erfüllt, weil die Antragsteller das MieWoG für nichtig halten.
2. Das BVerfG fasst die beiden Fälle des § 76 BVerfGG zusammen und interpretiert sie so, dass ein Klarstellungsinteresse bestehen muss. [66, 67] Das für eine abstrakte Normenkontrolle notwendige objektive Klarstellungsinteresse an der Gültigkeit der Norm (vgl. BVerfGE 6, 104, 110;…152, 161 f. Rn. 27; st. Rspr.) ist zu bejahen. Ein solches Klarstellungsinteresse ist indiziert, wenn ein auf das GG in besonderer Weise verpflichtetes Organ oder ein Organteil von der Unvereinbarkeit der Norm mit höherrangigem Bundesrecht überzeugt ist und eine diesbezügliche Feststellung beim BVerfG beantragt (…). Es entfällt lediglich, wenn von der zur Prüfung gestellten Norm unter keinem denkbaren Gesichtspunkt mehr Rechtswirkungen ausgehen können (…). Eines subjektiven allgemeinen Rechtsschutzinteresses bedarf es dagegen nicht. Vorliegend sind die Antragsteller nach ihrem Vortrag von der Nichtigkeit der angegriffenen Vorschriften des Gesetzes zur Mietenbegrenzung im Wohnungswesen in Berlin überzeugt. Somit besteht das für die Antragsbefugnis erforderliche Klarstellungsinteresse.
3. Ein darüber hinausgehender Anlass für den Antrag braucht nicht vorzuliegen. Während bei der konkreten Normenkontrolle nach Art. 100 GG (Richtervorlage) ein konkreter Rechtsstreit Anlass sein muss, dessen Entscheidung von der Gültigkeit der Norm abhängt, ist das bei der abstrakten Normenkontrolle nicht erforderlich. (Im Originalfall hatte das BVerfG neben der hier als Aufgabe gestellten abstrakten Normenkontrolle auch über zwei Richtervorlagen nach Art. 100 GG zu entscheiden, vgl. BVerfG [44-57].)
IV. Eine Frist braucht bei der abstrakten Normenkontrolle nicht eingehalten zu werden. Von der Beachtung der formellen Voraussetzungen (§ 23 BVerfGG: schriftlich und mit Begründung) ist auszugehen. Somit ist der Antrag zulässig (BVerfG [62]).
B. Begründet ist der Normenkontrollantrag nach § 78 BVerfGG, wenn das MieWoG Bln mit dem GG nicht vereinbar ist. In formeller Hinsicht ist zu prüfen, ob dem Berliner Landesgesetzgeber die Gesetzgebungskompetenz zusteht.
I. Entsprechend der in Art. 30 GG enthaltenen Grundregel für die Kompetenzverteilung im Bundesstaat des Grundgesetzes haben nach Art. 70 I GG die Länder die Gesetzgebungskompetenz, aber nur soweit das GG nicht dem Bund Gesetzgebungsbefugnisse verleiht. Länderkompetenzen bestehen deshalb nur nach Maßgabe der Bundeskompetenzen.
1. BVerfG [80] Eine Zuweisung von Gesetzgebungskompetenzen an den Bund findet sich ausweislich Art. 70 Abs. 2 GG vor allem in den Vorschriften über die ausschließliche (Art. 73 GG) und die konkurrierende Gesetzgebung (Art. 74 GG). Daneben werden dem Bund in Einzelbestimmungen weitere Gesetzgebungsbefugnisse zugewiesen (das BVerfG zählt zahlreiche davon auf, z. B. Art. 38 Abs. 3, Art. 84 Abs. 1 Satz 2 GG).
2. [81] Mit Hilfe dieser Zuweisungen bewirkt das GG grundsätzlich eine vollständige Verteilung der Gesetzgebungszuständigkeiten entweder auf den Bund oder die Länder. Doppelzuständigkeiten sind den Kompetenznormen fremd und wären mit ihrer Abgrenzungsfunktion unvereinbar… Auch wenn die Materie eines Gesetzes Bezug zu verschiedenen Sachgebieten aufweist, die teils dem Bund, teils den Ländern zugewiesen sind, besteht die Notwendigkeit, sie dem einen oder anderen Kompetenzbereich zuzuweisen (vgl. BVerfGE 36, 193, 202 f.;…106, 62, 114).
II. Für die Regelung der Miethöhe aus sozialen Gründen enthält das GG keine ausschließliche Gesetzgebungskompetenz des Bundes (Art. 73 GG) und auch keine Einzelzuweisung in einer Spezialvorschrift.
III. Das MieWoG könnte zur konkurrierenden Bundeszuständigkeit gehören und eine Zuständigkeit des Landes Berlin nach Art. 74, 72 GG ausschließen.
1. Als Sachgebiet der konkurrierende Bundeszuständigkeit kommt das bürgerliche Recht i. S. des Art. 74 I Nr. 1 GG in Betracht.
a) Dann müsste das MieWoG zum bürgerlichen Recht gehören.
aa) BVerfG [111,112] Nach dem durch Staatspraxis und Regelungstradition seit nunmehr 150 Jahren geprägten Rechtsverständnis umfasst das bürgerliche Recht die Gesamtheit aller Normen, die herkömmlicherweise dem Zivilrecht zugerechnet werden (vgl. BVerfGE 11, 192, 199; 142, 268, 282 f. Rn. 54).…Entscheidend ist, ob durch eine Vorschrift Privatrechtsverhältnisse geregelt werden, also die Rechtsverhältnisse zwischen Privaten und die sich aus ihnen ergebenden Rechte und Pflichten (vgl. BVerfGE 42, 20, 31; 142, 268, 282 f. Rn. 54). Das gilt auch, soweit Regelungen des Privatrechts im normativen Zusammenhang mit (einzelnen) öffentlich-rechtlichen Vorschriften stehen und vom Traditionszusammenhang des bürgerlichen Rechts umfasst werden, sofern der Regelungsschwerpunkt im Privatrecht verbleibt… Das bürgerliche Recht im Sinne von Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG umfasst neben den fünf Büchern des BGB als weitgehend abschließender Regelung wichtiger Kernbestandteile des Privatrechts auch vielfältige Nebengesetze zur Ordnung von Privatrechtsverhältnissen wie etwa das Wohnungseigentumsgesetz und das Beurkundungsgesetz. Mitunter enthalten diese Nebengesetze verwaltungsrechtliche, ordnungswidrigkeiten- und strafrechtliche Vorkehrungen zu ihrer Durchsetzung.
BVerfG [98-102] Wie auch Art. 73 GG enthält Art. 74 GG zur Umschreibung der dort geregelten Gesetzgebungsgegenstände durchweg unbestimmte und daher auslegungsbedürftige Rechtsbegriffe… Die Auslegung der Kompetenztitel folgt den allgemeinen Regeln der Verfassungsinterpretation (…), die auf Wortlaut, Systematik, Normzweck und Entstehungsgeschichte abstellt… Für Zweckmäßigkeitsüberlegungen ist in diesem Zusammenhang ebenso wenig Raum wie für am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit oder dem Subsidiaritätsprinzip orientierte Abwägungen… Auch begründet Art. 70 Abs. 1 GG keine Auslegungsmaxime, nach der die Kompetenzverteilungsregeln des GG im Zweifel zugunsten der Länder auszulegen wären.
bb) Danach gehört das Mietrecht des BGB zum bürgerlichen Recht. Die im MieWoG geregelte Miethöhe gehört zum Mietrecht. Dieses regelt Mietverhältnisse als privatrechtliche Rechtsverhältnisse. Die Miethöhe betrifft unmittelbar die Mietzahlungspflicht aus § 535 II BGB.
BVerfG [113, 114] Das Recht der Mietverhältnisse ist seit dem Inkrafttreten des Bürgerlichen Gesetzbuchs in den §§ 535 ff. BGB geregelt und - ungeachtet zahlreicher Änderungen - ein essentieller Bestandteil des bürgerlichen Rechts. Das gilt insbesondere für Mietverhältnisse über Wohnungen (§ 549 BGB). Die Überlassung einer Wohnung beruht auf einem Vertrag zwischen Vermieter und Mieter, in dem Mietsache, Gebrauch, Mietdauer und die zu zahlende Miete festgelegt werden… Ergeben sich die - synallagmatischen - Pflichten der Gebrauchsüberlassung einerseits und der Mietzahlung andererseits jedenfalls dem Grunde nach aus dem zwischen Vermieter und Mieter frei angebahnten und abgeschlossenen Mietvertrag, geht es um ein dem bürgerlichen Recht zuzuordnendes Rechtsverhältnis. Das gilt auch dann, wenn die privatautonom begründeten Rechte und Pflichten durch den Gesetzgeber näher ausgestaltet oder begrenzt werden.
b) Das MieWoG enthält allerdings kein typisches privatrechtliches Mietrecht.
aa) Es verfolgt in erster Linie den Zweck, die Mieten auf einem sozialverträglichen Niveau zu halten und die derzeitigen Mieter vor einer Vertreibung zu schützen, also Zwecke, wie sie ähnlich im öffentlich-rechtlichen Sozialrecht verfolgt werden. Das Instrumentarium der Erteilung von Ausnahmen, der behördlichen Überwachung, der Möglichkeit von Bußgeldern gleicht eher verwaltungsrechtlichen Maßnahmen. Nach Auffassung des Landes Berlin, gestützt auf ein Gutachten (vgl. BVerfG [10, 24, 37-41]), enthält das MieWoG öffentlich-rechtliches Preisrecht durch Preisvorgaben für Mietverträge und durch öffentlich-rechtliche Verbote. (Vgl. auch Putzer NVwZ 2019, 283 ff.; Schemmel JuS 2020, 529 ff.)
bb) Dieser Auffassung ist das BVerfG jedoch nicht gefolgt. [111] Ein sozialstaatlich motivierter Eingriff in das Marktgeschehen mit dem Ziel, soziale Disparitäten auszugleichen oder zu beseitigen, lässt den Kompetenztitel des Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG nicht entfallen (vgl. BVerfGE 142, 268, 283 Rn. 55). [136-147] Von Anfang an stellte sich das soziale Mietrecht als ein Konglomerat von Rechtsvorschriften dar, bei dem zivilrechtliche und öffentlich-rechtliche Anteile immer wieder wechselten. Ausgangs- und Bezugspunkt aller mietrechtlichen Vorschriften war stets das durch § 535 BGB geregelte Rechtsverhältnis, wonach der Vermieter verpflichtet ist, dem Mieter die Mietsache zum vertragsgemäßen Gebrauch zu überlassen (Abs. 1 Satz 1), und der Mieter die vereinbarte Miete zu entrichten hat (Abs. 2). Das wird nicht dadurch in Frage gestellt, dass das Recht der Mietverhältnisse seit Langem nicht nur zivilrechtliche, sondern (auch) öffentlich-rechtliche Vorkehrungen kannte und dass Letztere nicht die Ausnahme, sondern die Regel bildeten. Denn die - krisenbedingt - öffentlich-rechtliche Regulierung blieb mit der zivilrechtlichen Grundkonzeption des Mietverhältnisses stets auf das Engste verflochten, so dass eine klare Abgrenzung kaum möglich war und in der Staatspraxis nicht vorgenommen wurde… Dementsprechend hat der Bundesgesetzgeber Gesetze zur Regelung der Miethöhe jeweils allein auf der Grundlage von Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG erlassen. Das gilt für die Einführung der Mietpreisbremse (§§ 556d ff. BGB)… Auch das Mietrechtsanpassungsgesetz wurde auf Art.74 Abs. 1 Nr. 1 GG gestützt, ebenso das Gesetz zur Verlängerung des Betrachtungszeitraums für die ortsübliche Vergleichsmiete… Das BVerfG hat die Gesetzgebungskompetenz des Bundes aus Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG ausdrücklich bejaht (vgl. BVerfG 1 BvR 605/92, juris, Rn. 8)… Schließlich geht die herrschende Auffassung im Schrifttum nahezu einhellig davon aus, dass die Regelungen des BGB zur Miethöhe für ungebundenen Wohnraum durch die konkurrierende Gesetzgebung für das „bürgerliche Recht“ gedeckt sind (folgen Nachw.). Folglich stehen die sozialpolitischen Zielsetzungen des MieWoG dessen Zuweisung zum Sachgebiet des bürgerlichen Rechts (Art. 74 I Nr. 1 GG) nicht entgegen.
c) Da die Begrenzung der Miethöhe auch gegenüber Wohnungskonzernen wirkt, die die Wohnungen gewerblich vermieten, könnte diese dem „Recht der Wirtschaft“ (Art. 74 I Nr. 11 GG) zugewiesen werden. BVerfG [176, 177] Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 GG umfasst alle das wirtschaftliche Leben und die wirtschaftliche Betätigung als solche regelnden Normen, die sich in irgendeiner Weise auf die Erzeugung, die Herstellung und die Verteilung von Gütern des wirtschaftlichen Bedarfs beziehen (vgl. BVerfGE 8, 143, 148 f.;…135, 155, 196 Rn. 101; st. Rspr.).
a) Auf dieser Grundlage können das Wirtschaftsleben insgesamt sowie Fragen der Wirtschaftsorganisation, einzelner Wirtschaftszweige und bestimmter wirtschaftender Personen geregelt werden (vgl. Seiler, in: Epping/Hillgruber, BeckOK GG, Art. 74 Rn. 32 [15.Februar 2021]). Daneben zählen hierzu Normen, die ordnend und lenkend in das Wirtschaftsleben eingreifen (vgl. BVerfGE 4, 7, 13;… 82, 159, 179; Degenhart, in: Sachs, GG, 8. Aufl. 2018, Art. 74 Rn. 50). Die Kompetenznorm erfasst insoweit das öffentliche und das private Wirtschaftsrecht (…). Das gilt grundsätzlich auch für die Preisbildung und -überwachung sowie den Verbraucherschutz.
b) Jedoch sind, um Doppelzuweisungen zu verhindern, Art. 74 I Nr. 1 und Nr. 11 so abzugrenzen, dass Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 GG gegenüber kompetenziellen Spezialregelungen innerhalb und außerhalb des Katalogs von Art. 74 GG (lediglich) die Funktion eines subsidiären Auffangtatbestands hat (vgl. Oeter, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Bd. 2, 7. Aufl. 2018, Art. 74 Rn. 96). Auch steht der primär sozialstaatliche Zweck des MieWoG einer Zuweisung zum Recht der Wirtschaft entgegen.
Somit fällt das MieWoG nicht unter das Recht der Wirtschaft (BVerfG [175]).
2. Bei Gesetzen auf den Gebieten der konkurrierenden Gesetzgebungskompetenz ist außerdem Art. 72 GG anzuwenden.
Für den Bund gilt, BVerfG [86] Sofern nicht die Erforderlichkeitsklausel des Art. 72 Abs. 2 GG eingreift, kann der Bund Gegenstände der konkurrierenden Gesetzgebung ohne weitere Voraussetzungen an sich ziehen. Dies ergibt sich - argumentum e contrario - aus der in Art. 72 Abs. 2 GG enthaltenen Aufzählung. Die Gegenstände der dort nicht erwähnten Materien kann der Bundesgesetzgeber ohne Weiteres regeln. Das trifft auf das bürgerliche Recht zu, weil dieses in Art. 72 II GG nicht aufgeführt ist.
Dagegen sind die Länder nur zuständig, solange und soweit der Bund von seiner Gesetzgebungsbefugnis nicht Gebrauch gemacht hat (Art. 72 I GG). BVerfG [87] Macht der Bund von der konkurrierenden Gesetzgebung Gebrauch, verlieren die Länder gemäß Art. 72 Abs. 1 GG das Recht zur Gesetzgebung in dem Zeitpunkt („solange“) und in dem Umfang („soweit“), in dem der Bund die Gesetzgebungskompetenz zulässigerweise in Anspruch nimmt (sog. Sperrwirkung). Soweit die Sperrwirkung reicht, entfällt die Gesetzgebungskompetenz der Länder (vgl. BVerfGE 20, 238, 250;…113, 348, 371 f.; Oeter, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Bd. 2, 7. Aufl. 2018, Art. 72 Rn. 85). Die Sperrwirkung verhindert für die Zukunft den Erlass neuer Landesgesetze und entzieht in der Vergangenheit erlassenen Landesgesetzen die Kompetenzgrundlage, so dass sie nichtig sind beziehungsweise werden.
Nach Art. 72 I GG fehlt deshalb dem Land Berlin die Zuständigkeit zum Erlass des MieWoG, wenn der Bund zum Schutz der Mieter vor unsozialen Mietsteigerungen die Miethöhe geregelt hat.
a) Ein Stopp von Mieterhöhungen, so wie er im MieWoG enthalten ist, findet sich im Bundesrecht nicht. Die Regelung in § 558 BGB und die Mietpreisbremse des § 556d BGB lassen vielmehr Erhöhungen bis zur ortsüblichen Vergleichsmiete und 10 % darüber ausdrücklich zu.
b) Ein Gebrauchmachen liegt aber auch dann vor, wenn der Bund eine Materie abschließend geregelt hat. Eine solche abschließende Regelung könnte in den §§ 556 bis 561 BGB enthalten sein. In diesen Vorschriften finden sich Regelungen, die den Anstieg der Mieten begrenzen, insbesondere die Vorschriften über die Mietpreisbremse in § 556d II BGB und über Mieterhöhungen in § 558 BGB.
aa) BVerfG [149, 150] Mit dem Mietrechtsnovellierungsgesetz von 2015 und später mit vier, teils umfangreichen Gesetzen hat der Bund auf die sich verschärfende Wohnungssituation in den Ballungsgebieten reagiert und versucht, mit detaillierten Regelungen einen Ausgleich zwischen den Interessen der Vermieter und der Mieter herbeizuführen und hierdurch die Mietpreisentwicklung in angespannten Wohnungsmärkten zu dämpfen. Schon Regelungsintensität und Häufigkeit dieser bundesgesetzlichen Nachsteuerung legen nahe, dass es sich bei den §§ 556 ff. BGB um eine umfassende und abschließende Regelung handelt. Die §§ 556 ff. BGB enthalten keine Regelungsvorbehalte, Öffnungsklauseln oder Ermächtigungsvorschriften, die den Ländern den Erlass eigener oder abweichender mietpreisrechtlicher Vorschriften ermöglichen würden. Das ausdifferenzierte Regelungssystem und der Zusammenhang mit dem Kündigungsschutzrecht machen deutlich, dass der Bundesgesetzgeber eine abschließende Regelung treffen wollte (folgen Nachw. auf die Literatur). Andernfalls käme es auch zu Widersprüchen zwischen Landes- und Bundesrecht. BVerfG [167] So wird durch die Mietobergrenzen des MieWoG die Vereinbarung einer 110 % der ortsüblichen Vergleichsmiete betragenden Miete entgegen § 556d Abs. 1 BGB ausgeschlossen.
bb) [159] Die abschließende Regelung der Miethöhe wird nicht durch die in § 556d Abs. 2 BGB normierte Verordnungsermächtigung der Länder in Frage gestellt… Die Verordnungsermächtigung eröffnet den Ländern keinen inhaltlichen Gestaltungsspielraum, sondern erschöpft sich darin, die auf Ebene des BGB detailliert ausgestaltete Mietpreisbremse nach Maßgabe der in den einzelnen Ländern bestehenden Verhältnisse zur Anwendung zu bringen. Zweck der Verordnungsermächtigung ist es allein, angesichts der Heterogenität der lokalen Mietwohnungsmärkte den insoweit sachnäheren Ländern die Festlegung der Gebiete mit angespannten Wohnungsmärkten zu überlassen… Die Länder können nur innerhalb des engen bundesgesetzlich vorgegebenen Rahmens regelnd tätig werden und sind darauf beschränkt, die Vollziehbarkeit der bundesgesetzlichen Regulierung für ihren Bereich sicherzustellen.
cc) Dass die Mietpreisbremse des BGB nicht ausreicht, um für sozialverträgliche Mieten auch in bestimmten Großstädten wie Berlin und München zu sorgen, ist unerheblich. Wenn der Bund von seiner Gesetzgebungskompetenz abschließend Gebrauch macht, trägt er die Verantwortung auch für Mängel seiner Gesetzgebung.
c) Folglich gilt, BVerfG [160] Da der Bund mit den Regelungen über die Miethöhe im Allgemeinen (§§ 556 ff. BGB) und die Mietpreisbremse im Besonderen (§§ 556d ff. BGB) für Mietverhältnisse über ungebundenen Wohnraum von der konkurrierenden Gesetzgebung für das bürgerliche Recht abschließend Gebrauch gemacht hat, sind die Länder von Regelungen zur Festlegung der Miethöhe in diesem Bereich ausgeschlossen (Art. 72 Abs. 1 GG). Dem Land Berlin fehlte deshalb zum Erlass des MieWoG die Gesetzgebungskompetenz, was zur Nichtigkeit des gesamten MieWoG führt (BVerfG [78, 186]).
C. Das MieWoG könnte gegen Grundrechte verstoßen. Im Verfahren der abstrakten Normenkontrolle sind grundsätzlich alle möglicherweise verletzten formellen und materiellen Vorschriften des GG zu prüfen, nicht nur solche, die mit der Rechtsstellung des Antragstellers zusammenhängen. (Im Originalfall hatte das BVerfG keine weitere Prüfung vorgenommen, so dass die folgenden Ausführungen nicht durch Originalzitate aus dieser Entscheidung belegt werden können.)
I. Das MieWoG könnte das Grundrecht der Vermieter auf Schutz des Eigentums (Art. 14 I GG) verletzen.
1. Vermieter sind in der Regel Eigentümer der vermieteten Wohnung und fallen deshalb unter den Schutzbereich des Art. 14 GG. Durch das Eigentum an einer Sache werden der Besitz und die Nutzung der Sache geschützt, genauer: das Haben, Nutzen, Schützen und Verfügen über die Sache (vgl. § 903, 1 BGB). Die Begrenzung der Miethöhe beschränkt die Nutzungsmöglichkeit des Mietobjekts als Einnahmewuelle. Folglich bedeutet die Mietenbegrenzung einen Eingriff in das Eigentum (so BVerfG NJW 2019, 3054 in der Entscheidung über die Verfassungsmäßigkeit der Mietpreisbremse nach § 556d BGB, dort Rn. 53). Dabei braucht zwischen dem Mietenstopp nach § 3 MieWoG und der Obergrenze nach § 4 nicht unterschieden zu werden, da beide Regelungen der Mietenbegrenzung dienen.
2. Eine Rechtfertigung des Eingriffs in Eigentum kann über den Gesetzesvorbehalt des Art. 14 I 2 GG erfolgen. Gesetz im vorliegenden Fall ist das MieWoG. Es müsste formell und materiell verfassungsmäßig sein.
a) Zur formellen Verfassungsmäßigkeit gehören Gesetzgebungszuständigkeit und ein ordnungsgemäßes Gesetzgebungsverfahren. Beim MieWoG fehlt es dem Land Berlin an der Gesetzgebungszuständigkeit (oben B). Dieser Verstoß führt zugleich zu einer Verletzung des Art. 14 GG. Für die betroffenen Vermieter hätte deshalb die Möglichkeit einer Verfassungsbeschwerde bestanden, allerdings erst nach Durchlaufen des (Zivil-) Rechtswegs (§ 90 II BVerfGG).
b) In materieller Hinsicht muss die Regelung dem Prinzip der Verhältnismäßigkeit entsprechen, also geeignet, erforderlich und angemessen sein; insgesamt muss der Gesetzgeber einen Ausgleich zwischen den Eigentumsinteressen der Vermieter und dem die Mieter begünstigenden Gebot der Sozialbindung (Art. 14 II GG) herstellen.
In der Entscheidung über die Mietpreisbremse des § 556d BGB hat BVerfG NJW 2019, 3054 diese für verhältnismäßig erklärt. Allerdings können die dortigen Überlegungen nicht auf das MieWoG übertragen werden, weil dessen Regelungen für die Vermieter deutlich restriktiver sind.
aa) Das MieWoG verfolgt legitime Ziele und ist geeignet, diese zu fördern, weil viele Mieter danach damit rechnen konnten, von stärkeren Mietsteigerungen während der nächsten Jahre verschont zu bleiben.
bb) Erforderlich ist eine Mietenbegrenzung, wie sie im MieWoG angeordnet wurde, dann nicht, wenn mildere Mittel zur Verhinderung unsozialer Miethöhen zur Verfügung stehen. Die Mietpreisbremse des BGB hat nach der im Sachverhalt wiedergegebenen Prüfung und auch nach den bekannten Verhältnissen in Berlin die Mietsteigerungen nicht verhindert. Vielfach wird erklärt, ein verstärkter Wohnungsbau könne den Anstieg der Mieten stoppen. Jedoch sind gerade frei finanzierte neue Wohnungen besonders teuer. Dass ein sozialer Wohnungsbau in einem Umfang möglich ist, dass er das Mietniveau in ganz Berlin spürbar beeinflusst, kann angesichts der Knappheit von Bauland und auch von Planungs- und Baukapazitäten nicht angenommen werden. Auch wird durch vermehrten Wohnungsbau das Ziel nicht erreicht, die Vertreibung von Bevölkerungsgruppen aus ihren angestammten Quartieren zu verhindern. Es ist deshalb von der Erforderlichkeit auszugehen.
cc) Bei der Angemessenheit kommt eine Vielzahl von Argumenten als Für und Wider in Betracht, deren Abwägung auch zu verschiedenen Ergebnissen führen kann. Bei der Abwägung ist der in der Begrenzung der Mietenhöhe liegenden Belastung der Vermieter gegenüberzustellen, dass die Wohnung für die Menschen einen gewichtigen sozialen Wert hat, dass die Mieten sich bereits jetzt überwiegend auf einem so hohen Niveau befinden, das ausreichende Erhaltungsmaßnahmen weiterhin möglich sind und dass auch weiterhin Gewinne erwirtschaftet werden können. B ei besonderer Ausstattung und bei Modernisierungen sind Zuschläge möglich, eine Anpassung an die Inflation ist vorgesehen, bei Härtefällen ermöglicht § 8 eine Mieterhöhung. Die Abwägung kann also zu dem Ergebnis kommen, dass die Regelung noch angemessen ist.
Danach verletzt das MieWoG die materielle Seite des Art. 14 GG nicht (a. A. ebenso möglich).
II. Die Beschränkung der Vertragsfreiheit der Vermieter durch das MieWoG enthält einen Eingriff in die durch Art. 2 I GG geschützte Handlungsfreiheit. Diese steht unter dem Vorbehalt der verfassungsmäßigen Ordnung, zu der die gesamte verfassungsmäßige Rechtsordnung gehört ( BVerfGE 6, 32, 36, 38). Grundsätzlich kann deshalb das MieWoG die Vertragsfreiheit beschränken. Aber auch diese Beschränkung muss in verfassungsmäßiger Weise erfolgen, so dass die Überlegungen oben C I 2 auch hier gelten, d. h. dass das nicht kompetenzgemäß erlassene MieWoG auch Art. 2 I GG verletzt.
III. Eine Verletzung des Art. 3 I GG liegt dagegen nicht vor. Soweit das MieWoG Ungleichbehandlungen enthält, ist es durch die unter C I 2b angeführten sachlichen Gründe gerechtfertigt. Art. 3 I GG kann allerdings auch durch eine Gleichbehandlung verletzt werden, weil Art. 3 I GG gebietet, nicht nur wesentlich Gleiches gleich, sondern auch wesentlich Ungleiches ungleich zu behandeln (BVerfG NJW 2019, 3054 Rn. 91). Danach könnte beanstandet werden, dass das Gesetz neben einkommensschwächeren Mietern auch die Miete von Mietern schützt, die eine höhere Miete durchaus zahlen können. Jedoch müsste bei einer Differenzierung die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Mieters durch den Vermieter beurteilt werden können, etwa durch mit einer Steuererklärung vergleichbare Nachweise, was aber sowohl für Mieter als auch für Vermieter unzumutbar wäre. Auch würden dadurch Mieter I. und II. Klasse geschaffen, was die Stellung sozial schwächerer Mieter weiter verschlechtern würde. Die Gleichbehandlung aller Mieter verletzt deshalb Art. 3 I GG nicht.
(Wird den Ausführungen unter C. gefolgt, bedeutet das, dass ein Mietendeckel unter den Bedingungen so wie in Berlin durch Bundesrecht eingeführt werden könnte; anders aber Kreuter-Kirchhof DÖV 2021, 103.)
Ergebnis: Der Antrag auf eine abstrakte Normenkontrolle ist begründet und führt zu der Feststellung (§ 78, 1 BVerfGG), dass das MieWoG mit Art. 74 I Nr. 1 i. V. mit Art. 72 I GG unvereinbar und nichtig ist (so der Tenor des BVerfG-Beschlusses). Zugleich verletzt das MieWoG Art. 14 und 2 I GG.
Zusammenfassung